Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-231229/2/Gf/Mu

Linz, 09.03.2011

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Grof über die Berufung des x gegen das Straferkenntnis des Polizeidirektors von Linz vom 27. Jänner 2011, Zl. S-50602/10-2, wegen einer Übertretung des Fremden­polizeigesetzes zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird insoweit stattgegeben, als das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben wird.

II. Der Berufungswerber hat weder einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch einen Kostenbeitrag für das Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat zu leisten.

Rechtsgrundlagen:

§ 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG; § 66 Abs. 1 VStG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Straferkenntnis des Polizeidirektors von Linz vom 27. Jänner 2011, Zl.
S-50602/10-2, wurde über den Rechtsmittelwerber, einen türkischen Staatsangehörigen, eine Geldstrafe in Höhe von 1.000 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe: 4 Tage; Verfahrenskostenbeitrag: 100 Euro) verhängt, weil er sich seit dem 31. März 2010 unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe; dadurch habe er eine Übertretung des § 120 Abs. 1 Z. 2 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 135/2009 (im Folgenden: FPG), i.V.m. § 31 Abs. 1 Z. 2 bis 4 und 6 FPG begangen, weshalb er nach § 120 Abs. 1 FPG zu bestrafen
gewesen sei.

 

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass die dem Beschwerdeführer angelastete Tat durch eigene dienstliche Wahrnehmungen eines Beamten des fremdenpolizei­lichen Referates der Bundespolizeidirektion Linz als erwiesen anzusehen gewesen und er daher mit Bescheid vom 12. Oktober 2010 ausgewiesen worden sei sowie, dass sich nach den von der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungen keine Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, die geeignet gewesen wären, den Aufenthalt des Berufungswerbers in Österreich als legal anzusehen.

 

Im Zuge der Strafbemessung sei seine bisherige Unbescholtenheit als mildernd zu werten und davon auszugehen gewesen, dass keine Sorgepflichten bestünden und er kein Einkommen beziehe.

 

1.2. Gegen dieses ihm am 4. Februar 2011 durch Hinterlegung zugestellte Straferkenntnis richtet sich die vorliegende, am 15. Februar 2011 – und damit rechtzeitig – zur Post gegebene Berufung.

 

Darin wird vorgebracht, dass es zwar zutreffe, dass sein Asylverfahren bereits rechtskräftig negativ abgeschlossen sei. Allerdings habe er sich darum bemüht, seinen Aufenthalt durch Erlangung eines humanitären Bleiberechts zu legalisieren, indem er im Juni 2010 bei der zuständige Behörde einen Antrag auf Niederlassungsbewilligung gemäß § 44 Abs. 4 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) gestellt habe. Das diesbezügliche Verfahren sei derzeit noch nicht abgeschlossen. Darüber hinaus habe er gegen den Ausweisungsbescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 12. Oktober 2010 Berufung erhoben. Dieses Verfahren sei noch bei der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich anhängig. In diesem Zusammenhang wird auf die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (z.B. vom 18. Mai 2004, Zl. 2001/21/0067) zur inhaltsgleichen Regelung des § 107 Abs. 1 Z. 4 FrG 1997 verwiesen, wonach ein Fremder wegen der Nichtbefolgung einer Ausreise dann nicht bestraft werden dürfe, wenn die Vollstreckung der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen unzulässig sei. Nachdem aber seiner Berufung die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt worden sei, sei sohin eine aufenthaltsbeendende Maßnahme und somit eine Bestrafung gemäß § 120 FPG nicht zulässig gewesen. Insgesamt besehen liege jedenfalls eine entschuldigende Notstandssituation mit einem unauflöslichen Interessenskonflikt i.S.d. § 6 VStG vor bzw. sei sein Verschulden höchstens geringfügig gewesen, sodass gemäß § 21 VStG von der Verhängung einer Strafe abzusehen sei.

 

Daher wird die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses und die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens, in eventu eine Herabsetzung der Strafe bzw. ein Absehen von der Strafe beantragt.

 

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der Bundespolizeidirektion Linz zu Zl. S-50602/10-2; da sich der maßgeb­liche Sachverhalt – soweit entscheidungsrelevant – bereits aus diesem klären ließ und der Berufungswerber lediglich eine unrichtige rechtliche Beurteilung durch die belangte Behörde behauptet, den von dieser ermittelten Sachverhalt aber unbestritten gelassen hat und die Verfahrensparteien auch einen entsprechenden Antrag nicht gestellt haben, konnte im Übrigen gemäß § 51e Abs. 2 Z. 1 VStG von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

2.2. Weil in dem diesem Verfahren zu Grunde liegenden Straferkenntnis eine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe nicht verhängt wurde, war im Rechtsmittelverfahren ein Einzelmitglied zur Entscheidung zuständig (vgl. § 51c VStG).

3. Über die vorliegende Berufung hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

3.1. Gemäß § 120 Abs. 1 Z. 2 FPG begeht derjenige eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von 1.000 Euro bis zu 5.000 Euro zu bestrafen, der sich als Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

 

Nach § 31 Abs. 1 FPG halten sich Fremde dann rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während ihres Aufenthalts die zulässige Aufenthaltsdauer nicht überschreiten (Z. 1), wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation ihres Aufenthaltsrechts nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes zum Aufenthalt berechtigt sind (Z. 2), wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind (Z. 3), wenn und solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen zukommt (Z. 4), wenn sie über eine Beschäftigungsbewilligung, eine Entsendebewilligung, eine EU-Entsendebestätigung oder eine Anzeigebestätigung verfügen (Z. 6) oder wenn sich dies aus anderen bundesgesetzlichen Bestimmungen ergibt (Z. 7).

 

3.2.1. Im gegenständlichen Fall wird dem Rechtsmittelwerber konkret angelastet, dass er sich seit dem 31. März 2010 unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte.

 

Allerdings geht aus dem von der Erstbehörde vorgelegten Akt lediglich hervor, dass der dem Beschwerdeführer angelastete Sachverhalt am 12. Oktober 2010 im Zuge einer Aktenbearbeitung im fremdenpolizeilichen Referat der Bundes­polizeidirektion Linz festgestellt worden sei. Und auch in der diesbezüglichen Anzeige der Fremdenbehörde vom 12. Oktober 2010, Zl. 1067289/FRB, wird nur angeführt, dass das Asylverfahren des Berufungswerbers bereits seit dem 30. März 2010 rechtkräftig negativ abgeschlossen und die Behandlung seiner Verwaltungs­gerichtshofbeschwerde abgelehnt worden sei, weshalb das fremdenpolizeiliche Referat der Bundespolizeidirektion Linz – da sich der Rechtsmittelwerber seit dem 31. März 2010 ohne jegliche asyl- bzw. fremdenrechtlichen Bewilligung und somit unrechtmäßig in Österreich aufgehalten habe – am selben Tag die Ausweisung verfügt habe. In weiterer Folge wurde auf Grund dieser Anzeige mit der Aufforderung zur Rechtfertigung vom 10. November 2011 gegen den Beschwerdeführer das Verwaltungsstrafverfahren eingeleitet. Da dieser innerhalb der zweiwöchigen gesetzten Frist darauf nicht reagiert hatte, wurde das Strafverfahren ohne seine weitere An­hörung durchgeführt und schließlich das gegenständliche Straferkenntnis erlassen.

 

Aus dem vorgelegten Akt kann jedoch nicht entnommen werden, wann der Berufungswerber überhaupt ins Bundesgebiet eingereist und ob in weiterer Folge mittlerweile seine Integration in Österreich gegeben ist. Aus dem im erstbehördlichen Akt erliegenden sog. "FI-Auszug" könnte mit Blick auf das unter Punkt 3) angegebene Geschäftszeichen (nämlich "0312370" zur vorläufigen Aufenthaltsberechtigung gemäß Asylgesetz durch das Bundesasylamt Linz) angenommen werden, dass der Rechtsmittelwerber möglicherweise bereits im Jahr 2003 in Österreich eingereist ist. Dies würde in gleicher Weise ein starkes Indiz für eine bereits gegebene Integration und damit für eine Straflosigkeit im Hinblick auf § 120 FPG bilden (s.u., 3.2.2.) wie der unter Punkt 2) des FI-Auszuges eingetragene Vermerk, dass der Beschwerdeführer am 28. Juni 2010 beim Magistrat der Stadt Linz einen Antrag auf Erteilung einer quotenfreien (Erst-)Niederlassungs­bewilligung gemäß § 44 Abs. 4 NAG gestellt hat.

 

3.2.2. Sollte der Berufungswerber tatsächlich schon im Jahr 2003 ins Bundesgebiet eingereist sein und umgehend einen Asylantrag gestellt haben, so wäre weiters auf der Ebene des Verschuldens zu berücksichtigen, dass er faktisch bereits seit acht Jahren ununterbrochen in Österreich aufhältig wäre.

 

In diesem Zusammenhang hat der Verfassungsgerichtshof jüngst mit
Erkenntnis vom 7. Oktober 2010, B 950/10, ausgesprochen, dass die Ausweisung eines Fremden – selbst wenn sich dieser rechtswidrig im Bundesgebiet aufhält – dennoch das Grundrecht auf Privat- und Familienleben gemäß Art. 8 EMRK verletzt, wenn er infolge seiner langen tatsächlichen Aufenthaltsdauer in Österreich bereits einen hohen Grad an sozialer Integration aufweist und nicht der Fremde das Asylverfahren mutwillig verschleppt hat, sondern dessen unangemessen lange Dauer ausschließlich auf die Ineffizienz der staatlichen (Asyl-)Behörden
zurückzuführen ist.

 

Liegen solche Voraussetzungen vor, dann kann dem Fremden unter dem Aspekt des Art. 8 EMRK insgesamt aber i.S.d. § 120 Abs. 1 i.V.m. § 31 Abs. 1 FPG auch kein bzw. allenfalls lediglich ein derart geringes Verschulden angelastet werden, dass in der Folge eine Heranziehung des § 21 Abs. 1 VStG geboten ist.

 

Ob solche Umstände hier gegeben sind, kann dem von der belangten Behörde vorgelegten Akt aber nicht einmal ansatzweise entnommen werden, weil diese – offensichtlich in (unverschuldeter) Unkenntnis der vorgenannten Entscheidung des VfGH – keinerlei in diese Richtung weisenden Erhebungen durchgeführt hat.

 

3.2.3. All dies berücksichtigend sieht sich der Oö. Verwaltungssenat daher
wiederum (vgl. dazu schon z.B. VwSen-280532 vom 20. April 2000; VwSen-390142 vom 23. September 2005; VwSen-252400 vom 10. März 2010) zu der Feststellung veranlasst, dass es ihm im Hinblick auf seine verfassungsmäßige Aufgabenstellung als ein (bloßes) Organ der Kontrolle der Verwaltung (vgl. Art. 129ff B-VG), aber auch im Hinblick auf die verfassungsmäßige
Garantie eines fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 MRK) prinzipiell verwehrt ist, substantielle Versäumnisse des erstbehördlichen Ermittlungsverfahrens zu substituieren und auf diese Weise die Rolle des unabhängigen Richters zu ver­lassen und stattdessen bzw. zumindest gleichzeitig auch die Funktion des Anklägers wahrzunehmen.

 

3.3. Im Zweifel war daher bei der gegebenen Faktenlage gemäß Art. 6 Abs. 2 MRK davon auszugehen, dass die dem Beschwerdeführer angelastete Tat (zumindest bislang) als nicht erwiesen gilt.

 

3.4. Der gegenständlichen Berufung war daher gemäß § 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG stattzugeben und das angefochtene Straferkenntnis auszuheben.

 

Eine Einstellung des Strafverfahrens war hingegen im Hinblick auf die zumindest teilweise noch offene Verfolgungsverjährungsfrist nicht zu verfügen; ob und
bejahendenfalls in welchem Umfang dieses weitergeführt wird, hat vielmehr die belangte Behörde aus eigenem zu entscheiden.

 

4. Bei diesem Verfahrensergebnis war dem Rechtsmittelwerber nach § 66 Abs. 1 VStG weder ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten
Behörde noch ein Kostenbeitrag zum Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat vorzuschreiben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

Dr.  G r o f


VwSen-231229/2/Gf/Mu vom 9. März 2011

Erkenntnis

 

FPG §120

 

 

Aufhebung des Straferkenntnisses wegen substantieller Versäumnisse im erstbehördlichen Ermittlungsverfahren (Verweis auf Vorjudikatur), jedoch keine Einstellung des Strafverfahrens im Hinblick auf die zumindest teilweise noch offene Verfolgungsverjährungsfrist.

 

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