Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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Linz, 02.08.2011

                                                                                                                                                                               Zimmer, Rückfragen:

Mag. Dr. Bernhard Pree                                                                                      4A13, Tel. Kl. 15685

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Bernhard Pree über die Berufungen des 1. X, 2. der X, 3. des X, 4. des X, 5. des X sowie 6. des X; allesamt StA von X, sämtlich vertreten durch X, gegen den Bescheid des Polizeidirektors von Wels vom 23. April 2010, Zl.: 1-1001501/FP/10, 1-1012614/FP/10, 1-1012615/FP/10, 1-1014210FP/10, 1-1020811/FP/10 sowie 1-1028316/FP/10, betreffend Ausweisungen der  Berufungswerber nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

 

I.       Den Berufungen wird stattgegeben und die angefochtenen   Bescheide ersatzlos aufgehoben.

 

         Apelimi pranohet dhe Vendimi i kundërshtuar shpallet plotësisht i    pavlershëm.

 

 

II.     Eine Rückkehrentscheidung ist jeweils auf Dauer unzulässig.

 

         Një Vendimit për rikthim është për gjithnjë i pa lejushëm.

        

        

 

Rechtsgrundlage:

Baza ligjore:

 

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

Entscheidungsgründe:

 

1.1.1. Mit Bescheid des Polizeidirektors von Wels vom 23. April 2010,
Zl.: 1-1001501/FP/10, 1-1012614/FP/10, 1-1012615/FP/10, 1-1014210FP/10, 1-1020811/FP/10 sowie 1-1028316/FP/10, wurde gegen die Berufungswerber (im Folgenden Bw) auf Basis des § 53 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, jeweils die Ausweisung angeordnet.

 

Begründend führt die belangte Behörde zunächst zum Sachverhalt aus, dass der Erst-Bw, ein Staatsangehöriger von X, am 9. Jänner 2001 illegal nach Österreich eingereist sei und noch am selben Tag einen Asylantrag gestellt habe, der am 12. März 2003 erstinstanzlich und am 30. April 2009 vom Asylgerichtshof rechtskräftig abgewiesen worden sei.

 

Die Zweit-Bw sei am 1. Juni 2002 in Begleitung ihres Sohnes X (Dritt-Bw, geb. 14. November 2000) illegal in das Bundesgebiet eingereist und habe am 18. Juni 2002 Asylanträge gestellt, die schlussendlich gleichgehend mit dem des Erst-Bw am 30. April 2009 vom Asylgerichtshof negativ beschieden worden seien. Das gleiche Schicksal hätten die jeweiligen Asylanträge der schon in Österreich geborenen Söhne X (Viert-Bw, geb. 18. März 2003) sowie X (Fünft-Bw, geb. 30. Dezember 2005) erfahren. Am 13. Juli 2009 sei der Sohn X (Sechst-Bw) in Wels zur Welt gekommen.

 

Nach negativer Finalisierung der Asylverfahren komme den Bw keine Aufenthaltsberechtigung mehr zu. Der Aufenthalt sei daher unrechtmäßig.

 

Mit 30. Juni 2009 hätten die Bw Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels beim Magistrat Wels gestellt. Diesbezüglich habe die Sicherheitsdirektion für Oberösterreich eine begründete Stellungnahme abgegeben und ua. festgestellt, dass dem Bw seit der negativen erstinstanzlichen Entscheidung im Asylverfahren des Erst-Bw der unsichere Aufenthalt im Bundesgebiet bewusst gewesen sei.

 

Der Erst-Bw gehe seit September 2001 mit mehreren Unterbrechungen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach und verfüge über eine bis
10. Mai 2010 gültige Beschäftigungsbewilligung. Eine berufliche Integration sei dem Erst-Bw nicht abzusprechen, die allerdings dahingehend relativiert werde, dass er bereits bei der Aufnahme der Erwerbstätigkeit um den unsicheren Aufenthalt gewusst habe. Die Zweit-Bw sei hingegen mangels sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung nicht als beruflich integriert anzusehen.

 

Der Erst-Bw habe den Großteil seines Lebens im Herkunftsland verbracht, dort die Grundschule besucht und spreche albanisch, serbokroatisch und deutsch. Es sei ihm eine Reintegration zuzumuten.

 

Der Erst-Bw sei vom LG Wels am 25. November 2005, rechtskräftig mit 20. April 2006, nach dem SMG zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten, davon 15 Monate bedingt, verurteilt worden. Weiters schienen Verwaltungsvormerkungen nach dem KFG sowie der StVO auf. Diese Tatsache lasse eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber den in Österreich geltenden Rechtsnormen erkennen, weshalb eine Verfestigung im Bundesgebiet gravierend in Frage gestellt werde. Im Schengenraum (Italien) scheine ein Aufenthaltsverbot (gültig bis 2012) auf.

 

Im Rahmen des Ausweisungsverfahrens sei am 30. März 2010 eine Stellungnahme der Bw übermittelt worden, worin ua. auf die seit 24. September 2001 nahezu durchgängige Beschäftigung des Erst-Bw und die Selbsterhaltungsfähigkeit des Erst-Bw sowie diese auch in Hinblick auf die Familie hingewiesen worden sei.

 

In Österreich würden Brüder, eine Schwester und eine Cousine des Erst-Bw leben, die die österreichische Staatsangehörigkeit besitzen würden. In Serbien würden noch die Eltern und zwei Brüder des Erst-Bw leben. Diese seien aber nicht in der Lage, die sechsköpfige Familie bei sich aufzunehmen. Die Familie hätte auch in X nicht die Möglichkeit ihre Existenz sicherzustellen.

 

Darüber hinaus wird auf eine schwere Erkrankung des jüngsten Sohnes hingewiesen.

 

Aus dem Sachverhalt sei ersichtlich, dass sowohl der Erst- als auch die Zweit-Bw über Deutschsprach-Zertifikate des Niveau A2 verfügen.

 

In ihren rechtlichen Überlegungen führt die belangte Behörde aus, dass aufgrund der langen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet ein gewisses Maß an Integration vorliege, weshalb die Ausweisungen vor allem in das Privatleben eingreifen würden.

 

Dadurch, dass die Ausweisung gegenüber allen Mitgliedern der Kernfamilie ausgesprochen worden sei, sei kein Eingriff in das Familienleben zu erkennen.

 

Die familiäre, soziale und berufliche Integration sei während eines weitgehend unsicheren Aufenthaltsstatus entstanden.

 

Die strafgerichtliche Verurteilung des Erst-Bw die verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen sowie das gegen ihn bestehende schengenweite Aufenthaltsverbot seitens Italien seien negativ in eine Gesamtbeurteilung einzubeziehen. 

 

Erst- und Zweit-Bw hätten den Großteil ihres Lebens im Herkunftsland verbracht, weshalb eine Reintegration zumutbar erschienen.

 

Die Heilbehandlung des Sohnes X könne – aus Sicht der belangten Behörde  - auch in Serbien durchgeführt werden. So sei dem Internet zu entnehmen, dass in der Hauptstadt Belgrad eine Reihe öffentlicher und privater Kliniken und Praxen mit zufriedenstellender Ausstattung existieren würden.

 

Nach Abwägung der angeführten Umstände ergebe sich aus dem festgestellten Sachverhalt, dass unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK die Ausweisung der Bw zulässig sei.

 

1.2. Gegen diesen Bescheid erhoben die Bw durch ihren Rechtsvertreter rechtzeitig Berufung mit Schriftsatz vom 17. Mai 2010.

 

Zunächst wird darin beantragt, die angefochtenen Bescheide vom 23. April 2010 dahingehend abzuändern, dass die in Rede stehenden Ausweisungen als auf Dauer unzulässig erklärt würden;

oder die Bescheide aufzuheben und zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

 

Begründend verweisen die Bw auf das gesamte erstinstanzliche Vorbringen und die vorgetragenen Argumente. Bei deren richtigen Würdigung hätte ausgesprochen werden müssen, dass die Ausweisung der Bw nach X im Lichte des Art. 8 EMRK auf Dauer unzulässig sei.

 

Ua. wird ausgeführt, dass die Bw während der gesamten Dauer des Asylverfahrens auch in 2. Instanz noch hätten hoffen können, eine positive Entscheidung zu erhalten, da es in den letzten Jahren zu zahlreichen Asylgewährungen bzw. Zuerkennungen von subsidiären Schutzberechtigungen durch den UBAS bzw. den Asylgerichtshof gekommen sei.

 

Die geltend gemachten gesundheitlichen Probleme des Sechst-Bw X hätten die Erstbehörde auch veranlassen müssen, entsprechende Sachverständigengutachten einzuholen. Es hätte sich dann ergeben, dass die gesundheitlichen Probleme einer Ausweisung jedenfalls entgegenstünden. Es werde nochmals ausdrücklich beantragt, entsprechende Beweise im Zuge des Berufungsverfahrens aufzunehmen.

 

Die strafrechtliche Verurteilung des Erst-Bw liege schon mehr als 4 Jahre zurück. Er habe für sein Verbrechen 5 Monate im Gefängnis verbracht. Er habe seine Tat zutiefst bereut und sei seither strafrechtlich unbescholten geblieben. Er wolle in Zukunft unbescholten bleiben, da er die österreichische Rechtsordnung und Lebensart respektiere.

 

Die Beurteilung der Integrationskriterien setze eine Einvernahme der Betroffenen voraus, was ausdrücklich auch beantragt werde.

 

1.3. Mit Schreiben vom 28. Juli 2010 übermittelte der Rechtsvertreter der Bw ein Sprachzertifikat Deutsch des Österreichischen Integrationsfonds Niveau A2 des Europarates betreffend die Zweit-Bw, eine Schulnachricht und ein Jahreszeugnis des Dritt-Bw, eine Schulbesuchsbestätigung des Viert-Bw.

 

Mit Schreiben vom 10. August 2010 übermittelte der Rechtsvertreter weiters einen Arztbrief vom Klinikum Wels-Grieskirchen GmbH sowie eine ärztliche Bestätigung vom Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Linz, betreffend den aktuellen Zustand des Sechst-Bw X. Die Erkrankung betraf die Doppelniere bzw. den Harnleiter, der operativ erneuert werden musste, um einen Reflux auszuschließen.

 

Schlussendlich erfolgte noch eine Übermittlung vom 22. September 2010 einer Bescheinigung vom italienischen Justizministerium in Hinblick auf den Erst-Bw, woraus ersichtlich ist, dass hier keine Straftaten registriert sind, wie auch ein Unterstützungsschreiben vom WSC-Hertha Wels betreffend den Dritt-Bw X und den Viert-Bw X.

 

Sämtliche Unterlagen wurden zum Akt genommen.

 

 

2.1. Die belangte Behörde legte zunächst den in Rede stehenden Verwaltungsakt der Sicherheitsdirektion für Oberösterreich vor.

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 38/2011 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass der Unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist, weshalb der in Rede stehende Verwaltungsakt von der Sicherheitsdirektion – nach In-Krafttreten der Novelle am 1. Juli 2011 – dem Oö. Verwaltungssenat übermittelt wurde.

 

2.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde.

 

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil eine solche nicht erforderlich war, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lässt (§ 67d AVG).

 

Einem diesbezüglichen Berufungsantrag war daher nicht zu folgen.

 

2.3. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1.1.1. und 1.3. dieses Erkenntnisses dargestellten völlig unbestrittenen Sachverhalt aus.

 

2.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

3. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

3.1.1. Gemäß § 125 Abs. 14 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, gelten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassene Ausweisungen gemäß § 53 als Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter, mit der Maßgabe, dass ein Einreiseverbot gemäß § 53 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 damit nicht verbunden ist.

 

3.1.2. Im vorliegenden Fall ist völlig klar, dass die in Rede stehende Ausweisung auf Basis des § 53 FPG ("alte Fassung") erlassen wurde, weshalb diese Ausweisung als Rückkehrentscheidung im Sinne des nunmehrigen § 52 FPG anzusehen und zu beurteilen ist.

 

3.2.1. Gemäß § 52 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, ist gegen einen Drittstaatsangehörigen, sofern nicht anderes bestimmt ist, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Berufung gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 66 Abs. 4 AVG auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

 

3.2.2. Im vorliegenden Fall ist zunächst auch von den Bw selbst unbestritten, dass sie über keinerlei Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügen und somit grundsätzlich unrechtmäßig aufhältig sind. Allerdings ist bei der Beurteilung der Ausweisung bzw. der Rückkehrentscheidung auch auf Art. 8 EMRK sowie § 61 FPG Bedacht zu nehmen. 

 

3.3.1. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist allerdings ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs. 1 (nur) statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

3.3.2. Gemäß § 61 Abs. 1 FPG ist, sofern durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.      die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige   Aufenthalt des Fremden rechtmäßig war;

2.      das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.      die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.      der Grad der Integration;

5.      die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.      die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.      Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-          Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.      die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt      entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltstatus           bewusst waren;

9.      die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden       zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 3 FPG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein  aufgrund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51ff. NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

Gemäß § 125 Abs. 20 FPG  gelten, vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 38/2011 vorgenommene Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 66 als Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 61 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter.

 

3.4.1. Im Sinne der zitierten Normen ist eine Interessensabwägung – basierend auf einer einzelfallbezogenen  Gesamtbetrachtung – vorzunehmen.

 

3.4.2. Es ist festzuhalten, dass es gestützt auf die ständige Rechtsprechung der Höchstgerichte) zulässig und erforderlich ist, Maßnahmen zu ergreifen, um den unrechtmäßigen Aufenthalt einer Person zu beenden, da ein solcher rechtswidriger Status fraglos dazu geeignet ist, die öffentliche Ordnung eines Staates massiv zu beeinträchtigen. Daraus folgt, dass das diesbezügliche öffentliche Interesse hoch anzusetzen ist und eine Ausweisung grundsätzlich ein nicht inadäquates Mittel darstellt, um einen rechtskonformen Zustand wiederherzustellen. Dies gilt jedoch nur insofern, als die privaten bzw. familiären Interessen im jeweils konkreten Einzelfall nicht als höherrangig anzusehen sind.

 

3.4.3. Im vorliegenden Fall hatte die belangte Behörde festgestellt, dass lediglich das Privatleben der Bw von einer Ausweisung betroffen wäre, zumal ja sämtliche Mitglieder der Kernfamilie von der Maßnahme gleichermaßen betroffen seien, wodurch das Familienleben an sich nicht tangiert sein könne. Insofern ist ihr zu folgen; allerdings mit dem Bemerken, dass die jeweiligen Eingriffe in das Privatleben des / der einzelnen Bw auch unmittelbar die anderen Familienmitglieder zu beeinträchtigen geeignet sind.  

 

3.4.4. Hinsichtlich der Dauer und der Natur des Aufenthalts können der Erst-Bw (10 Jahre) sowie die Zweit-Bw und der Dritt-Bw (9 Jahre) auf eine relativ lange Dauer verweisen, wobei der größte Teil davon – wegen des aufrechten Asylverfahrens – grundsätzlich legal waren. Für die restlichen Familienmitglieder, die alle in Österreich zur Welt kamen, erstreckt sich deren Aufenthalt jeweils über die gesamte Lebensdauer.

 

Hinsichtlich des allfälligen unsicheren Aufenthalts der Bw ist insbesondere auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen. Demnach hat der dem § 61 Abs. 2 FPG vergleichbare § 66 Abs. 2 FrPolG 2005 schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während eines unsicheren Aufenthaltsstatus erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen wäre und ein solcherart begründetes privates bzw. familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte (vgl. auch E 22. Dezember 2009, 2009/21/0348).

Der rund 10 Jahre und 9 Monate dauernde Aufenthalt sowie die mehr als 9 Jahre lang kontinuierlich ausgeübte unselbständige Erwerbstätigkeit (in Verbindung mit weiteren Aspekten der erreichten Integration) verleihen den persönlichen Interessen des Fremden am Verbleib im Bundesgebiet ein derart großes Gewicht, dass die Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FrPolG 2005 - auch bei einem Eingriff nur in das Privatleben - unverhältnismäßig erscheint (vgl. VwGH vom 20. Jänner 2011, 2010/22/0158).

 

3.4.3. Wie sich aus dem Sachverhalt ergibt, befindet sich der Erst-Bw schon seit 10 Jahren im Bundesgebiet, wo er nicht nur beinahe durchgängig einer Beschäftigung nachging, ein Einkommen bezieht und sozialversichert ist, sondern auch seinen Wohnsitz gemeldet hat. Seine Deutschkenntnisse sind – wie auch die seiner Gattin – ausreichend dokumentiert. Die oa. Judikatur des VwGH ist hier also einschlägig. Angesichts von 4 zu betreuenden Kindern kann es der Zweit-Bw nicht als negativ angerechnet werden, dass sie ihre berufliche Integration nicht vorangetrieben hat. Auf die berufliche Integration der Kinder braucht – wegen deren Alters – nicht näher eingegangen werden.

 

Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass hier vor allem die soziale Integration einen hohen Stellenwert genießt. Die drei älteren Söhne besuchten in Österreich nicht nur den Kindergarten, sondern auch die Schule, wobei die beiden älteren Söhne auch außerhalb der Bildungseinrichtungen in einem Fußballverein integrationsstiftende Elemente aufweisen. Insgesamt ist also im vorliegenden Fall von einem hohen Maß an sozialer Integration zu sprechen und von einer Verfestigung durchaus auszugehen.

 

3.4.5. Auch, wenn der belangten Behörde durchaus zu folgen ist, dass eine Reintegration – von Erst-Bw und Zweit-Bw im Herkunftsland durchaus zumutbar erschiene, ist dennoch darauf hinzuweisen, dass dies  im Fall der Kinder schon schwieriger sein dürfte.

 

Hinsichtlich der ins Treffen geführten Nieren- bzw. Harnleitererkrankung des jüngsten Sohnes ist ebenfalls wieder auf die Judikatur des VwGH hinzuweisen.

 

Wenn für den Fremden keine Aussicht besteht, sich in seinem Heimatland oder in einem anderen Land – sollte ein solches als Zielort überhaupt in Betracht kommen – außerhalb Österreichs der für ihn notwendigen Behandlung unterziehen zu können, kann das – abhängig von den dann zu erwartenden Folgen – eine maßgebliche Verstärkung des persönlichen Interesses an einem Verbleib in Österreich darstellen (vgl. VwGH vom 27. März 2007, 2006/21/0165, vom 28. Juni 2007, 2007/21/0163 bis 167 und vom 24. Oktober 2007, 2006/21/0296 bis 0300).

 

Die bloße Reduktion der Ausführungen eines Bescheides auf die Frage der Reisefähigkeit – verbunden mit allgemeinen Darstellungen der Situation eines Drittstaates, ohne diese in konkrete Beziehung zur individuellen Situation der Beschwerdeführer zu setzen – wird den Erfordernissen an die mängelfreie Begründung eines Bescheides nicht gerecht (vgl. VwGH vom 17. Mai 2009, 2008/21/060). 

 

Der angefochtene Bescheid setzte sich nicht konkret mit der speziellen Situation des Sechst-Bw auseinander, sondern beschränkte sich auf die generelle Feststellung, dass laut Internet die medizinische Versorgung in der Hauptstadt Belgrad als durchaus positiv zu bewerten sei. Diese Feststellung wird den Vorgaben der Judikatur nicht gerecht. Den beigebrachten Unterlagen ist nicht klar zu entnehmen, ob der damalige medizinische Eingriff langfristige Folgeerscheinungen zeitigt, wobei dies aber auch nicht ganz ausgeschlossen ist. Es kann aber tatsächlich nicht – wie in der Berufung behauptet – davon ausgegangen werden, dass eine ausreichende Behandlung bzw. Therapie des Kleinkindes im Herkunftsstaat nicht realistisch wäre, was aber natürlich ein ausreichendes Einkommen bzw. eine Sozialversicherung voraussetzt, die kurz nach der Ausreise glaublich wohl noch nicht vorliegen dürften.

 

3.4.6. Unbestritten negativ in einer Interessensabwägung fallen zum Einen die strafgerichtliche Verurteilung des Erst-Bw sowie zum Anderen die Tatsache ins Gewicht, dass er gegen ein gegen ihn verhängtes Aufenthaltsverbot aus Italien (gültig für den Schengenraum) verstieß. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass das Aufenthaltsverbot lediglich bis 2012 wirkt und dass die Straftatbegehung schon im Jahr 2005 geahndet wurde und der Erst-Bw seither nicht rückfällig geworden ist, wodurch diese Umstände eine gewisse Milderung erfahren.

 

3.4.7. Gemäß der oben angeführten Judikatur des VwGH ist aber in diesem Fall nicht mehr die Frage eines unsicheren Aufenthalts nach § 61 Abs. 2 Z. 8 FPG näher zu erörtern und bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände festzustellen, dass die für die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung sprechenden Elemente die des öffentlichen Interesses gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK überwiegen.

 

Nicht zuletzt wird auch davon auszugehen sein, dass gemäß § 61 Abs. 2 Z. 9 FPG von einer eher in die Sphäre der Behörden fallenden langen Verfahrensdauer gesprochen werden muss. 

 

3.4.8. Im Ergebnis ist also eine Rückkehrentscheidung im Hinblick auf das Privatleben der Bw auf Dauer als nicht zulässig zu betrachten.

 

3.5. Es war daher der Berufung stattzugeben, die angefochtenen Bescheide aufzuheben und spruchgemäß zu entscheiden.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

 

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

 

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 87,20 Euro (Eingabegebühr) angefallen; ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

Sqarim të drejtave ligjore:

 

Kundër këtij Vendimi në bazë të drejtave ligjore të rregullta nuk lejohet ankesa.

 

Njoftim:

 

1. Kundër këtijë Vendimi është e mundur që brenda gjasht jave nga dita e marrjes të bëhet ankesa pranë Gjyqit Kushtetues dhe/apo pranë Gjyqit Suprem Administrativ; kjo duhet të bëhet - mvarësisht nga rastet e veçanta ligjore – nga një avokate e autorizuar apo nga një avokat i autorizuar. Për çdo lloj të këtyre ankesave të bëra duhet të paguhen 220 euro taksa.

 

 

Bernhard Pree

 

 

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