Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-252817/6/Py/Hu

Linz, 30.06.2011

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Andrea Panny über die Berufung der Frau x, vertreten durch x, gegen das Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Steyr vom 28. März 2011, GZ: Ge-361/10, wegen Übertretung nach dem Ausländerbeschäftigungs­gesetz (AuslBG), zu Recht erkannt:

 

 

I.       Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

 

II.     Es entfallen jegliche Verfahrenskostenbeiträge.

 

 

Rechtsgrundlagen:

Zu  I.:  § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991 idgF iVm §§ 24, 45 Abs.1 Z1 und 51 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG), BGBl. Nr. 52/1991 idgF.

Zu II.:  § 66 Abs.1 VStG.

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Steyr vom 28. März 2011, GZ: Ge-361/10, wurde über die Berufungswerberin (in der Folge: Bw) wegen Verwaltungsübertretung nach § 3 Abs.1 iVm § 28 Abs.1 Z1 lit.a Ausländerbeschäftigungsgesetz, BGBl. 218/1975 idgF eine Geldstrafe in Höhe von 500 Euro, für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe in Höhe von 12 Stunden verhängt. Gleichzeitig wurde ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von 50 Euro vorgeschrieben.

 

Dem Straferkenntnis liegt folgender Tatvorwurf zugrunde:

 

"Sie haben es als handelsrechtliche Geschäftsführerin und somit als zur Vertretung nach außen berufenes Organ der Firma x, in x (welche unbeschränkt haftender Gesellschafter der Firma x in x, ist) verwaltungsstrafrechtlich zu vertreten, dass die türkische Staatsbürgerin x, geb. am x, in der Zeit vom 2.2.2010 bis zum 3.3.2010 bei der Firma x in x, beschäftigt wurde, ohne dass diese Ausländerin eine Beschäftigungsbewilligung besaß oder dieser eine Zulassung als Schlüsselkraft erteilt worden wäre, noch war für diese Ausländerin eine Anzeigebestätigung oder eine Arbeitserlaubnis oder ein Befreiungsschein oder ein Niederlassungsnachweis ausgestellt worden. Dies stellt eine Übertretung der Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes dar."

 

In der Begründung führt die belangte Behörde unter Wiedergabe des Verfahrensganges und der Rechtsgrundlagen aus, dass der gegenständliche Tatbestand vom Finanzamt Steyr der erkennenden Behörde angezeigt wurde. Die Übertretung der Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes ist aufgrund der Anzeige des Finanzamtes sowie aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens als erwiesen anzusehen. Infolge Außerachtlassens der gebotenen und zumutbaren Sorgfalt muss als Grad des Verschuldens zumindest Fahrlässigkeit angenommen werden.

 

Zur verhängten Strafhöhe wird festgehalten, dass als strafmildernd die völlige verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit der Bw gewertet wird. Da die Bw lediglich ein geringes Verschulden trifft, wurde in Anwendung des § 20 VStG die gesetzliche Mindeststrafe auf die Hälfte herabgesetzt.

 

2. Dagegen richtet sich die rechtzeitig von der Bw im Wege ihrer rechtsfreundlichen Vertretung rechtzeitig eingebrachte Berufung. Darin wird ausgeführt, dass die gegenständliche türkische Staatsbürgerin, Frau x, geb. am x, von der Firma x beschäftigt wurde. Die zuständige und äußerst zuverlässige Personalverrechnerin ging in der Folge in Karenz und setzte im verwendeten Computerprogramm im Personalstamm aufgrund eines Versehens fälschlicherweise einen zu knapp gesetzten Hinweis, dass der Befreiungsschein von Frau x bereits mit 1. Februar 2010 abläuft. Als der Fehler aufkam, wurde sofort der zuständige Objektleiter verständigt, damit er die Dienstnehmerin in Kenntnis setzt. Diese hat dann sofort einen neuen Befreiungsschein beantragt und auch erhalten. Es handelt sich um einen einmaligen Fehler, der im Hinblick auf die rund 500 beschäftigten Mitarbeiter trotz entsprechender Kontrollen übersehen wurde. Zusammenfassend wird ausgeführt, dass durch diesen Vorfall niemand ein Schaden zugefügt wurde und hätte sich an der tatsächlichen Sachlage dadurch, dass der Antrag rechtzeitig gestellt worden wäre, nichts geändert. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte die erkennende Behörde daher § 21 Abs.1 VStG anwenden müssen, von der Verhängung einer Strafe absehen müssen und wäre im gegenständlichen Fall aus spezialpräventiven Gründen nicht einmal eine Ermahnung geboten.

 

3. Mit Schreiben vom 19. April 2011 legte die belangte Behörde die Berufung samt dem bezughabenden Verwaltungsstrafakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat zur Entscheidung vor. Da keine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, ist dieser zur Entscheidung durch sein nach der Geschäftsverteilung zuständiges Einzelmitglied berufen (§ 51c VStG).

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Akteneinsicht. Da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der gegenständliche Bescheid zu beheben ist, konnte die Anberaumung und Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung gemäß § 51e Abs.2 Z2 entfallen. Dem Finanzamt Kirchdorf Perg Steyr als am Verfahren beteiligte Organpartei wurde im Rahmen des Parteiengehörs die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt.

 

5. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

5.1. Nach § 2 Abs.2 AuslBG gilt als Beschäftigung die Verwendung

a)    in einem Arbeitsverhältnis,

b)    in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis,

c)     in einem Ausbildungsverhältnis, einschließlich der Tätigkeit nach § 3 Abs.5 leg.cit,

d)    nach den Bestimmungen des § 18 leg.cit. oder

e)    überlassener Arbeitskräfte im Sinn des § 3 Abs.4 des Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes, BGBl. Nr. 196/1988.

 

Gemäß § 3 Abs.1 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975 idgF darf ein Arbeitgeber, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, einen Ausländer nur beschäftigen, wenn ihm für diesen eine Beschäftigungsbewilligung, eine Zulassung als Schlüsselkraft oder eine Entsendebewilligung erteilt oder eine Anzeigebestätigung ausgestellt wurde, oder wenn der Ausländer eine für diese Beschäftigung gültige Arbeitserlaubnis oder einen Befreiungsschein oder eine "Niederlassungsbewilligung – unbeschränkt" oder einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EG" oder einen Niederlassungsnachweis besitzt. 

 

Gemäß § 4c Abs.1 AuslBG ist für türkische Staatsangehörige eine Beschäftigungsbewilligung von Amts wegen zu erteilen oder zu verlängern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs.1 erster und zweiter Unterabsatz oder nach Art. 7 erster Unterabsatz oder nach Art. 7 letzter Satz oder nach Art. 9 des Beschlusses des Assoziationsrates EWG-Türkei – ARB Nr. 1/1980 erfüllen.

 

Gemäß § 4c Abs.2 AuslBG ist türkischen Staatsangehörigen von Amts wegen ein Befreiungsschein auszustellen oder zu verlängern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs.1 dritter Unterabsatz oder nach Art. 7 zweiter Unterabsatz des ARB Nr. 1/1980 erfüllen.

 

Art. 6 Abs.1 des Beschlusses Nr. 1/1980 des Assoziationsrates über die Entwicklung der Assoziation vom 19.9.1980 (Assoziationsratsbeschluss EWR – Türkei – ARB 1/1980) lautet:

Vorbehaltlich der Bestimmungen in Art. 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates angehört, in diesem Mitgliedsstaat

-         nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Aufenthaltserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;

-         nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung – vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs – das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedsstaates eingetragenes Stellenangebot zu bewerben;

-         nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

 

Art. 7 Assoziationsratsbeschluss EWR – Türkei – ARB 1/1980 lautet:

Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,

-         haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;

-         haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung in Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens 5 Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.

 

Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedsstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedsstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war.

 

5.2. Im gegenständlichen Straferkenntnis wird der Bw die unberechtigte Beschäftigung der türkischen Staatsangehörigen x in der Zeit vom 2. Februar 2010 bis 3. März 2010 zur Last gelegt. Wie dazu aus dem im Akt einliegenden Schreiben des AMS Wels vom 4. März 2010 hervorgeht, bestand im Tatzeitraum für Frau x ein Anspruch auf Ausstellung eines Befreiungsscheines.

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bildet für die Ausübung der türkischen Staatsangehörigen im Assoziationsratsbeschluss EWR-Türkei-ARB 1/1980 in Art. 6 und 7 eingeräumten Rechte die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung nach § 4c Abs.1 AuslBG oder eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs.2 AuslBG keine Voraussetzung. Vielmehr kommt den im Assoziationsratsbeschluss eingeräumten Rechten unmittelbare Wirkung zu und werden die daraus erfließenden subjektiven Rechte nicht erst durch die Ausstellung einer behördlichen Erlaubnis begründet. Daher kommt auch eine Bestrafung eines Arbeitgebers wegen Beschäftigung eines nach Art. 6 ARB 1/1980 oder Art. 7 ARB 1/1980 berechtigten türkischen Arbeitnehmers noch vor der (amtswegigen) Ausstellung einer Bewilligung nicht in Betracht (vgl. VwGH vom 23. Mai 2002, Zl. 2009/09/0212; vom 18. Oktober 2007, Zl. 2006/09/0032).

 

5.3. Gemäß § 45 Abs.1 Z1 VStG hat die Behörde von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann oder keine Verwaltungsübertretung bildet.

 

Aufgrund der türkischen Staatsangehörigen im Assoziationsratsbeschluss EWR-Türkei eingeräumten Rechte lagen im gegenständlichen Tatzeitraum für Frau x die Voraussetzungen für einen Zugang zum Arbeitsmarkt vor, weshalb eine Bestrafung der Bw – auch vor Ausstellung des Befreiungsscheines – nicht in Betracht zu  ziehen ist. Da die Beschäftigung der türkischen Staatsangehörigen Frau x durch die Bw somit keine Verwaltungsübertretung bildet, war das gegenständliche Straferkenntnis zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

 

6. Bei diesem Ergebnis entfällt gemäß § 66 Abs.1 VStG die Verpflichtung zur Leistung von Kostenbeiträgen zum Verwaltungsstrafverfahren.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

 

 

 

Dr. Andrea Panny

 

 

 

 

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