Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-401075/15/Gf/Mu

Linz, 17.05.2011

 

 

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mit­glied Dr. Grof über die Beschwerde des x, vertreten durch die RAe x, wegen Anhaltung in Schubhaft durch den Bezirkshauptmann von Schärding vom 2. Juli 2010, 14.30 Uhr, bis zum 5. Juli 2010, 6.45 Uhr, zu Recht erkannt:

 

I. Die Beschwerde wird stattgegeben; es wird festgestellt, dass die Anhaltung des Rechtsmittelwerbers vom 2. Juli 2010, 14.30 Uhr, bis zum 5. Juli 2010, 6.45 Uhr, rechtswidrig war.

 

II. Der Bund hat dem Beschwerdeführer Kosten in einer Höhe von insgesamt 761,60 Euro binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

 

Rechtsgrundlage:

§ 67c Abs. 3 AVG; § 79a AVG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Schärding vom 25. Juni 2010, Zl. Sich41-125-2010, wurde über den Rechtsmittelwerber, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 und 3 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 135/2009 (im Folgenden: FPG), zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft verhängt und durch Überstellung in das Polizeianhaltezentrum (PAZ) Steyr bis zum 5. Juli 2010, 6.45 Uhr, vollzogen.

1.2. Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit h. Erkenntnis vom 2. Juli 2010, Zl. VwSen-401074, stattgegeben und die Rechtswidrigkeit der Anhaltung des Beschwerdeführers bis zu diesem Zeitpunkt festgestellt.

1.3. Dieses Erkenntnis wurde den Verfahrensparteien am 2. Juli 2010 um 13.24 Uhr per e-mail zugestellt.

1.4. Mit weiterem Erkenntnis des Oö. Verwaltungssenates vom 20. Juli 2010, Zl. VwSen-401075/5/Gf/Mu, wurde hingegen die Beschwerde des Rechtsmittelwerbers dagegen, dass seine tatsächliche Enthaftung erst am 5. Juli 2010 erfolgt sei, obwohl seine Rechtsvertreter am 2. Juli 2010 nochmals explizit – und zwar sowohl per e-mail (um 16.13 Uhr) als auch per Telefax (um 16.17 Uhr) – dessen umgehende Freilassung begehrt hätten, abgewiesen. 

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass allseits unbestritten feststehe, dass der Oö. Verwaltungssenat mit seinem Erkenntnis vom 2. Juli 2010, Zl. VwSen-401074, i.S.d. § 81 Abs. 1 Z. 2 FPG festgestellt habe, dass die Voraussetzungen für eine weitere Anhaltung des Beschwerdeführers nicht vorliegen. Diese Entscheidung sei – ebenfalls unstrittig – beiden Verfahrensparteien, nämlich den Rechtsvertretern des Beschwerdeführers und der belangten Behörde, noch am selben Tag und zudem zeitgleich um 13.24 Uhr per e-mail übermittelt worden.

Nach der Fiktion des § 37 Abs. 1 zweiter Satz ZustG – die nach h. Auffassung mangels eines gegenteiligen Hinweises im Gesetzestext analog auch für jene Fälle heranzuziehen ist, in denen einer Behörde die Funktion einer Verfahrenspartei zukommt und somit ihr selbst Schriftstücke zuzustellen sind – gelte diese Entscheidung somit zwar als mit diesem Zeitpunkt beiden Parteien zugestellt. Allerdings sei in diesem Zusammenhang zusätzlich auch die Bestimmung des § 13 AVG zu beachten. Danach könnten einer Behörde schriftliche ("Anbringen", also auch) Erledigungen grundsätzlich in jeder technisch möglichen Form – und damit prinzipiell auch per e-mail – übermittelt werden (§ 13 Abs. 2 AVG); die Behörde sei jedoch nur während der Amtsstunden verpflichtet, schriftliche Anbringen entgegen zu nehmen und ihre Empfangsgeräte empfangsbereit zu halten, wobei die Amtsstunden im Internet und durch Anschlag an der Amtstafel bekannt zu machen seien (§ 13 Abs. 5 AVG). Bei Anbringen, die außerhalb dieser Amtsstunden eingebracht werden, würden behördliche Entscheidungsfristen gemäß § 13 Abs. 5 letzter Satz AVG erst mit dem Wiederbeginn der Amtsstunden zu laufen beginnen. Diese Bestimmungen – wie bereits ausgeführt: mangels eines gegenteiligen gesetzlichen Hinweises – auf die Konstellation einer Behörde als Verfahrenspartei analog angewendet würden im gegenständlichen Fall nun dazu führen, dass die Amtsstunden der belangten Behörde im Internet wie folgt kundgemacht waren (und sind):

 

 

            Montags und Donnerstags von 7.00 Uhr bis 12.00 Uhr sowie von 12.30 Uhr bis 17.00 Uhr;

            Dienstags von 7.00 Uhr bis 17.00 Uhr;

            Mittwochs von 7.00 Uhr bis 12.30 Uhr; und

            Freitags von 7.00 Uhr bis 13.00 Uhr

            (vgl. www.bh-schaerding.gv.at [Homepage > Verwaltung > Bezirkshauptmannschaft > BH            Schärding > Kommunikation mit der Bezirkshauptmannschaft Schärding]).

Das am Freitag dem 2. Juli 2010 der belangten Behörde per e-mail zugestellte h. Erkenntnis zu Zl. VwSen-401074 sei bei dieser um 13.24 Uhr und damit erst nach dem Ende der do. Amtsstunden (um 13.00 Uhr) eingelangt. Dies habe nach § 13 Abs. 5 letzter Satz AVG die Konsequenz gehabt, dass die in § 67c Abs. 3 letzter Satz positivierte Frist, den dem vorzitierten Erkenntnis des UVS entsprechenden Rechtszustand "unverzüglich" herzustellen, erst mit dem Wiederbeginn der Amtsstunden und sohin am Montag, den 5. Juli 2010 um 7.00 Uhr zu laufen begonnen habe.

Dem entsprechend erweise sich daher die ohnehin bereits zuvor, nämlich um 6.45 Uhr des letztgenannten Tages verfügte formlose Freilassung des Beschwerdeführers auch nicht als rechtswidrig.

Entgegen der Auffassung des Rechtsmittelwerbers enthielten weder das AVG noch auch (im Wege einer allfälligen, auf Art. 11 Abs. 2 B-VG gegründeten Sonderbestimmung) das FPG eine generelle oder zumindest eine spezifische Verpflichtung für die Fremdenpolizeibehörden, einen Journaldienst zu dem Zweck einzurichten, dass in dem Fall, dass vom Unabhängigen Verwaltungssenat die Anhaltung eines Fremden als rechtswidrig festgestellt wurde, dieser umgehend freigelassen werden kann; auch aus Art. 5 Abs. 4 EMRK (Anspruch auf Beantragung eines Verfahrens, "in dem ehetunlich über die Rechtmäßigkeit der Haft entschieden und im Falle der Widerrechtlichkeit seine Entlassung angeordnet wird") und aus Art. 6 Abs. 1 PersFrSchG (Recht auf ein Verfahren, in dem über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges entschieden und im Falle der Rechtswidrigkeit die Freilassung angeordnet wird, wobei die Entscheidung binnen einer Woche zu ergehen hat) ließe sich Derartiges nicht ableiten.

Dass Art. 6 Abs. 1 letzter Satz PersFrSchG insofern lediglich eine Maximalfrist festlege, und zwar dergestalt, dass dem Fremden die Entscheidung darüber, ob seine Anhaltung rechtmäßig ist oder nicht, jedenfalls innerhalb dieser einen Woche zugestellt sein muss (vgl. z.B. VfGH vom 4. Oktober 1994, B 1847/93 = VfSlg 13893/1994 und vom 29. Juni 1995, B 83/95 = VfSlg 14193/1995), woraus umgekehrt folge, dass dies i.d.R. tunlichst schon früher, d.h. grundsätzlich raschestmöglich zu erfolgen hat, bedeute dem gegenüber aber keinen verfassungsrechtlichen Auftrag, der so weit gehe, dass auch die Enthaftung selbst noch innerhalb dieser Woche vorzunehmen ist und davon ausgehend die Behörde auch außerhalb der von ihr festgelegten Amtsstunden eine dementsprechende Handlungspflicht trifft.

Auch § 80 Abs. 1 FPG, wonach die Behörde dazu angehalten sei, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wir möglich dauert, stehe einer derartigen Sichtweise nicht entgegen. Zudem werde in der Praxis die Maximalfrist des Art. 6 Abs. 1 letzter Satz PersFrSchG i.V.m. § 83 Abs. 2 Z. 2 FPG regelmäßig (wie auch hier) ohnehin gerade dadurch unterschritten, dass für den Fall, dass sich eine Anhaltung in Schubhaft als offenkundig rechtswidrig erweist, eine der postalischen vorangehende (Vorab‑)Zustellung per e-mail erfolge, um auch die faktische Freilassung des Fremden tatsächlich zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu gewährleisten. (So sei hier die Schubhaft seitens der Behörde am 25. Juni 2010 angeordnet, die Beschwerde am 1. Juli 2010 eingebracht, die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit der Anhaltung am 2. Juli 2010 zugestellt und der Rechtsmittelwerber – nur wegen des dazwischen liegenden Wochenendes – am 5. Juli enthaftet worden, wobei offensichtlich ist, dass dessen tatsächliche Freilassung naturgemäß bereits früher erfolgt wäre, wenn er seine Schubhaftbeschwerde nicht erst an einem Donnerstag, also kurz vor Beginn des Wochenendes, sondern [zumindest einen Tag] früher eingebracht hätte.)

1.5. Der gegen diese Entscheidung erhobenen Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 2. Mai 2011, B 1220/10, Folge gegeben und festgestellt, dass der Rechtsmittelwerber dadurch in seinem Recht auf Freiheit und Sicherheit verletzt wurde.

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass eine der noch am selben Tag um 13.24 Uhr vorgenommenen Zustellung der h. Entscheidung vom 2. Juli 2010, Zl. VwSen-401074 folgende Anhaltung des Beschwerdeführers  nur mehr insoweit zulässig gewesen wäre, als sie im Zuge der Vollstreckung dieser Entscheidung unvermeidlich war und sich auf ein Minimum beschränkte, d.h., dass eine durch zwingende äußere Umstände begründete Verzögerung zwar zulässig, eine unnötige Verzögerung der Freilassung jedoch zu vermeiden ist. Mit dem Argument einer bloßen Rufbereitschaft an Wochenenden kann jedoch aus verfassungsrechtlicher Sicht eine Verzögerung der Freilassung im Ausmaß von mehr als 2 Tagen und 17 Stunden nicht begründet werden.   

2. An diese im vorangeführten Erkenntnis des VfGH zum Ausdruck gebrachte Rechtsansicht ist der Oö. Verwaltungssenat gemäß § 87 Abs. 2 VfGG gebunden.

3. Davon ausgehend war der gegenständlichen Beschwerde stattzugeben und nach § 83 Abs. 2 FPG i.V.m. § 67c Abs. 3 AVG antragsgemäß festzustellen, dass die Anhaltung des Rechtsmittelwerbers in Schubhaft vom 2. Juli 2010, 14.30 Uhr, bis zum 5. Juli 2010, 6.45 Uhr, rechtswidrig war.

4. Bei diesem Verfahrensergebnis war der Bund dazu zu verpflichten, dem Beschwerdeführer nach § 79a Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 Z. 1 und 3 AVG i.V.m. § 1 Z. 1 der UVS-Aufwandersatzverordnung, BGBl.Nr. II 456/2008, Kosten in Höhe von insgesamt 761,60 Euro (Gebühren: 24 Euro; Schriftsatzaufwand: 737,60 Euro) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 


Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweise:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

 

 

 

Dr.  G r o f

 

 

VwSen-401075/15/Gf/Mu vom 17. Mai 2011

 

Erkenntnis

 

EMRK Art5 Abs4;

PersFrSchG Art6 Abs1;

FPG 2005 §81;

FPG 2005 §82;

FPG 2005 §83;

AVG §13;

AVG §67c

 

Dass die Schubhaftbehörde während des Wochenendes bloß eine Rufbereitschaft eingerichtet hat, rechtfertigt es nicht, den Fremden bis zum Wiederbeginn der Amtsstunden am Montag in Schubhaft zu belassen, wenn der Schubhaftbehörde die Entscheidung des UVS, mit der die Anhaltung in Schubhaft als rechtswidrig festgestellt wurde, bereits am Freitag – wenngleich erst nach dem Ende der Amtsstunden – zugestellt wurde (vgl VfGH 2. 5. 2011, B 1220/10). 

 

 

 

 

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum