Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-720285/4/BMa/Th

Linz, 10.05.2011

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Gerda Bergmayr-Mann über die Berufung des X Staatsangehöriger von X geb. X gegen den Bescheid des Polizeidirektors der Bundespolizeidirektion Linz vom 18. November 2010, GZ: 1030347/FRB, betreffend die Erlassung eines auf 7 Jahre befristeten Aufenthaltsverbotes zu Recht erkannt:

 

 

Der Berufung wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

 

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG (BGBl. I Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 111/2010), iVm §§ 9 Abs.1, 60 ff und 86 Abs.1 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG (BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 17/2011)

 

 

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid des Polizeidirektors der Bundespolizeidirektion Linz vom 18. November 2010, AZ. 1030347/FRB, zugestellt am 22. November 2010, wurde gegen den Berufungswerber (im Folgenden: Bw) auf der Grundlage des § 86 Abs.1 iVm §§ 63 und 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 (im Folgenden: FPG 2005) ein auf 7 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich erlassen.

 

Gleichzeitig wurde gemäß § 86 Abs.3 FPG 2005 dem Bw von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub – gültig ab Rechtskraft des Bescheides bzw. ab der Haftentlassung des Bw - erteilt.

 

Nach Darlegung des relevanten Sachverhalts und der Beschreibung des Verhaltens der Bw, das zu seinen Verurteilungen geführt hatte, zog die belangte Behörde den Schluss, dass ein weiterer Aufenthalt des Bw im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit nachhaltig und maßgeblich gefährde und das gegenständliche Aufenthaltsverbot erforderlich sei, um das hohe Schutzinteresse des Staates der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen und zum Schutz der Rechte Dritter zu wahren.

 

Die belangte Behörde führte im Wesentlichen aus:

Der Bw sei seit dem Jahr 2001 immer wieder straffällig geworden und insgesamt 11-mal rechtskräftig gerichtlich verurteilt worden. Bei den gerichtlichen Verurteilungen seien unbedingte Freiheitsstrafen ausgesprochen worden. Insbesondere die Verurteilungen wegen Übertretungen des Suchtmittelgesetzes seien als besonders gravierend anzusehen. Schon im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität, insbesondere des Suchtgifthandels, sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbots auch bei ansonsten völliger sozialer Integration eines Fremden dringend geboten, weil das maßgebliche Interesse (an der Verhinderung von strafbaren Handlungen zum Schutz der Gesundheit) in diesen Fällen ungleich schwerer wiege als das private Interesse des Fremden.

Die Erlassung des Aufenthaltsverbots sei nicht unzulässig, weil sich der Bw nicht "von klein auf" in Österreich aufhalte. Zwar hätte dem Bw gem. § 10 Abs.1 StbG 1985 die Staatsbürgerschaft verliehen werden können, der Bw sei jedoch zu einer unbedingten Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt worden.

So sei er am 8. Oktober 2010 – gemäß §§ 31 und 40 StGB unter Bedachtnahme auf LG Wels (Freiheitsstrafe von 10 Monaten) – vom Landesgericht Linz zu einer Zusatzstrafe von 5 Monaten verurteilt worden. Verurteilungen, die zueinander im Verhältnis der §§ 31 und 40 StGB stehen würden, seien als Einheit zu werten. Maßgeblich sei das Gesamtausmaß der in den beiden als Einheit zu wertenden Urteilen verhängten Strafen (VwGH zum FrG vom 13.10.2000, 2000/18/0013).

 

Aufgrund des bisherigen Gesamtverhaltens des Bw könne es keinem Zweifel unterliegen, dass sein persönliches kriminelles Verhalten, auch im Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes, eine tatsächliche gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstelle.

 

Auch wenn davon ausgegangen werden könne, dass beim Bw ein nicht unerhebliches Maß an Integration gegeben und die Erlassung des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes mit einem nachhaltigen und massiven Eingriff in sein Privat- und Familienleben verbunden sei, relativiere sich dieser Eingriff jedoch dahingehend, dass der Bw offensichtlich nicht gewillt sei, die österreichischen Rechtsvorschriften zu akzeptieren.

 

Aufgrund der zahlreichen gerichtlichen Verurteilungen und deren Wertung könne keine günstige Zukunftsprognose getroffen werden. Die nachteiligen Folgen von der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes würden wesentlich schwerer wiegen, als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Bw. Der durch die Verhängung des Aufenthaltsverbotes erfolgende Eingriff ins Privatleben sei zur Erreichung der in Artikel 8 Abs.2 EMRK genannten öffentlichen Interessen dringend geboten.

 

2. Gegen den Bescheid der belangten Behörde, der dem Bw persönlich in der Justizanstalt Ried zugestellt wurde, richtet sich seine rechtzeitig eingebrachte Berufung vom 29. November 2010.

 

Im Berufungsschriftsatz führt der Bw an, er habe seit 1995 einen unbefristeten Aufenthalt in Österreich. In X habe er keine Verwandten, er spreche kaum rumänisch, daher wäre ein Aufenthaltsverbot nicht sinnvoll. Derzeit befinde er sich in der Justizanstalt Ried und unterziehe sich einem Methadonprogramm, das bis April [2011] dauern würde. Werde er nach X ausgewiesen, gebe es für ihn keine Chance "clean" zu bleiben, weil es solche Maßnahmen in Rumänien nicht gebe. Er habe in Österreich einen 9-jährigen Sohn mit einer Österreicherin und daher Sorgepflichten für diesen Sohn. Ein Aufenthaltsverbot würde für seinen Sohn X fatale Folgen haben, dieser sei in psychologischer Betreuung, weil er derzeit (wieder) inhaftiert sei. Ein Aufenthaltsverbot würde seinen Sohn "kaputt" machen.

 

Er sei seit 21 Jahren in Österreich zu Hause, habe hier die Schule und den Hort besucht, ihm komme daher das "Integrationsgesetz" zugute. Der Berufung beigelegt wurde eine Vollmacht, ausgestellt für seine Mutter sowie eine Haftbestätigung, dass er sich voraussichtlich bis 27. September 2011 in Haft befinden werde.

Mit dieser Berufung wird – konkludent – beantragt, der Berufung Folge zu geben und den bekämpften Bescheid aufzuheben.

 

3.1. Mit Schreiben vom 30. November 2010, Zl. 1-1030347/FRB/10, übermittelte die Bundespolizeidirektion Linz den Verwaltungsakt samt Berufungsschrift dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich.

 

3.2. Mit Schriftsatz vom 3. Dezember 2010 wurde eine Berufungsergänzung vom

2. Dezember 2010 vorgelegt. Mit dieser Berufungsergänzung wurde ausgeführt, die belangte Behörde habe den Gesundheitszustand des Bw sowie seine familiären Bindungen in Österreich unzureichend gewürdigt. Er befinde sich im Methadonprogramm und sei seit vielen Jahren suchtmittelabhängig. Seine Delikte hätten im Zusammenhang mit seiner Sucht (Beschaffungskriminalität) gestanden. Das Methadonprogramm laufe sehr erfolgreich, es habe die Dosis sogar schon reduziert werden können. Er habe den festen Wunsch, sein Leben zu ändern und bisherige Fehler künftig zu vermeiden. Daher habe er auch den Entschluss gefasst, eine Langzeittherapie zu machen. Ein erneuter Rückfall sei daher nicht zu befürchten und ihm sei eine positive Prognose zu bescheinigen. Das Aufenthaltsverbot greife massiv in sein Privat- und Familienleben ein. Die belangte Behörde habe eine Interessenabwägung in unzureichender Weise getroffen.

 

3.3. Mit Eingabe vom 19. Jänner 2011 wurde von der BPD Linz eine Kopie einer Anzeige an die StA Wels übermittelt, wonach der Bw am 12. Jänner 2011 wegen des Verdachts der Übertretung des Suchtmittelgesetzes angezeigt wurde.

 

4. Nach der Verfassungsbestimmung des § 9 Abs.1 Z1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. I. Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl. I. Nr. 17/2011 (im Folgenden: FPG), entscheiden über Berufungen gegen Entscheidungen, die aufgrund des FPG ergangen sind, die Unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern; derartige Entscheidungen sind gemäß § 67a Abs.1 AVG durch ein Einzelmitglied zu treffen.

 

4.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der Bundespolizeidirektion Linz, Zl. 1030347/FRB. Da sich bereits aus dem Akt der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ, die Verfahrensparteien einen entsprechenden Antrag nicht gestellt haben und fremdenpolizeiliche Angelegenheiten nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich des Artikel 6 Abs.1 EMRK fallen, konnte gemäß § 67d Abs.4 AVG von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

5. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

5.1. Der von der belangten Behörde festgestellte Sachverhalt, der vom Bw nicht bestritten wird, wird auch diesem Erkenntnis zugrunde gelegt.

 

5.2. In rechtlicher Hinsicht wird ausgeführt:

 

5.2.1. Gemäß § 86 Abs.1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige dann zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltes die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts ihren Hauptwohnsitz ununterbrochen seit 10 Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

 

§ 86 FPG enthält Sonderbestimmungen für den Entzug der Aufenthaltsberechtigung betreffend freizügigkeitsberechtige EWG-Bürger. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtslage vor dem 1. Jänner 2006 durfte gegen einen EWR-Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsverbot nämlich nur erlassen werden, wenn die Voraussetzungen des § 36 Abs.1 Z1 FrG erfüllt waren. Dabei war § 36 Abs.2 FrG als "Orientierungsmaßstab" heranzuziehen (vgl. Verwaltungsgerichtshof vom 13. Oktober 2000, 2000/18/0013).

 

Demgemäß ist auch § 60 ff FPG als bloßer Orientierungsmaßstab für § 86 FPG anzusehen. Die belangte Behörde hat sich bei der Verhängung des Aufenthaltsverbotes an § 60 Abs.1 und Abs.2 FPG orientiert.

 

Gemäß § 60 Abs.1 Z1 des FPG kann gegen einen Fremden dann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet.

 

Als in diesem Sinne "bestimmte Tatsache" gilt nach § 60 Abs.2 Z1 FPG u.a., wenn der Fremde von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als 3 Monaten oder zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe bzw. zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als 6 Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

 

Ein Aufenthaltsverbot kann im Fall des § 60 Abs.2 Z1 FPG unbefristet, sonst für die Dauer von höchstens 10 Jahre erlassen werden (§ 63 Abs.1 FPG).

 

Gemäß § 60 Abs.6 FPG iVm § 66 Abs.1 leg.cit. ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, durch das in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird,  nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs.2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist, wobei in diesem Zusammenhang die in § 66 Abs.2 FPG normierten Kriterien gegeneinander abzuwägen sind.

 

Nach § 60 Abs.6 FPG iVm § 66 Abs.2 leg.cit. darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung.

 

Gemäß § 66 Abs.2 leg.cit. sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.     die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

2.     das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.     die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.     der Grad der Integration;

5.     die Bindung zum Heimatstaat des Fremden;

6.     die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.     Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei - und Einwanderungsrechts;

8.     die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

 

Nach § 56 Abs.1 FPG dürfen Fremde, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts auf Dauer rechtmäßig niedergelassen waren und über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt – EG" oder "Daueraufenthalt – Familienangehöriger" verfügen, nur mehr ausgewiesen werden, wenn ihr weiterer Aufenthalt eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

 

Gemäß § 61 FPG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn

  1. der Fremde in den Fällen des § 60 Abs.2 Z8 nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes für den selben Dienstgeber eine andere Beschäftigung ausüben hätte dürfen und für die Beschäftigung, bei der der Fremde betreten wurde, keine Zweckänderung erforderlich oder eine Zweckänderung zulässig gewesen wäre;
  2. eine Ausweisung gemäß § 54 Abs.1 wegen des maßgeblichen Sachverhalts unzulässig wäre;
  3. dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs.1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zumindest zu einer unbedingten einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden und er würde einen der in § 60 Abs.2 Z12 bis 14 bezeichneten Tatbestände verwirklichen;
  4. der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mehr als einer unbedingten 2-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden oder würde einen der in § 60 Abs.2 Z12 bis 14 bezeichneten Tatbestände verwirklichen.

 

Eine Auseinandersetzung mit dem Vorliegen der Voraussetzung des § 86 Abs.1 (1. bis 4. Satz) FPG kann unterbleiben, wenn die Verhängung des Aufenthaltsverbots gemäß § 61 FPG unzulässig ist:

 

Die belangte Behörde hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 61 Z3 und Z4 FPG geprüft. Die Voraussetzungen der übrigen Ziffern sind hier von vornherein nicht verfahrensgegenständlich.

 

Zu Recht ist die belangte Behörde davon ausgegangen, dass der Bw gemäß der ständigen Judikatur des VwGH in Österreich nicht "von klein auf" in Österreich aufhältig war und somit die Verhängung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 61 Z4 FPG nicht ausgeschlossen ist.

 

Bei der Prüfung des § 61 Z3 FPG hat die belangte Behörde richtigerweise festgestellt, dass der Bw zum Zeitpunkt, als er den "maßgeblichen Sachverhalt", der der Verhängung des Aufenthaltsverbotes zugrunde liegt, verwirklicht hat, bereits die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß

§ 10 Abs.1 StbG 1985 erfüllt hat.

So ist der erste "maßgebliche Sachverhalt" im März 2000 anzunehmen und der Bw ist am 13. Februar 1990 gemeinsam mit seinen Eltern nach Österreich eingereist und hat hier um Asyl angesucht.

Die über den Bw verhängten Strafen (ab seinem 15. Lebensjahr) wegen seiner zahlreichen Vergehen haben nie den Rahmen einer einjährigen Freiheitsstrafe erreicht. Zuletzt wurde der Bw mit Urteil des Landesgerichts Wels vom 6.7.2010, Zl. 15 Hv 71/2010z, zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten und mit Urteil des Landesgerichts Linz vom 8.10.2010, Zl.,  zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten – Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 StGB unter Bedachtnahme auf LG Wels zu Zl., verurteilt.

 

Die belangte Behörde erachtet eine Zusammenrechnung dieser beiden Freiheitsstrafen für zulässig, wonach ein Aufenthaltsverbot gemäß § 61 Z3 FPG über den Bw verhängt werden könnte.

 

Damit aber hat die belangte Behörde § 61 Z3 FPG einen anderen Bedeutungsgehalt zugemessen, als vom Gesetzgeber intendiert:

Die von der belangten Behörde zitierte VwGH-Judikatur (VwGH vom 13.10.2000, 2000/18/0013) bezieht sich auf die Rechtslage zum FrG 1997.  Nach dem vorzitierten Erkenntnis kann bei der Prüfung des § 36 Abs 2 Z 1 FrG 1997 hinsichtlich dem Vorliegen der dort normierten Voraussetzungen eine Zusammenrechnung der in den beiden als Einheit zu wertende Urteilen verhängte Strafen erfolgen.

Diese Gesetzesstelle ist aber nicht mit § 61 FPG vergleichbar, werden doch einerseits die Voraussetzungen zur Erlassung eines Aufenthaltsverbots und andererseits dessen Unzulässigkeit geregelt.

Die zu § 61 FPG korrespondierende, zeitlich vorangegangene Gesetzesstelle ist

§ 38 Abs.1 Z3 FrG 1997. Zum § 61 FPG wurde anlässlich dessen Erlassung ausgeführt:

"Das Aufenthaltsverbotverbot der Z 3 stellt, anders als im Fremdengesetz 1992, auf eine konkrete Strafe und, anders als im Fremdenpolizeigesetz 1997, auf eine andere Tatbestandsvoraussetzung (zu einer unbedingten einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt") ab, um den konkreten Unrechtsgehalt einer Tat sachgerechter beurteilen zu können" (Vogl/Taucher/Bruckner/Marth/Doskozil Fremdenrecht 2006)."

  

Das bedeutet, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen der Verleihung der Staatsbürgerschaft nach § 10 Abs.1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 besonders schwerwiegende Tatbestände wie jene des § 60 Abs.2 Z12 FPG (Zugehörigkeit zu einer kriminellen Organisation oder einer terroristischen Vereinigung, die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, der öffentliche Aufruf zur Gewalt oder die hetzerische Aufforderung oder Aufreizung, die nationale Sicherheit zu gefährden oder öffentlich in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften, ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbaren Gewicht zu billigen oder dafür zu werben) verwirklicht werden müssen, damit die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zulässig ist. Diesen Tatbeständen gleichzuhalten ist gemäß der zitierten Gesetzesbestimmung die Verurteilung zu einer unbedingten mindestens einjährigen Freiheitsstrafe.

 

Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass nicht mehrere kleine Delikte zusammenzurechnen sind, um das Ausmaß einer einjährigen Freiheitsstrafe zu erreichen, sondern ein einzelner Verstoß muss so schwerwiegend sein, dass wegen diesem eine einjährige Freiheitsstrafe verhängt wurde.

 

Weil die Verhängung des Aufenthaltsverbots mangels Vorliegens einer unbedingten einjährigen Freiheitsstrafe bei gleichzeitigem Vorliegen der Voraussetzungen zur Verleihung der Staatsbürgerschaft vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts, der der Erlassung des Aufenthaltsverbots zugrunde liegt, unzulässig ist, konnte ein weiteres Eingehen auf das Berufungsvorbringen unterbleiben.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.
2. Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in der Höhe von 20,40 Euro angefallen.

 

Mag. Bergmayr-Mann

 

 

 

VwSen-720285/4/BMa/Th vom 10. Mai 2011

Erkenntnis

 

FPG 2005 §61 Z3

 

Bei Vorliegen der Voraussetzungen der Verleihung der Staatsbürgerschaft nach § 10 Abs1 StbG 1985 müssen besonders schwerwiegende Tatbestände wie jene des § 60 Abs2 Z12 FPG 2005(Zugehörigkeit zu einer kriminellen Organisation oder einer terroristischen Vereinigung, die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, der öffentliche Aufruf zur Gewalt oder die hetzerische Aufforderung oder Aufreizung, die nationale Sicherheit zu gefährden oder öffentlich in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften, ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbaren Gewicht zu billigen oder dafür zu werben) verwirklicht werden, damit die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zulässig ist. Diesen Tatbeständen gleichzuhalten ist gemäß § 61 Z3 FPG 2005 die Verurteilung zu einer unbedingten mindestens einjährigen Freiheitsstrafe. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass nicht mehrere kleine Delikte zusammenzurechnen sind, um das Ausmaß einer einjährigen Freiheitsstrafe zu erreichen, sondern ein einzelner Verstoß so schwerwiegend sein muss, dass wegen diesem eine einjährige Freiheitsstrafe verhängt wurde.

Beachte:

vorstehende Entscheidung wurde aufgehoben;

VwGH vom 14.06.2012, Zl.: 2011/21/0153-11

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