Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-231215/2/WEI/Sic/Ba

Linz, 28.02.2011

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mit­glied Dr. Wolfgang Weiß über die Berufung des X X, geb. X, türkischer Staatsangehöriger, X, X, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Dr. X X, X, X, gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Linz vom 13. De­zember 2010, Zl. S-36.919/10-2, wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem Fremdenpolizeigesetz zu Recht erkannt:

I.  Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt.

II. Der Berufungswerber hat weder einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens erster Instanz noch zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten.

Rechtsgrundlagen:

zu I: § 66 Abs 4 Allgemeines Verwal­tungsverfahrens­gesetz 1991 – AVG iVm §§ 24, 51 Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG

zu II: § 66 Abs 1 VStG.


Entscheidungsgründe:

1.1. Mit dem Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Linz vom 13. Dezember 2010, wurde der Berufungswerber (in der Folge: Bw) wie folgt für schuldig befunden:

 

"Wie vom Fremdenpolizeilichen Referat der BPD Linz am 21.06.2010 anlässlich einer fremdenpolizeilichen Überprüfung festgestellt wurde, sind Sie Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes und Sie halten sich seit 19.01.2010 unrechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich auf, da Sie weder aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz noch aufgrund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind, Sie nicht im Besitze eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind, Ihnen eine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz nicht zukommt und Sie nicht Inhaber einer Beschäftigungsbewilligung, Entsendebewilligung oder Anzeigebestätigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz sind."

 

Dadurch erachtete die belangte Behörde "§ 120 Abs. 1 Z. 2 iVm § 31 Abs. 1 Z 2-4 u. 6 FPG" als verletzt und verhängte wegen dieser Verwaltungsübertretung über den Bw gemäß § 120 Abs 1 FPG eine Geldstrafe in der Höhe von 1.000 Euro und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 4 Tagen.

 

1.2. Nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensablaufes und der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen stand für die belangte Behörde fest, dass der Bw mangels österreichischer Staatsbürgerschaft ein Fremder iSd Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) sei und über keine Aufenthaltsberechtigung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) verfüge. Weiters sei der Bw nicht Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels und es komme ihm kein Aufenthaltsrecht nach den asylrechtlichen Bestimmungen zu. Da für ihn auch keine Beschäftigungsbewilligung oder Anzeigebestätigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) ausgestellt worden sei, erfülle er keine der Voraussetzungen des § 31 Abs 1 FPG. Er halte sich somit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich auf.

Vom fremdenpolizeilichen Referat der Bundespolizeidirektion Linz sei daher mit Bescheid vom 2. April 2010 gegen den Bw die Ausweisung angeordnet worden.

Für die belangte Behörde stehe daher fest, dass sich der Bw tatsächlich unrechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich aufgehalten und somit gegen die angeführten Bestimmungen des FPG verstoßen habe, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in mehreren Erkenntnissen ausgesprochen habe, bestehe ein hohes Interesse der Allgemeinheit an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften durch die Normadressaten im Hinblick auf den Schutz der öffentlichen Ordnung (Hinweis auf VwGH vom 19.02.1997, Zl. 96/21/0516).

In diesem Sinne sei bei der Bemessung der Strafe das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung diene, und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen habe, berücksichtigt worden. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse seien ebenfalls beachtet worden.

2. Gegen das Straferkenntnis, das dem Bw am 16. Dezember 2010 zu Händen seines Rechtsvertreters zugestellt wurde, richtet sich die vorliegende rechtzeitig am 30. Dezember 2010 per E-Mail bei der belangten Behörde eingelangte Berufung vom 28. Dezember 2010. Der Bw beantragt darin das Straferkenntnis ersatzlos aufzuheben, in eventu das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und der Erstbehörde die neuerliche Entscheidung aufzutragen und jedenfalls eine mündliche Berufungsverhandlung durchzuführen.

Begründend stellt der Bw zunächst fest, dass sein Asylverfahren mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 18. Jänner 2010 rechtskräftig negativ erledigt wurde. Er habe jedoch in Österreich seinen Lebensmittelpunkt begründet und lebe mit seiner Ehegattin und dem gemeinsamen Kind, beide österreichische Staatsbürger, im gemeinsamen Haushalt. Er werde beim Magistrat Linz eine Niederlassungsbewilligung beantragen und dadurch seinen Aufenthalt in Österreich sanieren. Er beherrsche die deutsche Sprache, gehe einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach und sei die Familie auf sein in Österreich erzieltes Einkommen angewiesen. Aus Art 8 EMRK könne er einen Anspruch auf Aufrechterhaltung des Familienlebens ableiten.

Die Ausweisung wider seine Person sei nicht rechtskräftig und das diesbezügliche Verfahren noch beim VwGH anhängig. Da durch ein Vorgehen im Sinne des § 120 FPG und Erlassung einer Verwaltungsstrafe wider seine Person präjudiziere, ob er überhaupt in Österreich aufhältig bleiben dürfe, erweise sich das Vorgehen der Verwaltungsstrafbehörde als rechts- und verfassungswidrig.

Weil noch nicht feststehe, dass er aus Österreich auszuweisen sein wird, sondern durchaus mit der Feststellung zu rechnen sei, dass eine Ausweisung im Sinn der einschlägigen Judikatur des Verfassungsgerichtshof auf Dauer unzulässig ist, erweise sich eine Bestrafung als rechtswidrig.

Weiters beantragt er die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung, bis zu der er Nachweise über die Sanierbarkeit bzw. tatsächliche Sanierung seines Aufenthalts vorbringen werde.

3.1. Die Bundespolizeidirektion Linz hat den Verwaltungsstrafakt, Zl. S-36.919/10-2, samt Berufungsschrift - ohne vom Instrumentarium der Berufungsvorentscheidung Gebrauch zu machen - dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich mit Schreiben vom 12. Jänner  2011 zur Entscheidung vorgelegt.

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt und die Berufung. Gemäß § 51e Abs 2 Z 1 VStG ist die öffentliche mündliche Verhandlung entfallen, da bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der mit der Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

3.2. Aus der Aktenlage ergibt sich für den Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich folgender wesentliche S a c h v e r h a l t:

Der Bw, ein Staatsangehöriger der Türkei, reiste im Jahr 2002 nach Österreich ein und stellte einen Asylantrag, der mit 18. Jänner 2010 rechtskräftig abgewiesen wurde. Es handelte sich dabei um ein einziges Verfahren ohne Folgeanträge, in dem nur eine (rechtskräftige) Entscheidung ergangen ist und welches sich über die Dauer von rund 8 Jahren erstreckte.

Das fremdenpolizeiliche Referat der Bundespolizeidirektion Linz erstattete am 21. Juni 2010 Anzeige gegen den Bw, weil er sich seit der rechtskräftigen negativen Abweisung des Asylantrags rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalte.

Die Bundespolizeidirektion Linz forderte den Bw mit Schreiben vom 9. September 2010 zur Rechtfertigung auf, wobei ihm vorgeworfen wurde, sich seit 19. Jänner 2010 rechtswidrig im Bundesgebiet aufzuhalten. Eine Stellungnahme wurde seitens des ausgewiesenen Rechtsvertreters binnen der gesetzten Frist nicht erstattet. Daraufhin erließ die belangte Behörde das angefochtene Straferkenntnis, mit dem der Bw für schuldig befunden wurde, § 120 Abs 1 Z 2 FPG übertreten zu haben. Gegen dieses Straferkenntnis richtet sich die vorliegende Berufung.

Die Bundespolizeidirektion Linz ordnete mit Bescheid vom 2. April 2010, Zl. 1051437/FRB/10 die Ausweisung des Bw aus dem Bundesgebiet an, da er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Diesen Ausweisungsbescheid hat die Sicherheitsdirektion mit Bescheid vom 17. Juni 2010 bestätigt. Der dagegen erhobenen Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof zu Zl. AW 2010/21/0129-3 am 1. Juli 2010 die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Der Bw hat am 12. August 2010 beim Magistrat der Stadt Linz einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung als Familienangehöriger mit freiem Zugang zum Arbeitsmarkt beantragt.

4. In der Sache selbst hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erwogen:

4.1. Gemäß § 120 Abs 1 Z 2 FPG (BGBl I Nr. 100/2005, zuletzt geändert mit BGBl I Nr. 135/2009), begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von 1.000 Euro bis zu 5.000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen

wer sich als Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

Nach § 31 Abs 1 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf,

1.     wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthalts im Bundesgebiet die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben;

2.     wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes  nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind;

3.     wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind;

4.     solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen zukommt;

5.     soweit sie nicht auf Grund eines Rückübernahmeabkommens (§ 19 Abs. 4) oder internationaler Gepflogenheiten rückgenommen werden mussten oder nicht auf Grund einer Durchbeförderungserklärung, sonstiger zwischenstaatlicher Abkommen oder auf Ersuchen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union um Durchbeförderung (§ 48 Abs. 1) oder aufgrund einer Durchlieferungsbewilligung gemäß § 67 ARHG eingereist sind;

6.     wenn sie eine Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, eine Entsendebewilligung, eine EU-Entsendebestätigung, eine Anzeigebestätigung gemäß § 3 Abs. 5 AuslBG oder eine Anzeigebestätigung gemäß § 18 Abs. 3 AuslBG mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, innehaben oder

7.     soweit sich dies aus anderen bundesgesetzlichen Vorschriften ergibt.

4.2. Bis zur rechtskräftigen negativen Abweisung seines Asylantrags am 18. Jänner 2010 war der Bw aufgrund des AsylG zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt. Der Aufenthalt des Bw seit dem 19. Jänner 2010 lässt sich jedoch auf keine Bestimmung des § 31 Abs 1 FPG stützen. Auch begründet die Tatsache der Integration in Österreich sowie die Existenz eines gemeinsamen Familienlebens mit einem österreichischen Staatsbürger noch kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Damit hat der Bw objektiv tatbestandsmäßig gehandelt, woran auch der noch nicht rechtswirksame Ausweisungsbescheid nichts ändert.

4.3. Das FPG enthält keine eigene Regelung hinsichtlich des Verschuldens, weshalb § 5 Abs 1 VStG zur Anwendung kommt, wonach zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten genügt. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft (Ungehorsamsdelikt).

Auch die gegenständliche Verwaltungsübertretung stellt ein Ungehorsamsdelikt dar. Es genügt daher fahrlässige Tatbegehung. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat der Bw initiativ alles darzulegen, was für seine Entlastung spricht. Dies hat in erster Linie durch geeignetes Tatsachenvorbringen und durch Beibringung von Beweismitteln oder Stellung konkreter Beweisanträge zu geschehen. Bloßes Leugnen oder allgemein gehaltene Behauptungen reichen für die "Glaubhaftmachung" nicht.

Der Bw bringt diesbezüglich insbesondere seine Integration in Österreich sowie das mit einer österreichischen Staatsbürgerin begründete gemeinsame Privat- und Familienleben vor, welches im Ausweisungsverfahren zu der Feststellung der dauerhaften Unzulässigkeit der Ausweisung führen könne. Diese Entscheidung müsse er im Inland abwarten können.

4.4. Gemäß § 66 Abs 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMKR) insbesondere zu berücksichtigen:

1.     die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

2.     das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.     die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.     der Grad der Integration;

5.     die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.     die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.     Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.     die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

 

Wird die Ausweisung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 66 FPG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt, so hat die Behörde gemäß §§ 44a NAG von Amts wegen einen Aufenthaltstitel gemäß §§ 43 Abs 2 oder 44 Abs 3 NAG zu erteilen.

Gemäß § 44b Abs 3 letzter Satz NAG gelten jedoch Verfahren gemäß §§ 43 Abs 2 und 44 Abs 3 NAG über die Fälle des § 25 Abs 2 NAG hinaus als eingestellt, wenn der Fremde das Bundesgebiet verlassen hat.

4.5. Die Ausweisungsentscheidung der Bundespolizeidirektion Linz war im Zeitpunkt der Fällung des Straferkenntnisses nicht (materiell) rechtskräftig, da der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde. Im weiteren Verfahren wird zu prüfen sein, ob die Ausweisung einen zulässigen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Bw darstellt. Dabei bestehen insbesondere nach der neuesten Rechtsprechung des Verfassungsgerichthofs auch gute Gründe, die eine Ausweisung auf Dauer als unzulässigen Eingriff in das Privatleben erscheinen lassen:

In dem jüngst ergangenen Erkenntnis vom 7. Oktober 2010, Zl. B 950/10, hielt der Verfassungsgerichthof fest, dass im Zusammenhang mit der Interessensabwägung nach Art 8 EMRK bei einer in hohem Maße stattgefundenen Integration (z.B. längerer Aufenthalt in Österreich und gute Deutschkenntnisse der Familie) eine "integrationsmindernde" Wertung des Umstandes, dass der Aufenthalt nur auf Grund eines letztlich unberechtigten Asylantrages rechtmäßig war, nicht generell zulässig sei. Vielmehr sei zu berücksichtigen, dass die Integration der Beschwerdeführer während ihrer jeweils einzigen Asylverfahren erfolgte, die sieben Jahre lang ohne rechtskräftige Entscheidung dauerten. Der Staat müsse Voraussetzungen schaffen, dass bis zur ersten rechtskräftigen Entscheidung nicht sieben Jahre verstreichen, wenn keine außergewöhnlich komplexen Rechtsfragen vorliegen und den Fremden die lange Dauer des Asylverfahrens nicht angelastet werden kann. Zudem habe der Umstand, dass die ersten negativen Entscheidungen behoben wurden, bei den Beschwerdeführern die Erwartung erweckt, dass nicht zwangsläufig mit einer negativen Entscheidung des Asylverfahrens zu rechnen ist.

Wenn nun nach dieser verfassungsgerichtlichen Judikatur der Aufenthalt während eines einzigen, unverschuldet lange dauernden Asylverfahrens, in dem nicht besonders schwierige Rechtsfragen auftraten, als nicht mehr nur unsicherer Aufenthaltsstatus, sondern als stark "integrationsbegründender" Zustand zu werten ist, erscheint es denkbar, dass auch bei der den Bw betreffenden Ausweisungsentscheidung die Interessenabwägung zu Gunsten einer dauernden Unzulässigkeit der Ausweisung ausfallen könnte. Das Vorliegen eines tatsächlichen Familienlebens im engeren Sinn über den gesamten Zeitraum des Aufenthalts im Bundesgebietes ist dabei nicht allein entscheidend, zumal Art 8 EMRK auch die sonstigen im Inland geknüpften Beziehungen im Sinne eines "Privatlebens" schützt. Nähere Feststellungen über die Existenz und Dauer des gemeinsamen Familienlebens mit den beiden österreichischen Staatsangehörigen konnten daher unterbleiben. Jedenfalls sind die vom Bw glaubhaft gemachten und im Ausweisungsverfahren näher zu überprüfenden Umständen mögliche Gründe dafür, dass die Ausweisung des Bw auf Dauer für unzulässig erklärt werden und damit gemäß § 44a NAG auch ein Aufenthaltstitel nach § 43 Abs 2 bzw. § 44 Abs 3 NAG erteilt werden könnte.

4.6. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 22. Oktober 2009, Zl. 2009/21/0293, ausgeführt, dass Anträge nach den §§ 43 Abs 2, 44 Abs 3 und 4 NAG den Aufenthalt im Bundesgebiet voraussetzen und daraus zwingend das Recht abzuleiten sei, die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung im Inland abwarten zu dürfen. Das vom Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis angenommene Abschiebeverbot wird nunmehr seit der mit 1. Jänner 2010 in Kraft getretenen Novelle BGBl I. Nr. 122/2009 nach den Voraussetzungen der Ausnahme des § 44 Abs 5 NAG geregelt.

Dem Bw kann ein schuldhaftes Verhalten nicht vorgeworfen werden, weil dem vom Verwaltungsgerichtshof postulierten "Bleiberecht nach dem NAG" zwangsläufig auch ein über den Abschiebeschutz und über die durch Antrag eingeleiteten Verfahren hinausgehender Inhalt zu kommt. Denn wenn nach einer Interessenabwägung iSd Art 8 EMRK die Ausweisung des Bw auf Dauer unzulässig wäre, so müsste ihm von Amts wegen ein Aufenthaltstitel nach § 43 Abs 2 oder § 44 Abs 3 NAG erteilt werden. Dies ist allerdings nach § 44b Abs 3 letzter Satz NAG nur möglich, solange sich der Fremde im Bundesgebiet aufhält. Für den Bw liegt somit eine entschuldigende Notstandssituation iSd § 6 VStG mit einem unauflöslichen Interessenkonflikt vor, wenn er einerseits zur Ausreise verpflichtet ist und andererseits aber im Inland bleiben muss, damit die Verleihung eines Aufenthaltsrechtes infolge einer für den Bw positiven Ausweisungsentscheidung überhaupt möglich ist. Ohne dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vorzugreifen, erscheint die Beschwerde gegen die Ausweisungsentscheidung nicht von vorneherein als aussichtslos. Die vom Bw glaubhaft gemachten Umstände sprechen für eine sehr gute Integration in Österreich. Der Eingriff in sein Privat– und Familienleben durch fremdenpolizeiliche Maßnahmen könnte angesichts der von ihm nicht verschuldeten langen Dauer des einzigen Asylverfahrens im Lichte der zitierten Judikatur des Verfassungsgerichtshofs als unverhältnismäßig gewertet werden.

Der Bw ging daher im vorliegenden Fall vertretbar davon aus, die rechtskräftige Entscheidung über seine Ausweisung im Inland abwarten zu dürfen. Würde er seiner Ausreisepflicht nachkommen, wären nämlich auf Grund der Gesetzeslage des NAG seine Chancen auf einen Aufenthaltstitel zunichte gemacht. Ein Verfahren nach dem NAG wäre einzustellen bzw von Amts wegen gar nicht einzuleiten. In dieser Zwangslage kann dem Bw die angelastete Tat nicht zum Vorwurf gemacht werden.

Der Berufung war daher stattzugeben, das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG einzustellen, weil entschuldigende Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit des Bw ausschließen.

5. Bei diesem Ergebnis war dem Bw gemäß § 66 Abs 1 VStG weder ein Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich noch ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde vorzuschreiben.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

 

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

 

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

 

Dr. W e i ß

 

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