Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-401112/7/Gf/Mu

Linz, 21.05.2011

 

 

 

 

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mit­glied Dr. Grof über die Beschwerde des x, vertreten durch RA x, wegen Anhaltung in Schubhaft durch den Bezirkshauptmann von Vöcklabruck seit dem 29. März 2011 nach der am 20. Mai 2011 durchgeführten öffentlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

 

I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen; unter einem wird festgestellt, dass die Voraussetzungen der Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft gegenwärtig weiterhin vorliegen.

II. Der Beschwerdeführer hat dem Bund einen Kostenaufwand in Höhe von insgesamt 518,40 Euro binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

 

Rechtsgrundlage:

 

§ 83 FPG; § 67c Abs. 3 AVG; § 79a AVG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 29. März 2011, Zl. Sich40-1513-2011, wurde über den Rechtsmittelwerber, einen Staatsangehörigen von Uganda, gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 135/2009 (im Folgenden: FPG), zur Sicherung der Erlassung und Durchsetzung einer Ausweisung im Wege der Abschiebung die Schubhaft verhängt und durch Überstellung in das Polizeianhaltezentrum (PAZ) Wien vollzogen.

Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer widerrechtlich und ohne gültige Dokumente in das Bundesgebiet eingereist sei und hier am 21. März 2011 einen Asylantrag gestellt habe; diesbezüglich sei ihm jedoch bereits am 25. März 2011, Zl. 1102727, gemäß § 29 Abs. 3 des Asylgesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 135/2009 (im Folgenden: AsylG), mitgeteilt worden, dass beabsichtigt ist, seinen Asylantrag wegen Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen und ihn aus Österreich auszuweisen. Da seine Identität nicht feststehe bzw. mangels entsprechender Dokumente nicht zweifelsfrei festzustellen sei; der Rechtsmittelwerber – von zahlreichen illegalen Grenzübertritten und diesbezüglichen Falsch- bzw. Verschleierungsangaben abgesehen – seinen vorangegangenen Aufenthalt in der Schweiz verschwiegen und versucht habe, seine Fingerkuppen zu bearbeiten (ohne zu wissen, dass diese innerhalb einiger Tage wieder nachwachsen), um einen EURODAC-Abgleich zu verunmöglichen; er weder über einen gemeldeten Wohnsitz noch über soziale Beziehungen in Österreich oder zumindest im EU-Raum verfüge; er völlig mittellos und in keiner Weise in der Lage sei, aus eigenem für seinen Aufenthalt oder für eine Unterkunft zu sorgen; er an den fremdenpolizeilichen Verfahren der von ihm illegal durchreisten Staaten nie zweckdienlich mitgewirkt habe und evidentermaßen rückkehrunwillig sei; liege es sohin auf der Hand, dass er – in Freiheit belassen – in der Anonymität untertauchen und sich so seiner zwangsweisen Abschiebung entziehen würde. Dem gegenüber habe der mit der Schubhaft verfolgte Zweck durch die Anordnung bloß gelinderer Mittel – wie etwa die Unterkunftnahme in einer betreuten Einrichtung und eine periodische Meldepflicht bei einer Polizeiinspektion – nicht in gleicher Weise effektiv erreicht werden können, weil der Rechtsmittelwerber an keine Örtlichkeit gebunden und in seiner Lebensgestaltung äußerst flexibel sei und zudem zu befürchten stünde, dass er in diesem Fall dem Staat weiter finanziell zur Last fallen oder dadurch sogar eine sachliche Zuständigkeit Österreichs gemäß Art. 13 der Dublin-V eintreten könnte.

1.2. Gegen seine Anhaltung in Schubhaft richtet sich die vorliegende, am
18. Mai 2011 per Telefax beim Oö. Verwaltungssenat eingebrachte Beschwerde.

Darin wird vorgebracht, dass der Vorwurf der Verschleierung bzw. Verheimlichung seiner Reiseroute zu Unrecht erhoben werde, da der Rechtsmittelwerber bereits bei seiner Erstbefragung im Asylverfahren angegeben habe, dass er über Spanien in den EU-Raum eingereist sei. Außerdem habe er sich bis zu seiner Inschubhaftnahme auch stets tatsächlich in der ihm zugewiesenen Bundesbetreuungsstelle aufgehalten. Darüber hinaus habe er sich auch nie dagegen zur Wehr gesetzt, nach Spanien zurückzukehren. Schließlich dauere seine Anhaltung infolge einer Verzögerung des fremdenpolizeilichen Verfahrens bereits unangemessen lange an.

Aus diesen Gründen wird sohin die kostenpflichtige Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Anhaltung in Schubhaft ab dem 29. März 2011 bzw. seit dem Feststehen der Zuständigkeit Spaniens am nächsten Tag beantragt.

1.3. Die belangte Behörde hat in der öffentlichen Verhandlung Teile des Bezug habenden Verwaltungsaktes vorgelegt und zuvor am 19. Mai 2011 mitgeteilt, dass "die kostenpflichtige Abweisung beantragt" wird sowie zusätzlich ausgeführt: "Die Gegenschrift wird mündlich ebenso im Rahmen der Verhandlung vorgebracht werden".

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben im Wege der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung am 20. Mai 2011, zu der als Parteien der Beschwerdeführer und sein Rechtsvertreter sowie x als Vertreter des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck erschienen sind, sowie durch Einsichtnahme in die vom Vertreter der belangten Behörde vorgelegten Aktenteile der BH Vöcklabruck zu Zl. Sich40-1513-2011 (s. die Beilage zu ONr. 6 des h. Aktes).

2.1.1. Im Zuge dieser Beweisaufnahme wurde folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt:

 

Der Beschwerdeführer war und ist der deutschen Sprache nicht mächtig; nach dem vom Verhandlungsleiter gewonnenen persönlichen Eindruck versteht er auch die englische Sprache nur insoweit, als ihm insbesondere rechtserhebliche Zusammenhänge im Wege von alltagsgerechten Umschreibungen und anschaulichen Beispielen jeweils ausführlich erläutert werden müssen.

 

Der Rechtsmittelwerber ist am 21. März 2011 als Beifahrer in einem PKW illegal in das Bundesgebiet eingereist. Am selben Tag hat er auf Anraten anderer vor dem Amtsgebäude aufhältiger Fremder bei der EASt Ost einen Asylantrag gestellt; in der Folge wurde er in die Bundesbetreuung aufgenommen.

 

Im Wege der ihm am 29. März 2011 um 8.00 Uhr durch persönliche Übergabe zugestellten, auf § 29 AsylG gegründeten Mitteilung des Bundesasylamtes vom 25. März 2011, Zl. 1102727, wurde er davon informiert, dass beabsichtigt ist, seinen Asylantrag wegen Unzuständigkeit Österreichs zurückzuweisen, womit gleichzeitig ein Ausweisungsverfahren als eingeleitet galt.

 

Mit dem am selben Tag um 9.00 Uhr erlassenen Bescheid wurde über den Rechtsmittelwerber die Schubhaft verhängt – wobei er in der Bundesbetreuung auch tatsächlich angetroffen wurde – und noch am selben Tag vollzogen (siehe dazu auch oben, 1.1.) sowie bis dato aufrecht erhalten. Gründe für die Anordnung dieser Maßnahme und deren weitere Aufrechterhaltung waren – und sind – insbesondere die nicht gesicherte Identität des Beschwerdeführers infolge fehlender Identitätsdokumente und Nichtmitwirkung an der Identitätsfeststellung; die Nichtvorlage von Unterlagen anderer Mitgliedsstaaten; die Verschleierung der Reiseroute, insbesondere durch gelegentliche Falschangaben; das Verschweigen seines vorangegangenen Aufenthaltes in der Schweiz und die zeitweise Verstümmelung seiner Fingerkuppen, um einen EURODAC-Abgleich zu verunmöglichen; das Nichtvorliegen eines ordentlichen und gemeldeten Wohnsitzes; die völlige Mittellosigkeit und die daraus resultierende Unmöglichkeit der Finanzierung des Aufenthalts in Österreich aus eigenem; das Fehlen jeglicher sozialer Beziehungen, und zwar sowohl hier als auch im übrigen EU-Raum; und die Nichtmitwirkung bzw. nicht ordnungsgemäße Mitwirkung im fremdenpolizeilichen Verfahren sowie im Asylverfahren. Der mit der Schubhaft verfolgte Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung und der sich daran anschließenden faktischen Ausweisung im Wege der Abschiebung dadurch, dass ein Untertauchen des Fremden wirksam verhindert wird, konnte dem gegenüber durch die Anordnung gelinderer Mittel – wie etwa Unterkunftnahme in einer betreuten Einrichtung und periodische Meldepflicht bei einer Polizeiinspektion – nicht auch in gleicher Weise effektiv erreicht werden, weil der Rechtsmittelwerber an keine Örtlichkeit gebunden und in seiner Lebensgestaltung mangels eines festen Wohnsitzes und jeglicher sozialer Bindungen äußerst flexibel ist; zudem stand zu befürchten, dass er mangels eigener finanzieller Mittel dem Staat weiter finanziell zur Last fallen oder in dem Fall, dass er durch sein Untertauchen eine zeitgerechte Abschiebung effektiv verhindert, in der Folge eine sachliche Zuständigkeit Österreichs zur Entscheidung über seinen Asylantrag eintritt.

 

Bereits am 25. März 2011 waren Konsultationsverhandlungen mit der Schweiz eingeleitet worden; da sich in der Folge jedoch ergeben hat, dass nach der Dublin-V aufgrund seiner früheren Aufenthalte Spanien für den Beschwerdeführer zuständig ist, wurden an diesem Tag dementsprechende Konsultationsverhandlungen mit diesem Staat aufgenommen.

 

Am 4. April 2011 hat der Rechtsmittelwerber versucht, sich mit dem Blech einer Konservendose am linken Unterarm zu verletzen, wobei es jedoch nur zu einer Rötung der Haut kam; vom 12.  bis zum 19. April 2011 ist er in einen Hungerstreik getreten. Nach den Feststellungen der Amtsärztin führten jedoch beide Vorkommnisse jeweils nicht zu seiner Haftunfähigkeit. 

 

Am 13. Mai 2011 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers zurückgewiesen und unter einem seine Ausweisung nach Spanien verfügt; infolge eines Rechtsmittelverzichtes ist dieser Zurückweisungsbescheid unmittelbar in Rechtskraft erwachsen.

 

Am 18. Mai 2011 wurde der belangten Behörde mitgeteilt, dass für die auf dem Luftweg vorgesehene Abschiebung des Beschwerdeführers nach Madrid ein entsprechender Platz reserviert wurde.

 

Die Identität des Beschwerdeführers ist gegenwärtig noch nicht zweifelsfrei gesichert, vornehmlich auch deshalb, weil er sich insoweit bislang nicht kooperativ gezeigt (insbesondere indem er entsprechende Dokumente bei seiner Einreise absichtlich nicht mit sich geführt und sein Geburtsdatum nicht bzw. widersprüchlich angegeben) oder dementsprechende Feststellungen durch Falschangaben (z.B. durch zeitweiliges Führen des Namens seines Großvaters) erschwert hat. Da jedoch im gegenständlichen Fall eine entsprechende Zustimmung des aufnehmenden Staates zur Rückübernahme vorliegt (und ein "Heimreisezertifikat" o.Ä. innerhalb der EU nicht erforderlich ist), stehen der Abschiebung des Rechtsmittelwerbers nach Spanien derzeit weder rechtliche noch faktische Hindernisse entgegen.

 

Weiters verfügt er über keinerlei Vermögen oder soziale Kontakte in Österreich oder innerhalb der EU.

 

Während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet hat der Rechtsmittelwerber – soweit es Behörden möglich war, diesen Umstand in Erfahrung zu bringen – keine strafbaren, jedenfalls keine gerichtlich strafbaren Handlungen begangen.

2.1.2. Diese Sachverhaltsfeststellungen ergeben sich aufgrund der sich insoweit - nämlich hinsichtlich der Tatsachenermittlung – nicht (sondern lediglich in Bezug auf die daraus jeweils abgeleitete rechtliche Beurteilung) widersprechenden    Aussagen der Parteien bzw. ihrer Vertreter in der öffentlichen Verhandlung vor dem Oö. Verwaltungssenat am 20. Mai 2011, die aufgrund ihres persönlichen Eindruckes grundsätzlich jeweils als glaubwürdig und schlüssig zu qualifizieren waren; dies jedoch mit der Einschränkung, dass der Beschwerdeführer im nunmehrigen Wissen um den fest stehenden Abschiebungstermin aus der Sicht des Verhandlungsleiters nicht den Eindruck vermittelte, dass er an diesem Tag der Fremdenpolizeibehörde auch tatsächlich zur Verfügung stehen würde, wenn er sich bis dahin nicht mehr in Schubhaft, sondern in Freiheit befände: Denn ihm ist ohne Zweifel klar, dass er von Spanien aus – seinen im Asylverfahren mehrfach erklärten Intentionen zuwider – weiter in seinen Heimatstaat ausgewiesen und bis dahin dort ebenfalls in Haft angehalten werden wird. Somit ist nicht ersichtlich, weshalb der Rechtsmittelwerber nach wenigen Tagen der wiedererlangten Freiheit von Neuem das Übel einer – noch dazu voraussichtlich lang dauernden – Anhaltung freiwillig in Kauf nehmen sollte.

2.1.3. Ergänzend wird festgestellt, dass das Verhandlungsprotokoll vom 20. Mai 2011 (ONr. 6 des h. Aktes) einen integrierenden Bestandteil der Begründung des gegenständlichen Bescheides bildet.

2.2. Im vorliegenden Fall wurde und wird der Beschwerdeführer auf Grund eines auf § 76 FPG gestützten Bescheides einer Behörde, die ihren Sitz im Sprengel des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich hat, angehalten; nach § 83 Abs. 1 FPG ist damit die örtliche Zuständigkeit des Oö. Verwaltungssenates zur Behandlung der gegenständlichen Beschwerde gegeben.

2.2.3. Dieser hatte gemäß § 83 Abs. 2 FPG i.V.m. § 67a AVG durch ein Einzelmitglied zu entscheiden.

3. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

3.1. Nach § 82 Abs. 1 FPG hat ein Fremder, gegen den die Schubhaft ange­ordnet wurde, das Recht, den Unabhängigen Verwaltungssenat u.a. mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit seiner Anhaltung in Schubhaft anzurufen.

Gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG kann die Fremdenpolizeibehörde gegen einen Asylwerber u.a. dann die Schubhaft verhängen, wenn gegen ihn ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde; ein Ausweisungsverfahren gilt nach § 27 Abs. 1 Z. 1 i.V.m. § 29 Abs. 3 Z. 4 AsylG u.a. dann schon ex lege als eingeleitet, wenn dem Asylwerber mitgeteilt wird, dass beabsichtigt ist, seinen Asylantrag zurückzuweisen.

Nach § 77 Abs. 1 FPG hat die Behörde jedoch von der Anordnung der Schubhaft Abstand zu nehmen, wenn sie Grund zu der Annahme hat, dass deren Zweck durch die Anwendung gelinderer Mittel in gleicher Weise erreicht werden kann; in diesem Sinne kommt gemäß § 77 Abs. 3 FPG insbesondere die Anordnung in Betracht, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen oder sich in perio­dischen Abständen bei einem bestimmten dem Fremden zuvor bekannt gegebenen Polizei­kommando zu melden.

4021 Linz, Fabrikstraße 32

 

 

3.2. Die mit der gegenständlichen Beschwerde relevierte Frage, ob die Anhaltung des Rechtsmittelwerbers in Schubhaft seit dem 29. bzw. seit dem 30. März 2011 sowohl in formeller als auch in inhaltlicher Hinsicht rechtmäßig war bzw. ist, kann – nur – dann bejaht werden, wenn 1.) ein Schubhafttatbestand gemäß § 76 Abs. 2 FPG vorliegt, 2.) eine dem Zweck dieses Tatbestandes entsprechende Sicherungsnotwendigkeit besteht und zudem 3.) durch eine derartige Maßnahme insgesamt auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt.

3.2.1. Schubhafttatbestand

3.2.1.1. Im gegenständlichen Verfahren hat die belangte Behörde die Schubhaftverhängung auf § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG gestützt. Dies setzt voraus, dass gegen ihn ein Ausweisungsverfahren eingeleitet, d.h. dass ihm zumindest gemäß  § 27 Abs. 1 Z. 1 i.V.m. § 29 Abs. 3 Z. 4 AsylG mitgeteilt wurde, dass beabsichtigt ist, seinen Asylantrag zurückzuweisen.

3.2.1.2. Im gegenständlichen Fall erfolgte eine derartige Mitteilung – wie sich in der Verhandlung zweifelsfrei ergeben hat und dies auch vom Rechtsmittelwerber selbst unwidersprochen geblieben ist – am 29. März 2011 um 8.00 Uhr, also zu einem noch vor der tatsächlichen Inschubhaftnahme um 9.00 Uhr desselben Tages gelegenen Zeitpunkt.

Bei der Erlassung des Schubhaftbescheides am 29. März 2011 waren somit die Formalvoraussetzungen des § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG erfüllt.

3.2.2. Sicherungsnotwendigkeit

Hinsichtlich der Beurteilung der Sicherungsnotwendigkeit (nicht: Sicherungsbedürfnis, weil durch diesen Terminus suggeriert werden würde, dass es insoweit nicht auf eine objektivierbare, sondern auf die subjektive Einschätzung der Organwalter der Fremdenpolizeibehörde ankäme) ist anhand objektiver Kriterien zu prüfen, ob mit Blick auf das Ziel der beabsichtigten fremdenpolizeilichen Maßnahme eine Beschränkung der persönlichen Freiheit unabdingbar war. Es ist also zunächst (und zwar nicht mit der vorgefassten Tendenz: "im Zweifel pro Haft", sondern im Gegenteil: mit der Grundhaltung, dass prinzipiell gelindere Mittel anzuordnen sind, sodass die Verhängung der Haft stets nur eine äußerste Notmaßnahme darstellen kann) zu untersuchen, ob anhand der Umstände des konkreten Falles tatsächlich nur im Wege einer Haft zuverlässig erreicht werden kann, dass die intendierte fremdenpolizeiliche Maßnahme auch effektiv umgesetzt werden kann.

Solche inzident für eine derartige Sicherungsnotwendigkeit sprechenden Kriterien können z.B. die fehlende Wahrscheinlichkeit einer freiwilligen Ausreise, die für eine Rückkehr in den Abschiebe- bzw. Heimatstaat fehlenden finanziellen Mittel, die im Heimatstaat fehlende soziale Bindung, die angesichts fehlender Sanktionen gegebene Wahrscheinlichkeit einer illegalen Rückkehr des Fremden nach Österreich o.Ä., nicht jedoch eine allgemeine, d.h. nicht im Zusammenhang mit dem Zweck der Sicherungsnotwendigkeit stehende Gleichgültigkeit gegenüber generellen Ordnungsvorschriften oder strafrechtlichen Verboten, ein allgemein unkooperatives Verhalten, eine allgemein mangelnde soziale, insbesondere berufliche Integration, etc. sein.

Hat daher der Fremde beispielsweise seine persönliche Identität zu verschleiern versucht und war dieser weder polizeilich gemeldet noch tatsächlich durch längere Zeit hindurch an einer bestimmten Unterkunft aufhältig, so besteht eine hohe Gefahr des Untertauchens, die umgekehrt prinzipiell eine entsprechende Sicherungsnotwendigkeit begründet. Hingegen entfällt diese von vornherein, wenn der Fremde bloß gegen melderechtliche Vorschriften verstoßen hat und/oder beispielsweise wegen eines Suchtgiftdeliktes zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, sich seither aber tatsächlich durchgehend an einer der Fremdenpolizeibehörde bekannten Unterkunft aufgehalten hat.

3.2.2.1. Im gegenständlichen Fall bezweckte die Schubhaftverhängung von Anfang an, dass der Beschwerdeführer der belangten Behörde für die Durchführung der Abschiebung auch tatsächlich zur Verfügung stehen und diese nicht dadurch, dass er zum maßgeblichen Zeitpunkt von deren effektiver Durchsetzung an seinem bisherigen Aufenthaltsort faktisch nicht greifbar wäre, erschweren oder gar verunmöglichen können soll.

Dass der Beschwerdeführer, dessen Identität mangels entsprechender Reise- und Personaldokumente gegenwärtig nach wie vor nicht zweifelsfrei geklärt ist, über einen ordnungsgemäßen Wohnsitz in Österreich verfügte, wird auch von ihm selbst gar nicht behauptet. Zwar hielt er sich vor seiner Inschubhaftnahme am 29. März 2011 durchgehend in der ihm zugewiesenen Betreuungsstelle auf; dieser Aspekt stellt jedoch kein spezifisches Wohl-, sondern bloß ein auf Grund der damaligen Umstände zielgerichtetes Verhalten für jenen Zeitraum, in dem noch mit einer positiven Erledigung des Asylverfahrens gerechnet werden konnte, dar.

Von einer sozialen oder beruflichen Integration des Rechtsmittelwerbers kann ebenfalls keine Rede sein, weil keine seiner Verwandten oder Bekannten in Österreich oder zumindest im angrenzenden EU-Raum leben.

Dass er nicht freiwillig in seinen Heimatstaat zurückkehren und daher auch nicht in einen anderen Derartiges intendierenden EU-Staat abgeschoben werden möchte, hat der Rechtsmittelwerber im Zuge seines Asylverfahrens explizit bekräftigt. Insbesondere ist ihm im nunmehrigen Wissen um den fest stehenden Abschiebungstermin (25. Mai 2011) auch klar, dass er von Spanien aus weiter in seinen Heimatstaat ausgewiesen werden und dort bis zu diesem Zeitpunkt ebenfalls in Haft angehalten werden wird. Somit ist nicht ersichtlich, weshalb der Rechtsmittelwerber – sollte er jetzt, also vier Tage vor diesem Termin, aus der Schubhaft entlassen werden – nach wenigen Tagen der wiedererlangten Freiheit dann von Neuem das Übel einer voraussichtlich lang dauernden Anhaltung freiwillig in Kauf nehmen sollte. Angesichts dessen liegt es also auch auf der Hand, dass er eine Abschiebung nicht widerstandslos über sich ergehen lassen, sondern – wenn er sich in Freiheit befände – vielmehr von der einfachsten und deshalb am nächsten liegenden Möglichkeit, nämlich: Verschleierung seines jeweiligen aktuellen Aufenthaltsortes, Gebrauch machen würde, um sich dieser zu entziehen.

3.2.2.2. Alle diese sowie jene von der belangten Behörde darüber hinaus in ihrem Schubhaftbescheid und in der öffentlichen Verhandlung angeführten Gründe (Nicht- bzw. nicht ordnungsgemäße Mitwirkung im fremdenpolizeilichen Verfahren und im Asylverfahren, insbesondere: Nichtvorlage von Unterlagen anderer Mitgliedsstaaten, Verschleierung der Reiseroute durch gelegentliche Falschangaben, Verschweigen seines früheren Aufenthaltes in der Schweiz und Verstümmelung der Fingerkuppen, um einen EURODAC-Abgleich zu verunmöglichen; Nichtvorliegen eines ordentlichen und gemeldeten Wohnsitzes; völlige Mittellosigkeit und daraus resultierende Unmöglichkeit der Finanzierung des Aufenthalts in Österreich aus eigenem; ungebührliches [insbesondere Selbstverletzung und Hungerstreik] sowie aggressives Verhalten) sprachen im vorliegenden Fall für eine dementsprechende Sicherungsnotwendigkeit; sie überwogen daher insgesamt betrachtet deutlich jene – nämlich: dass sich der Beschwerdeführer bis zur Verhängung der Schubhaft tatsächlich in der Bundesbetreuung aufgehalten hat; in diesem Zusammenhang ist jedoch nochmals darauf hinzuweisen, dass ihm bis dahin die Vergeblichkeit seines Asylantrages noch in keiner Weise bewusst war, sodass ein insoweit kooperatives Verhalten gleichsam als selbstverständlich erscheinen muss – dagegen sprechenden Argumente, und zwar v.a. auch deshalb, weil das Bestehen einer derartigen Sicherungsnotwendigkeit im sog. Spätstadium des Asylverfahrens (wie hier) stets dann umso mehr angenommen werden kann, wenn nicht evident zwingende Gründe dagegensprechen (vgl. VwGH v. 25. März 2010, 2008/21/0617).

3.2.3. Verhältnismäßigkeit

Vom Bestehen einer Sicherungsnotwendigkeit ausgehend war schließlich noch zu untersuchen, ob der mit der fremdenpolizeilichen Maßnahme konkret verfolgte Zweck nicht auch durch normale (diese Bezeichnung ist deshalb angebracht, weil dadurch umgekehrt die Haft als das "Ausnahmemittel" deutlicher in den Vordergrund tritt), d.h. im Verhältnis zum Entzug der persönlichen Freiheit im Wege der Haft gelindere Sicherungsmittel zu erreichen gewesen wäre.

Die Anordnung gelinderer Mittel bedingt das grundsätzliche, durch entsprechende konkrete Kriterien objektivierbare Vertrauen, dass sich der Fremde zum Zeitpunkt der Durchführung der Abschiebung der Behörde zur Verfügung hält, d.h. für diese auch faktisch greifbar ist. In diesem Zusammenhang geht die Rechtsordnung davon aus, dass ein derartiges Vertrauen a priori zunächst vorauszusetzen ist – sonst wäre nicht die Schubhaftverhängung als ein bloßes ultima-ratio-Mittel, sondern im Gegenteil als Standardmaßnahme für die Fremdenpolizeibehörden gesetzlich vorgesehen worden. Daraus folgt, dass es dann, wenn die Schubhaft angeordnet wird, der Behörde obliegt, jene Gründe vorzubringen und entsprechend zu belegen, die im konkreten Fall für ein Nichtbestehen eines derartigen Vertrauensverhältnisses sprechen.

Einer derartigen Prognoseentscheidung sind somit v.a. jene Hinweise in Bezug auf das bisherige Verhalten zu Grunde zu legen, die gegen bzw. für eine Freiheitsentziehung sprechen (wie z.B. ob gelindere Mittel bisher schon angewendet wurden und wenn ja, ob diese erfolgreich waren oder nicht; ob sich auch die näheren Familienangehörigen [legal] in Österreich befinden; ob der Fremde hier sozial integriert ist; ob sich der Ausländer grundsätzlich den österreichischen Rechtsvorschriften verbunden fühlt, etc.), wobei insoweit unter dem Aspekt, dass eine Haftanordnung nur eine ultima-ratio-Maßnahme darstellen kann, eben eine formelhafte oder bloß auf allgemeine Erfahrungssätze abstellende Begründung des Schubhaftbescheides nicht hinreicht, sondern diese vielmehr eine konkrete, individuell-fallbezogene Subsumtion mit entsprechender pro- und contra-Abwä-gung aufweisen muss, damit gewährleistet ist, dass durch diese keine antizipatorische "pro-Haft-Tendenz" zum Ausdruck kommt, d.h. eine haft"begünstigende" Begründungsargumentation objektiv betrachtet verlässlich ausgeschlossen ist. Nur wenn danach mit zwingenden Gründen davon ausgegangen werden kann, dass die effektive Umsetzung (eine bloße "Erschwerung" reicht hingegen nach § 76 FPG – und erst recht nach Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG – nicht hin) der beabsichtigten fremdenpolizeilichen Maßnahme nicht anders als durch einen Entzug der persönlichen Freiheit gewährleistet werden kann, erweist sich die Anordnung der Schubhaft auch unter dem Aspekt des Verhältnismäßigkeitsprinzips als gerechtfertigt.

3.2.3.1. Im gegenständlichen Fall ist der Beschwerdeführer illegal und unter Verschweigung von für das fremdenrechtliche Verfahren essentiellen Fakten (Personalia, Reiseroute) – wobei ihm dieser Umstand auch durchaus bewusst sein musste – in das Bundesgebiet eingereist. 

Dieses Verhalten – nämlich: die Nichtmitwirkung am Verfahren, die eine Klärung seiner Identität erheblich erschwert (wie z.B. die zeitweise Weigerung, Fingerabdrücke erstellen zu lassen); die Nichtvorlage von Reisedokumenten; die Weigerung, das Bundesgebiet freiwillig zu verlassen; etc. – legt im Zusammenhang damit, dass der Rechtsmittelwerber weder über die für seinen Aufenthalt erforderlichen finanziellen Mittel und eine Unterkunftsmöglichkeit noch über verifizierbare soziale Kontakte verfügt, insgesamt die Annahme nahe, dass die bloß auf eine Empfehlung anderer Fremder hin erfolgte Stellung eines Antrages offensichtlich primär nur dazu gedient hat, um seinen faktischen Aufenthalt im EU-Raum, insbesondere auch in Österreich, zu verlängern.

Gesamthaft betrachtet folgt aus all dem, dass der Beschwerdeführer durch diese Handlungen das ihm grundsätzlich entgegen zu bringende Vertrauen objektiv-abstrakt besehen in einem solchen Grad enttäuscht hat, der es nicht mehr zulässt, mit gutem Grund annehmen zu können, dass er sich zum Zeitpunkt seiner Abschiebung sowohl freiwillig als auch tatsächlich der Fremdenpolizeibehörde zur Verfügung halten wird; Letzterer kann daher vor dem Hintergrund des hier konkret zu beurteilenden Sachverhalts nicht entgegengetreten werden, wenn diese davon ausgegangen ist, dass es im vorliegenden Fall solcher Sicherungsmaßnahmen bedurfte, die der dargestellten Motivationslage des Rechtsmittelwerbers auch effektiv entgegenwirken.

3.2.3.2. Nach § 77 Abs. 3 FPG kommen als – im Vergleich zur Schubhaftverhängung – gelindere Mittel vornehmlich die Anordnung, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen und/oder sich in periodischen Abständen bei einem Polizeikommando zu melden, in Betracht. Wie sich aus der Textierung dieser Bestimmung, speziell aus der Verwendung des Wortes "insbesondere" ergibt, ist die Behörde hinsichtlich der Auswahl zwischen den unterschiedlichen Arten von Sicherungsmaßnahmen grundsätzlich zwar nicht, durch das in § 77 Abs. 1 FPG normierte Verhältnismäßigkeitsprinzip im Ergebnis jedoch insoweit beschränkt, als letztlich nur eine solche Maßnahme gewählt werden darf, die sowohl zur Zielerreichung geeignet ist als auch den vergleichsweise geringst-möglichen Eingriff in die Persönlichkeitssphäre des Fremden nach sich zieht.

Im gegenständlichen Fall trifft es zwar zu, dass sich der Beschwerdeführer bis zu seiner Inschubhaftnahme tatsächlich in den ihm im Rahmen ihm zukommenden Bundesbetreuung zugewiesenen Räumlichkeiten aufgehalten hat, sich dort frei bewegen durfte und zum Zeitpunkt seiner Verhaftung auch de facto dort angetroffen werden konnte.

Allerdings ist in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass bis dahin ein positiver Ausgang des Verfahrens noch keineswegs ausgeschlossen war. Dies änderte sich jedoch durch die seiner Inschubhaftnahme zeitlich unmittelbar vorausgegangenen Mitteilung über die Zurückweisung seines Asylantrages (s.o., 2.1.1.) insofern grundlegend, als damit unter einem auch unmittelbar seine zwangsweise Außerlandesschaffung im Wege der Abschiebung drohte. Vor diesem Hintergrund bestand – und besteht – angesichts der besonderen Situation des Beschwerdeführers, der weder über eine eigene (geschweige denn eine ordnungsgemäß polizeilich gemeldete) Unterkunft noch über die erforderlichen finanziellen Mittel zur Bestreitung seines Aufenthalts oder irgendwelche soziale oder berufliche Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet oder einen rechtlichen Anspruch auf staatliche Versorgung im Wege einer Bundes- oder Landesbetreuung verfügt – wobei der Rechtsmittelwerber in diesem Zusammenhang weder in seinem Beschwerdeschriftsatz noch in der öffentlichen Verhandlung (und erst recht nicht entsprechend nachvollziehbar belegt) vorgebracht hat, dass er im Falle seiner Freilassung von (einer) bestimmten Person(en) adäquate Unterstützungsleistungen erhalten würde –, keine verlässliche Gewähr dafür, dass gelindere Mittel anstelle der Schubhaftverhängung in gleicher Weise dazu geeignet (gewesen) wären, den mit dieser Maßnahme verfolgten Zweck – nämlich: dass der Beschwerdeführer jederzeit, insbesondere aber im Zeitpunkt der für den 25. Mai 2011 terminisierten Vornahme seiner Abschiebung für die Fremdenpolizeibehörde auch tatsächlich greifbar ist – zu erfüllen.

Im Übrigen ist in diesem Zusammenhang darauf zu verweisen, dass der Rechtsmittelwerber den noch in seinem Beschwerdeschriftsatz erhobenen Einwand, dass der Vorwurf der Verschleierung bzw. Verheimlichung seiner Reiseroute seitens der belangten Behörde zu Unrecht erhoben worden sei, – ganz abgesehen davon, dass dieser Aspekt selbst im Falle des Zutreffens ohnehin nicht entscheidungserheblich ins Gewicht fallen würde – in der öffentlichen Verhandlung nicht weiter aufrecht erhalten und sich in dieser auch seine Bereitschaft zur Rückkehr nach Spanien als unglaubwürdig erwiesen hat (siehe dazu oben, 2.2.1.).

Außerdem kann auch – worauf der Vertreter der belangten Behörde in der öffentlichen Verhandlung zutreffend hingewiesen hat – keine Rede davon sein, dass die Anhaltung infolge einer Verzögerung des fremdenpolizeilichen Verfahrens derzeit bereits unangemessen lange andauern würde: Denn zum einen ist gegenwärtig die Zweimonatsfrist des § 80 Abs. 2 FPG ohnehin noch nicht überschritten und zum anderen hat die belangte Behörde de facto die erforderlichen Verfahrenschritte – soweit es überhaupt in ihrer Macht stand; dass die Zustimmung Spaniens zur Rückübernahme des Rechtsmittelwerbers erst nach einem Monat einlangte, ist nicht von ihr zu vertreten – offensichtlich ohne unnötige Säumnis abgewickelt (siehe dazu auch oben, 2.1.1.).

 

Nach Abwägung der öffentlichen Interessen an der effektiven Umsetzung der Ausweisung gegenüber den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an der Nichtvornahme einer Freiheitsentziehung war es sohin nicht geboten, anstelle der Anhaltung des Rechtsmittelwerbers in Schubhaft gelindere Mittel i.S.d. § 77 Abs. 3 FPG anzuordnen, weil das grundsätzliche, durch die genannten Kriterien objektivierbare Vertrauen, dass sich der Fremde zum Zeitpunkt der Durchführung der Abschiebung der Behörde zur Verfügung halten, d.h. für diese auch faktisch greifbar sein wird, aus den bereits mehrfach genannten Gründen insgesamt in einem solchen Maße gefährdet war, das es nicht mehr zuließ, eine jederzeitige effektive Greifbarkeit der Person des Rechtsmittelwerbers mit gutem Grund annehmen zu können.

 

3.2.3.3. Schließlich hat der Vertreter des Beschwerdeführers im Zuge der öffentlichen Verhandlung vor dem Oö. Verwaltungssenat zwar zutreffend vorgebracht, dass die Freiheit der Person ein hohes – und, wie hinzuzufügen ist: für das Funktionieren einer Demokratie unverzichtbares – Rechtsgut darstellt. In gleicher Weise selbstverständlich ist aber unter einem, dass die persönliche Freiheit nicht schrankenlos gewährleistet sein kann, wie dies schon die dementsprechenden expliziten materiellen Gesetzesvorbehalte in Art. 5 Abs. 1 EMRK und Art. 1 Abs. 2 PersFrBVG zeigen.

 

Jene Grenzziehung zwischen Freiheitsgewährung und deren Einschränkung stellt sohin eine rechtspolitische Entscheidung dar, die zu treffen dem (jeweiligen) einfachen (Materien-)Gesetzgeber obliegt. Da die konkret im FPG vorgesehenen Möglichkeiten der Freiheitsentziehung vom Verfassungsgerichtshof in zahlreichen Anlassfällen bisher unbeanstandet geblieben sind, haben demnach aus innerstaatlicher Sicht die Vollzugsorgane (also auch der Oö. Verwaltungssenat) lediglich zu beurteilen, ob die Anwendung dieser Gesetze – und somit die Umsetzung der vom Parlament getroffenen rechtspolitischen Entscheidung – im konkreten Einzelfall jeweils rechtmäßig erfolgte. Die Frage, ob die im FPG vorgenommene Abwägung auch in Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK ihre inhaltliche Deckung findet, kann dem gegenüber nur der Rechtsmittelwerber selbst im Wege einer Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschrechte relevieren, weil dem Oö. Verwaltungssenat insoweit (im Gegensatz etwa zu einer entsprechenden Vorlagebefugnis an den EuGH dann, wenn innerstaatlich Unionsrecht vollzogen wird) keine Antragslegitimation zukommt.

 

(Darüber hinaus kann dem vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers in der öffentlichen Verhandlung "außer Protokoll" erhobenen Vorwurf, dass eine Inhaftierung von Asylsuchenden a priori als eine menschenunwürdige Maßnahme anzusehen ist, je nach subjektiver Überzeugung grundsätzlich wohl ebenfalls zugestimmt werden; allerdings handelt es sich hierbei um eine ethisch-moralische Qualifikation, die als entsprechende Wertentscheidung bereits in die vom Fremdenrechtsgesetzgeber konkret getroffene rechtspolitische Abwägung eingeflossen ist, sodass ihr angesichts des Umstandes, dass die EMRK und damit auch die österreichische Verfassung – anders als etwa Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes für die BRD – kein spezifisches Grundrecht der Menschenwürde enthalten [vgl. dagegen nunmehr Art. 1 EGRC, der jedoch – jedenfalls solange Art. 19 Abs. 4 Dublin-V und Art. 20 Abs. 2 Dublin-V geltendes Recht darstellen – innerstaatlich deshalb keinen Anwendungsvorrang beanspruchen kann, weil diese Bestimmungen der Dublin-V ersichtlich die Möglichkeit der Inhaftierung von Asylwerbern voraussetzen], letztlich keine eigenständige rechtliche Relevanz zukommt.)   

 

3.2.3.4. Aus allen diesen Gründen war daher hier im Ergebnis davon auszugehen, dass die effektive Umsetzung der beabsichtigten fremdenpolizeilichen Maßnahme im vorliegenden Fall nicht anders als durch einen Entzug der persönlichen Freiheit sichergestellt werden konnte bzw. kann.

 

3.3. Die gegenständliche Beschwerde war daher gemäß § 83 Abs. 2 FPG iVm § 67c Abs. 3 AVG abzuweisen; unter einem war nach § 83 Abs. 4 FPG festzustellen, dass die Voraussetzungen der Anhaltung des Rechtmittelwerbers in Schubhaft gegenwärtig weiterhin vorliegen.

4. Bei diesem Verfahrensergebnis war der Beschwerdeführer  dazu zu verpflichten, dem Bund nach § 79a Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 4 Z. 3 AVG i.V.m. § 1 Z. 3 und 5 der UVS-Aufwandersatzverordnung, BGBl.Nr. II 456/2008, Kosten in Höhe von insgesamt 518,40 Euro (Vorlageaufwand: 57,40 Euro; Verhandlungsaufwand: 461 Euro) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Angesichts des Umstandes, dass im Zuge der Mitteilung der belangten Behörde an den Oö. Verwaltungssenat vom 19. Mai 2011 zwar pauschal die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt, eine Gegenschrift – die schon begrifflich lediglich in Schriftform vorgelegt (und daher nicht, jedenfalls nicht ausschließlich mündlich – z.B. im Rahmen einer Verhandlung – vorgebracht) werden kann – jedoch bis zum Zeitpunkt der Erlassung der gegenständlichen Entscheidung nicht erstattet wurde, waren hingegen dem Beschwerdeführer entsprechenden Kosten gemäß § 1 Z. 4 der UVS-Aufwandersatzverordnung nicht vorzuschreiben.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweise:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in einer Höhe von insgesamt 13,20 Euro entstanden; ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

 

Dr.  G r o f

 

VwSen-401112/7/Gf/Mu vom 21. Mai 2011

Erkenntnis

EMRK Art5;
PersFrBVG Art1;
FPG 2005 §77 Abs3, §83;
AVG §79a;
EGRC Art1

Rechtssatz 1
Die Anordnung gelinderer Mittel bedingt das grundsätzliche, durch entsprechende konkrete Kriterien objektivierbare Vertrauen, dass sich der Fremde zum Zeitpunkt der Durchführung der Abschiebung der Behörde zur Verfügung hält, dh für diese auch faktisch greifbar ist. Im Ergebnis bestehen daher keine Bedenken gegen eine Schubhaftverhängung bei illegaler Einreise, der Verschweigung essentieller Fakten (Personalia, Reiseroute), der Nichtmitwirkung am Verfahren, der Nichtvorlage von Reisedokumenten, der Weigerung zum freiwilligen Verlassen des Bundesgebietes, etc, wenn der Fremde gleichzeitig weder über finanzielle Mittel, eine Unterkunftsmöglichkeit noch über verifizierbare soziale Kontakte verfügt.

Rechtssatz2
Die Freiheit der Person stellt zwar ein hohes und für das Funktionieren einer Demokratie unverzichtbares Gut dar; diese kann jedoch nicht schrankenlos gewährleistet sein, wie die materiellen Vorbehalte in Art5 Abs1 EMRK und Art1 Abs2 PersFrBVG zeigen. Die Grenzziehung zwischen Freiheitsgewährung und deren Einschränkung verkörpert daher eine rechtspolitische Entscheidung des einfachen Gesetzgebers. Da das FPG 2005 insoweit bisher vom Verfassungsgerichtshof in zahlreichen Anlassfällen unbeanstandet geblieben ist, haben die Vollzugsorgane davon ausgehend lediglich zu beurteilen, ob die Anwendung dieser Gesetze im Einzelfall rechtmäßig erfolgte; ob hingegen die im FPG 2005 vorgenommene Abwägung auch in Art5 Abs1 litf EMRK ihre Deckung findet, kann letztlich nur der Bf vor dem EGMR relevieren, weil dem Oö Verwaltungssenat insoweit keine Antragslegitimation zukommt.

Rechtssatz 3
Je nach subjektiver Überzeugung kann auch die Auffassung vertreten werden, dass eine Inhaftierung von Asylsuchenden als eine menschenunwürdige Maßnahme anzusehen ist. Hierbei handelt es sich jedoch um eine ethisch-moralische Qualifikation, die als entsprechende Wertentscheidung bereits in die vom Fremdenrechtsgesetzgeber konkret getroffene rechtspolitische Abwägung eingeflossen ist, sodass ihr angesichts des Umstandes, dass die EMRK und damit auch die österreichische Verfassung – anders als etwa Art1 Abs1 des Grundgesetzes für die BRD – kein spezifisches Grundrecht der Menschenwürde enthalten (vgl aber nunmehr Art1 EGRC, der jedoch – jedenfalls solange Art19 Abs4 Dublin-V und Art20 Abs2 Dublin-V geltendes Recht darstellen – innerstaatlich deshalb keinen Anwendungsvorrang beanspruchen kann, weil diese Bestimmungen der Dublin-V ersichtlich die Möglichkeit der Inhaftierung von Asylwerbern voraussetzen), letztlich keine eigenständige rechtliche Relevanz zukommt.  
 
Rechtssatz 4
Kein Kostenersatz aus dem Titel "Gegenschrift", weil eine solche schon begrifflich lediglich in Schriftform vorgelegt werden muss und daher nicht (ausschließlich) mündlich (zB im Rahmen einer Verhandlung) vorgebracht werden kann.


 

Beachte:

Beschwerde gegen vorstehende Entscheidung wurde abgelehnt.

VwGH vom 19.03.2013, Zl.: 2011/21/0141-5

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