Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-231088/2/WEI/Sic/Ba

Linz, 10.02.2011

 

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mit­glied Dr. Wolfgang Weiß über die Berufung des X X, geb. X, türkischer Staatsangehöriger, X, X, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Dr. X X, X, X, gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Linz vom 9. Februar 2010, Zl. S-21.367/09-2, wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem Fremdenpolizeigesetz zu Recht erkannt:

I.  Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt.

II. Der Berufungswerber hat weder einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens erster Instanz noch zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten.  

Rechtsgrundlagen:

zu I: § 66 Abs 4 Allgemeines Verwal­tungsverfahrens­gesetz 1991 – AVG iVm §§ 24, 51 Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG

zu II: § 66 Abs 1 VStG.


Entscheidungsgründe:

1.1. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Linz vom 9. Februar 2010 wurde der Berufungswerber (in der Folge: Bw) wie folgt für schuldig befunden:

 

"Wie vom Fremdenpolizeilichen Referat der BPD Linz am 23.04.2009 anlässlich einer fremdenpolizeilichen Überprüfung festgestellt wurde, sind Sie Fremder im Sinne des § 2 Abs 4 Z 1 des Fremdenpolizeigesetzes und Sie halten sich seit 25.12.2008 unrechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich auf, da Sie weder aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz noch aufgrund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind, Sie nicht im Besitze eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind, Ihnen eine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz nicht zukommt und Sie nicht Inhaber einer Beschäftigungsbewilligung, Entsendebewilligung oder Anzeigebestätigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz sind."

 

Dadurch erachtete die belangte Behörde "§ 120 Abs. 1 Z. 2 iVm § 31 Abs. 1 Z 2-4 u. 6 FPG" als verletzt und verhängte wegen dieser Verwaltungsübertretung über den Bw gemäß § 120 Abs 1 FPG eine Geldstrafe in der Höhe von 80 Euro und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 48 Stunden.

 

1.2. Nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensablaufes und der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen stand für die belangte Behörde fest, dass der Bw mangels österreichischer Staatsbürgerschaft ein Fremder iSd Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) sei und über keine Aufenthaltsberechtigung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) verfüge. Weiters sei der Bw nicht Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels und es komme ihm kein Aufenthaltsrecht nach den asylrechtlichen Bestimmungen zu. Da für ihn auch keine Beschäftigungsbewilligung oder Anzeigebestätigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) mit einer Gültigkeitsdauer bis zu 6 Monaten ausgestellt worden sei, erfülle er keine der Voraussetzungen des § 31 Abs 1 FPG. Er halte sich somit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich auf.

Vom fremdenpolizeilichen Referat der Bundespolizeidirektion Linz wurde daher mit Bescheid vom 23. April 2009 gegen den Bw die Ausweisung angeordnet. Durch die Erhebung der Berufung gegen den Ausweisungsbescheid habe er keinen Aufenthaltstitel erworben, auch wenn darüber noch nicht entscheiden wurde.

Für die belangte Behörde stehe daher fest, dass sich der Bw tatsächlich unrechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich aufgehalten und somit gegen die angeführten Bestimmungen des FPG verstoßen habe, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in mehreren Erkenntnissen ausgesprochen habe, bestehe ein hohes Interesse der Allgemeinheit an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften durch die Normadressaten im Hinblick auf den Schutz der öffentlichen Ordnung (Hinweis auf VwGH vom 19.02.1997, Zl. 96/21/0516).

In diesem Sinne sei bei der Bemessung der Strafe das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung diene, und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen habe, berücksichtigt worden. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse seien ebenfalls beachtet worden.

2. Gegen das Straferkenntnis, das dem Bw am 12. Februar 2010 (Beginn der Abholfrist) durch Hinterlegung zugestellt wurde, richtet sich die durch den Rechtsvertreter am 25. Februar 2010 rechtzeitig zur Post gegebene und am 2. März 2010 bei der belangten Behörde eingelangte Berufung. Der Bw beantragt darin, das Straferkenntnis ersatzlos aufzuheben, in eventu das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und der Erstbehörde die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

Begründend stellt der Bw zunächst fest, dass er tatsächlich im Tatzeitraum über keinen Aufenthaltstitel verfügte. Er habe beim Magistrat der Landeshauptstadt Linz einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 43 Abs 2 NAG gestellt, über den bislang nicht entschieden worden sei. Der Gesetzgeber habe im § 43 NAG für Langzeitasylwerber bzw. für gut integrierte Fremde die Möglichkeit geschaffen, von Österreich aus Niederlassungsbewilligungen zu beantragen. Es sei zwar richtig, dass nach dem Gesetz ein derartiger Niederlassungsbewilligungsantrag kein Aufenthaltsrecht schafft, nichts desto trotz müsse es möglich sein, den Ausgang des Verfahrens in Österreich abzuwarten, um dem Gesetz nicht jeglichen Anwendungsbereich zu entziehen.

3.1. Die Bundespolizeidirektion Linz hat den Verwaltungsstrafakt, Zl. S-21.367/09-2, samt Berufungsschrift - ohne vom Instrumentarium der Berufungsvorentscheidung Gebrauch zu machen - dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich mit Schreiben vom 9. März 2010 zur Entscheidung vorgelegt.

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt und die Berufung. Gemäß § 51e Abs 2 Z 1 VStG konnte von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung abgesehen werden, da bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der mit der Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

3.2. Aus der Aktenlage ergibt sich für den Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich folgender wesentliche S a c h v er h a l t:

Der Bw, ein Staatsangehöriger der Türkei, reiste am 13. September 2002 illegal nach Österreich ein und stellte in der Folge einen Asylantrag, der am 24. Dezember 2009 rechtskräftig abgewiesen wurde. Es handelte sich dabei um ein einziges Verfahren ohne Folgeanträge, in dem nur eine Entscheidung rechtskräftig ergangen ist und welches sich über die Dauer von mehr als 6 Jahren erstreckte.

Das fremdenpolizeiliche Referat der Bundespolizeidirektion Linz erstattete am 23. April 2009 Anzeige gegen den Bw, weil er sich seit der rechtskräftigen negativen Abweisung des Asylantrags rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalte.

Die Bundespolizeidirektion Linz verhängte gegen den Bw mit Strafverfügung vom 30. Juni 2009 eine Geldstrafe in Höhe von 80 Euro, im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 48 Stunden, wobei ihm vorgeworfen wurde, sich seit 25. Dezember 2008 rechtswidrig im Bundesgebiet aufzuhalten. Im Einspruch vom 9. Juli 2009 rechtfertigte sich der Bw im Wesentlichen damit, dass er entgegen den Feststellungen der Behörde sehr wohl über eine Beschäftigungsbewilligung verfügen würde und legte die für ein Jahr  bis zum 12. Dezember 2009 gültige Beschäftigungsbewilligung für die Tätigkeit als Maschinenbediener vor. Weiters hätte er gegen den Ausweisungsbescheid der belangten Behörde vom 23. April 2009 Berufung erhoben und würde seine Bestrafung daher einen Wertungswiderspruch darstellen. Sollte dieser Begründung nicht gefolgt werden, sei gemäß § 21 VStG von einer Strafe abzusehen, da sein Verschulden geringfügig und die Folgen der Übertretung unbedeutend seien.

Daraufhin erließ die belangte Behörde nach Durchführung des ordentlichen Ermittlungsverfahrens das angefochtene Straferkenntnis vom 9. Februar 2010, mit dem der Bw für schuldig befunden wurde, § 120 Abs 1 Z 2 FPG übertreten zu haben. Gegen dieses Straferkenntnis richtet sich die vorliegende Berufung.

Die Bundespolizeidirektion Linz ordnete mit Bescheid vom 23. April 2009, Zl. 1032420/FRB die Ausweisung des Bw aus dem Bundesgebiet an, da er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Diesen Ausweisungsbescheid hat der Bw mit Berufung an die Sicherheitsdirektion vom 11. Mai 2009 bekämpft.

Der Bw hat am 3. April 2009 eine Niederlassungsbewilligung gemäß § 44 Abs 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) unmittelbar nach Inkrafttreten dieser Bestimmung beantragt. Am 25. November 2009 hat er diesen Antrag zurückgezogen und gleichzeitig eine "Niederlassungsbewilligung – unbeschränkt" gemäß § 43 Abs 2 NAG beantragt.

4. In der Sache selbst hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erwogen:

4.1. Gemäß § 120 Abs 1 Z 2 FPG (BGBl I Nr. 100/2005, zuletzt geändert mit BGBl I Nr. 135/2009), begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von 1.000 Euro bis zu 5.000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen

wer sich als Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

Nach § 31 Abs 1 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf,

1.     wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthalts im Bundesgebiet die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben;

2.     wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes  nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind;

3.     wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind;

4.     solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen zukommt;

5.     soweit sie nicht auf Grund eines Rückübernahmeabkommens (§ 19 Abs. 4) oder internationaler Gepflogenheiten rückgenommen werden mussten oder nicht auf Grund einer Durchbeförderungserklärung, sonstiger zwischenstaatlicher Abkommen oder auf Ersuchen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union um Durchbeförderung (§ 48 Abs. 1) oder aufgrund einer Durchlieferungsbewilligung gemäß § 67 ARHG eingereist sind;

6.     wenn sie eine Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, eine Entsendebewilligung, eine EU-Entsendebestätigung, eine Anzeigebestätigung gemäß § 3 Abs. 5 AuslBG oder eine Anzeigebestätigung gemäß § 18 Abs. 3 AuslBG mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, innehaben oder

7.     soweit sich dies aus anderen bundesgesetzlichen Vorschriften ergibt.

4.2. Bis zur rechtskräftigen negativen Abweisung seines Asylantrags am 24. Dezember 2008, war der Bw auf Grund des Asylgesetzes zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt. Der Aufenthalt des Bw seit dem 25. Dezember 2008 lässt sich jedoch auf keine Bestimmung des § 31 Abs 1 FPG stützen. Auch begründet nach § 44 Abs 5 NAG ein Antrag gemäß § 44 Abs 4 NAG bzw. nach § 44b Abs 3 NAG (BGBl I Nr. 100/2005 idF BGBl I Nr. 122/2009) der Antrag auf Erteilung einer (humanitären) Niederlassungsbewilligung kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Damit hat der Bw objektiv tatbestandsmäßig gehandelt, woran auch der noch nicht rechtskräftige Ausweisungsbescheid nichts ändert.

4.3. Das FPG enthält keine eigene Regelung hinsichtlich des Verschuldens, weshalb § 5 Abs 1 VStG zur Anwendung kommt, wonach zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten genügt. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft (Ungehorsamsdelikt).

Auch die gegenständliche Verwaltungsübertretung stellt ein Ungehorsamsdelikt dar. Es genügt daher fahrlässige Tatbegehung. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat der Bw initiativ alles darzulegen, was für seine Entlastung spricht. Dies hat in erster Linie durch geeignetes Tatsachenvorbringen und durch Beibringung von Beweismitteln oder Stellung konkreter Beweisanträge zu geschehen. Bloßes Leugnen oder allgemein gehaltene Behauptungen reichen für die "Glaubhaftmachung" nicht.

Der Bw bringt diesbezüglich insbesondere vor, dass im § 43 NAG für Langzeitasylwerber bzw für gut integrierte Fremde die Möglichkeit geschaffen worden sei, im Inland Niederlassungsbewilligungen zu beantragen. Um diesem Gesetz nicht den Anwendungsbereich zu entziehen, müsse es möglich sein, den Ausgang dieses Verfahren in Österreich abzuwarten.

