Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-231114/2/WEI/Ba

Linz, 30.06.2011

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mit­glied Dr. Wolfgang Weiß über die Berufung des X X, geb. X, russischer Staatsangehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, X, X, vertreten durch X X, p.A. Asyl in Not, X, X, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 22. Juni 2010, Zl. Sich 96-1020-2010, wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem Fremdenpolizeigesetz zu Recht erkannt:

I.       Der Berufung wird insoweit stattgegeben, als gemäß § 21 Abs 1 VStG von der Verhängung einer Strafe abgesehen und dem Berufungswerber unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens eine Ermahnung erteilt wird. Im Übrigen wird die Berufung als unbegründet abgewiesen.

II.     Die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens entfällt.

Rechtsgrundlagen:

§§ 24, 51 Verwaltungsstrafgesetz 1991 – VStG iVm § 66 Abs 4 Allgemeines Verwal­tungsverfahrens­gesetz 1991 – AVG; §§ 64 ff VStG.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis der belangten Behörde vom 22. Juni 2010 wurde der Berufungswerber (in der Folge nur Bw) wie folgt für schuldig befunden und bestraft:

 

"Sie hielten sich im Zeitraum vom 13.05.2010 um 16:43 Uhr bis zum 14.05.2010 um 18:20 Uhr als Fremde außerhalb des Gebietes des Bezirkes Vöcklabruck, in dem Sie  gem. § 12 Abs. 2 AsylG 2005 geduldet waren, auf, da Sie sich eigenen Angaben zufolge in Wien aufgehalten haben. Sie haben daher folgende Rechtsvorschrift verletzt:

1.)                    §121 Abs. 2, 1. Fall i.V.m. § 12 Abs. 2 Asylgesetz 2005

 

Wegen dieser Verwaltungsübertretung wird über Sie folgende Strafe verhängt:

 

1.)          Geldstrafe gem. § 121 Abs, 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz:          Euro 1.000,00

               Ersatzfreiheitsstrafe im Nichteinbringungsfall 100 Stunden

 

Ferner haben Sie gemäß §64 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG)

Als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens 10% der Strafe zu zahlen:            Euro    100,00

 

..."

 

1.2. Gegen dieses Straferkenntnis, dessen Zustellung mangels aktenkundigem Zustellnachweis nicht ausgewiesen ist, richtet sich die offenbar noch rechtzeitig per Telefax vom 8. Juli 2010 übersendete Berufung vom 8. Juli 2010, die Herr X X vom Verein Asyl in Not für den Bw unter Vorlage einer Vollmacht vom 10. Mai 2010 einbrachte. Die Berufung strebt sinngemäß die Aufhebung des Straferkenntnisses und Einstellung des Strafverfahrens an. Sie lautet:

 

"Gegen das Straferkenntnis vom 22.6.erhebe ich Berufung in offener Frist.

 

Begründung

 

Die belangte Behörde stimmt mir dahingehend ausdrücklich zu, daß mir das gesetzliche Recht auf Rechtsberatung zusteht. Sie vermeint jedoch, mit der Inanspruchnahme eines in der EAST West 'angesiedelten' und kostenfreien Rechtsberaters sei diesem Recht genüge getan.

 

Das ist aber falsch. Vielmehr habe ich einen Anspruch auf einen gewillkürten Vertreter nach dem AVG. Mein gewillkürter Vertreter ist Herr X X von Asyl in Not.

 

Dieser hat zwar schon am 11.5.2010 aufgrund der Aktenlage eine Beschwerde für mich eingebracht; dennoch war ein ausführliches Beratungsgespräch erforderlich, das wie dargelegt am 14-5-2010 stattfand.

 

Ob dieses Gespräch für mich und meinen Vertreter sachlich notwendig war oder nicht, braucht die belangte Behörde nicht 'logisch nachzuvollziehen', denn es obliegt nicht ihr, darüber abzusprechen.

 

Ganz ins Leere gehen ihre Mutmaßungen über mein angebliches Motiv, die EAST West in Richtung Wien zu verlassen, um einer Überstellung nach Polen zu entkommen.

 

Vielmehr war ich überzeugt davon, dass der von meinem Vertreter eingebrachten Beschwerde ohnedies stattgegeben wird.

 

Ich beantrage daher, das angefochtene Straferkenntnis ersatzlos zu beheben.

 

X X

vertreten durch

X X, Asyl in Not

eh. Unterschrift"

 

2. Aus der Aktenlage ergibt sich für den Oö. Verwaltungssenat im Wesentlichen der folgende unbestrittene S a c h v e r h a l t :

 

2.1. Nach dem aktenkundigen Ausdruck vom 21. Juni 2010 aus dem Asylinformationssystem zur Zahl 09 15.681 reiste der Bw am 17. Dezember 2009 von Polen kommend in Österreich ein und stellte am 18. Dezember 2009 einen Asylantrag beim Bundesasylamt (BAA), Außenstelle Traiskirchen. Er wurde Anfang Februar 2010 in der Erstaufnahmestelle (EAST) West untergebracht und der Asylakt abgetreten.

 

Sein Asylantrag wurde mit Bescheid des BAA EASt West gemäß §§ 5, 10 AsylG 2005 vom 3. Mai 2010, zugestellt am 4. Mai 2010, zurückgewiesen und seine Ausweisung nach Polen ausgesprochen. Dagegen brachte Herr X von Asyl in Not am 11. Mai 2010 als Vertreter des Bw per Telefax eine Beschwerde ein. Der Asylgerichtshof bestätigte den Eingang der Beschwerdevorlage am 17. Mai 2010. Mit Erkenntnis vom 21. Mai 2010, Zl. S5 413.206-1/2010/3E, wurde der Beschwerde stattgegeben, der angefochtene Erstbescheid behoben und das Asylverfahren zugelassen.

 

Das Ausweisungsverfahren wurde daraufhin vom BAA eingestellt und am 26. Mai 2010 dem Bw eine Aufenthaltsberechtigungskarte ausgestellt.

 

2.2. Mit Anzeige vom 15. Mai 2010 der PI St. Georgen-EAST wurde mitgeteilt, dass der Bw gemeinsam mit einer befreundeten tschetschenischen Familie die Betreuungsstelle West am 13. Mai 2010 um 16:43 Uhr verlassen hätte. Wegen der über 24stündigen Abwesenheit habe die EHC-Betreuung (European Homecare) im Rahmen der Grundversorgung eine Meldung gemacht. Am 14. Mai 2010 um 18:20 Uhr erschienen die Asylwerber wieder bei der Torwache der EASt West. Sie gaben an, sich in Wien aufgehalten zu haben. Einer der Asylwerber wäre Lenker eines PKWs gewesen. Für den Bw sei am 3. Februar 2010 eine Verfahrenskarte mit Gebietsbeschränkung für den Bezirk Vöcklabruck ausgestellt worden, weshalb der Verdacht einer Übertretung nach § 121 FPG bestünde. Genauere Angaben zum Aufenthalt hätten nicht in Erfahrung gebracht werden können. Einer Verwaltungsübertretung wären sich die angeführten Asylwerber jedoch nicht bewusst gewesen.

 

2.3. Mit Aufforderung zur Stellungnahme vom 17. Mai 2010 lastete die belangte Behörde dem Bw die Tat wie im angefochtenen Straferkenntnis an.

 

Am 7. Juni 2010 langte per Telefax (Absender Asyl in Not) folgende Stellungnahme des Bw ein:

 

"Bezüglich Ihres Schreibens vom 17.05.2010, erhalten am 02.06.2010 möchte ich folgende Stellungnahme abgeben:

 

Ich hielt mich am 13.05.2010 in Wien auf, um mich auf meinen Rechtsberatungstermin bei Asyl in Not am folgenden Tag vorbereiten zu können. Die Fahrt nach Wien dauert fünf Stunden, und ich hatte das Rechtsberatungsgespräch am 14.05.2010 in der Früh. Darum bin ich, um gut vorbereitet und pünktlich zu sein, am Tag vor dem Termin bei Asyl in Not, also am 13.05.2010 nach Wien gefahren.

Ich habe am 13.05.2010 vor meiner Fahrt nach Wien bei Beamten des Erstaufnahmezentrums Thalham mündlich nachgefragt und sie über mein Beratungsgespräch in Wien informiert, die Beamten meinten, dass ich nach Wien fahren darf.

Mir steht gesetzlich das Recht zu, Rechtsberatung in Anspruch zu nehmen, von welchem ich am genannten Tag Gebrauch gemacht habe.

Anbei befindet sich ein Bestätigungsschreiben von meinem Rechtsberatungstermin.

 

Hochachtungsvoll

Eh. Unterschrift"

 

Dem angeschlossenen Bestätigungsschreiben des Vereins Asyl in Not vom 7. Juni 2010 ist zu entnehmen, dass sich der Bw am 14. Mai 2010 von 09:00 Uhr bis 12:00 Uhr bei Asyl in Not in X, X, "zwecks wichtiger rechtlicher Beratung zu seinem laufenden Asylverfahren" aufgehalten habe.

3. Der Oö. Verwaltungssenat hat nach Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsstrafakt und die Berufung einen weitgehend unstrittigen Sachverhalt vorgefunden, weshalb zur Lösung des Falles im Wesentlichen Rechtsfragen zu behandeln waren.

4. In der Sache selbst hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erwogen:

4.1. Gemäß § 120 Abs 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG in der zur Tatzeit anzuwendenden Fassung BGBl I Nr. 122/2009 (Inkrafttreten am 01.01.2010) begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von 1.000 bis 5.000 Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen,

wer sich als Fremder außerhalb des Gebietes, in dem er gemäß § 12 Abs 2 AsylG 2005 geduldet ist, aufhält, oder eine Meldeverpflichtung gemäß §§ 15 Abs 1 Z 4 vorletzter Satz oder 15a AsylG 2005 verletzt.

§ 12 Abs 2 AsylG 2005 idF BGBl I Nr. 122/2009 lautet:

         (2) Der Aufenthalt eines Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat und dem kein Aufenthaltsrecht zukommt, ist für die Dauer des Zulassungsverfahrens vor dem Bundesasylamt lediglich im Gebiet der Bezirksverwaltungsbehörde, in dem sich sein Aufenthaltsort im Sinne des § 15 Abs 1 Z 4 befindet, geduldet. Darüber hinaus ist sein Aufenthalt im gesamten Bundesgebiet geduldet, wenn und solang dies

1.  zur Erfüllung von gesetzlichen Pflichten notwendig ist;

2.  notwendig ist, um Ladungen von Gerichten und Verwaltungsbehörden Folge zu leisten oder

3.  für die Inanspruchnahme einer medizinischen Versorgung und Behandlung notwendig ist.

Nach Abschluss des Zulassungsverfahrens vor dem Bundesasylamt ist der Aufenthalt des Fremden, solange ihm faktischer Abschiebeschutz zukommt, im gesamten Bundesgebiet geduldet.

4.2. Unbestritten ist, dass der Bw im angegebenen Zeitraum vom 13. auf den 14. Mai 2010 von der Betreuungsstelle West abwesend war und den Bezirk Vöcklabruck verließ, obwohl er während des Zulassungsverfahrens, solange er noch kein Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 hat, auf das Gebiet der Bezirksverwaltungsbehörde seines Aufenthaltsortes beschränkt ist. Die Ausnahmen von dieser Regel nach § 12 Abs 2 AsylG 2005 sind in den oben angeführten Ziffern festgelegt. Es handelt sich dabei um eine taxative Aufzählung. Eine Ausnahme für die Rechtsberatung außerhalb des Sprengels der Bezirksverwaltungsbehörde des Aufenthaltsortes kennt das Gesetz nicht.

Die Berufung hat den Anspruch auf freie Wahl eines Rechtsvertreters mit entsprechender Rechtsberatung grundsätzlich mit Recht betont. Das bedeutet aber entgegen der Berufung nicht, dass dieses Recht jederzeit außerhalb des Bezirks der belangten Behörde ausgeübt werden kann. Die Wahlfreiheit des Bw bestand aber trotz seiner Aufenthaltsbeschränkung auf das Gebiet der belangten Behörde. Das ausführliche Beratungsgespräch mit dem Bw hätte doch ohne weiteres im Bezirk Vöcklabruck stattfinden können. Ein Anspruch "zwecks wichtiger rechtlicher Beratung" in einem Asylverfahren nach Wien zu fahren, um dort den Rechtsvertreter seiner Wahl aufzusuchen, bestand nicht.

Der Oö. Verwaltungssenat kann der im AI ersichtlichen Niederschrift über die asylrechtliche Einvernahme vom 16. März 2010 entnehmen, dass ein namentlich nicht genannter (kostenfreier) Rechtsberater beigezogen war. Der Bw war mit diesem offenbar nicht zufrieden und wollte einen Rechtsvertreter seines Vertrauens einschalten, was an sich sein gutes Recht ist. Der erkennende Verwaltungssenat tritt auch den vagen Mutmaßungen der belangten Behörde, dass der Bw "nach entsprechender Beratung" (von wem?) die EASt West Richtung Wien in der Absicht verlassen hätte, um einer möglichen Überstellung nach Polen zu entkommen, nicht bei. Für eine solche Annahme zu Lasten des Bw gibt es keine Anhaltspunkte. Tatsache ist, dass der Bw am 14. Mai 2010 nach der am Vormittag bei Asyl in Not stattgefundenen Rechtsberatung von Wien wieder freiwillig in die Betreuungsstelle West zurückkehrte. Dies war zu einem Zeitpunkt (Beschwerdevorlage am 17.05.2010, Erkenntnis des Asylgerichtshof am 21.05.2010), als noch völlig offen war, ob der Asylgerichtshof der Beschwerde die aufschiebende Wirkung erteilt und ob er überhaupt der Beschwerde Folge geben wird oder nicht. Der Bw ist demnach in die EASt West trotz dieser Ungewissheit und des Risikos einer für ihn negativen Entscheidung zurückgekehrt. Schon aus diesem Grund waren die in der Bescheidbegründung angestellten Vermutungen der belangten Behörde nicht indiziert und daher unangebracht.

Im Ergebnis ist aber festzuhalten, dass Bw gegen § 121 Abs 2 FPG iVm § 12 Abs2 AsylG 2005 verstoßen und damit objektiv tatbestandsmäßig gehandelt hat.

4.3. Das FPG enthält keine eigene Regelung hinsichtlich des Verschuldens, weshalb § 5 Abs 1 VStG zur Anwendung kommt, wonach zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten genügt. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft (Ungehorsamsdelikt).

Auch die gegenständliche Verwaltungsübertretung stellt ein Ungehorsamsdelikt dar. Es genügt daher fahrlässige Tatbegehung. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat der Bw initiativ alles darzulegen, was für seine Entlastung spricht. Dies hat in erster Linie durch geeignetes Tatsachenvorbringen und durch Beibringung von Beweismitteln oder Stellung konkreter Beweisanträge zu geschehen. Bloßes Leugnen oder allgemein gehaltene Behauptungen reichen für die "Glaubhaftmachung" nicht.

Der Bw hat keine Umstände geltend gemacht, die geeignet wären, einen entsprechenden Entlastungsbeweis darzustellen. Er musste seine Aufenthaltsbeschränkung im Zulassungsverfahren auf Grund der ihm im Asylverfahren überlassenen Merkblätter und Belehrungen kennen. Bei Zweifeln oder Unklarheiten im Zusammenhang mit einem Termin zur Rechtsberatung außerhalb des Bezirks wäre er verpflichtet gewesen, eine fachkundige Information von kompetenter Stelle einzuholen. Eine solche Information hätte er daher von Beamten der Asylbehörde oder Fremdenbehörde und nicht bei irgendwelchen Bediensteten der Betreuungsstelle der EASt West erfragen müssen. Seine unkonkretisierte Behauptung in der Stellungnahme vom 7. Juni 2010, er hätte mündlich im EASt West wegen des Beratungsgesprächs in Wien nachgefragt und eine bejahende Antwort (von wem?) erhalten, kann ihn nicht vom Vorwurf der Fahrlässigkeit entlasten. Deshalb ist auch grundsätzlich vom Vorliegen der subjektiven Tatseite in Form fahrlässigen Verhaltens auszugehen.

4.4. Die belangte Behörde stellt zum Sachverhalt fest, dass dem Bw am 5. Jänner 2010 eine Mitteilung gemäß § 29 AsylG in seiner Muttersprache zugestellt und er von der Absicht in Kenntnis gesetzt worden wäre, sein Asylbegehren zurückzuweisen und ihn nach Polen auszuweisen. Zudem behauptet sie, dem Bw wäre auch mitgeteilt worden, dass der faktische Abschiebeschutz (§ 12a Abs 1 AsylG 2005) aufgehoben und sein Aufenthalt auf das Gebiet des Bezirkes Vöcklabruck beschränkt worden wäre. Rechtlich schließt die Strafbehörde dann daraus, dass es dem Bw geradezu drauf angekommen wäre, die Gebietsbeschränkung zu verletzen.

Aus dem vorgelegten Verwaltungsstrafakt kann der Oö. Verwaltungssenat diese angebliche Mitteilung betreffend den § 12a Abs 1 AsylG 2005 und den beschränkten Aufenthalt im Bezirk Vöcklabruck nicht nachvollziehen. Dem aktenkundigen Ausdruck vom 21. Juni 2010 aus dem Asylinformationssystem zur EDV-Zahl 09 15.681 betreffend den Bw (im Folgenden nur AI) ist nichts dergleichen zu entnehmen. Aus dem AI ergibt sich vielmehr, dass der Bw am 18. Dezember 2009 beim BAA, Außenstelle Traiskirchen, einen Asylantrag stellte und in der Folge ein Dublin-Konsultationsverfahren mit Polen eingeleitet wurde. Die Mitteilung des BAA, Außenstelle Traiskirchen, gemäß § 29 AsylG 2005 betreffend die beabsichtigte Zurückweisung und Ausweisung nach Polen wurde im AI mit 5. Jänner 2010 vermerkt und der zuständigen Bezirkshauptmannschaft Baden mitgeteilt.

Eine Beschränkung des Aufenthalts auf den Bezirk Vöcklabruck konnte dem Bw entgegen der Behauptung der belangten Behörde am 5. Jänner 2010 nicht mitgeteilt worden sein, weil damals sein Aufenthalt noch im Bezirk Baden lag. Er wurde nämlich erst am 3. Februar 2010 in die Betreuungsstelle EASt West verlegt. Eine allfällige (überflüssige) weitere Mitteilung gemäß § 29 Abs 3 Z 4 AsylG 2005 (zB per 01.05.2010) ist im AI nicht vermerkt. Am 3. Mai 2010 wurde laut AI bereits der negative Asylbescheid des BAA EASt West gemäß §§ 5, 10 AsylG 2005 erstellt.

Auch von einem in Österreich gestellten Folgeantrag iSd § 2 Abs 1 Z 23 AsylG 2005 nach einer zurückweisenden Entscheidung eines früheren Asylantrags des Bw (Fall des § 12a Abs 1 AsylG 2005 mit Verlust des faktischen Abschiebeschutzes ex lege) ist der Aktenlage bzw dem AI nichts zu entnehmen. Es bleibt unerfindlich, wie die belangte Behörde zu diesen Annahmen kommt. Sollte der Bw in Polen schon Asylanträge gestellt haben, so liegt deshalb noch kein Fall des § 12a AsylG 2005 vor.

Im Ergebnis kann der erkennende Verwaltungssenat die der Aktenlage widersprechende und damit unschlüssige Einschätzung der belangten Behörde nicht teilen, dass es dem Bw geradezu darauf angekommen wäre, die Gebietbeschränkung zu verletzen. Gegen ein vorsätzliches Fehlverhalten spricht letztlich auch die Anzeige der PI St. Georgen–EAST, in der auf Seite 3 festgehalten wird, dass sich die angezeigten Asylwerber einer Verwaltungsübertretung nicht bewusst waren.

 

4.5. Mit Erkenntnis vom 9. März 2011, G 53/10-7 u.a. Zlen, hat der Verfassungsgerichtshof einerseits zu Recht erkannt, dass die Wortfolge "von 1.000 Euro" im § 120 Abs 1 FPG und die Wendung "1" in § 120 Abs 4 FPG (BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009) als verfassungswidrig aufgehoben werden und andererseits unter Berufung auf Art 140 Abs 7 B-VG ausgesprochen, dass "die aufgehobenen Bestimmungen ... nicht mehr anzuwenden" sind. Dieser Spruch des Verfassungsgerichtshofs wurde am 4. April 2011 im BGBl I Nr. 17/2011 kundgemacht. Er ist daher seit 5. April 2011 (Art 140 Abs 5 Satz 3 B-VG) nach Art 140 Abs 7 B-VG für alle Gerichte und Verwaltungsbehörden wirksam.

Auf den vorliegenden Fall einer Übertretung nach § 121 Abs 2 FPG, die ebenfalls mit eine Mindeststrafe von 1.000 Euro bedroht ist, ist dieses Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs formal nicht anwendbar, obwohl materiell betrachtet die Überlegungen des Verfassungsgerichtshofs zur Unsachlichkeit der Mindeststrafe wegen Unterlassung gebotener Differenzierungen wohl analog ebenso zutreffen würden. Allerdings hat der Gesetzgeber darauf reagiert und mit dem insoweit am 1. Juli 2011 in Kraft getretenen Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 (vgl BGBl I Nr. 38/2011) die Tatbestände des FPG novelliert und auch für die Übertretung nach § 121 Abs 2 FPG eine reduzierte Strafdrohung von 100 bis 1.000 Euro im Erstfall vorgesehen.

Auch wenn diese mildere Neufassung im Hinblick auf die Regel des § 1 Abs 2 VStG, wonach sich die Strafe nach der Zeit der Tat oder – wenn für den Täter günstiger – der Zeit der Fällung des Bescheides erster Instanz zu richten hat, im gegenständlichen Fall nicht anwendbar ist, kann daraus zumindest abgeleitet werden, dass auch der Gesetzgeber nunmehr die gegenständliche Verwaltungsübertretung nicht für so schwerwiegend hält, wie es der Strafrahmen von 1.000 bis 5.000 Euro vermuten lassen könnte.

4.6. Gemäß § 19 Abs 1 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat.

Nach § 19 Abs 2 VStG sind im ordentlichen Verfahren überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungs­gründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegen­einander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechts sind die Bestimmungen der §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

Strafmildernd war im vorliegenden Fall die aus der Aktenlage abzuleitende Unbescholtenheit des Bw. Straferschwerend war kein Umstand. Das Tatsachengeständnis des Bw und seine unmittelbar nach der Rechtsberatung bei Asyl in Not am 14. Mai 2010 erfolgte freiwillige Rückkehr in die Betreuungsstelle zu einem Zeitpunkt, als noch ungewiss war, ob die asylbehördliche Ausweisung nach Polen in den nächsten Tagen umgesetzt werden wird, lassen ihn glaubwürdig erscheinen, zeigen seine Kooperationsbereitschaft und vermindern damit ganz wesentlich sein Verschulden an der Verletzung der Gebietsbeschränkung. Auch wenn ihm die Entlastung vom Ungehorsamsdelikt nicht gelungen ist, hat er aus seiner Sicht zumindest vermeintlich richtig gehandelt, indem er irgendeinen Bediensteten der EAST West (möglicherweise der Betreuungsfirma X) wegen seiner Fahrt nach Wien zu einem Rechtsberatungstermin befragte. Als Tschetschene mit zwar russischen (vgl asylbehördliche Niederschrift vom 16.03.2010), aber ohne deutsche oder englische Sprachkenntnisse, die ihm eine Verständigung in Österreich wesentlich erleichtert hätten, konnten dem Bw leicht Missverständnisse unterlaufen. Auch wenn er seinen Erkundigungspflichten als Fremder objektiv nicht ausreichend nachkam, ist ihm in subjektiver Hinsicht einzuräumen, dass er rechtskonform handeln wollte und sich einer Verwaltungsübertretung nicht bewusst war.

Das erkennende Mitglied des Oö. Verwaltungssenats vertritt daher die Ansicht, dass nach den dargelegten Strafzumessungsfaktoren ein Fall vorliegt, der im Bagatellbereich liegt. Gemäß § 21 Abs 1 VStG kann von der Verhängung einer Strafe abgesehen werden, wenn das Verschulden des Beschuldigten geringfügig ist und die Folgen der Übertretung unbedeutend sind. Die Behörde kann den Beschuldigten jedoch gleichzeitig unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens mit Bescheid ermahnen, sofern dies erforderlich ist, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen gleicher Art abzuhalten.

Geringes Verschulden liegt nach herrschender Meinung vor, wenn das tatbildmäßige Verhalten des Täters hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Unrechts- und Schuldgehalt erheblich zurückbleibt (vgl Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6 [2004] Anm 2 und E 6 ff zu § 21 VStG).

Die nur kurzfristige Verletzung der Gebietsbeschränkung durch den Bw hatte keine negativen Folgen im Asyl- oder Fremdenverfahren. Er wollte entgegen den Mutmaßungen der belangten Behörde nicht untertauchen, sondern verfolgte nur den grundsätzlich legitimen Zweck, sich rechtlich mit seinem Vertreter vom Verein Asyl in Not in Wien zu beraten. Dies vermag zwar die Gebietsbeschränkung im asylbehördlichen Zulassungsverfahren nicht aufzuheben, lässt aber das Verschulden des bisher unbescholtenen und noch nicht negativ in Erscheinung getretenen Bw als geringfügig erscheinen.

Im Ergebnis liegen daher die Voraussetzungen für ein Vorgehen nach § 21 Abs 1 VStG vor. Im Hinblick auf die sinngemäß in der Berufung zum Ausdruck gebrachte Fehlmeinung, dass der Anspruch auf einen gewillkürten Vertreter auch die Verletzung der Gebietsbeschränkung rechtfertige, war dem Bw unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens eine Ermahnung zu erteilen, um ihn künftig von weiteren strafbaren Handlungen gleicher Art abzuhalten.

5. Bei diesem Ergebnis hatte der Bw gemäß §§ 64 ff VStG keine Beiträge zu den Kosten des Strafverfahrens zu leisten.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

Dr. W e i ß

 

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