Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-420573/39/Gf/Mu

Linz, 27.05.2011

 

E R K E N N T N I S

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mit­glied Dr. Grof über die Beschwerde des x, vertreten durch RA x, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Organe des Polizeidirektors der Stadt Linz am 8. Dezember 2008 nach der am 16. Mai 2011 durchgeführten öffentlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

 

 

I.  Die Festnahme des Beschwerdeführers am 8. Dezember 2008 gegen 10:51 Uhr und dessen nachfolgende Anhaltung bis 20:43 Uhr dieses Tages waren rechtswidrig.

 

II. Darüber hinaus wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK und in seinem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf im
Sinne des Art. 13 EMRK verletzt wurde. 

 

III. Der Bund hat dem Beschwerdeführer einen Kostenaufwand in
einer Höhe von insgesamt 1.672,80 Euro zu ersetzen.

 

 

Rechtsgrundlage:

§ 88 Abs. 2 und 4 SPG; § 67c Abs. 3 AVG; § 79a AVG; § 1 UVS-AufwandersatzVO.

Entscheidungsgründe:

1.1. In seiner am 16. Jänner 2009 – und damit rechtzeitig – per Telefax beim Oö. Verwaltungssenat eingebrachten, (offenkundig) auf Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B‑VG i.V.m. § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG gestützten Beschwerde wendet sich der Rechtsmittelwerber gegen seine am 8. Dezember 2008 von Organen der Polizeiinspektion Linz um ca. 10:51 Uhr erfolgte Festnahme und die nachfolgende, bis 20:43 Uhr dieses Tages dauernde Anhaltung im PAZ Linz.

 

Begründend wird dazu vorgebracht, dass sich der Beschwerdeführer unmittelbar vor seiner Festnahme in einem Gastlokal im Hauptbahnhof Linz aufgehalten und dabei beobachten habe können, wie ein Polizeibeamter einen seiner Bekannten festgehalten bzw. festgenommen habe. Da der Grund hierfür für ihn nicht nachvollziehbar gewesen sei, habe er eine entsprechende Unmutsäußerung von sich gegeben. Unmittelbar darauf sei auch er selbst von einem Polizeibeamten grundlos festgenommen und ins Polizeianhaltezentrum (PAZ) Linz verbracht worden.

 

Durch diese eigenmächtige, weder auf der Anordnung eines Richters noch eines Staatsanwaltes beruhenden Vorgangsweise sei er in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art. 3 EMRK und Art. 5 EMRK sowie in seinen Rechten nach § 35 VStG und § 81 des Sicherheitspolizeigesetzes verletzt worden, weshalb die kostenpflichtige Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Maßnahmen beantragt wird.

1.2. Der Polizeidirektor der Stadt Linz hat als belangte Behörde den Bezug habenden Verwaltungsakt (Zl. P-0143) vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, mit der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Begründend wird dazu im Wesentlichen vorgebracht, dass sich der zum Vorfallszeitpunkt offensichtlich deutlich alkoholisierte (lt. Untersuchungsprotokoll des Amtsarztes: 2,38) Beschwerdeführer in die gegen einen anderen Lokalgast geführte Amtshandlung eingemengt und dabei das einschreitende Sicherheitsorgan durch das Hochheben eines Sessels bedroht habe. Daher sei auch gegen den Rechtsmittelwerber – nämlich wegen versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt – die Festnahme, und zwar gemäß § 170 Abs. 1 Z. 1 der Strafprozessordnung, ausgesprochen worden. In der Folge sei er mit am Rücken gefesselten Händen in das Polizeianhaltezentrum Linz verbracht und nach seiner Einvernahme in den Abendstunden dieses Tages wieder entlassen worden.

2. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der BPD Linz zu Zl. P-0143 sowie im Wege der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung am 16. Mai 2011, zu der als Parteien einerseits der Beschwerde­führer und dessen Rechtsvertreter x sowie andererseits x als Vertreter der belangten Behörde und die Zeugen x (PI Linz), x (Köchin im Gastlokal) und x (Bekannte des Rechtsmittelwerbers) erschienen sind; der Zeuge x (Bekannter des Rechtsmittelwerbers) hatte sich hingegen auf Grund eines zum Verhandlungszeitpunkt noch andauernden Kuraufenthaltes entschuldigt, weshalb auf dessen Einvernahme von den Parteien verzichtet wurde.

2.1. Im Zuge dieser Beweisaufnahme wurde folgender entscheidungswesent­licher Sachverhalt festgestellt:

2.1.1. Der Beschwerdeführer befand sich am späteren Vormittag des 8. Dezember 2008 im Lokal "X" des Linzer Hauptbahnhofes. Nachdem er schon im Verlauf des Vorabends mehrere Halbe Bier und dann in diesem Lokal zusätzlich noch einige Seidel Bier konsumiert hatte, war er zum Vorfallszeitpunkt gegen 10.45 Uhr – auch von ihm selbst unbestritten – stark alkoholisiert.

Im Lokal befanden sich auch zwei seiner Bekannten – nämlich der vierte Zeuge und die dritte Zeugin als damalige Lebensgefährtin des Letzteren –, mit denen er sich bereits am Vorabend bei einem Konzertbesuch im Linzer X getroffen hatte. Weil auch diese beiden Bekannten damals offensichtlich stark alkoholisiert und an einem Tisch eingeschlafen waren, wurden sie von der Kellnerin des Lokales verwiesen. Da sie jedoch keine Anstalten machten, dieser Aufforderung Folge zu leisten, wandte sich die Kellnerin an den ersten Zeugen, der in der Polizei­inspektion Hauptbahnhof stationiert ist, sich in einer Dienstpause Zigaretten gekauft hatte und sich daher zufällig gerade in der Nähe des Lokales befand. Er war mit seiner Uniform bekleidet, trug zu diesem Zeitpunkt jedoch über seinem Hemd seine Privatjacke. Nach einer kurzen Beobachtungsphase ersuchte er die dritte Zeugin, auf ihren Begleiter – den vierten Zeugen – dahin einzuwirken, dass beide das Lokal verlassen.

Als die dritte Zeugin versuchte, ihren Begleiter wachzurütteln und ihm dabei mitteilte, dass sie das Lokal verlassen sollen, erhob sich dieser unvermittelt und fragte danach, von wem denn diese Anordnung komme. Darauf hin schob der erste Zeuge seine Jacke zur Seite, sodass die entsprechende Aufschrift auf seinem Uniformhemd zu sehen war und sagte in etwa: "Die Polizei; da steht es !" Als unmittelbare Reaktion darauf versetzte ihm der vierte Zeuge jedoch umgehend mehrere Faustschläge gegen den Kopf und trat gegen dessen Füße. Inzwischen hatte die Kellnerin die zweite Zeugin, die als Köchin im Lokal arbeitet, herbeigeholt, war aber selbst in der Küche geblieben. Gemeinsam gelang es dem ersten Zeugen und der zweiten Zeugin schließlich, den randalierenden vierten Zeugen zu Boden zu bringen und ihn dort einigermaßen ruhig zu stellen.

Inzwischen hatte sich auch der Beschwerdeführer, der zunächst von der Bar aus – d.h. etwa zwei bis drei Meter entfernt – den Vorfall beobachtet hatte, genähert, wobei er zum ersten Zeugen in etwa sagte: "Lass' ihn aus !" Dabei hob er auch einen Sessel in die Höhe, was vom ersten Zeugen als Drohgebärde aufgefasst wurde. Dieser schrie daher den Beschwerdeführer an, dass er schauen solle, dass er weiterkomme. Darauf hin hob der Beschwerdeführer den Sessel kurzzeitig noch etwas an; als er dann jedoch sah, dass gerade die mittlerweile vom ersten Zeugen per Funk herbeigerufene polizeiliche Verstärkung eintraf, stellte er den Sessel wieder auf den Boden.

In weiterer Folge hat der erste Zeuge zunächst die Festnahme des vierten Zeugen und sodann gegen 10:51 Uhr auch die des Beschwerdeführers angeordnet, letztere etwa mit den an seine Kollegen gerichteten Worten: "Der fährt auch mit, weil er mich angegriffen hat !" Die Festnahme des Beschwerdeführers wurde sodann von einem Kollegen des ersten Zeugen durchgeführt, indem er dem Rechtsmittelwerber Handschellen anlegte.

Sodann wurden der vierte Zeuge und der Beschwerdeführer in das PAZ Linz überstellt, wo eine erkennungsdienstliche Behandlung, eine amtsärztliche Untersuchung und eine niederschriftliche Einvernahme durchgeführt wurden. Gegen 20.43 Uhr wurde dann die Festnahme und Anhaltung wieder aufgehoben.

2.1.2. Diese Sachverhaltsfeststellungen gründen sich auf den Inhalt des von der belangten Behörde vorgelegten, aus dem "Amtsvermerk" der PI Linz/Hauptbahnhof vom 8. Dezember 2008, Zl. D1/63549/2008-Gan, samt Niederschriften und Abschlussbericht bestehenden Aktes zu Zl. P-0143 (auf dessen Verlesung im Zuge der mündlichen Verhandlung von den Parteienvertretern einvernehmlich verzichtet wurde), insbesondere auch auf die bereits in diesem enthaltenen Beschuldigten-, Opfer- und Zeugeneinvernahmen, sowie auf die jeweils glaubwürdigen, in sich schlüssigen und – soweit entscheidungsrelevant – im Wesentlichen sowohl wechselseitig als auch mit den jeweils entsprechenden, bereits im Akt der belangten Behörde enthaltenen Niederschriften übereinstimmenden Aussagen der in der öffentlichen Verhandlung einvernommenen Zeugen.

Soweit diese hingegen insoweit differieren, als sich aus der noch am Vorfallstag erfolgten Einvernahme der zweiten Zeugin durch die BPD Linz ableiten lässt, dass das Hochheben des Sessels durch den Beschwerdeführer nicht gegen den ersten Zeugen, sondern gegen einen seiner Kollegen gerichtet gewesen sei, während sie in der nunmehrigen Verhandlung vor dem Oö. Verwaltungssenat angegeben hat, dass der Rechtsmittelwerber mit dieser Handlung dezidiert den ersten Zeugen bedroht habe, trifft es zwar zu, dass erfahrungsgemäß eine in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Geschehen abgelegte Aussage bezüglich ihres Wahrheitsgehaltes grundsätzlich höher einzuschätzen ist als der Inhalt einer späteren Einvernahme; dies gilt insbesondere dann, wenn bereits mehrere Jahre zwischen diesen Zeitpunkten liegen. Allerdings ist dabei auch zu beachten, dass der erste Zeuge in diesem Zusammenhang angegeben hat, dass die zweite Zeugin in seine Richtung geblickt hat und den neben bzw. hinter ihr stehenden Beschwerdeführer nicht durchgängig in ihrem Blickfeld hatte, sodass es jedenfalls nicht ausgeschlossen ist, dass die Drohung mit dem erhobenen Sessel sowohl dem ersten Zeugen als auch einem seiner Kollegen gegolten und sich nur Letzterer davon "unbeeindruckt" zeigte (wobei es sich auch insoweit lediglich um eine subjektive Einschätzung der zweiten Zeugin handelte). Unabhängig davon ist es aus rechtlicher Sicht aber auch irrelevant, ob sich die Drohung mit dem erhobenen Sessel sowohl gegen den ersten Zeugen als auch gegen einen seiner Kollegen oder nur gegen Letzteren richtete; dass er den Sessel jedenfalls hochgehoben hatte, wird hingegen auch vom Beschwerdeführer selbst gar nicht in Abrede gestellt.

 

Ergänzend wird schließlich das Protokoll über die Verhandlung vor dem Oö. Verwaltungssenat (ONr. 37 des h. Aktes) zum integrierenden Bestandteil der Begründung dieser Entscheidung erklärt.

 

2.2. Gemäß § 67a AVG hatte der Oö. Verwaltungssenat über die vorliegende Beschwerde durch ein Einzelmitglied zu entscheiden.

 

 

 

3. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

 

 

3.1. Rechtsgrundlagen

 

 

3.1.1. Nach Art. 5 Abs. 1 lit. c EMRK darf einem Menschen die Freiheit u.a. nur dann und in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise entzogen werden, wenn er zum Zweck der Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird, sofern ein hinreichender Verdacht dafür besteht, dass er eine strafbare Handlung begangen hat oder begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, ihn an der Flucht nach einer solchen zu hindern.

 

Art. 1 Abs. 3 PersFrBVG ordnet darüber hinaus an, dass der Entzug der persönlichen Freiheit nur gesetzlich vorgesehen werden darf, wenn dies nach dem Zweck der Maßnahme notwendig ist, und ein solcher im konkreten Fall nur dann erfolgen darf, wenn und soweit dies nicht zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht.

 

Gemäß Art. 1 Abs. 4  PersFrBVG ist derjenige, der festgenommen oder angehalten wird, unter Achtung der Menschenwürde und mit möglichster Schonung der Person zu behandeln; er darf nur solchen Beschränkungen unterworfen werden, die dem Zweck der Anhaltung angemessen oder zur Wahrung von Sicherheit und Ordnung am Ort seiner Anhaltung notwendig sind.

 

3.1.2. Nach § 269 des Strafgesetzbuches, BGBl.Nr. 60/1974, in der zum Vorfallszeitpunkt maßgeblichen Fassung BGBl.Nr. I 109/2007 (im Folgenden: StGB), beging u.a. derjenige eine gerichtlich strafbare Handlung und war hierfür mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen, der einen Beamten mit Gewalt oder durch eine gefährliche Drohung an einer Amtshandlung hinderte. Dabei war unter einer "gefährlichen Drohung" gemäß § 107 Abs. 1 StGB eine solche Handlung, durch die ein anderer in Furcht und Unruhe versetzt wird, bzw. unter einer "Amtshandlung" nach § 269 Abs. 3 StGB (nur) eine solche Handlung, durch die der Beamte als Organ der Hoheitsverwaltung oder der Gerichtsbarkeit eine Befehls- oder Zwangsgewalt ausübte, zu verstehen.

 

Gemäß § 170 Abs. 1 Z. 1 der Strafprozessordnung, BGBl.Nr. 631/1975, in der zum Vorfallszeitpunkt maßgeblichen Fassung BGBl.Nr. 109/2007 (im Folgenden: StPO), war die Festnahme einer Person, die der Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung verdächtig ist, u.a. auch dann zulässig, wenn sie auf frischer Tat betreten wurde. Nach § 171 Abs. 1 StPO war die Festnahme grundsätzlich seitens der Staatsanwaltschaft auf der Grundlage einer gerichtlichen Bewilligung anzuordnen und von der Kriminalpolizei – dazu zählten nach § 18 Abs. 2 StPO auch die Sicherheitsbehörden und die diesen beigegebenen Organe des öffent­lichen Sicherheitsdienstes – durchzuführen. Davon abweichend war die Kriminalpolizei gemäß § 171 Abs. 2 Z. 1 StPO u.a. in den Fällen des § 170 Abs. 1 Z. 1 StPO dazu berechtigt, einen Beschuldigten – hierzu zählt nach § 48 Abs. 1 Z. 1 StPO jede Person, die auf Grund bestimmter Tatsachen konkret verdächtig ist, eine strafbare Handlung begangen zu haben, sobald gegen sie wegen dieses Verdachts ermittelt oder Zwang ausgeübt wird – von sich aus festzunehmen, wenn wegen Gefahr in Verzug eine Anordnung der Staatsanwaltschaft nicht rechtzeitig eingeholt werden konnte.

 

Eine Festnahme und Anhaltung war jedoch gemäß § 170 Abs. 3 StPO nicht zulässig, soweit diese zur Bedeutung der Sache i.S.d. § 5 Abs. 1 und 2 StPO außer Verhältnis stand. Danach durfte u.a. auch die Kriminalpolizei allgemein bei der Ausübung von Befugnissen nur soweit in Rechte von Personen eingreifen, als dies gesetzlich ausdrücklich vorgesehen und zur Aufgabenerfüllung erforderlich war; jede dadurch bewirkte Rechtsgutbeeinträchtigung musste in einem angemessenen Verhältnis zum Gewicht der Straftat, zum Grad des Verdachts und zum angestrebten Erfolg stehen (Abs. 1); unter mehreren zielführenden Ermittlungshandlungen und Zwangsmaßnahmen hatte u.a. auch die Kriminalpolizei jene zu ergreifen, welche die Rechte der Betroffenen am Geringsten beeinträchtigte; gesetzlich eingeräumte Befugnisse waren in jeder Lage des Verfahrens in einer Art und Weise auszuüben, die unnötiges Aufsehen vermied, die Würde der betroffenen Personen achtete und deren Rechte und schutzwürdige Interessen wahrte (Abs. 2).

 

Lediglich bezüglich Verbrechen, für die nach dem Gesetz auf eine mindestens zehnjährige Freiheitsstrafe zu erkennen war, sah § 170 Abs. 2 StPO i.d.R. eine verpflichtende Festnahme vor.

 

3.1.3. Nach § 81 Abs. 1 des Sicherheitspolizeigesetzes, BGBl.Nr. 566/1991, in der zum Vorfallszeitpunkt maßgeblichen Fassung BGBl.Nr. I 4/2008 (im Folgenden: SPG), beging derjenige eine Verwaltungsübertretung, der durch ein besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt störte.

 

Gemäß § 35 VStG durften die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes Personen, die auf frischer Tat betreten werden, zum Zweck ihrer Vorführung vor die Behörde (alternativ) festnehmen, wenn der Betretene dem anhaltenden Organ unbekannt ist, sich nicht ausweist und seine Identität auch sonst nicht sofort feststellbar ist (Z. 1), wenn begründeter Verdacht besteht, dass er sich der Strafverfolgung zu entziehen suchen werde (Z. 2) oder wenn der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht (Z. 3).

 

Im Wege einer Spezialbestimmung zu § 35 Z. 3 VStG war jedoch gemäß § 81 Abs. 2 und 3 SPG von der Festnahme eines Menschen, der bei einer Störung der öffentlichen Ordnung auf frischer Tat betreten wurde und der trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrte oder sie zu wiederholen beabsichtigte, abzusehen, wenn die Fortsetzung oder Wiederholung der Störung durch die Anwendung gelinderer Mittel, nämlich durch die Wegweisung des Störers vom öffentlichen Ort und/oder durch das Sicherstellen von Sachen, die für die Wiederholung der Störung benötigt wurden, verhindert werden konnte.

 

 

3.2. Rechtliche Beurteilung

 

 

3.2.1. Im gegenständlichen Fall ist allseits unbestritten, dass der erste Zeuge und seine von ihm per Funk herbeigerufenen Kollegen deshalb eingeschritten, sind, um eine in einem Gastlokal im Linzer Hauptbahnhof in Gange befindliche Störung der öffentlichen Ordnung – zunächst durch den Bekannten des Beschwerdeführers, dann durch den Rechtsmittelwerber selbst – zu beenden. Insoweit übten sie sowohl i.S.d. Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG i.V.m. § 67a Z. 2 AVG als auch i.S.d. § 269 Abs. 3 StGB als Organe der Hoheitsverwaltung jeweils Befehls- und Zwangsgewalt aus.

 

3.2.1.1. Eine solche Amtshandlung war gegen den Bekannten des Beschwerdeführers bereits im Gange, als der Rechtsmittelwerber den einschreitenden Polizeibeamten dazu aufforderte: "Lass' ihn [gemeint: seinen Bekannten] aus !" und dabei einen Sessel hochhob. Dass dieses Hochheben des Stuhles nicht nur vom ersten Zeugen und/oder von einem seiner Kollegen, sondern unter derartigen Umständen auch objektiv als eine Handlung, die i.S.d. § 107 Abs. 1 StGB geeignet ist, einen anderen in Furcht und Unruhe zu versetzen und damit als eine gegen sie gerichtete Drohung – dass dieser Verhaltensweise hingegen eine anders motivierte Intention zu Grunde lag, wurde auch vom Beschwerdeführer selbst gar nicht vorgebracht – sowie davon ausgehend jedenfalls vertretbar als Widerstand gegen die Staatsgewalt i.S.d. § 269 Abs. 1 StGB anzusehen war, kann keinem vernünftigen Zweifel begegnen.

 

3.2.1.2. Da somit eine Betretung des Rechtsmittelwerbers auf frischer Tat vorlag, war sohin gemäß § 171 Abs. 2 Z. 1 i.V.m. § 170 Abs. 1 Z. 1 StPO zwar grundsätzlich auch dessen Festnahme durch die einschreitenden Sicherheitsorgane aus eigener Macht – weil diese im gegebenen Zusammenhang als "Kriminalpolizei" i.S.d. § 18 Abs. 2 StPO anzusehen waren – zulässig.

 

3.2.1.3. Es bleibt jedoch zu prüfen, ob diese Festnahme auch i.S.d. § 170 i.V.m. § 5 StPO verhältnismäßig war, d.h., ob sie das gelindeste zur Zielerreichung geeignete Mittel darstellte.

 

3.2.1.3.1. In der Verhandlung vor dem Oö. Verwaltungssenat hat sich zweifelsfrei ergeben, dass der Beschwerdeführer sein im Hinblick auf § 269 Abs. 1 StGB deliktisches Verhalten (Hochheben des Stuhles) bereits eine gewisse Zeit vor seiner Festnahme eingestellt gehabt hatte (vgl. z.B. S. 7 des Verhandlungsprotokolles [ONr. 37 des h. Aktes]: "hat er den Sessel wieder auf den Boden gestellt und ist zurück an die Bar gegangen"). Seine Festnahme konnte daher nicht mehr dem Zweck dienen, diese rechtswidrige Handlung zu beenden.

 

In ihrer Gegenschrift (S. 5) hat die belangte Behörde vorgebracht, dass die Festnahme des Rechtmittelwerbers auch aus Gründen der Eigensicherung der einschreitenden Beamten erforderlich gewesen sei. Diesbezüglich haben sich jedoch in der öffentlichen Verhandlung, insbesondere auch auf Grund der Aussage des ersten Zeugen, keine Hinweise dafür ergeben, dass in Bezug auf den Beschwerdeführer – im Gegensatz zu seinem Bekannten (dem vierten Zeugen), der dem ersten Zeugen Faustschläge und Tritte verabreicht hatte – irgendein Anhaltspunkt dahin vorlag, dass von diesem zu jenem nach dem Hochheben des Sessels gelegenen Zeitpunkt noch eine Gefahr hätte ausgehen können. Dem entsprechend wurde dieses Argument selbst vom Vertreter der belangten Behörde weder in der Verhandlung angesprochen noch in anderer Form weiter aufrecht erhalten.

 

Schließlich diente die Festnahme und anschließende Verbringung zur BPD Linz offenkundig aber auch dem Zweck der Feststellung der Identität des Beschwerdeführers sowie der Durchführung einer erkennungsdienstlichen Behandlung, einer amtsärztlichen Untersuchung und dessen niederschriftlicher Einvernahme als Beschuldigter in einem gerichtlichen Strafverfahren. Insoweit erweist sich die Festnahme und Anhaltung abstrakt besehen fraglos als ein zur Zweckerreichung geeignetes Mittel.

 

3.2.1.3.2. Unter den damals konkret gegebenen Verhältnissen war deren Anwendung jedoch nicht verhältnismäßig i.S.d. § 5 StPO:

 

Danach darf die Kriminalpolizei bei der Ausübung von Befugnissen und bei der Aufnahme von Beweisen u.a. nämlich nur soweit in Rechte von Personen eingreifen, als dies zur Aufgabenerfüllung erforderlich ist; jede dadurch bewirkte Rechtsgutbeeinträchtigung muss in einem angemessenen Verhältnis zum Gewicht der Straftat, zum Grad des Verdachts und zum angestrebten Erfolg stehen (§ 5 Abs. 1 StPO). Unter mehreren zielführenden Ermittlungshandlungen und Zwangsmaßnahmen hat die Kriminalpolizei jene zu ergreifen, welche die Rechte der Betroffenen am Geringsten beeinträchtigt; gesetzlich eingeräumte Befugnisse sind in jeder Lage des Verfahrens in einer Art und Weise auszuüben, die unnötiges Aufsehen vermeidet, die Würde der betroffenen Personen achtet und deren Rechte und schutzwürdige Interessen wahrt (§ 5 Abs. 2 StPO).

 

Die Freiheit der Person stellt ein hohes, für das Funktionieren einer Demokratie unverzichtbares Rechtsgut dar, dessen Beeinträchtigung – wie sich schon aus den §§ 1 ff PersFrBVG ergibt – nur als ultima-ratio-Maßnahme zulässig ist.