4.4. Im Beschluss vom 14. September 2009, Zl. AW 2009/21/0149-5, hat der Verwaltungsgerichtshof dargelegt, dass eine Abschiebung während eines anhängigen Verfahrens nach § 44 Abs 4 NAG nicht in Betracht kommt. Dabei führte der Verwaltungsgerichtshof begründend aus:

"§44 Abs. 4 NAG sieht die quotenfreie Erteilung einer 'Niederlassungsbewilligung - beschränkt' unter den in dieser Bestimmung genannten weiteren Bedingungen nur für solche Drittstaatsangehörige vor, die sich im Bundesgebiet aufhalten. Daraus ist zwingend abzuleiten, dass ihnen einerseits die Befugnis zur Inlandsantragstellung zukommt und dass sie andererseits - wenn ihr Antrag nicht zurückzuweisen ist - aber auch die Entscheidung über ihren Antrag im Inland abwarten dürfen, würde doch ein Verlassen  des Bundesgebietes, sei es auch in Befolgung einer Rechtspflicht, als Konsequenz stets die Abweisung eines Antrags nach § 44 Abs. 4 NAG zur Folge haben. Damit wäre indes die durch die genannte Bestimmung bezweckte Regelung für 'Altfälle' - auch wenn gemäß den Kriterien des § 11 Abs 3 NAG ein Aufenthaltstitel nicht zu erteilen wäre (siehe dazu ErläutRV 88 BlgNR 24. GP 11) - völlig 'ausgehebelt', was dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden kann. § 44b Abs. 3 NAG, wonach Anträge - u.a. - nach § 44 Abs. 4 NAG kein Aufenthalts- oder Bleiberecht nach diesem Bundesgesetz begründen und woraus sich ergibt, dass gegen Antragsteller nach dieser Bestimmung eine Ausweisung zulässig ist, kann demnach nicht in dem Sinn verstanden werden, dass ein Drittstaatsangehöriger während eines anhängigen Verfahrens nach § 44 Abs. 4 NAG zum Verlassen des Bundesgebietes verpflichtet wäre oder bei Bestehen einer Ausweisung - abgeschoben werden könnte."

Dieser Rechtsansicht folgend hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 22. Oktober 2009, Zl. 2009/21/0293, ausgeführt, dass Anträge nach den §§ 43 Abs 2, 44 Abs 3 und 4 NAG den Aufenthalt im Bundesgebiet voraussetzen und daraus zwingend das Recht abzuleiten sei, die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung im Inland abwarten zu dürfen. Der Antragsteller dürfe daher während dieses Verfahrens grundsätzlich nicht abgeschoben werden.

4.5. Dem Bw kann ein schuldhaftes Verhalten nicht vorgeworfen werden, weil dem vom Verwaltungsgerichtshof postulierten "Bleiberecht nach dem NAG" zwangsläufig auch ein über den Abschiebeschutz hinausgehender Inhalt zu kommt. Für den Bw liegt nämlich eine entschuldigende Notstandssituation iSd § 6 VStG mit einem unauflöslichen Interessenkonflikt vor, wenn er einerseits zur Ausreise verpflichtet ist und andererseits aber im Inland bleiben muss, damit sein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltsrechtes überhaupt eine positive Erledigungschance hätte.

Ein Antrag auf humanitäre Niederlassungsbewilligung gemäß § 44 Abs 4 NAG erschiene nicht aussichtslos, zumal jedenfalls die Voraussetzungen des § 44 Abs 4 Z 1 und 2 NAG erfüllt scheinen: Der Bw ist offenbar seit September 2002 (vorläufige Aufenthaltsberechtigung lt. FI seit 17.02.2003) durchgängig im Bundesgebiet aufhältig und dieser Aufenthalt war aufgrund des anhängigen Asylverfahrens zum Großteil auch rechtmäßig.

Auch die Voraussetzungen des Antrags nach § 43 Abs 2 NAG sind nicht von vornherein zu verneinen: Es liegt kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs 1 Z 1, 2 oder 4 NAG vor und der Bw kann auch glaubhafte Umstände angeben, die nach dem § 11 Abs 3 NAG bei der Interessenabwägung iSd Art 8 EMRK zu seinen Gunsten zu werten sein werden.

Da der Bw im vorliegenden Fall ab dem 3. April 2009, dem Zeitpunkt der Antragstellung nach § 44 Abs 4 NAG, und später ab 25. November 2009, dem Zeitpunkt der Antragstellung nach § 43 Abs 2 NAG, berechtigt war, die Entscheidung über diesen Antrag auf Erteilung einer (humanitären) Niederlassungsbewilligung im Inland abwarten zu dürfen, kann ihm jedenfalls ab dem Zeitpunkt der ersten Antragstellung nicht mehr der im angefochtenen Straferkenntnis zum Ausdruck kommende Schuldvorwurf gemacht werden. Daran ändert auch der Ausweisungsbescheid vom 23. April 2009 nichts.

4.6. Was den vorangegangenen Zeitraum vom 25. Dezember 2008 bis zum 3. April 2009 betrifft, vertritt der erkennende Verwaltungssenat die Ansicht, dass den Bw aus folgenden Gründen ebenfalls kein Verschulden trifft:

Wird die Ausweisung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 66 FPG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt, so hat die Behörde gemäß dem (im Zeitpunkt der Erlassung des Straferkenntnisses in Geltung stehenden) § 44a NAG von Amts wegen einen Aufenthaltstitel gemäß §§ 43 Abs 2 oder 44 Abs 3 NAG zu erteilen.

Gemäß § 44b Abs 3 letzter Satz NAG idF BGBl I Nr. 122/2009 gelten jedoch Verfahren gemäß §§ 43 Abs 2 und 44 Abs 3 NAG über die Fälle des § 25 Abs 2 NAG hinaus als eingestellt, wenn der Fremde das Bundesgebiet verlassen hat.

Gemäß § 66 Abs 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMKR) insbesondere zu berücksichtigen:

1.     die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

2.     das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.     die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.     der Grad der Integration;

5.     die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.     die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.     Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.     die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

Die Ausweisungsentscheidung der Bundespolizeidirektion Linz war im Zeitpunkt der Fällung des Straferkenntnisses nicht rechtskräftig. Im weiteren Verfahren wird zu prüfen sein, ob die Ausweisung einen zulässigen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Bw darstellt. Dabei darf nach der neuesten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes der Umstand, dass das schützenswerte Privat- und Familienleben des Bw während eines schwebenden Asylverfahren begründet wurde, möglicher Weise nicht zu Ungunsten des Bw gewertet werden.

In dem jüngst ergangenen Erkenntnis vom 7. Oktober 2010, Zl. B 950/10, hielt der Verfassungsgerichtshof fest, dass im Zusammenhang mit der Interessensabwägung nach Art 8 EMRK bei einer in hohem Maße stattgefundenen Integration (z.B. längerer Aufenthalt in Österreich und gute Deutschkenntnisse der Familie) eine "integrationsmindernde" Wertung des Umstandes, dass der Aufenthalt nur aufgrund eines letztlich unberechtigten Asylantrages rechtmäßig war, nicht generell zulässig sei. Vielmehr sei zu berücksichtigen, dass die Integration der Beschwerdeführer während ihrer jeweils einzigen Asylverfahren erfolgte, die sieben Jahre lang ohne rechtskräftige Entscheidung dauerten. Der Staat müsse Voraussetzungen schaffen, dass bis zur ersten rechtskräftigen Entscheidung nicht sieben Jahre verstreichen, wenn keine außergewöhnlich komplexen Rechtsfragen vorliegen und den Fremden die lange Dauer des Asylverfahrens nicht angelastet werden kann. Zudem habe der Umstand, dass die ersten negativen Entscheidungen behoben wurden, für die Beschwerdeführer die Erwartung erweckt, dass nicht zwangsläufig mit einer negativen Entscheidung des Asylverfahrens zu rechnen ist.

Wenn nun nach dieser verfassungsgerichtlichen Judikatur der Aufenthalt während eines einzigen, unverschuldet lange dauernden Asylverfahrens, in dem nicht besonders schwierige Rechtsfragen auftraten, als nicht mehr nur unsicherer Aufenthaltsstatus, sondern als stark "integrationsbegründender" Zustand zu werten ist, erscheint es denkbar, dass auch bei der den Bw betreffenden Ausweisungsentscheidung die Interessenabwägung zu Gunsten einer dauernden Unzulässigkeit der Ausweisung ausfallen könnte. Jedenfalls zeigen die im erstinstanzlichen Ausweisungsbescheid festgestellten Umstände mögliche Gründe auf, dass die Ausweisung des Bw auf Dauer für unzulässig erklärt werden und damit auch gemäß § 44a NAG ein Aufenthaltstitel nach § 43 Abs 2 bzw § 44 Abs 3 NAG erteilt werden könnte.

Dem Bw kann somit auch für den Zeitraum 25. Dezember 2008 bis 3. April 2009 kein schuldhaftes Verhalten vorgeworfen werden, weil dem vom Verwaltungsgerichtshof postulierten "Bleiberecht nach dem NAG" zwangsläufig auch ein über den Abschiebeschutz und über die durch Antrag eingeleiteten Verfahren hinausgehender Inhalt zu kommt. Denn wenn nach einer Interessenabwägung iSd Art 8 EMRK die Ausweisung des Bw auf Dauer unzulässig wäre, so müsste ihm von Amts wegen (§ 44a NAG) ein Aufenthaltstitel nach § 43 Abs 2 oder § 44 Abs 3 NAG erteilt werden. Dies ist allerdings nach § 44b Abs 3 letzter Satz NAG nur möglich, solange sich der Fremde im Bundesgebiet aufhält. Für den Bw lag daher bereits vor der Beantragung eines humanitären Bleiberechts eine entschuldigende Notstandssituation iSd § 6 VStG mit einem unauflöslichen Interessenkonflikt vor, wenn er einerseits zur Ausreise verpflichtet ist und andererseits aber im Inland bleiben muss, damit die Verleihung eines Aufenthaltsrechtes infolge einer für den Bw positiven Ausweisungsentscheidung überhaupt möglich ist. Ohne der Berufungsentscheidung vorzugreifen, erscheint die Berufung des Bw gegen die erstinstanzliche Ausweisungsentscheidung nicht von vorneherein aussichtslos. Die glaubhaft gemachten und in der erstinstanzlichen Ausweisungsentscheidung dargestellten Umstände sprechen durchaus für eine bestehende gute Integration in Österreich. Der Eingriff in sein Privat- und Familienleben durch fremdenpolizeiliche Maßnahmen könnte angesichts der von ihm nicht verschuldeten langen Dauer des einzigen Asylverfahrens im Lichte der zitierten Judikatur des Verfassungsgerichthofs als unverhältnismäßig gewertet werden.

Da der Bw im vorliegenden Fall vertretbar davon ausgehen konnte, nach Abschluss seines Asylverfahrens die rechtskräftige Entscheidung über seine Ausweisung sowie die Entscheidung über seine Anträge nach dem NAG im Inland abwarten zu dürfen, kann ihm der im angefochtenen Straferkenntnis zum Ausdruck kommende Schuldvorwurf für den gesamten Tatzeitraum nicht gemacht werden. Würde er seiner Ausreisepflicht nachkommen, wären nämlich auf Grund der Gesetzeslage des NAG seine Chancen auf einen Aufenthaltstitel zunichte gemacht. Ein Verfahren nach dem NAG wäre einzustellen bzw von Amts wegen gar nicht einzuleiten. In dieser Zwangslage kann nicht von einer strafrechtlichen Schuld des Bw ausgegangen werden.

Der Berufung war daher stattzugeben, das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG einzustellen, weil entschuldigende Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit des Bw ausschließen.

5. Bei diesem Ergebnis war dem Bw gemäß § 66 Abs 1 VStG weder ein Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich noch ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde vorzuschreiben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

Dr. W e i ß

 

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