Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-231252/2/Gf/Rt

Linz, 26.05.2011

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Grof über die Berufung des x, vertreten durch RA x, gegen das Straferkenntnis des Polizeidirektors der Stadt Linz vom 22. April 2011, Zl.
S-11/11-2, wegen einer Übertretung des Fremdenpolizeigesetzes zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird insoweit stattgegeben, als das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben wird.

II. Der Berufungswerber hat weder einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch einen Kostenbeitrag für das Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat zu leisten.

Rechtsgrundlagen:

§ 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG; § 66 Abs. 1VStG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Straferkenntnis des Polizeidirektors der Stadt Linz vom 22. April 2011, Zl. S-11/11-2, wurde über den Rechtsmittelwerber eine Geld­strafe in Höhe von 100 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe: 12 Stunden; Verfahrenskostenbeitrag 10 Euro) verhängt, weil er sich als Fremder seit dem 14. September 2010 unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Dadurch habe er eine Übertretung des § 120 Abs. 1 Z. 2 i.V.m. § 31 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 135/2009 (im Folgenden: FPG) begangen, weshalb er gemäß § 120 Abs. 1 Z. 2 FPG zu bestrafen gewesen sei.

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass sich nach den von der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungen keine Anhaltspunkte ergeben hätten, die geeignet gewesen wären, den Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich als legal anzusehen. Insbesondere folge aus der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH), dass im Hinblick auf den Schutz der öffentlichen Ordnung ein hohes Interesse an der Einhaltung der die Ein- und die Ausreise regelnden Rechtsvorschriften bestehe.

Im Zuge der Strafbemessung sei seine bisherige Unbescholtenheit als mildernd zu werten gewesen, während Erschwerungsgründe nicht hervorgekommen seien. Seine Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse seien mangels entsprechender Mitwirkung von Amts wegen zu schätzen gewesen.

1.2. Gegen dieses ihm am 27. April 2011 zugestellte Straferkenntnis richtet sich die vorliegende, am 5. Mai 2011 – und damit rechtzeitig – zur Post gegebene Berufung.

Darin wird vorgebracht, dass er sich seit dem 27. Dezember 2001 durchgehend in Österreich aufhalte und am 11. August 2010 beim Magistrat Linz einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen gestellt habe. Da er nach der Judikatur des VwGH die Entscheidung über diesen Antrag im Inland abwarten dürfe, sei sein Aufenthalt seither einer Notstandssituation vergleichbar, sodass ihm sohin auch kein schuldhaftes Verhalten mehr vorgeworfen werden könne. Schließlich sei gegen ihn bisher auch keine Ausweisung oder sonstige aufenthaltsbeendende Maßnahme verfügt worden.

Daher wird die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses und die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens beantragt.

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der BPD Linz zu Zl. S-11/11-2; da sich der maßgebliche Sachverhalt – soweit entscheidungsrelevant – bereits aus diesem klären ließ, mit dem angefochtenen Straferkenntnis eine 500 Euro übersteigende Geldstrafe nicht verhängt wurde und die Verfahrensparteien auch einen entsprechenden Antrag nicht gestellt haben, konnte im Übrigen gemäß § 51e VStG von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

2.2. Weil in dem diesem Verfahren zu Grunde liegenden Straferkenntnis eine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe nicht verhängt wurde, war im Rechtsmittelverfahren ein Einzelmitglied zur Entscheidung zuständig (vgl. § 51c VStG).


3. Über die vorliegende Berufung hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

3.1.1. Gemäß § 120 Abs. 1 Z. 2 FPG begeht derjenige eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von 1.000 Euro bis zu 5.000 Euro zu bestrafen, der sich als Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

Hierzu hat der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 9. März 2011, G 53/10 u.a., einerseits zu Recht erkannt hat, dass die Wortfolge "von 1000 Euro" als verfassungswidrig aufgehoben wird und andererseits unter Heranziehung des Art. 140 Abs. 7 B-VG ausgesprochen, dass "die aufgehobenen Bestimmungen ..... nicht mehr anzuwenden" sind; dieser Ausspruch wurde gemäß Art. 140 Abs. 5 B-VG mit dem am 4. April 2011 ausgegebenen BGBl.Nr. I 17/2011 im Bundesgesetzblatt kundgemacht und ist daher seit dem 5. April 2011 (vgl. Art. 140 Abs. 5 dritter Satz B-VG) nach Art. 140 Abs. 7 erster Satz B-VG "für alle Gerichte und Verwaltungsbehörden" wirksam. Im Gegensatz zu Kompetenzfeststellungserkenntnissen gemäß Art. 138 Abs. 2 B-VG kommt damit einem Ausspruch nach Art. 140 Abs. 7 B-VG nicht der derogatorische Rang eines Verfassungsgesetzes, sondern allenfalls lediglich jener eines einfachen Gesetzes zu.  Davon ausgehend sowie unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das vorzitierte Diktum des VfGH inhaltlich wohl im Sinne einer vom Regelfall abweichenden Anordnung, nämlich dahin zu verstehen ist, dass die aufgehobenen Bestimmungen des FPG nach Art. 140 Abs. 7 zweiter Satz B-VG (auch) auf sämtliche vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände nicht mehr anzuwenden sind, ergibt sich für den hier maßgeblichen Bereich des Berufungsverfahrens, dass der generellen Anordnung des § 1 Abs. 2 VStG entweder durch den Spruch des VfGH derogiert und/oder diese insoweit verfassungskonform, d.h. im Ergebnis dahin zu interpretieren ist, dass auch im Rechtsmittelverfahren die sich erst nach der Fällung des Bescheides in erster Instanz geändert habende, durch die Aufhebung der vorangeführten Wortfolge in § 120 Abs. 1 FPG für den Beschuldigten günstiger gewordene Rechtslage anzuwenden ist. Den am 5. April 2011 oder danach ergehenden Berufungsentscheidungen ist somit die bereinigte Fassung des § 120 Abs. 1 FPG zu Grunde zu legen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Erstbehörde – wie hier – die Aufhebung der Mindeststrafhöhe durch den VfGH bereits aufgrund § 1 Abs. 2 zweiter Halbsatz VStG zu berücksichtigen hatte.

3.1.2. Nach § 31 Abs. 1 FPG halten sich Fremde dann rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während ihres Aufenthalts die zulässige Aufenthaltsdauer nicht überschreiten (Z. 1), wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation ihres Aufenthaltsrechts nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes zum Aufenthalt berechtigt sind (Z. 2), wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind (Z. 3), wenn und solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen zukommt (Z. 4), wenn sie über eine Beschäftigungsbewilligung, eine Entsendebewilligung, eine EU-Entsendebestätigung oder eine Anzeigebestätigung verfügen (Z. 6) oder wenn sich dies aus anderen bundesgesetzlichen Bestimmungen ergibt (Z. 7).

3.2. Mit Blick auf den gegenständlichen Fall hat der Oö. Verwaltungssenat bereits in vergleichbaren Konstellationen (vgl. z.B. VwSen-231202 vom 19. Jänner 2011) ausgesprochen, dass die Strafbarkeit des Fremden zwar gegeben ist; allerdings wurde hinsichtlich der Verschuldensebene auf das Erkenntnis des VfGH vom 7. Oktober 2010, Zl. B 950/10, hingewiesen, mit dem dieser ausgesprochen hat, dass die Ausweisung eines Fremden – selbst wenn sich dieser rechtswidrig im Bundesgebiet aufhält – dennoch das Grundrecht auf Privat- und Familienleben gemäß Art. 8 EMRK verletzt, wenn er infolge seiner langen faktischen Aufenthaltsdauer in Österreich – gegenständlich: 10 Jahre – bereits einen hohen Grad an sozialer Integration aufweist und nicht er das Asylverfahren mutwillig verschleppt hat, sondern dessen unangemessen lange Dauer ausschließlich auf die Ineffizienz der staatlichen Behörden zurückzuführen ist.

Liegen solche Voraussetzungen vor, so kann dem Fremden aber unter dem Aspekt des Art. 8 EMRK i.S.d. § 120 Abs. 1 i.V.m. § 31 Abs. 1 FPG insgesamt auch kein bzw. allenfalls lediglich ein derart geringes Verschulden angelastet werden, dass in der Folge eine Heranziehung des § 21 Abs. 1 VStG geboten ist.

Ob solche Umstände hier gegeben waren, kann dem von der belangten Behörde vorgelegten Akt aber nicht einmal ansatzweise entnommen werden, weil diese – offensichtlich in (unverschuldeter) Unkenntnis der vorgenannten Entscheidung des VfGH – keinerlei in diese Richtung weisenden Erhebungen durchgeführt hat.

Vom Oö. Verwaltungssenat können diese fehlenden Ermittlungen hingegen schon deshalb nicht substituiert werden, weil dieser nach Art. 129 ff B-VG nicht die Verwaltung selbst zu führen, sondern sie lediglich auf die Rechtmäßigkeit ihres Handelns zu kontrollieren hat, sodass ihm im Besonderen auch nicht die Funktion einer Strafverfolgungsbehörde zukommt.

3.3. Aus diesem Grund war daher das angefochtene Straferkenntnis gemäß § 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG aufzuheben.

Eine Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens war hingegen im Hinblick auf die – zumindest teilweise – noch offene Verfolgungsverjährungsfrist nicht zu verfügen; ob bzw. in welchem Umfang das Strafverfahren weitergeführt wird, hat die belangte Behörde vielmehr aus eigenem zu beurteilen.

3.4. Bei diesem Verfahrensergebnis war dem Berufungswerber nach § 66 Abs. 1 VStG weder ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch ein Kostenbeitrag zum Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat vorzuschreiben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

Dr.  G r o f

 

 

 

Rechtssatz:

 

VwSen-231252/2/Gf/Rt vom 26. Mai 2011

 

Art. 140 Abs. 7 B-VG;

§ 120 Abs. 1 FPG;

§ 1 VStG

 

Wie VwSen-231242 vom 13.4.2011

 

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