 

Davon ausgehend liegt im gegenständlichen Fall auf der Hand, dass den einschreitenden Organen auch andere, wesentlich weniger einschneidende Maßnahmen zur Zielerreichung zur Verfügung gestanden wären. De facto wurde jedoch hier seitens der Polizeibeamten – mangels entsprechender gegenteiliger Hinweise – offensichtlich nicht einmal versucht, die Identität des Beschwerdeführers z.B. im Wege eines amtlichen Lichtbildausweises festzustellen. Wäre dies nämlich erfolgt, so hätte festgestanden, dass der Rechtsmittelwerber in der näheren Umgebung polizeilich gemeldet und auch tatsächlich aufhältig ist, sodass angesichts der offensichtlichen Geringfügigkeit des ihm angelasteten Deliktes ersichtlich keine triftigen Gründe dagegen gesprochen hätten, dessen erkennungsdienstliche Behandlung und niederschriftliche Einvernahme nach entsprechender Vorladung zu einem späteren Zeitpunkt – zu dem der Rechtsmittelwerber zudem wieder nüchtern gewesen wäre und zugleich auch im Beisein seines Rechtsvertreters hätte erscheinen können – durchzuführen.

 

Vor diesem Hintergrund lässt sich somit aus dem Blickwinkel des § 5 StPO schon die in einem öffentlichen Lokal durchgeführte Festnahme nicht rechtfertigen; dies gilt umso mehr für das Anlegen von Handschellen und die nachfolgende Anhaltung in Polizeigewahrsam in einer Gesamtdauer von knapp 10 Stunden (vgl. dazu jüngst auch VfGH vom 2. Mai 2011, B 1220/10).

 

3.2.2. Im gegenständlichen Fall ist weiters im Ergebnis unbestritten, dass der Rechtsmittelwerber dadurch, dass er im vorfallsgegenständlichen Gastlokal randalierte, jedenfalls vertretbar den Verdacht der ungerechtfertigten Störung der öffentlichen Ordnung i.S.d. § 81 Abs. 1 SPG erregt hatte.

 

3.2.2.1. Da somit auch insoweit eine Betretung auf frischer Tat vorlag, war sohin zu prüfen, ob die Festnahme im gegenständlichen Fall auf § 35 Z. 1 und/oder Z. 2 VStG gestützt werden konnte. Danach dürfen die einschreitenden Sicherheitsorgane eine Person, die auf frischer Tat betreten wurde, zum Zweck ihrer Vorführung vor die Behörde dann festnehmen, wenn ihnen diese unbekannt ist, sich nicht ausweist und ihre Identität auch sonst nicht sofort feststellbar ist (Z. 1) oder der begründete Verdacht besteht, dass sich diese der Strafverfolgung zu entziehen versuchen wird.

 

3.2.2.2. Diesbezüglich gilt das bereits zuvor Ausgeführte:

 

Im gegenständlichen Fall wurde – mangels entsprechender gegenteiliger Hinweise – seitens der Sicherheitsorgane offensichtlich nicht einmal versucht, die Identität des Beschwerdeführers z.B. im Wege eines amtlichen Lichtbildausweises festzustellen (vgl. schon oben, 3.2.1.3.2.). Wäre dies jedoch erfolgt, so hätte festgestanden, dass der Rechtsmittelwerber in der näheren Umgebung gemeldet und auch tatsächlich aufhältig ist, sodass unmittelbar klar geworden wäre, dass keine Gefahr dahin besteht, dass er intendiert, sich künftig in Bezug auf den Verdacht der Ordnungsstörung der Strafverfolgung zu entziehen.

 

Vor diesem Hintergrund lässt sich somit aus dem Blickwinkel des § 35 Z. 1 und Z. 2 VStG i.V.m. § 81 Abs. 1 SPG schon die Festnahme und damit erst recht das diese begleitende Anlegen von Handschellen sowie die nachfolgende Anhaltung des Beschwerdeführers in Polizeigewahrsam in einer Gesamtdauer von knapp 10 Stunden nicht rechtfertigen.

3.3.1. Aus allen diesen Gründen war daher der gegenständlichen Beschwerde gemäß § 67c Abs. 3 AVG stattzugeben und festzustellen, dass die Festnahme des Beschwerdeführers am 8. Dezember 2008 gegen 10:51 Uhr und dessen nachfolgende Anhaltung bis 20:43 Uhr rechtswidrig war.

3.3.2. Angesichts dessen, dass der Beschwerdeführer seinen Rechtsbehelf im vorliegenden Fall bereits am 16. Jänner 2009 eingebracht hat, darüber jedoch – ungeachtet des Umstandes, dass § 73 Abs. 1 AVG hierfür bloß eine Höchsterledigungsfrist von 6 Monaten vorsieht – de facto erst nach knapp 21/2 Jahren eine
öffentliche Verhandlung durchgeführt wurde und somit über die Beschwerde (mit dem gegenständlichen Erkenntnis) erst nach ebenso langer Zeit entschieden wird, obwohl in deren Zuge (wie der substantielle Teil der Begründung der Entscheidung des VfGH vom 16. Dezember 2010, G 259/09 u.a., zeigt [vgl. die Punkte 2.5.1. bis 2.5.4.]) weder eine komplexe Sach- oder Rechtsfrage, sondern ledig eine formell-organisatorische Problemstellung zu klären war, war i.S. der nunmehr ständigen Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (vgl. z.B. EGMR v. 28. Jänner 2011, 20087/06, RN 34, und vom 20. Mai 2010, 28571/06, RN 26 ff und 39 ff; s.a. VfGH vom 9. März 2011, B 1085/10, m.w.N.) darüber hinaus festzustellen, dass der Rechtsmittelwerber im Ergebnis auch in seinem Recht auf ein faires Verfahren i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK und auf einen wirksamen Rechtsbehelf i.S.d. Art. 13 EMRK verletzt wurde. 

4. Bei diesem Verfahrensergebnis war dem gemäß § 79a Abs. 1 und Abs. 2 AVG als obsiegend anzusehenden Beschwerdeführer nach § 79a Abs. 4 Z. 1 und 3 AVG i.V.m. § 1 Z. 1 und 2 der UVS-Aufwandsersatzverordnung, BGBl.Nr. II 456/2008 (im Folgenden: UVS-AufwandersatzVO), ein Kostenersatz in Höhe von insgesamt 1.672,80 Euro (Schriftsatzaufwand: 737,60 Euro; Verhandlungsaufwand: 922,00 Euro; Gebühren: 13,20 Euro) zuzusprechen.

 

Rechtsmittelbelehrung:

 

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweise:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in einer Höhe von 13,20 Euro entstanden; ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

Dr.  G r o f

 

VwSen-420573/39/Gf/Mu vom 27. Mai 2011

Erkenntnis

 

B-VG Art129a Abs1 Z2;

B-VG Art129a Abs1 Z3;

EMRK Art5;

EMRK Art6;

EMRK Art13;

PersFrBVG Art1;

StGB §269 Abs1 und 3;

StPO §5;

StPO §171 Abs2 Z1;

SPG §81 Abs1;

AVG §73 Abs1;

VStG §35

 

 

Rechtssatz 1

Eine Festnahme durch Sicherheitsorgane aus eigener Macht zum Zweck der Identitätsfeststellung und niederschriftlichen Einvernahme ist unverhältnismäßig iSd § 5 StPO, wenn der Bf zum Festnahmezeitpunkt sein im Hinblick auf § 269 Abs1 StGB (Widerstand gegen die Staatsgewalt) deliktisches Verhalten bereits eingestellt hatte und am Ort der Betretung nicht einmal versucht wurde, seine Identität durch andere Mittel – zB Aufforderung zur Ausweisleistung – festzustellen.

Aus denselben Gründen konnte die Festnahme auch nicht auf § 35 Z1 und 2 VStG iVm §81 Abs1 SPG (Ordnungsstörung) gestützt werden.

 

Rechtssatz 2

Der Bf ist in seinem Recht auf ein faires Verfahren iSd Art 6 Abs1 EMRK und auf einen wirksamen Rechtsbehelf iSd Art 13 EMRK im Hinblick darauf verletzt, weil über seine Beschwerde – für die § 73 Abs1 AVG eine Höchsterledigungsfrist von 6 Monaten vorsieht – tatsächlich erst nach knapp 2 1/2 Jahren entschieden wird, obwohl (wie das Erkenntnis des VfGH 16.12.2010, G 259/09 ua, zeigt) weder eine komplexe Sach- oder Rechtsfrage, sondern lediglich eine formell-organisatorische Problemstellung zu klären war.

 

 

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