Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-231169/2/SR/Gru

Linz, 07.04.2011

 

 

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des x, x, vertreten durch Rechtsan­wältin x, x, gegen das Straferkenntnis des Polizeidirektors von Linz vom 20. Oktober 2010, Gz.: S-36.918/10-2, wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem Fremden­polizeigesetz (FPG), zu Recht erkannt:

I.       Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG eingestellt.

II.     Der Berufungswerber hat weder einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens erster Instanz noch zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten.

Rechtsgrundlagen:

zu I: §§ 24, 45 Abs 1 Z 2, 51 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG) iVm § 66 Abs 4 Allgemeines Verwal­tungsverfahrensgesetz 1991 (AVG);

zu II: § 66 Abs 1 VStG.

 

 

 Entscheidungsgründe:

 

1. Mit dem Straferkenntnis des Polizeidirektors von Linz vom 20. Oktober 2010, Gz.: S-36.918/10-2, wurde der Berufungswerber (im Folgenden: Bw) wie folgt für schuldig erkannt und bestraft:

 

"Wie vom Fremdenpolizeilichen Referat der BPD Linz am 22.06.2010 anlässlich einer fremdenpolizeilichen Überprüfung festgestellt wurde, sind Sie Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes und Sie halten sich seit 27.04.2010 unrechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich auf, da Sie weder aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz noch aufgrund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind, Sie nicht im Besitze eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind, Ihnen eine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz nicht zukommt und Sie nicht Inhaber einer Beschäftigungsbewilligung, Entsendebewilligung oder Anzeigebestätigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz sind."

Dadurch habe der Bw eine Verwaltungsübertretung nach § 120 Abs. 1 Z. 2 FPG iVm § 31 Abs. 1 Z. 2-4 u. 6 FPG begangen.

Wegen dieser Verwaltungsübertretung wurde über den Bw gemäß § 120 Abs. 1 FPG eine Geldstrafe von 1.000,-- Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 4 Tagen, verhängt.

Begründend wurde dazu von der belangten Behörde ausgeführt, dass die zur Last gelegte Verwaltungsübertretung auf Grund entsprechender dienstlicher Wahrnehmungen eines Beamten des fremdenpolizeilichen Referates der BPD Linz, der hierüber vorgelegten Anzeige vom 22. Juni 2010 sowie aufgrund des behördlich durchgeführten Ermittlungsverfahrens zweifelsfrei als erwiesen anzusehen sei.

Nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensablaufes und der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen stand für die belangte Behörde fest, dass der Bw Fremder im Sinne des Fremdengesetzes sei und über keine Aufenthalts­berechtigung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz verfüge. Weiters sei der Bw nicht Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels und es komme ihm kein Aufenthaltsrecht nach den asylrechtlichen Bestimmungen zu. Da für ihn auch keine Beschäftigungs­bewilligung oder Anzeigebestätigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz ausgestellt worden sei, erfülle er keine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 FPG. Er halte sich somit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich auf.

Darüber hinaus sei vom Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 26. April 2010 gegen den Bw die Ausweisung angeordnet worden.

Hinsichtlich der Zulässigkeit eines Verwaltungsstrafverfahrens im Sinne der Bestimmungen des NAG sei festzustellen, dass der VwGH bereits eindeutig entschieden habe, dass der Aufenthalt eines Fremden erst mit der Erteilung einer Niederlassungsbewilligung und nicht schon nach der Stellung eines darauf abzielenden Antrages rechtmäßig sei.

Für die belangte Behörde stehe daher fest, dass sich der Bw tatsächlich unrechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich aufgehalten und somit gegen die angeführten Bestimmungen des Fremdengesetzes verstoßen habe, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in mehreren Erkenntnissen ausgesprochen habe, bestehe ein hohes Interesse der Allgemeinheit an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften durch die Normadressaten im Hinblick auf den Schutz der öffentlichen Ordnung (VwGH vom 19.02.1997, Zl. 96/21/0516, ua.).

In diesem Sinne sei bei der Bemessung der Strafe das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung diene und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen habe, berücksichtigt worden. Mildernd sei die bisherige Unbescholtenheit gewertet worden, die Einkommens- und Vermögens­ver­hältnisse seien ebenfalls beachtet worden.

2. Gegen dieses der Rechtsvertreterin des Bw am 25. Oktober 2010 zugestellte Straferkenntnis richtet sich die vorliegende, am 8. November 2010 – und damit rechtzeitig – zur Post gegebene Berufung.

In der Begründung führte die Rechtsvertreterin im Wesentlichen aus, dass sich der Bw seit November 2004 zusammen mit seiner Gattin und den gemeinsamen drei Kindern in Österreich aufhalten würde, sie sehr gut integriert seien und die Sprache Deutsch gut beherrschen würden. Im Mai 2010 hätte der Bw aufgrund der guten Integration einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gestellt, über diesen sei aber noch nicht entschieden worden. Bedingt durch die ausländerbeschäftigungsrechtlichen Vorschriften könne er keiner sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehen und er müsse daher schauen, wie er den täglichen Lebensunterhalt sicherstellen könne. Eine Verwaltungsstrafe von 1.000,-- Euro könne er nicht bezahlen, da er drei schulpflichtige Kinder zu versorgen habe. Im Falle einer Bestrafung müsste die Ersatzfreiheitsstrafe vollzogen werden und dies würde den Druck auf ihn und die Familie enorm erhöhen. Es könne nicht der Intention des NAG entsprechen, gegen Personen, die berechtigterweise einen Antrag aufgrund der langen Aufenthaltsdauer stellen, während der Wartezeit hohe Verwaltungsstrafen zu verhängen, die letztendlich als Ersatzfreiheitsstrafe vollzogen werden müssten, da keine Einkommensmöglichkeit bestehe. Für den objektiven Betrachter werde der Anschein erweckt, dass Druck hinsichtlich einer freiwilligen Ausreise erzeugt werde. Im Hinblick auf einen Aufenthalt von ca. 6 Jahren sei diese Vorgangsweise unverhältnismäßig. Solange das Ausweisungsverfahren nicht alle Instanzen durchlaufen habe, sei der Bw jedenfalls zum Aufenthalt in Österreich berechtigt.

Abschließend beantragt der Bw die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens, da der gegenständliche Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet sei.

3. Die Bundespolizeidirektion Linz hat den Verwaltungsstrafakt, AZ: S-36.918/10-2 samt Berufungsschrift vorgelegt.

Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Vorlageakt; da sich bereits aus diesem der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ und lediglich Rechtsfragen zu klären waren, konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

3.2. Aus der Aktenlage ergibt sich für den Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich folgender wesentliche Sachverhalt:

 

Der Bw, ein Staatsangehöriger von Armenien, reiste am 20. November 2004 gemeinsam mit seiner Familie illegal in Österreich ein und stellte einen Asylantrag, der mit 26. April 2010 vom Asylgerichtshof rechtskräftig abgewiesen wurde. Gleichzeitig wurde die Ausweisung nach Armenien verfügt.

 

Seit dem 20. Mai 2010 ist beim Magistrat Linz unter der Zahl 304-3-AEG ein Niederlassungsbewilligungsverfahren anhängig. Die Kinder des Bw, im Alter von 7, 8 und 9 Jahren besuchen in X die Volksschule.

 

Während des Asylverfahrens verfügte der Bw über ein vorläufiges Aufenthaltsrecht nach dem AsylG.

 

Das fremdenpolizeiliche Referat der Bundespolizeidirektion Linz erstattete am 22. Juni 2010 Anzeige gegen den Bw, weil er sich seit der rechtskräftigen Abweisung des Asylantrags und der Verfügung der Ausweisung rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalte.

 

Die Bundespolizeidirektion Linz forderte den Bw mit Schreiben vom 9. September 2010 zur Rechtfertigung auf, wobei ihm vorgeworfen wurde, sich seit 27. April 2010 rechtswidrig im Bundesgebiet aufzuhalten. In seiner Stellungnahme vom 21. September 2010 brachte der Bw rechtsfreundlich vertreten vor, dass ein Niederlassungsbewilligungsverfahren anhängig sei und seine drei schulpflichtigen Kinder in X die Volksschule besuchen würden. Die finanziellen Verhältnisses seien alleine schon aufgrund seiner Sorgepflichten sehr eingeengt und daher sei er nicht in der Lage, eine Verwaltungsstrafe zu bezahlen.

 

Die belangte Behörde hat Einsicht in das FI genommen. Dem vorliegenden Auszug ist der Antrag auf Erteilung einer quotenfreien Erstniederlassungsbewilligung gemäß § 44 Abs 4 NAG (wohl gemeint § 44 Abs. 3 NAG) beim Magistrat der Landeshauptstadt Linz zu entnehmen. Über diesen Antrag wurde bis zur Erlassung des angefochtenen Straferkenntnisses noch nicht entschieden.

 

Daraufhin erließ die belangte Behörde das angefochtene Straferkenntnis, mit dem der Bw für schuldig befunden wurde, § 120 Abs 1 Z 2 FPG übertreten zu haben. Gegen dieses Straferkenntnis richtet sich die vorliegende Berufung.

 

4. In der Sache selbst hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erwogen:

 

4.1. Gemäß § 120 Abs 1 Z 2 FPG (BGBl I Nr. 100/2005, zuletzt geändert mit BGBl I Nr. 17/2011), begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu 5.000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen wer sich als Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

 

Nach § 31 Abs. 1 leg. cit. halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf,

1. wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthalts im Bundesgebiet die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben;

2. wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind;

3. wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind, "sofern sie währende ihres Aufenthalts im Bundesgebiet keiner unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgehen";

4. solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen zukommt;

5. (aufgehoben mit BGBl I Nr. 122/2009);

6. wenn sie eine Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungs­gesetz mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, eine Entsendebewilligung, eine EU-Entsendebestätigung, eine Anzeigebestätigung gemäß § 3 Abs. 5 AuslBG oder eine Anzeigebestätigung gemäß § 18 Abs. 3 AuslBG mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, innehaben oder

7. soweit sich dies aus anderen bundesgesetzlichen Vorschriften ergibt.

 

4.2. Der Aufenthalt des Bw lässt sich auf keine sonstige Bestimmung des § 31 Abs. 1 FPG stützen.

 

Auf Grund des festgestellten Sachverhalts ist davon auszugehen, dass der Bw tatbestandsmäßig gehandelt hat.

 

4.3. Das Fremdenpolizeigesetz enthält keine eigene Regelung hinsichtlich des Verschuldens, weshalb § 5 Abs. 1 VStG zur Anwendung kommt, wonach zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten genügt. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft (Ungehorsamsdelikt).

 

Auch die gegenständliche Verwaltungsübertretung stellt ein Ungehorsamsdelikt dar. Es genügt daher fahrlässige Tatbegehung. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat der Berufungswerber initiativ alles darzulegen, was für seine Entlastung spricht. Dies hat in erster Linie durch geeignetes Tatsachenvorbringen und durch Beibringung von Beweismitteln oder die Stellung konkreter Beweisanträge zu geschehen. Bloßes Leugnen oder allgemein gehaltene Behauptungen reichen für die Glaubhaftmachung nicht.

 

Diesbezüglich bringt der Bw insbesondere seine Integration in Österreich vor. So sei er bereits seit November 2004 in Österreich aufhältig, seine drei Kinder (geboren 2001, 2002 und 2003) würden die Schule in Österreich besuchen und alle würden gut Deutsch sprechen. Deutsch sei inzwischen fast wie die Muttersprache. Sie würden über einen großen Freundes- und Bekanntenkreis und viele hochkarätige Persönlichkeiten in Linz als Befürworter für einen Weiterverbleib in Österreich verfügen. Der Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für die gesamte Familie sei noch offen und es bestünden durchaus Chancen auf eine positive Erledigung.

4.4. Gemäß § 66 Abs 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMKR) insbesondere zu berücksichtigen:

1.     die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

2.     das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.     die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.     der Grad der Integration;

5.     die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.     die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.     Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.     die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

 

Wird die Ausweisung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 66 FPG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt, so hat die Behörde gemäß §§ 44a NAG von Amts wegen einen Aufenthaltstitel gemäß §§ 43 Abs 2 oder 44 Abs. 3 NAG zu erteilen.

Gemäß § 44b Abs. 3 letzter Satz NAG gelten jedoch Verfahren gemäß §§ 43 Abs. 2 und 44 Abs. 3 NAG über die Fälle des § 25 Abs 2 NAG hinaus als eingestellt, wenn der Fremde das Bundesgebiet verlassen hat.

4.5. In dem jüngst ergangenen Erkenntnis vom 7. Oktober 2010, Zl. B 950/10, hielt der Verfassungsgerichthof fest, dass im Zusammenhang mit der Interessensabwägung nach Art 8 EMRK bei einer in hohem Maße stattgefundenen Integration (z.B. längerer Aufenthalt in Österreich und gute Deutschkenntnisse der Familie) eine "integrationsmindernde" Wertung des Umstandes, dass der Aufenthalt nur auf Grund eines letztlich unberechtigten Asylantrages rechtmäßig war, nicht generell zulässig ist. Vielmehr sei zu berücksichtigen, dass die Integration der Beschwerdeführer während ihrer jeweils einzigen Asylverfahren erfolgte, die sieben Jahre lang ohne rechtskräftige Entscheidung dauerten. Der Staat müsse Voraussetzungen schaffen, dass bis zur ersten rechtskräftigen Entscheidung nicht sieben Jahre verstreichen, wenn keine außergewöhnlich komplexen Rechtsfragen vorliegen und den Fremden die lange Dauer des Asylverfahrens nicht angelastet werden kann. Zudem habe der Umstand, dass die ersten negativen Entscheidungen behoben wurden, bei den Beschwerdeführern die Erwartung erweckt, dass nicht zwangsläufig mit einer negativen Entscheidung des Asylverfahrens zu rechnen ist.

Wenn nun nach dieser verfassungsgerichtlichen Judikatur der Aufenthalt während eines einzigen, unverschuldet lange dauernden Asylverfahrens, in dem nicht besonders schwierige Rechtsfragen auftraten, als nicht mehr nur unsicherer Aufenthaltsstatus, sondern als stark "integrationsbegründender" Zustand zu werten ist, erscheint es denkbar, dass auch bei der den Bw betreffenden Entscheidung die Interessenabwägung zu Gunsten einer dauernden Unzulässigkeit der Ausweisung ausfallen könnte. Das Vorliegen eines tatsächlichen Familienlebens im engeren Sinn über den gesamten Zeitraum des Aufenthalts im Bundesgebietes ist dabei nicht allein entscheidend, zumal Art 8 EMRK auch die sonstigen im Inland geknüpften Beziehungen im Sinne eines "Privatlebens" schützt. Jedenfalls sind die vom Bw glaubhaft gemachten und im Verfahren nach dem NAG näher zu überprüfenden Umstände mögliche Gründe dafür, dass die Ausweisung des Bw auf Dauer für unzulässig erklärt werden und damit gemäß § 44a NAG auch ein Aufenthaltstitel nach § 43 Abs. 2 bzw. § 44 Abs. 3 NAG erteilt werden könnte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 22. Oktober 2009, Zl. 2009/21/0293, ausgeführt, dass Anträge nach den §§ 43 Abs. 2, 44 Abs. 3 und 4 NAG den Aufenthalt im Bundesgebiet voraussetzen und daraus zwingend das Recht abzuleiten sei, die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung im Inland abwarten zu dürfen.

4.6. Dem Bw kann ein schuldhaftes Verhalten nicht vorgeworfen werden, weil dem vom Verwaltungsgerichtshof postulierten "Bleiberecht nach dem NAG" zwangsläufig auch ein über den Abschiebeschutz und über die durch Antrag eingeleiteten Verfahren hinausgehender Inhalt zukommt. Denn wenn nach einer Interessenabwägung iSd Art 8 EMRK die Ausweisung des Bw auf Dauer unzulässig wäre, so müsste ihm von Amts wegen ein Aufenthaltstitel nach § 43 Abs. 2 oder § 44 Abs. 3 NAG erteilt werden. Dies ist allerdings nach § 44b Abs. 3 letzter Satz NAG nur möglich, solange sich der Fremde im Bundesgebiet aufhält.

Für den Bw liegt somit eine entschuldigende Notstandssituation iSd § 6 VStG mit einem unauflöslichen Interessenkonflikt vor, wenn er einerseits zur Ausreise verpflichtet ist und andererseits aber im Inland bleiben muss, damit die Verleihung eines Aufenthaltsrechtes infolge einer für den Bw positiven Ausweisungsentscheidung überhaupt möglich ist. Ohne der Entscheidung über den Antrag gemäß § 44 NAG vorzugreifen, erscheint eine quotenfreie "Niederlassungsbewilligung – beschränkt" nicht von vorneherein als aussichtslos. Die vom Bw glaubhaft gemachten Umstände sprechen für eine sehr gute Integration in Österreich.

Der Bw ging daher im vorliegenden Fall vertretbar davon aus, die Entscheidung über den Antrag gemäß § 44 NAG im Inland abwarten zu dürfen. Würde er seiner Ausreisepflicht nachkommen, wären nämlich auf Grund der Gesetzeslage des NAG seine Chancen auf einen Aufenthaltstitel zunichte gemacht. Ein Verfahren nach dem NAG wäre einzustellen bzw von Amts wegen gar nicht einzuleiten. In dieser Zwangslage kann dem Bw die angelastete Tat nicht zum Vorwurf gemacht werden.

Der Berufung war daher stattzugeben, das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG einzustellen, weil entschuldigende Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit des Bw ausschließen.

5. Bei diesem Ergebnis war dem Bw gemäß § 66 Abs. 1 VStG weder ein Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich noch ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde vorzuschreiben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungs­gerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

Mag. Stierschneider

 

 

 

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum