Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-420669/6/Br/Th

Linz, 22.06.2011

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Beschwerde des X, vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. X, Dr. X und Mag. X, X, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt [Führerscheinabnahme vom 19.04.2011 durch ein Organ der Bezirkshauptfrau von Rohrbach], zu Recht:

 

 

I.     Die Abnahme des Führerscheines am 19. April 2011 um ca. 6:40 Uhr wird als rechtswidrig erklärt.

 

II.   Der Bund (Verfahrenspartei: die Bezirkshauptfrau von Rohrbach) hat dem Beschwerdeführer den Schriftsatzaufwand in Höhe von 737,60 Euro und der Eingabegebühr in Höhe von 13,20 Euro  (insgesamt 750,80 Euro) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.


Rechtsgrundlage:

ad. I.   Art 129a Abs.1 Z2 Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG iVm § 67a Abs1 Z2 u. § 67c Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991  - AVG, BGBl.51/1991 idF BGBl.I. Nr. 111/2010;

ad. II. § 79a AVG iVm § 1 Z2 UVS-AufwErsV, BGBl.II Nr. 456/2008;

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

 

Zu I.:

1.1. In seiner 17. Mai 2011 - und damit rechtzeitig - beim Oö. Verwaltungssenat eingebrachten und auf § 67a Abs.1 Z2 AVG gestützten Beschwerde, führt der Rechtsmittelwerber folgendes aus:

"Vor der BH-Rohrbach ist zur Zahl 09/074.924 ein Verfahren betreffend die Entziehung der
Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers anhängig. Am 11.04.2011 hat die belangte
Behörde nachfolgenden Bescheid erlassen:
„Es wird Ihnen hiermit die von der Bezirks-
hauptmannschaft Rohrbach am 2.03.1992 unter Zahl VERKR-0301/5099/1992 für die
Klassen A, B, C, E, F erteilte Lenkberechtigung (Führerschein ausgestellt am 06.03.2009,
Zahl 09/074924 Klassen A, B, Cl, EB, EC1, EC und F) ab Zustellung des Bescheides für
die Dauer von 6 Monaten mangels Verkehrszuverlässigkeit entzogen. Der Führerschein ist
unverzüglich bei der Polizeiinspektion Ulrichsberg oder der Bezirkshauptmannschaft
Rohrbach abzugeben. "

 

Die Rechtsmittelbelehrung dieses Bescheides lautet wie folgt: „Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von 2 Wochen nach Zustellung dieses Bescheides schriftlich bei der Be­zirkshauptmannschaft Rohrbach (...) eine Berufung eingebracht werden (...)"

 

Beweis:    - Akt 09/074.924 der BH-Rohrbach -PV.

 

2.  Der angeführte Bescheid wurde dem Beschwerdeführer bzw. dessen Rechtsvertreter am
Freitag, den 15.4.2011, zugestellt. Der Beschwerdeführer hat am 27.04.2011 - und damit
rechtzeitig - gegen diesen Bescheid einen Berufung erhoben.

 

      Beweis:    - Akt 09/074.924 der BH-Rohrbach -PV.

 

3.  Rechtzeitig eingebrachte Berufungen haben gemäß § 64 Absatz 1 AVG aufschiebende
Wirkung. Von der im § 64 Absatz 2 AVG eingeräumten Möglichkeit, diese aufschiebende
Wirkung auszuschließen, hat die belangte Behörde keinen Gebrauch gemacht.

 

Die Entziehung der Lenkerberechtigung wirkt (erst) ab Rechtskraft des angeführten Be­scheides. Demzufolge bestand bzw. besteht auch erst ab Rechtskraft des Bescheides die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins. Dieser Zeitpunkt konnte daher frühestens mit 29.04.2011 eintreten (nach ungenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist, ausgehend vom Zu­stelldatum 15.04.2011). Im Hinblick auf die erhobene Berufung wird dieser Zeitpunkt überhaupt erst mit Erlassung des Berufungsbescheides eintreten. In jedem Fall aber, war die Entziehung der Lenkerberechtigung bzw. die Pflicht zur Abgabe des Führerscheins am 19.04.2011 noch nicht wirksam!

 

4.  Ungeachtet dieser Umstände wurde der Beschwerdeführer am Dienstag den 19.04.2011
auf der Rohrbacher Bundesstraße auf der Höhe Bushaltestelle „Rudolfing" in 4160 Aigen,
von (ihm zunächst unbekannten) Polizisten angehalten. Der Beschwerdeführer war zu die-
sem Zeitpunkt (ca. 6:40 Uhr) mit dem Dienstwagen seines Arbeitgebers auf dem Weg zur
Arbeit. Der Beschwerdeführer wurde zur Vorweisung seines Führerscheins und Zulas-
sungsscheins aufgefordert. Kurz nach Beginn dieser Amtshandlung erschien der dem Be-
schwerdeführer bekannte Inspektor X. Unter Hinweis auf den oben ange-
führten Bescheid der belangten Behörde wiesen die Polizisten darauf hin, dass der Be-
schwerdeführer bereits seinen Führerschein abgeben hätte müssen und bezichtigten ihn des
„Schwarzfahrens". Letztendlich haben die einschreitenden Polizisten dem Beschwerdefüh-
rer den Führerschein und gegen seinen Willen „abgenommen."

 

Beweis:    - PV.

 

5.  Die (faktische) Abnahme des Führerscheins stellt eine Ausübung der unmittelbaren ver-
waltungsbehördlichen Befehls- und Zwangsgewalt dar. Diese Maßnahme unterliegt daher
einer Beschwerde im Sinne des § 67a Absatz 1 Ziffer 2 AVG. Die Maßnahme wird inner-
halb offener Frist erhoben. Da der Beschwerdeführer aus obigen Gründen jedenfalls am
19.04.2011 (noch) nicht verpflichtet war, seinen Führerschein abzugeben bzw. da zu die-
sem Zeitpunkt die Lenkerberechtigung noch nicht rechtskräftig entzogen war, ist die ange-
führte Maßnahme rechtswidrig gewesen.

 

Aus den angeführten Gründen wird daher der

 

ANTRAG

 

gestellt, der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreichs möge

1.  den angefochtenen Verwaltungsakt für rechtswidrig erklären, sowie

 

2.  der belangten Behörde den Ersatz der Verfahrenskosten auferlegen."

 

 

1.2. Die belangte Behörde wurde von h. am 31.5.2011 zur Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift aufgefordert.

 

 

2. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Beischaffung des Verfahrensaktes und der Bezirkshauptmannschaft Rohrbach zu GZ 09/074.924-Hof. Diesem findet sich ein mit ON (Ordnungsnummern) Versehenes Inhaltsverzeichnis angeschlossen.

Ebenfalls beigeschafft wurde der h. Verfahrensakt, Erk. v. 20.5.2011, VwSen-522844, womit über den  Entzugsbescheid der Lenkberechtigung der belangten Behörde vom 11. April 2011 durch dessen Behebung rechtskräftig abgesprochen wurde.

Daraus ergibt sich der für die Entscheidung unstrittige Sachverhalt. Die Durchführung einer Berufungsverhandlung konnte sohin unterbleiben.

 

 

3. Zur Zulässigkeit:

Aufgrund der Maßnahmenbeschwerde hat der UVS zu prüfen ob die in der Abnahme des Führerscheins gründende Ausübung einer unmittelbaren verwaltungsbehördlichen Befehls­- und Zwangsgewalt rechtswidrig war.

 

 

3.1. In der Abnahme des Führerscheines ist grundsätzlich ein gegen eine in­dividuell bestimmbare Person gerichteter Verwaltungsakt mit einen individuell nor­mativen Inhalt zu erblicken. Die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt setzt nach der Judikatur der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts entweder die unmittelbare Anwendung physischen Zwanges oder – wie hier – die Erteilung eines Befehles mit unverzüglichem Befolgungsanspruch voraus (vgl. VwGH 14.12.1993, 93/05/0191; VfSlg 11935/1988; VfSlg 10319/1985; VfSlg 9931/1984 und 9813/1983). Für die Ausübung von Zwangsgewalt ist im Allgemeinen ein positives Tun begriffsnotwendig (vgl. VwGH 25.4.1991, 91/06/0052; VwSlg 9461 A/1977; VfSlg 6993/1973; VfSlg 4696/1964). Dieses kann auch in einem schlüssigen Tun iSd § 863 ABGB bestehen (vgl. Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit [1983], 74, vgl. h. Erk. v. 4.3.2010, VwSen-420611/8/SR/Sta).

 

 

3.2. Faktenlage:

Dem Berufungswerber wurde der Bescheid der belangten Behörde über den Entzug seiner Lenkberechtigung vom 11. April 2011 am 15.4.2011 im Wege seines Rechtsvertreters   zugestellt (ON 34 des Aktes der belangten Behörde).

Dagegen hatte der Berufungswerber fristgerecht Berufung erhoben. Diese langte am 2.5.2011 bei der belangten Behörde ein (ON 39).

Das Rechtsmittel wurde noch am gleichen Tag dem Unabhängigen Verwaltungssenat zur Entscheidung vorgelegt.

Am 3.5.2011 richtet der Berufungswerber durch seinen Vertreter wegen der seiner Ansicht rechtswidrigen Führerscheinabnahme ein Schreiben an die Finanzprokuratur und eines vom 9.5.2011 an das BMVIT mit der Geltendmachung eines Amtshaftungsanspruches, welche als Kopien dem Behördenakt beigefügt sind.

Laut Rechtsmittelbelehrung war dem Entzugsbescheid, was angesichts des bereits länger zurückliegenden Anlassereignisses als durchaus sachgerecht zu bezeichnen ist – mangels konkreter "Gefahr in Verzug" – die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt worden.

Trotzdem wurde dem Beschwerdeführer im behördlichen Auftrag von einem Organ der Polizeiinspektion Ulrichsberg am 19.4.2011, um ca. 06.40 Uhr, auf seinem Weg zum Arbeitsplatz, auf der Rohrbacher Bundesstraße in 4160 Aigen, bei der Bushaltestelle Rudolfing, nach Übermittlung des Entzugsbescheides und im Auftrag bzw. der Bezirkshauptfrau von Rohrbach zuzurechnenden Auftrag, der Führerschein abgenommen.

Ein Aktenstück über die konkrete Anordnung der Führerscheinabnahme an die Polizeiinspektion findet sich im Akt nicht. Dies konnte letztlich auch nicht über Rückfrage bei der Polizeidienststelle in Erfahrung gebracht werden. Offenbar war der Bescheid mit dem Auftrag zur Abnahme in der üblichen Form der Polizeiinspektion zugeleitet worden.

Die noch nicht eingetretene Rechtskraft dürfte dabei sowohl von der Behörde als auch dem für sie einschreitenden Organ übersehen worden sein.

 

Über mündlichen behördlichen Auftrag an die Polizeiinspektion vom 19.4.2011 um 11.30 Uhr (Frau X) musste  der Führerschein schließlich an den Beschwerdeführer wieder ausgefolgt werden. Dies wurde von h. im Wege der Polizeiinspektion Ulrichsberg in Erfahrung gebracht (h. AV v. 22.11.2011).

Der Entzugsbescheid erwuchs letztlich zu keinem Zeitpunkt in Rechtskraft weil er anlässlich der dagegen erhobenen Berufung vom 27.4.2011 vom Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oö. als Berufungsbehörde mit dem Erkenntnis vom 20.5.2011, VwSen-522844/2/Bi/Eg behoben wurde.

Dies im Ergebnis mit der Begründung weil wegen des längeren Zurückliegens des den Entzugstatbestand begründenden Vorfalls von einer noch fortbestehenden Verkehrsunzuverlässigkeit nicht mehr auszugehen war (Seite 6 letzter Absatz der Berufungsentscheidung).

 

 

3.3. In der mit der Aktenvorlage erstatteten Gegenschrift tritt die belangte Behörde den Beschwerdeausführungen nicht entgegen. Ausdrücklich als zutreffend wird im Sinne der Beschwerdeausführungen einerseits eingeräumt, dass im Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Rohrbach vom 11.04.2011 (dem Führerscheinentzugsbescheid) die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt worden war und die Abnahme des Führerscheins ohne eingetretener Rechtskraft erfolgte.

Damit räumt die Behörde unumwunden eine Fehlleistung ein, wobei im Rahmen dieses Verfahrens weder über den Grad eines allfälligen Verschuldens noch über dessen Zuordnung an einen/eine bestimmte(n) Organwalter/Organwalterin zu befinden ist.

 

 

4. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

Mit der Aufforderung den Führerschein abzugeben und damit auch die Weiterfahrt zu unterbinden wurde unmittelbar in die Rechts­sphäre des Beschwerdeführers eingegriffen (Eisenberger/Ennöckl/Helm, [Hrsg] Die Maßnahmenbeschwerde [2006] S 27ff).

Die Gerichtshöfe öffentlichen Rechts gehen in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass es sich bei Beschwerden gegen unmittelbare (verwaltungsbehördliche) Akte von Befehls- und Zwangsgewalt wohl lediglich um einen subsidiären Rechtsbehelf handelt, der nur insoweit zum Tragen kommt, als Rechtsschutz nicht durch sonstige Rechtsschutzverfahren erlangt werden kann (siehe VfSlg 16.119/2001; 16.815/2003; VwGH 20.12.1996, 94/02/0525; 27.3.1998, 95/02/0506; 7.9.2000, 99/01/0452).

Dies trifft auch auf den gegenständlichen Fall insoweit zu, weil der Betroffene – hier der Beschwerdeführer – die Abnahme des Führscheins und die damit verbundenen Konsequenzen ad hoc, nämlich in Vermeidung von Zwangsausübung gegen ihn, nicht zu verhindern vermochte!

 

 

4.1. Nach § 64 Abs.1 AVG haben rechtzeitig eingebrachte Berufungen aufschiebende Wirkung. Die Behörde kann jedoch die aufschiebende Wirkung ausschließen, wenn die vorzeitige Vollstreckung im Interesse des öffentlichen Wohls wegen Gefahr in Verzug dringend geboten ist. Das diese Voraussetzungen nicht vorlagen erkannte auch die belangte Behörde in diesem Verfahren, weil wohl fünf Monate nach dem den Entzug der Lenkberechtigung bildenden Anlassfall nicht just mit der Erlassung des Entzugsbescheides "Gefahr in Verzug" die Rede sein könnte, sodass es im öffentlichen Wohl gelegen wäre, nach Monaten der fortwährenden Verkehrsteilnahme, selbst nach einem an sich einen Entzugsgrund bildenden Vorfall, die Lenkberechtigung ohne die Rechtskraft durch die Berufungsentscheidung abzuwarten, zu entziehen.

Für diesen der belangten Behörde zuzurechnenden Zwangsakt in Form der Anordnung an die Exekutive dem Beschwerdeführer den Führerschein abzunehmen, bestand daher mangels Rechtskraft des behördlichen Bescheides keine Rechtsgrundlage.

 

 

4.2. Die Rechtswidrigkeit dieser Zwangsmaßnahme hat der Oö. Verwaltungssenat in Stattgebung der Beschwerde gemäß § 67c Abs. 3 AVG festzustellen.

 

 

Zu II.: Bei diesem stattgebenden Verfahrensausgang waren dem Beschwerdeführer nach § 79a Abs.3 Z3 AVG die laut Verordnung des Bundeskanzlers gemäß § 1 Z1 UVS-Aufwandersatzverordnung 2008 - UVS-AufwErsV festgelegten Kosten zuzusprechen.

Die vom Beschwerdeführer gemäß dem Anwaltstarif angesprochenen Kosten erweisen sich jedoch mit Blick auf die für diese Rechtschutzmaßnahme spezielleren Kostenvorschriften  als verfehlt (oben Punkt II.).

Analog dem § 59 Abs.4 VwGG 1985 war eine Leistungsfrist von 2 Wochen festzusetzen, zumal das Schweigen des § 79a AVG 1991 nur als planwidrige Lücke aufgefasst werden kann, sollte doch die Neuregelung idF BGBl Nr. 471/1995 im Wesentlichen eine Angleichung der Kostentragungsbestimmungen an das VwGG bringen (vgl. Erl. zur RV, 130 BlgNR 19. GP, 14 f u. das obzit. h. Erk. v. 4.3.2010, VwSen-420611/8/SR/Sta).

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

Für dieses Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 13,20 Euro angefallen.

 

 

 

Dr. B l e i e r

 

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