Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-720287/7/Gf/Mu

Linz, 22.06.2011

 

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Grof über die Berufung des x gegen den ein auf 10 Jahre befristetes Rückkehrverbot anordnenden Bescheid des Bezirkshauptmannes von Ried im Innkreis vom 13. Dezember 2010, Zl. Sich40-17782, zu Recht:

 

 

          Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

 

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 2 AVG.

 

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

 

1.1. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, ist am 7. August 2003 von der Slowakei kommend in das Bundesgebiet ein- und am selben Tag aus diesem nach Tschechien ausgereist. Nach seiner Aufgreifung an der tschechisch-deutschen Grenze wurde er rückübernommen, wobei über ihn mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Gänserndorf vom 8. August 2003 ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot verhängt wurde.

 

1.2. In der Folge hat der Rechtsmittelwerber einen Asylantrag gestellt, wobei die Berufung gegen die abweisende Entscheidung des Bundesasylamtes derzeit noch beim Asylgerichtshof anhängig ist.

 

1.3. Mit Urteil des LG Wels vom 14. Dezember 2009, Zl. 13 Hv 176/09z, wurde er wegen eines Vergehens gegen § 92 StGB (Quälen oder Vernachlässigen
unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen) zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt, wobei ein Teil derselben (8 Monate) unter Festsetzung
einer Probezeit bedingt nachgesehen wurde. Darüber hinaus sei er in drei weiteren Fällen wegen unterschiedlichen, im Zeitraum zwischen November 2007 und Dezember 2008 begangenen gerichtlich strafbaren Delikten bei der Staatsanwaltschaft angezeigt, die Verfahren jedoch jeweils eingestellt worden.

 

1.4. Am 6. April 2010 hat der Beschwerdeführer eine österreichische Staatsbürgerin geehelicht. Seiner mit Einstweiliger Verfügung angeordneten Unterhaltsverpflichtung gegenüber zwei leiblichen, einer früheren Lebensgemeinschaft mit einer türkischen Staatsangehörigen entstammenden Kindern in Höhe von 105,40 Euro bzw. 112,70 Euro pro Monat sei er hingegen bislang nicht nachgekommen.

 

1.5 Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Ried im Innkreis vom 13. Dezember 2010, Zl. Sich40-17782, wurde gegen den Rechtsmittelwerber ein auf 10 Jahre befristetes Rückkehrverbot  angeordnet.

 

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass über den Beschwerdeführer eine entsprechend gravierende gerichtliche Haftstrafe verhängt worden sei, woraus sich ergebe, dass durch seinen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit in einem hohen Maße gefährdet wäre, und zwar auch deshalb, weil bei Delikten wie des Quälens von Unmündigen eine hohe Rückfallsgefahr bestehe. Außerdem bestehe der Verdacht, dass er nur deshalb eine Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin geschlossen habe, um aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu entgehen, sodass insbesondere unter Bedachtnahme darauf, dass er dazu neige, auf Überforderungssituationen mit aggressiven Verhaltensweisen zu reagieren und er zudem seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht nachkomme, eine Abwägung zwischen öffentlichen und privaten Interessen insoweit zu Lasten des Rechtsmittelwerbers gehe, als Erstere insgesamt überwiegen würden; dies auch deshalb, weil keine Anhaltspunkte für eine soziale, insbesondere berufliche Integration vorlägen, zumal der Beschwerdeführer während seines jahrelangen Aufenthaltes in Österreich insgesamt nur wenige Tage einer Arbeit nachgegangen sei.

 

1.6. Gegen diesen ihm am 15. Dezember 2010 zugestellten Bescheid richtet sich die vorliegende, am 29. Dezember 2010 – und damit rechtzeitig – zur Post gegebene Berufung.

 

Darin bringt der Rechtsmittelwerber zunächst vor, dass er mit seiner Gattin allein in einem gemeinsamen Haushalt lebe und somit keine Gefahr mehr für eine neuerliche Übertretung des § 92 StGB bestehe; davon abgesehen übe er auch keinen pädagogischen Beruf oder Tätigkeit aus. Außerdem könnten sowohl seine Ehefrau als auch das Aufsichtspersonal des Gefangenenhauses bezeugen, dass er nunmehr ein völlig ruhiger und besonnener Mensch sei und aus seinen früheren Verfehlungen entsprechend gelernt habe. Darüber hinaus würden auch keinerlei sachlichen Belege dafür existieren, dass bei Delikten nach § 92 StGB eine hohe Rückfallsquote bestehe. Schließlich treffe es auch nicht zu, dass er seine Tat verharmlost habe.

 

Daher wird die Aufhebung bzw. eine Verkürzung des Rückkehrverbotes beantragt.

 

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis zu Zl. Sich40-17782; da sich bereits aus diesem der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ, konnte im Übrigen gemäß § 67d AVG von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

2.2. Nach § 67a AVG hatte der Oö. Verwaltungssenat im gegenständlichen Fall nicht durch eine aus drei Mitgliedern bestehende Kammer, sondern durch ein Einzelmitglied zu entscheiden.

 

 

3. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat über die vorliegende Beschwerde erwogen:

 

 

3.1.1. Gemäß § 62 Abs. 1 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 135/2009 (im Folgenden: FPG), kann gegen einen Asylwerber ein Rückkehrverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet.

 

Als in diesem Sinne "bestimmte Tatsache" gilt nach § 62 Abs. 2 i.V.m. § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG u.a., wenn der Fremden von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten oder zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe bzw. zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt worden ist. Ein Rückkehrverbot kann im Fall des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG unbefristet, sonst für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden (§ 63 Abs. 1 FPG).

 

3.1.2. Nach § 62 Abs. 3 i.V.m. § 66 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, durch das in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, jedoch nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist, wobei die in § 66 Abs. 2 FPG normierten Kriterien gegeneinander abzuwägen sind. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Art und die Dauer des bisherigen Aufenthalts sowie die Frage, ob dieser rechtswidrig war; das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens; die Schutzwürdigkeit des Privatlebens; der Grad der Integration; die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden; die strafgerichtliche Unbescholtenheit; Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts; sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten des unsicheren Aufenthaltsstatus des Fremden bewusst waren, zu berücksichtigen.

 

3.1.3. Auf Grund der Sonderbestimmung des § 86 Abs. 1 FPG kann gegen einen begünstigten Drittstaatsangehörigen – hierzu zählt nach § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG u.a. auch der Ehegatte eines Österreichers, der sein Recht auf Freizügigkeit bereits in Anspruch genommen hat – weiters nur dann ein Aufenthalts- bzw. Rückkehrverbot verhängt werden, wenn aufgrund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung gefährdet ist; dabei muss dieses persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, wobei strafrechtliche Verurteilungen allein eine derartige Maßnahme nicht ohne weiteres begründen können und vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen nicht zulässig sind.

 

In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 14. April 2011, Zl. 2010/21/0232, jüngst ausgesprochen, dass es in Bezug auf strafgerichtliche Verurteilungen letztlich immer auf das zugrunde liegende Tatverhalten ankommt; in diesem Sinne ist auf die Art und Schwere der Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Aus unionsrechtlichen Gesichtspunkten erfordert dies eine argumentative Auseinandersetzung zumindest mit den Eckpunkten des strafrechtsrelevanten Verhaltens, aus dem die maßgebliche Gefährdung abgeleitet wird; ein bloß formelhafter Verweis auf das gerichtlich festgestellte Fehlverhalten und/oder auf das Grundinteresse der Gesellschaft an der Verhinderung schwerer Eigentums- und Gewaltkriminalität reicht hingegen nicht hin.

 

3.1.4. Nach § 65 Abs. 1 FPG ist ein Rückkehrverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, sobald die Gründe für seine Erlassung weggefallen sind.

 

3.2. Im gegenständlichen Fall – in dem auch die Erstbehörde davon ausgeht, dass der Rechtsmittelwerber zufolge seiner Eheschließung mit einer Österreicherin, die sich zuvor bereits 20 Jahre lang in der BRD (Bad Füssing) aufgehalten hat, als "begünstigter Drittstaatsangehöriger" anzusehen ist – wurden von der belangten Behörde als Umstände, die die Verhängung des Rückkehrverbotes rechtfertigen sollen, die strafgerichtliche Verurteilung und die mangelnde soziale Integration des Beschwerdeführers ins Treffen geführt (s.o., 1.5.), wobei davon ausgegangen wurde, dass die dadurch beeinträchtigten öffentlichen Interessen im Zuge einer entsprechenden Abwägung sein privates Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwiegen.

 

Nach den vom VwGH zuvor dargelegten Gründen (s.o., 3.1.3.) vermag jedoch eine – noch dazu singuläre – strafgerichtliche Verurteilung allein noch keine auch jetzt noch gegenwärtige Gefahr i.S.d § 86 Abs. 1 FPG zu begründen, es sei denn, dass sich aus den Umständen des Einzelfalles spezifische Anhaltspunkte für eine gegenteilige Sichtweise ergeben würden.

 

Hier resultieren jedoch weder aus dem angefochtenen Bescheid noch sonst auf Grund des erstbehördlichen Ermittlungsverfahrens ganz konkrete Anhaltspunkte dafür, warum bzw. dass der Beschwerdeführer nicht bloß eine potentiell-abstrakte, sondern vielmehr eine vergleichsweise wesentlich gravierendere, nämlich konkret-gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit i.S.d § 86 Abs. 1 FPG bildet. Vielmehr fußt die Begründung des angefochtenen Bescheides ausschließlich auf pauschalen, nicht durch entsprechende Fakten belegten Annahmen – wie z.B., dass bei Delikten nach § 92 StGB eine hohe Rückfallsquote bestehe –, die primär im Zusammenhang mit der vorerwähnten strafgerichtlichen Verurteilung stehen; allein daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass bzw. warum der Fremde eine auch aktuell noch immer bestehende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen soll.

 

Gleiches gilt auch für den Vorwurf der mangelnden beruflichen Integration, dem gegenübersteht, dass die belangte Behörde selbst davon ausgeht, dass der Rechtsmittelwerber mit seiner Gattin ein de facto aufrechtes Familienleben führt.

 

Im Ergebnis reichen diese beiden Aspekte somit nicht dafür hin, im Zuge der gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotenen Abwägung ein eindeutiges Überwiegen der öffentlichen Interessen an einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegenüber den privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet belegen zu können.

 

3.3. Auf Grund der gegenwärtig bestehenden Faktenlage war der gegenständlichen Berufung daher gemäß § 66 Abs. 4 AVG stattzugeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufzuheben.

 

Hingewiesen wird jedoch darauf, dass dadurch die spätere Erlassung einer – zeitlich befristeten oder unbefristeten – aufenthaltsbeendenden Maßnahme nicht ausgeschlossen ist, wenn bzw. sobald der Beschwerdeführer aus der Sicht der Fremdenpolizeibehörde eine entsprechend belegbare konkret-gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit i.S.d § 86 Abs. 1 FPG bildet.

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

 

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

 

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in einer Höhe von 24 Euro entstanden; ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

 

 

Dr.  G r o f

 

 

 

 

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum