Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-401116/9/Gf/Mu

Linz, 06.07.2011

 

 

 

 

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mit­glied Dr. Grof über die Beschwerde des x, vertreten durch die RAe x, wegen Anhaltung in Schubhaft durch den Bezirkshauptmann von Vöcklabruck vom 26. Mai 2011 bis zum 29. Juni 2011 zu Recht:

 

I. Die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft wird als nicht rechtswidrig festgestellt.

II. Der Beschwerdeführer hat dem Bund einen Kostenaufwand in Höhe von insgesamt 426,20 Euro binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

 

Rechtsgrundlage:

 

§ 83 FPG; § 67c Abs. 3 AVG; § 79a AVG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 26. Mai 2011, Zl. Sich40-1315-2011, wurde über den Rechtsmittelwerber, einen libanesischen Staatsangehörigen, gestützt auf § 76 Abs. 2a Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, i.d.F. BGBl.Nr. I 135/2009 (im Folgenden: FPG), zur Sicherung seiner Abschiebung die Schubhaft verhängt und durch Überstellung in das Polizeianhaltezentrum (PAZ) Wels vollzogen.

Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer erstmals am 14. Februar 2011 widerrechtlich in das Bundesgebiet eingereist sei und damals bei der Polizeiinspektion (PI) Bregenz angegeben habe, israelischer Staatsbürger und noch minderjährig zu sein; aus letzterem Grund sei daher vom Bezirkshauptmann von Bregenz mit Bescheid vom 15. Februar 2011, Zl. BHBR-III-3502-2011/0130, gegen ihn (lediglich) das gelindere Mittel der Verpflichtung zur Unterkunftnahme an einem bestimmten Ort und zur periodischen Meldung bei der PI Feldkirch angeordnet worden. Unter einem habe er auch einen Asylantrag gestellt, wobei sich im Zuge des Asylverfahrens allerdings ergeben habe, dass er zuvor in 5 unterschiedlichen EU-Staaten – und zwar als Erstes in Spanien – schon einen gleichartigen Antrag gestellt habe. Außerdem sei in der Folge festgestellt worden, dass er bereits am 1. Jänner 1990 geboren worden und somit volljährig sowie (nicht ein israelischer, sondern) ein libanesischer Staatsangehöriger sei. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 12. Mai 2011 sei daher sein Asylantrag zurückgewiesen und zugleich seine Ausweisung nach Spanien verfügt worden; auch seine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde sei vom Asylgerichtshof mit Beschluss vom 17. Mai 2011 zurückgewiesen worden, wobei auch im Zuge jenes Verfahrens explizit festgestellt worden sei, dass der Rechtsmittelwerber nicht mehr minderjährig sei. Obwohl er noch am selben Tag auf dem Luftweg nach Spanien überstellt worden sei, sei er bereits am 25. Mai 2011 wiederum illegal in das Bundesgebiet eingereist, wobei er neuerlich einen Asylantrag gestellt habe. Da zwar seine Ausweisung gemäß § 10 Abs. 6 des Asylgesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, i.d.F. BGBl.Nr. I 135/2009 (im Folgenden: AsylG), nicht
jedoch auch die Anordnung gelinderer Mittel aufrecht geblieben sei, sei sohin über ihn neuerlich eine freiheitsbeschränkende Maßnahme, und zwar diesmal anstelle eines gelinderen Mittels die Schubhaft zu verhängen gewesen, weil beim Rechtsmittelwerber angesichts seiner bisherigen Reisebewegungen, seiner ört­lichen Ungebundenheit, seiner Verschleierung und Unterdrückung von Dokumenten, seiner Falschangaben bezüglich seiner Identität und Minderjährigkeit und seiner Unwilligkeit bezüglich der Respektierung der österreichischen Einreise- und Aufenthaltsvorschriften davon ausgegangen werden müsse, dass er angesichts seiner Kenntnis von neuerlichen und unmittelbar bevor stehenden fremdenpolizeilichen Maßnahmen – in Freiheit belassen – in der Anonymität untertauchen und sich so seiner zwangsweisen Abschiebung entziehen würde. Im Übrigen sei diese Zwangsmaßnahme vornehmlich auch deshalb anzuordnen gewesen, weil der Behörde nach § 76 Abs. 2a FPG keinerlei Ermessen zukomme und
besondere, in der Person des Beschwerdeführers gelegene Umstände dieser auch nicht entgegenstünden. 

1.2. Am 29. Juni 2011 wurde der Rechtsmittelwerber (neuerlich) nach Spanien abgeschoben.

1.3. Gegen seine Anhaltung in Schubhaft richtet sich die vorliegende, am
27. Juni 2011 per Telefax beim Oö. Verwaltungssenat eingebrachte Beschwerde.

Darin wird – auf das Wesentliche zusammengefasst – vorgebracht, dass die Verhängung einer Schubhaft nur als ultima-ratio-Maßnahme zulässig sei; vielmehr seien zuvor zwingend gelindere Mittel anzuwenden, und zwar insbesondere dann, wenn der Fremde – wie im gegenständlichen Fall – noch minderjährig sei. Denn mit dieser entscheidungswesentlichen Frage der Minderjährigkeit des Rechtsmittelwerbers habe sich die belangte Behörde keinesfalls ausreichend auseinandergesetzt. Außerdem lasse sich aus der bloßen Mittellosigkeit des Beschwerdeführers dann, wenn keine vorangehende strafrechtliche Verurteilung vorliegt,
keinesfalls der Schluss ziehen, dass er künftig seinen Lebensunterhalt vornehmlich im Wege der Begehung illegaler Handlungen bestreiten werde. Gleiches gelte – ohne dass die Frage der tatsächlichen Volljährigkeit überhaupt näher hinterfragt worden sei – schließlich auch hinsichtlich der aus dem Umstand, dass er in einem vorangegangenen Asylverfahren in der BRD andere Personaldaten verwendet habe, getroffenen Annahme der Volljährigkeit, zumal er jenes Geburts­datum in der Folge ohnehin deshalb wieder in Abrede gestellt habe, weil er damals der Not gehorchend einen verfälschten Reisepass habe verwenden müssen.

Da im gegenständlichen Fall in Wahrheit keine Gründe vorgelegen seien, die eine Schubhaftanordnung gegen einen Fremden gerechtfertigt hätten, wird sohin die kostenpflichtige Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Anhaltung in Schubhaft vom 26. Mai 2011 bis zum 29. Juni 2011 beantragt.

1.4. Die belangte Behörde hat am 27. Juni 2011 eine Gegenschrift erstattet, mit der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird, und in der Folge am 4. Juli 2011 den Bezug habenden Verwaltungsakt vorgelegt.

In diesem Zusammenhang wird insbesondere darauf hingewiesen, dass eine
medizinische Altersfeststellung deshalb nicht notwendig gewesen sei, weil der Asylgerichtshof ohnehin bereits in seiner Entscheidung vom 17. Mai 2011 rechtskräftig festgestellt habe, dass der Rechtsmittelwerber volljährig sei.

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der BH Vöcklabruck vorgelegten Akt zu Zl. Sich40-1315-2011; da sich
bereits aus diesem im Zusammenhang mit dem Beschwerdevorbringen der entscheidungswesentliche Sachverhalt feststellen ließ und die Verfahrensparteien überdies einen dementsprechenden Verzicht abgegeben haben, konnte im Übrigen von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

Im Zuge dieser Beweisaufnahme konnte der oben unter 1.1. und 1.3. dar­gestellte Sachverhalt – vorbehaltlich der vom Beschwerdeführer in Abrede gestellten Annahme seiner Volljährigkeit durch die belangten Behörde – als allseits unbestritten und sohin zutreffend festgestellt werden.

2.2. Im vorliegenden Fall wurde der Rechtsmittelwerber auf Grund eines auf § 76 FPG gestützten Bescheides einer Behörde, die ihren Sitz im Sprengel des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich hat, angehalten; nach § 83 Abs. 1 FPG ist damit die örtliche Zuständigkeit des Oö. Verwaltungssenates zur Behandlung der gegenständlichen Beschwerde gegeben.

2.2.3. Dieser hatte gemäß § 83 Abs. 2 FPG i.V.m. § 67a AVG durch ein Einzelmitglied zu entscheiden.

2.2.4. Die FPG-Novelle BGBl.Nr. I 38/2011, die nach § 126 Abs. 9 FPG in der Fassung dieser Novelle am 1. Juli 2011 in Kraft getreten ist, war im gegenständlichen Fall deshalb (noch) nicht maßgeblich, weil sich die Anhaltung des
Beschwerdeführers hier in vollem Umfang auf einen vor diesem Datum liegenden Zeitraum beschränkte und der Oö. Verwaltungssenat auf Grund des Umstandes, dass die Schubhaft mittlerweile bereits aufgehoben wurde, lediglich zu untersuchen hat, ob die belangte Behörde die während des Zeitraumes der Setzung ihrer Maßnahme maßgebliche Rechtslage verfassungs- und gesetzeskonform angewendet hat. 

3. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

3.1. Hinsichtlich der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die Anordnung der Schubhaft ist im gegenständlichen Fall zwischen den Verfahrensparteien ausschließlich die Frage strittig, ob der Beschwerdeführer während seiner Anhaltung noch minderjährig oder bereits volljährig war.

In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass sich der Asylgerichtshof in seinem Beschluss vom 17. Mai 2011, Zl. S4-418844-1/2011/4E, ausführlich mit dieser Frage befasst und als letztinstanzlich zur Prüfung dieses Umstandes primär zuständige Institution (vgl. § 12 Abs. 4 FPG i.V.m. § 16 und § 2 Abs. 1 Z. 25 AsylG) mit ausführlicher Begründung (vgl. insbesondere S. 3 f dieses
Beschlusses) zu dem Ergebnis gekommen ist, dass der Rechtsmittelwerber nicht als minderjährig anzusehen ist.

An diese von der zur Entscheidung in der Hauptfrage zuständigen Stelle getrof­fene Festlegung waren bzw. sind hier gemäß § 69 Abs. 1 Z. 3 i.V.m. § 38 AVG
sowohl die belangte Behörde als auch der Oö. Verwaltungssenat gebunden.

Davon abgesehen kann im vorliegenden Fall überdies keine Rede davon sein, dass es dem Beschwerdeführer gelungen wäre, die von ihm vorgebrachte
Minderjährigkeit wenigstens ansatzweise auch in irgendeiner Form zu belegen; insbesondere kommt auch die nunmehrige Schubhaftbeschwerde nicht über bloße dementsprechende Behauptungen hinaus, sodass die belangte Behörde mangels Vorliegens von berechtigten Zweifeln auch nicht gehalten war, das ihr nach § 12 Abs. 4 FPG zukommende Ermessen dahin auszuüben, dass sie eine dementsprechende radiologische Untersuchung anordnet.

3.2. Von der Volljährigkeit des Rechtsmittelwerbers sowie davon ausgehend, dass die formellen Voraussetzungen des § 76 Abs. 2a Z. 1 FPG – Zurückweisung des Asylantrages und damit verbundene durchsetzbare Ausweisung – im gegenständlichen Fall vorlagen (s.o., 1.1.), war die belangte Behörde nach der genannten Bestimmung daher grundsätzlich (vgl. jedoch näher unten, 3.3.4.) dazu verpflichtet, anstelle gelinderer Mittel die Schubhaft anzuordnen, weil dieser Maßnahme (mangels Minderjährigkeit des Beschwerdeführers) eben besondere, in der Person des Asylwerbers gelegene Umstände hier nicht entgegenstanden.

3.3. Mit Blick auf die mit der gegenständlichen Beschwerde relevierte Frage, ob die Anhaltung des Rechtsmittelwerbers in Schubhaft vom 26. Mai 2011 bis zum 29. Juni 2011 auch in inhaltlicher Hinsicht rechtmäßig war, war jedoch noch zu prüfen, ob eine dem § 76 Abs. 2a FPG entsprechende Sicherungsnotwendigkeit vorlag.

3.3.1. Hinsichtlich der Beurteilung der Sicherungsnotwendigkeit (nicht: Sicherungsbedürfnis, weil durch diesen Terminus suggeriert werden würde, dass es insoweit nicht auf eine objektivierbare, sondern auf die subjektive Einschätzung der Organwalter der Fremdenpolizeibehörde ankäme) ist anhand objektiver
Kriterien zu prüfen, ob mit Blick auf das Ziel der beabsichtigten fremdenpolizei­lichen Maßnahme eine Beschränkung der persönlichen Freiheit unabdingbar war. Es ist also zunächst (und zwar nicht mit der vorgefassten Tendenz: "im Zweifel pro Haft", sondern im Gegenteil: mit der Grundhaltung, dass prinzipiell gelindere Mittel anzuordnen sind, sodass die Verhängung der Haft stets nur eine äußerste Notmaßnahme darstellen kann) zu untersuchen, ob anhand der Umstände des konkreten Falles tatsächlich nur im Wege einer Haft zuverlässig erreicht werden kann, dass die intendierte fremdenpolizeiliche Maßnahme auch effektiv umgesetzt werden kann.

Solche inzident für eine derartige Sicherungsnotwendigkeit sprechenden Kriterien können z.B. die fehlende Wahrscheinlichkeit einer freiwilligen Ausreise, die für eine Rückkehr in den Abschiebe- bzw. Heimatstaat fehlenden finanziellen Mittel, die im Heimatstaat fehlende soziale Bindung, die angesichts fehlender Sank­tionen gegebene Wahrscheinlichkeit einer illegalen Rückkehr des Fremden nach
Österreich o.Ä., nicht jedoch eine allgemeine, d.h. nicht im Zusammenhang mit dem Zweck der Sicherungsnotwendigkeit stehende Gleichgültigkeit gegenüber generellen Ordnungsvorschriften oder strafrechtlichen Verboten, ein allgemein unkooperatives Verhalten, eine allgemein mangelnde soziale, insbesondere
berufliche Integration, etc. sein.

Hat daher der Fremde beispielsweise seine persönliche Identität zu verschleiern versucht und war dieser weder polizeilich gemeldet noch tatsächlich durch längere Zeit hindurch an einer bestimmten Unterkunft aufhältig, so besteht eine hohe Gefahr des Untertauchens, die umgekehrt prinzipiell eine entsprechende Sicherungsnotwendigkeit begründet. Hingegen entfällt diese von vornherein, wenn der Fremde bloß gegen melderechtliche Vorschriften verstoßen hat und/oder beispielsweise wegen eines Suchtgiftdeliktes zu einer Freiheitsstrafe verurteilt
wurde, sich seither aber tatsächlich durchgehend an einer der Fremdenpolizei­behörde bekannten Unterkunft aufgehalten hat.

3.3.2. Im gegenständlichen Fall bezweckte die Schubhaftverhängung von Anfang an, dass der Beschwerdeführer der belangten Behörde für die Durchführung der Abschiebung auch tatsächlich zur Verfügung stehen und diese nicht dadurch, dass er zum maßgeblichen Zeitpunkt von deren effektiver Durchsetzung an
seinem bisherigen Aufenthaltsort faktisch nicht greifbar wäre, erschweren oder gar verunmöglichen können soll.

Dass der Beschwerdeführer, dessen Identität mangels entsprechender Reise- und Personaldokumente gegenwärtig nach wie vor nicht zweifelsfrei geklärt ist, über einen ordnungsgemäßen Wohnsitz in Österreich verfügte, wird auch von ihm selbst gar nicht behauptet.

Von einer sozialen oder beruflichen Integration des Rechtsmittelwerbers kann ebenfalls keine Rede sein, weil keine seiner Verwandten oder Bekannten in
Österreich oder zumindest im angrenzenden EU-Raum leben.

Weiters hat der Beschwerdeführer im Zuge seines Asylverfahrens mehrfach explizit bekräftigt, dass er nicht freiwillig in seinen Heimatstaat zurückkehren und daher auch nicht in einen anderen Derartiges intendierenden EU-Staat abgeschoben werden möchte. Dies hat er zudem auch dadurch unterstrichen, dass er bereits einmal nach Spanien abgeschoben wurde und unmittelbar darauf wieder illegal nach Österreich zurückgekehrt ist. Insbesondere war ihm im nunmehrigen Wissen um den fest stehenden Abschiebungstermin (29. Juni 2011) auch klar, dass er von Spanien aus weiter in seinen Heimatstaat ausgewiesen werden und dort bis zu diesem Zeitpunkt ebenfalls in Haft angehalten werden wird. Somit ist nicht ersichtlich, weshalb der Rechtsmittelwerber – wäre er knapp  vor diesem Termin aus der Schubhaft entlassen worden – nach wenigen Tagen der wiedererlangten Freiheit dann von Neuem das Übel einer voraussichtlich lang dauernden Anhaltung in Spanien freiwillig in Kauf nehmen sollte. Angesichts dessen liegt es also auch auf der Hand, dass er eine Abschiebung nicht widerstandslos über sich ergehen lassen, sondern – wenn er sich in Freiheit befände – vielmehr von der einfachsten und deshalb am nächsten liegenden Möglichkeit, nämlich: Verschleierung seines jeweiligen aktuellen Aufenthaltsortes, Gebrauch machen würde, um sich dieser zu entziehen.

3.3.3. Alle diese sowie jene von der belangten Behörde darüber hinaus in ihrem Schubhaftbescheid angeführten Gründe (Nicht- bzw. nicht ordnungsgemäße Mitwirkung im fremdenpolizeilichen Verfahren und im Asylverfahren, insbesondere Nichtvorlage von Unterlagen anderer Mitgliedsstaaten, Verschweigen der früheren Asylanträge in anderen EU-Staaten, Verschleierung der Reiseroute und
illegaler Grenzübertritte und
Falschangaben bezüglich seiner Identität und
Minderjährigkeit;
Nichtvorliegen eines ordentlichen und gemeldeten Wohnsitzes; völlige Mittellosigkeit und daraus resultierende Unmöglichkeit der Finanzierung des Aufenthalts in Österreich aus eigenem; Nichtbeachtung der österreichischen Einreise- und Aufenthaltsvorschriften) sprachen im vorliegenden Fall für eine dementsprechende Sicherungsnotwendigkeit; sie überwogen daher insgesamt betrachtet deutlich jene – nämlich: dass sich der Beschwerdeführer vor seiner erstmaligen Abschiebung nach Spanien bis zur Verhängung der Schubhaft tatsächlich in der Bundesbetreuung aufgehalten hat; in diesem Zusammenhang ist jedoch darauf hinzuweisen, dass ihm bis dahin die Vergeblichkeit seines Asylantrages noch in keiner Weise bewusst war, sodass ein insoweit kooperatives Verhalten gleichsam als selbstverständlich erscheinen muss – dagegen sprechenden Argumente, und zwar v.a. auch deshalb, weil das Bestehen einer derartigen
Sicherungsnotwendigkeit im sog. Spätstadium des Asylverfahrens (wie hier) stets dann umso mehr angenommen werden kann, wenn nicht evident zwingende Gründe dagegensprechen (vgl. z.B. VwGH vom 25. März 2010, Zl. 2008/21/0617).

3.3.4. Vom Bestehen einer Sicherungsnotwendigkeit ausgehend war schließlich – ungeachtet des Umstandes, dass § 76 Abs. 2a FPG formal keine Ermessens-, sondern eine Rechtsentscheidung zu statuieren scheint – in verfassungskonformer Interpretation dieser Bestimmung im Hinblick auf Art. 1 Abs. 3 PersFrBVG noch zu untersuchen, ob der mit der fremdenpolizeilichen Maßnahme konkret verfolgte Zweck nicht auch durch normale (diese Bezeichnung ist deshalb angebracht, weil dadurch umgekehrt die Haft als das "Ausnahmemittel" deutlicher in den Vordergrund tritt), d.h. im Verhältnis zum Entzug der persönlichen Freiheit im Wege der Haft gelindere Sicherungsmittel zu erreichen gewesen wäre.

3.3.4.1. Die Anordnung gelinderer Mittel bedingt das grundsätzliche, durch
entsprechende konkrete Kriterien objektivierbare Vertrauen, dass sich der Fremde zum Zeitpunkt der Durchführung der Abschiebung der Behörde zur Verfügung hält, d.h. für diese auch faktisch greifbar ist. In diesem Zusammenhang geht die Rechtsordnung davon aus, dass ein derartiges Vertrauen a priori zunächst vorauszusetzen ist – sonst wäre nicht die Schubhaftverhängung als ein bloßes ultima-ratio-Mittel, sondern im Gegenteil als Standardmaßnahme für die Fremdenpolizeibehörden gesetzlich vorgesehen worden. Daraus folgt, dass es dann, wenn die Schubhaft angeordnet wird, der Behörde obliegt, jene Gründe vorzubringen und entsprechend zu belegen, die im konkreten Fall für ein Nichtbestehen eines derartigen Vertrauensverhältnisses sprechen.

Einer derartigen Prognoseentscheidung sind somit v.a. jene Hinweise in Bezug auf das bisherige Verhalten zu Grunde zu legen, die gegen bzw. für eine Freiheitsentziehung sprechen (wie z.B. ob gelindere Mittel bisher schon angewendet wurden und wenn ja, ob diese erfolgreich waren oder nicht; ob sich auch die
näheren Familienangehörigen [legal] in Österreich befinden; ob der Fremde hier sozial integriert ist; ob sich der Ausländer grundsätzlich den österreichischen Rechtsvorschriften verbunden fühlt, etc.), wobei insoweit unter dem Aspekt, dass eine Haftanordnung nur eine ultima-ratio-Maßnahme darstellen kann, eben eine formelhafte oder bloß auf allgemeine Erfahrungssätze abstellende Begründung des Schubhaftbescheides nicht hinreicht, sondern diese vielmehr eine konkrete, individuell-fallbezogene Subsumtion mit entsprechender pro- und contra-Abwä-gung aufweisen muss, damit gewährleistet ist, dass durch diese keine antizipatorische "pro-Haft-Tendenz" zum Ausdruck kommt, d.h. eine haft"begünstigende" Begründungsargumentation objektiv betrachtet verlässlich ausgeschlossen ist. Nur wenn danach mit zwingenden Gründen davon ausgegangen werden kann, dass die effektive Umsetzung (eine bloße "Erschwerung" reicht hingegen nach § 76 FPG – und erst recht nach Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG – nicht hin) der beabsichtigten fremdenpolizeilichen Maßnahme nicht anders als durch einen Entzug der persönlichen Freiheit gewährleistet werden kann, erweist sich die Anordnung der Schubhaft auch unter dem Aspekt des Verhältnismäßigkeitsprinzips als
gerechtfertigt.

3.3.4.2. Im gegenständlichen Fall ist der Beschwerdeführer illegal und unter
Verschweigung von für das fremdenrechtliche Verfahren essentiellen Fakten (Personalia, Alter, Reiseroute) – wobei ihm dieser Umstand auch durchaus bewusst sein musste – in das Bundesgebiet eingereist. 

Dieses Verhalten – nämlich: die Nichtmitwirkung am Verfahren, die eine Klärung seiner Identität erheblich erschwert; die Nichtvorlage von Reisedokumenten; die Weigerung, das Bundesgebiet freiwillig zu verlassen; etc. – legt im Zusammenhang damit, dass der Rechtsmittelwerber weder über die für seinen Aufenthalt erforderlichen finanziellen Mittel und eine Unterkunftsmöglichkeit noch über
verifizierbare soziale Kontakte verfügt, insgesamt die Annahme nahe, dass die Stellung eines Asylantrages offensichtlich primär nur dazu gedient hat, um seinen faktischen Aufenthalt im EU-Raum, insbesondere auch in Österreich, zu verlängern.

Gesamthaft betrachtet folgt aus all dem, dass der Beschwerdeführer durch diese Handlungen das ihm grundsätzlich entgegen zu bringende Vertrauen objektiv-abstrakt besehen in einem solchen Grad enttäuscht hat, der es nicht mehr zulässt, mit gutem Grund annehmen zu können, dass er sich zum Zeitpunkt seiner Abschiebung sowohl freiwillig als auch tatsächlich der Fremdenpolizeibehörde zur Verfügung halten wird; Letzterer kann daher vor dem Hintergrund des hier
konkret zu beurteilenden Sachverhalts nicht entgegengetreten werden, wenn diese davon ausgegangen ist, dass es im vorliegenden Fall solcher Sicherungsmaßnahmen bedurfte, die der dargestellten Motivationslage des Rechtsmittelwerbers auch effektiv entgegenwirken.

3.3.4.3. Nach § 77 Abs. 3 FPG kommen als – im Vergleich zur Schubhaftverhängung – gelindere Mittel vornehmlich die Anordnung, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen und/oder sich in periodischen Abständen bei einem Polizeikommando zu melden, in Betracht. Wie sich aus der Textierung dieser Bestimmung, speziell aus der Verwendung des Wortes "insbesondere" ergibt, ist die Behörde hinsichtlich der Auswahl zwischen den unterschiedlichen Arten von Sicherungsmaßnahmen grundsätzlich zwar nicht, durch das in § 77 Abs. 1 FPG normierte Verhältnismäßigkeitsprinzip im Ergebnis jedoch insoweit beschränkt, als letztlich nur eine solche Maßnahme gewählt werden darf, die sowohl zur Zielerreichung geeignet ist als auch den vergleichsweise geringst-möglichen Eingriff in die Persönlichkeitssphäre des Fremden nach sich zieht.

Im gegenständlichen Fall trifft es zwar zu, dass sich der Beschwerdeführer vor seiner erstmaligen Abschiebung nach Spanien in den ihm im Rahmen ihm
zukommenden Bundesbetreuung zugewiesenen Räumlichkeiten aufgehalten hat, sich dort frei bewegen durfte und während dieses Zeitraumes auch de facto dort angetroffen werden konnte.

Allerdings ist in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass der Rechtsmittel­werber in der Folge nach Spanien abgeschoben wurde und unmittelbar darauf wieder nach Österreich zurückgekehrt ist, sodass ihm nunmehr aktuell bewusst war, dass und welche fremdenpolizeilichen Maßnahmen neuerlich auf  ihn
zukommen werden, insbesondere, dass unmittelbar seine neuerliche zwangsweise Außerlandesschaffung im Wege der Abschiebung drohte. Vor diesem Hintergrund bestand angesichts der besonderen Situation des Beschwerdeführers, der weder über eine eigene (geschweige denn eine ordnungsgemäß polizeilich
gemeldete) Unterkunft noch über die erforderlichen finanziellen Mittel zur Bestreitung seines Aufenthalts oder irgendwelche soziale oder berufliche Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet oder einen rechtlichen Anspruch auf staatliche Versorgung im Wege einer Bundes- oder Landesbetreuung verfügt – wobei der Rechtsmittelwerber in diesem Zusammenhang weder in seinem Beschwerdeschriftsatz (und erst recht nicht entsprechend nachvollziehbar belegt) vorgebracht hat, dass er im Falle seiner Freilassung von (einer) bestimmten
Person(en) adäquate Unterstützungsleistungen erhalten würde –, keine verläss­liche Gewähr dafür, dass gelindere Mittel anstelle der Schubhaftverhängung in gleicher Weise dazu geeignet gewesen wären, den mit dieser Maßnahme verfolgten Zweck – nämlich: dass der Beschwerdeführer jederzeit, insbesondere aber im Zeitpunkt der für den 29. Juni 2011 terminisierten Vornahme seiner Abschiebung für die Fremdenpolizeibehörde auch tatsächlich greifbar ist – zu erfüllen.

 

Nach Abwägung der öffentlichen Interessen an der effektiven Umsetzung der Ausweisung gegenüber den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an der Nichtvornahme einer Freiheitsentziehung war es sohin nicht geboten, anstelle der Anhaltung des Rechtsmittelwerbers in Schubhaft gelindere Mittel i.S.d. § 77 Abs. 3 FPG anzuordnen, weil das grundsätzliche, durch die genannten Kriterien objektivierbare Vertrauen, dass sich der Fremde zum Zeitpunkt der Durchführung der Abschiebung der Behörde zur Verfügung halten, d.h. für diese auch
faktisch greifbar sein wird, aus den bereits mehrfach genannten Gründen insgesamt in einem solchen Maße gefährdet war, das es nicht mehr zuließ, eine jederzeitige effektive Greifbarkeit der Person des Rechtsmittelwerbers mit gutem Grund annehmen zu können.

 

3.3.5. Aus allen diesen Gründen war daher hier im Ergebnis davon auszugehen, dass die effektive Umsetzung der beabsichtigten fremdenpolizeilichen Maßnahme im vorliegenden Fall nicht anders als durch einen Entzug der persönlichen Freiheit sichergestellt werden konnte bzw. kann.

 

3.4. Somit war gemäß § 83 Abs. 2 FPG iVm § 67c Abs. 3 AVG festzustellen, dass die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vom 26. Mai 2011 bis zum 29. Juni 2011 nicht rechtswidrig war.

4. Bei diesem Verfahrensergebnis war der Beschwerdeführer  dazu zu verpflichten, dem Bund nach § 79a Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 4 Z. 3 AVG i.V.m. § 1 Z. 3 und 4 der UVS-Aufwandersatzverordnung, BGBl.Nr. II 456/2008, Kosten in Höhe von insgesamt 426,20 Euro (Vorlageaufwand: 57,40 Euro; Schriftsatzaufwand: 368,80 Euro) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweise:

1.  Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

2.  Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in einer Höhe von insgesamt 37,20 Euro entstanden; ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

 

Dr.  G r o f

 

VwSen-401116/9/Gf/Mu vom 6. Juli 2011, Erkenntnis

 

 

FPG 2005 §12 Abs4;

AsylG 2005 §2 Abs1 Z25;

AsylG 2005 §16;

AVG §38;

AVG §69 Abs1 Z3

 

Hat der AsylGH als zur Prüfung dieser Frage primär (vgl § 12 Abs4 FPG 2005 iVm § 16 und § 2 Abs1 Z25 AsylG 2005) zuständige und letztinstanzliche Institution festgestellt, dass der Fremde nicht minderjährig ist, so sind die Fremdenpolizeibehörde und der UVS daran iSd § 69 Abs1 Z3 iVm § 38 AVG gebunden.

 

Dies gilt insbesondere auch dann, wenn überdies keine Rede davon sein kann, dass es dem Fremden gelungen wäre, die von ihm vorgebrachte Minderjährigkeit wenigstens ansatzweise auch in irgendeiner Form zu belegen. Denn in diesem Fall ist die Fremdenpolizeibehörde mangels berechtigter Zweifel auch nicht gehalten, das ihr nach § 12 Abs4 FPG 2005 zukommende Ermessen dahin auszuüben, dass sie eine radiologische Untersuchung anordnet.

 

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