Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-401098/6/SR/Sta

Linz, 28.02.2011

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Beschwerde des x, geboren am x, Staatsangehöriger von x(Identität nicht geklärt), vertreten durch x, Rechtsanwalt in x, wegen Rechtswidrigkeit der Festnahme, des Schubhaftbescheides und der Anhaltung in Schubhaft durch den Polizeidirektor von Linz zu Recht erkannt:

 

 

I.                  Aus Anlass der Beschwerde werden die Festnahme am 14. Februar 2011, der Schubhaftbescheid der belangten Behörde vom 14. Februar 2011 und die darauf beruhende Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft in der Zeit vom 14. bis 15. Februar 2010 für rechtswidrig erklärt.

 

II.              Der Bund (Verfahrenspartei Polizeidirektor der Stadt Linz) hat dem Beschwerdeführer den notwendigen Verfahrensaufwand in der Höhe von 750,80 Euro (darin enthalten 13,20 Euro Eingabegebühr) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

 

Rechtsgrundlagen:

§§ 82 und 83 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG (BGBl I Nr. 100/2005, zuletzt geändert mit Bundesgesetz BGBl I Nr. 135/2009) iVm §§ 67c und 79a Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG iVm UVS-Aufwandersatzverordnung 2008 (BGBl II Nr. 456/2008).

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Der Unabhängige Verwaltungssenat geht auf Grund der Aktenlage in Verbindung mit der eingebrachten Beschwerde vom nachstehenden Sachverhalt aus:

 

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden Bf), laut eigenen Angaben ein x Staatsangehöriger (Identität ist ungeklärt), reiste am 10. Juli 2002 illegal in Österreich ein und stellte am 11. Juli 2002 einen Asylantrag beim Bundesasylamt, Außenstelle Traiskirchen.

 

Nach zwei zwischenzeitigen Einstellungen seines Asylverfahrens zur Zahl 02 18.264 wegen unbekannten Aufenthaltes wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 30. Juli 2010, Zl. A4 235.248-0/2008/25E, zugestellt am 2. August 2010, den Asylantrag des Bf gemäß § 7 AsylG 1997 ab und stellte gemäß § 8 AsylG 1997 gleichzeitig fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach x zulässig ist.

 

Mit Bescheid vom 19. Oktober 2010, Zl. III-1118217//10, zugestellt zu eigenen Handen am 21. Oktober 2010, hat der Polizeipräsident von Wien ein unbefristetes Aufenthaltsverbot gegen den Bf erlassen. Mit Ablauf des 4. November 2010 ist das Aufenthaltsverbot in Rechtskraft erwachsen.

 

Folgende rechtskräftigen Verurteilungen des Bf scheinen bisher in Österreich auf:

 

  1. Landesgericht für Strafsachen Wien vom 13. August 2003 (rk. 13.08.2003), Zl. 152 HV 37/2003F, wegen § 27 Abs 1 und 2 Z 2 SMG: 6 Monate Freiheitsstrafe, bedingt auf drei Jahre, widerrufen am 4.02.2004 zu 161 HV 174/2003V des Landesgerichts für Strafsachen Wien
  2.  Landesgericht für Strafsachen Wien vom 4.02.2004 (rk. 4.02.2004), Zl. 161 HV 174/2003Vf, wegen § 28 Abs 2 und 3 1. Fall SMG : 18 Monate Freiheitsstrafe
  3.  Landesgericht für Strafsachen Wien vom 22.06.2006 (rk. 22.06.2006), Zl. 62 HV 80/2006x, wegen § 27 Abs 1 und 2 Z. 2 1 Fall SMG: 1 Jahr Freiheitsstrafe.
  4. Landesgericht für Strafsachen Wien vom 23.04.2010 (rk. 23.04.2010), Zl. 63 HV 30/2010G, wegen § 28 Abs 1 SMG und §§ 224a und 295 StGB : 15. Monate Freiheitsstrafe.

 

Der Bf wurde während der Strafhaft in die Justizanstalt Linz, Außenstelle Asten, überstellt und verbüßte dort in der Zeit vom 30. Juni 2010 bis zum 14. Februar 2011 die vom Landesgericht für Strafsachen Wien über ihn verhängte Freiheitsstrafe.

 

Am 30. Juni 2010 teilte die JA Linz der belangten Behörde mit, dass sich der Bf in Strafhaft befinde und am 14. Februar 2011 entlassen werde. Mit Fax vom 2. Februar 2011 wies die JA Linz die belangte Behörde auf den bevorstehenden Entlassungstermin hin.

 

Zum Zweck der Identitätsklärung wurde der Bf am 8. Februar 2011 in der JA Linz niederschriftlich befragt.

 

1.2. Mit Bescheid vom 14. Jänner 2011, AZ 1068288/FRB, hat der Polizeidirektor von Linz auf der Rechtsgrundlage des § 76 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG gegen den Bf die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet.

 

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Asylantrag des Bf am 2. August 2010 rechtskräftig abgewiesen, gegen ihn ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen und er viermal nach dem SMG verurteilt worden sei. Im Erkenntnis vom 25. März 2010, Zl. 2009/21/0276, habe der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes neben der Integration des Fremden in Österreich auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen sei. Den Akten zufolge habe der Bf nach seiner Haftentlassung weder einen Wohnsitz noch private oder familiäre Bindungen in Österreich. Im Hinblick auf die gerichtlichen Verurteilungen nach dem SMG könne keinesfalls von einer sozialen Verankerung gesprochen werden und schon aus diesem Grund scheine die Anordnung eines gelinderen Mittels nicht sicher genug, um davon ausgehen zu können, dass sich der Bf zur beabsichtigten Abschiebung auch zur Verfügung halten werde.

 

Der Bescheid wurde dem Bf am 14. Jänner 2011 zu eigenen Handen zugestellt.

 

1.3. Nach seiner Entlassung aus der Strafhaft wurde der Bf am 14. Jänner 2011 gegen 08:00 Uhr in Schubhaft genommen und im Auftrag der belangten Behörde in das Polizeianhaltezentrum (PAZ) Linz zum Vollzug der Schubhaft überstellt.

 

Unmittelbar nach seiner Einlieferung in das PAZ Linz ersuchte die belangte Behörde das PAZ Linz um EURODAC-Behandlung und brachte dem Bf unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die englische Sprache den Haftgrund zur Kenntnis. Im Zuge der niederschriftlichen Befragung wurde dem Bf mitgeteilt, dass gegen ihn ein unbefristetes Aufenthaltsverbot bestehe, sein Asylverfahren seit dem 2. August 2010 rechtskräftig abgeschlossen und er in Österreich nicht gemeldet sei. Daher beabsichtige die belangte Behörde ihn nach x abzuschieben. Da er über kein "Heimatdokument" verfüge und seine Identität nicht geklärt sei, werde die belangte Behörde bei der nigerianischen Botschaft die Ausstellung eines Heimreisezertifikates beantragen. Nach Ausstellung werde er abgeschoben werden. Zur beabsichtigten Vorgangsweise der belangten Behörde brachte der Bf vor, dass er auf keinen Fall nach Nigeria zurück wolle.

 

Nach der Befragung wurde der Bf in das PAZ Wien-Rossauer Lände überstellt. Aufgrund der Verhaltensauffälligkeit und einer Selbstmordbefürchtung ordnete der Leiter des PAZ Wien Rossauer-Lände eine "engmaschige Observanz lt. AA" an (Meldung vom 14. Februar 2011, GZ A2/55839/2011).

 

1.4. Mit Schreiben vom 14. Februar 2011 ersuchte die belangte Behörde im Wege des Bundesministeriums für Inneres (BMI) um Erwirkung eines Heimreisezertifikates für den Bf bei der Botschaft von Nigeria und Erwirkung eines Interviewtermins. Dem Schreiben wurden 2 Passfotos, das Fingerabdruckblatt und die Datenniederschrift beigelegt.

 

1.5 . Mit der per Fax übermittelten Eingabe vom 14. Februar 2011 erhob der Bf durch seinen Rechtsvertreter Beschwerde gemäß § 82 FPG und stellte die Anträge, der Unabhängige Verwaltungssenat möge die Rechtswidrigkeit der Festnahme, des Schubhaftbescheides und der Anhaltung in Haft ab Beginn feststellen. Gleichzeitig möge erkannt werden, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen. Abschließend wurde die Erstattung des pauschalierten Schriftsatzaufwandes beantragt.

 

Begründend führte der Rechtsvertreter aus, dass die belangte Behörde nicht dargelegt habe, warum sie nicht schon während der Strafhaft seine Abschiebung vorbereitet habe. Die belangte Behörde hätte bereits mindestens sechs Monate lang ein Heimreisezertifikat beschaffen können. Bei erfolgreicher Beschaffung wäre die Abschiebung des Bf direkt aus der Haft möglich gewesen. Für den Fall der Unmöglichkeit der Erlangung eines Heimreisezertifikates wäre die Schubhaft wegen feststehender Nichtabschiebbarkeit ebenfalls nicht notwendig gewesen. Da die belangte Behörde die Schubhaft nur bei Notwendigkeit verhängen dürfe und diese so kurz wie möglich zu halten habe, könne sie die Folgen ihrer Säumnis nicht auf den Bf überwälzen. Aufgrund seiner Mitteilung sei die belangte Behörde in Kenntnis, dass der Bf bei einem Freund in Wien wohnen könne. Es habe daher kein Anlass bestanden, anzunehmen, dass der Bf untertauchen und sich dem Verfahren entziehen werde. Warum die mehrfache Straffälligkeit dazu führen solle, dass der Bf der täglichen Meldepflicht nicht nachkomme und sich der Behörde nicht zur Verfügung halte, sei nicht nachvollziehbar. Bisher sei der Bf den behördlichen Ladungen stets nachgekommen.

 

1.6. Am 15. Februar 2011 teilte das BMI der belangten Behörde telefonisch mit, dass der Bf hinsichtlich der Beschaffung eines Heimreisezertifikates auf die Liste der Vorzuführenden zum Interview am 18. Februar 2011 gesetzt worden sei.

 

Mit E-Mail vom 15. Februar 2011 informierte das BMI die belangte Behörde, dass die Identitätsprüfung der nigerianischen Botschaft am 18. Februar 2011 nicht stattfinden werde und die Vorführung des Bf am 25. Februar 2011 stattfinden solle.

 

Daraufhin ordnete die belangte Behörde die Entlassung des Bf an. Der Bf wurde am 15. Februar 2011 um 11.00 Uhr entlassen. Von der Entlassung des Bf aus der Schubhaft wurde der Oö. Verwaltungssenat per E-Mail am 15. Februar 2011 in Kenntnis gesetzt.

 

2.1. Mit Schreiben vom 16. Februar 2011 übermittelte die belangte Behörde den Fremdenakt, nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der vorliegenden Beschwerde.

 

2.2. Der Oö. Verwaltungssenat hat nach Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt festgestellt, dass der Sachverhalt bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde hinreichend geklärt ist, weshalb von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung gemäß § 83 Abs. 2 FPG abgesehen werden konnte.

 

3.1. Der Oö. Verwaltungssenat geht von dem unter den Punkten 1.1. bis 1.6 dieses Erkenntnisses dargestellten entscheidungswesentlichen Sachverhalt aus.

 

3.2. Der festgestellte Sachverhalt ist unstrittig.

 

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 82 Abs 1 FPG hat der Fremde das Recht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung den unabhängigen Verwaltungssenat anzurufen,

 

  1. wenn er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist;
  2. wenn er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz oder das Asylgesetz 2005 angehalten wird oder wurde oder
  3. wenn gegen ihn die Schubhaft angeordnet wurde.

 

Nach § 83 Abs 1 FPG idF BGBl I Nr. 122/2009 ist zur Entscheidung über eine Beschwerde gemäß § 82 Abs 1 Z 2 oder 3 der unabhängige Verwaltungssenat zuständig, in dessen Sprengel die Behörde ihren Sitz hat, welche die Anhaltung oder die Schubhaft angeordnet hat. In den Fällen des § 82 Abs 1 Z 1 richtet sich die Zuständigkeit nach dem Ort der Festnahme.

 

Gemäß § 83 Abs 2 FPG gelten die §§ 67c bis 67g sowie 79a AVG mit der Maßgabe, dass

  1. eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, und
  2. die Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates über die Fortsetzung der Schubhaft binnen einer Woche zu ergehen hat, es sei denn, die Anhaltung des fremden hätte vorher geendet.

 

Nach § 83 Abs 4 FPG hat der unabhängige Verwaltungssenat, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Im Übrigen hat er im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte zu entscheiden.

 

4.2. Es ist unbestritten, dass der Bf aufgrund des Bescheides der belangten Behörde vom 14. bis 15. Februar 2011 in Schubhaft angehalten wurde. Daher ist der Oö. Verwaltungssenat zur Entscheidung berufen.

 

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

 

4.3. Gemäß § 76 Abs 1 FPG können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft nur verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.

 

Die Schubhaft ist nach dem § 76 Abs 3 FPG grundsätzlich mit Mandatsbescheid gemäß § 57 AVG anzuordnen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zur Erlassung des Bescheides aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

 

Gemäß § 80 Abs 1 FPG ist die Behörde verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Sie darf gemäß § 80 Abs 2 FPG nur so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann. Mit Ausnahme der Fälle des § 80 Abs 3, 4 oder 5 FPG darf die Schubhaft nicht länger als 2 Monate dauern.

 

4.4. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs verlangt die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit einer Schubhaft nach § 76 Abs 1 FPG eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Außerlandesschaffung und dem privaten Interesse an der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen. Dabei ist der Frage nach dem Sicherungsbedürfnis nachzugehen, was die gerechtfertigte Annahme voraussetzt, der Fremde werde sich dem Verfahren oder der Abschiebung durch Untertauchen entziehen oder diese Maßnahmen zumindest wesentlich erschweren.

 

In dem aus Anlass einer Amtsbeschwerde ergangenen Erkenntnis vom 17. März 2009, Zl. 2007/21/0542, hat der Verwaltungsgerichtshof zunächst wiederholt, dass die bloße Nichtbefolgung eines Ausreisebefehls die Schubhaft nicht zu rechtfertigen vermag, sondern der Sicherungsbedarf müsse in weiteren Umständen begründet sein, wofür etwa eine mangelnde soziale Verankerung in Österreich in Betracht komme (Hinweis auf VwGH vom 28.05.2008, Zl. 2007/21/0246). Für die Bejahung des Sicherungsbedarfs im Anwendungsbereich des § 76 Abs 1 FPG komme daher insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, welche das befürchtete Risiko des Untertauchens rechtfertigen können (Hinweis auf VwGH vom 28.05.2008, Zl. 2007/21/0162). Abgesehen von der Integration des Fremden sei bei Prüfung des Sicherungsbedarfs auch das bisherige Verhalten des Fremden in Betracht zu ziehen (Hinweis auf VwGH 27.02.2007, Zl. 2006/21/0311; VwGH je vom 28.06.2007, Zl. 2006/21/0091 und Zl. 2006/21/0051). Auch wenn Gründe der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nach dem Gesetz keinen tauglichen Schubhaftzweck darstellen (vgl etwa VwGH 31.08.2006, Zl. 2006/21/0087; VwGH 27.02.2007, Zl. 2006/21/311) kann nach dem oben zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 17. März 2009 der Verurteilung eines Fremden im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung Bedeutung zukommen. Eine erhebliche Delinquenz des Fremden kann das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Effektivität seiner baldigen Abschiebung – in Abhängigkeit von der Schwere der Straftaten - maßgeblich vergrößern (siehe Erkenntnis des Oö. Verwaltungssenates vom 24. August 2010, VwSen-401082/5/Wei/Sta).

 

Den obigen Ausführungen folgend und auf den relevanten Sachverhalt abstellend ist von einem konkreten Sicherungsbedarf auszugehen (Ausreiseunwilligkeit, keine erkennbare soziale Verankerung, erhebliche Delinquenz, Fehlen ausreichender beruflicher und familiärer Anknüpfungspunkte).

 

Trotz des vorliegenden und konkreten Sicherungsbedarfes können die Verhängung der Schubhaft und die Anhaltung in Schubhaft nicht als verhältnismäßig betrachtet werden.

 

Bereits aus dem zitierten § 80 Abs. 1 FPG ist die Verpflichtung der belangten Behörde abzuleiten, die Schubhaft so kurz wie möglich zu halten. Dies bedeutet - unter Bedachtnahme auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte, wonach die Schubhaft auch dann, wenn sie auf einen der Tatbestände des § 76 FPG gestützt werden soll, stets nur die "ultima ratio" sein darf - für den vorliegenden Fall, dass die belangte Behörde Zeiten, in denen der Bf aus anderen Gründen als den im FPG genannten angehalten wird (z.B. Verbüßung einer mehrmonatigen Gerichtsstrafe), zur Erreichung der fremdenpolizeilichen Ziele zu nutzen hat. Bezogen auf die Besonderheiten des Einzelfalls ist die belangte Behörde daher gehalten, rechtzeitig die erforderlichen Schritte zu setzen, damit die Abschiebung des Bf in zeitlichen Umfeld zum vorgesehenen Entlassungstermin vorgenommen werden kann. Der Oö. Verwaltungssenat verkennt nicht, dass die notwendige Zeit zur Erlangung eines Heimreisezertifikates von Fall zu Fall unterschiedlich sein wird und der erforderliche Zeitrahmen nicht exakt eingeschätzt werden kann. Daraus kann die belangte Behörde aber nicht den Schluss ziehen, überhaupt untätig bleiben zu dürfen und mit den Vorbereitungshandlungen bis zur Schubhaftverhängung zuwarten zu können. Aufgrund ihrer Erfahrungswerte (durchschnittliche Dauer zur Erlangung eines Heimreisezertifikates [Vorgangsweise verschiedener Botschaften: Häufigkeit der Vorführtermine, Dauer bis zur Ausstellung des Heimreisezertifikates, Gültigkeitsdauer eines Heimreisezertifikates]) hat sie jedenfalls eine Grobeinschätzung vorzunehmen und die Zeitplanung entsprechend dieser vorzunehmen. Unvorhersehbare Fallkonstellationen (z.B.: frühzeitige Haftentlassung) können der belangten Behörde grundsätzlich nicht vorgeworfen werden.

 

Wie sich aus dem festgestellten Sachverhalt unstrittig ergibt, hat die belangte Behörde bereits Ende Juni 2010 von der Strafhaft des Bf und seiner Entlassung am 14. Februar 2011 Kenntnis erlangt. Nach Übermittlung des Fremdenaktes der BPD Wien konnte die belangte Behörde ersehen, dass die Identität des Bf nicht geklärt ist. Abstellend auf diese Umstände wäre die belangte Behörde gehalten gewesen, einige Monate vor dem bekanntgegebenen Entlassungstermin die notwenigen Schritte zur Erlangung eines Heimreisezertifikates zu setzen. Tatsächlich hat sie mit der "Identitätsklärung" knapp eine Woche vor dem Entlassungstermin begonnen und erst nach der Schubhaftverhängung das BMI um Erwirkung eines Vorführtermins bei der nigerianischen Botschaft und der Ausstellung eines Heimreisezertifikates ersucht.

 

Indem die belangte Behörde den "Haftzeitraum" vor dem Entlassungszeitpunkt am 14. Februar 2011 ungenützt verstreichen ließ und erst nach der Bescheiderlassung und der Schubhaftverhängung das BMI um Erwirkung eines Heimreisezertifikates ersucht hat, kann das Verhalten der belangten Behörde nicht als verhältnismäßig angesehen werden (vgl. E. des UVS Oö vom 8.7.2009, VwSen-401017/5/BP/Se und 30.7.2009, VwSen-401022/6/SR/Sta; der VwGH hat mit Beschlüssen vom 8.9.2009, Zl. 2009/21/0242-3 und 29.4.2010, Zl. 2009/21/0268-8, die Behandlung beider Amtsbeschwerden abgelehnt).

 

4.5.  Der vorliegenden Beschwerde war daher Folge zu geben und die Festnahme, der Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft in der Zeit vom 14. bis 15. Februar 2011 waren für rechtswidrig zu erklären.

 

5. Nach § 79a Abs 1 AVG 1991 iVm § 83 Abs 2 FPG hat die im Verfahren nach    § 67c AVG obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wird die Beschwerde zurückgewiesen oder zurückgezogen oder abgewiesen, dann ist die belangte Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei (§ 79a Abs 3 AVG). Nach § 79a Abs 6 AVG ist Aufwandersatz nur auf Antrag der Partei zu leisten.

 

Gemäß § 79a Abs 4 AVG gelten als Aufwendungen gemäß Abs 1 neben Stempel- und Kommissionsgebühren sowie Barauslagen vor allem die durch Verordnung des Bundeskanzlers festgesetzten Pauschbeträge für den Schriftsatz-, den Verhandlungs- und den Vorlageaufwand. Nach der geltenden UVS-Aufwandersatzverordnung 2008 (BGBl II Nr. 456/2008) betragen die Pauschbeträge für Bf als obsiegender Partei für den Vorlageaufwand 737,60 Euro.

 

Im gegenständlichen Beschwerdeverfahren war der Verfahrensaufwand des Bf mit insgesamt 750,80 Euro (darin enthalten 13,20 Euro Eingabegebühr) festzusetzen und der belangten Behörde der Kostenersatz zugunsten des Bf aufzutragen.

 

Analog dem § 59 Abs 4 VwGG 1985 war eine Leistungsfrist von 2 Wochen festzusetzen, zumal das Schweigen des § 79a AVG 1991 nur als planwidrige Lücke aufgefasst werden kann, sollte doch die Neuregelung idF BGBl Nr. 471/1995 im Wesentlichen eine Angleichung der Kostentragungsbestimmungen an das VwGG bringen (vgl Erl zur RV, 130 BlgNR 19. GP, 14 f).

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweise:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Bundesstempelgebühren für die Beschwerde von 13,20 Euro angefallen.

 

 

Mag. Stierschneider

 

 

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