Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-730338/3/SR/Jo

Linz, 16.08.2011

 

E R K E N N T N I S

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung der x, geboren x, x Staatsangehörige, x, vertreten durch Rechtsanwalt x, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes von Eferding vom 20. Mai 2011, Sich40-212-2011-AS, betreffend die Erlassung eines auf 7 Jahre befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

I.                  Der Berufung gegen Spruchpunkt 1 wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid in diesem Umfang ersatzlos aufgehoben.

II.              Der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Berufung (Spruchpunkt 2.) wird aus Anlass der Berufung für rechtswidrig erklärt.

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG iVm §§ 9 Abs 1 und 67 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG (BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 38/2011).

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Eferding vom 20. Mai 2011, Sich40-212-2011-AS, zugestellt am 24. Mai 2011, wurde gegen die Berufungswerberin (im Folgenden: Bw) auf der Grundlage des § 60 Abs 1 Z. 1 und 2 iVm §§ 63, 66 und 86 Abs 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 – Fremdenpolizeigesetz 2005 (im Folgenden: FPG), in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung ein auf 7 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich erlassen.

 

Gleichzeitig wurde gemäß § 64 FPG iVm § 86 Abs 3 FPG 2005 die aufschiebende Wirkung einer Berufung gegen das Aufenthaltsverbot ausgeschlossen, da die sofortige Ausreise der Bw "oder" die Durchsetzbarkeit des Aufenthaltsverbotes im Interesse der öffentlichen Ordnung "oder" aus Gründen der nationalen Sicherheit erforderlich wäre.

 

Nach Darstellung der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen nahm die belangte Behörde Bezug auf das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 19. März 2009, 141 HV 156/2008G. Im Anschluss daran setzte sie sich mit den zahlreichen Unterkunftnahmen und den damit verbundenen Beschäftigungen der Bw auseinander.

 

Aus der Verurteilung und den häufigen Wechsel der Wohnorte zog die belangte Behörde den Schluss, dass von der Bw eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ausgehe. Das Gefährdungspotential würde durch die Straffälligkeit und die kurzfristigen Aufenthalte und Tätigkeiten in Österreich, die letztlich auch zur Straftat geführt hätten, unterstrichen. Weiters habe sich die Bw bis dato einer fremdenrechtlichen Prüfung erfolgreich entzogen.

 

Im Zuge der Prüfung gemäß § 66 Abs. 2 FPG stellte die belangte Behörde fest, dass die Bw bereits in x eine Anmeldebescheinigung beantragt, jedoch nach der rechtskräftigen Verurteilung am 19. März 2009 Österreich verlassen habe. Bedingt durch die Abmeldung in Österreich habe ein Aufenthaltverbotsverfahren nicht mehr geführt werden können. Die folgenden kurzfristigen Aufenthalte seien rechtmäßig gewesen. Nach der erfolgten Scheidung in x am x sei der Bw das Sorgerecht für ihre Tochter zugesprochen worden. Ein Familienleben in Österreich habe somit erst ab dem 17. Jänner 2011 stattgefunden. Auf Grund der Straffälligkeit (Verstöße gegen das StGB und Übertretungen im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts) und des dargelegten Gesamtverhaltens in Österreich seit der Erlassung des rechtskräftigen Urteils im März 2009 (bisherige Tätigkeiten, Unterlassen der Beantragung einer Anmeldebescheinigung durch das Abtauchen in die Anonymität) sei eine Integration der Bw in Österreich nicht zu erkennen. Nach weitergehenden Ausführungen zum Privat- und Familienleben gelangte die belangte Behörde zum Ergebnis, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht gegen Art. 8 EMRK verstoße.

 

Da von der Bw "bis dato eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" ausgehe, habe die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Berufung ausgesprochen werden müssen. Die Bw habe daher das Bundesgebiet bis zum 31. Mai 2011 zu verlassen.

Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes hätten sich die mehrfachen Straftaten gegen das Vermögen, das mehrfache Untertauchen in die Anonymität und das Unterlassen der Beantragung einer Anmeldebescheinigung erschwerend ausgewirkt.

 

2. Gegen den Bescheid der belangten Behörde, der der Bw zu Handen ihres Rechtsvertreters am 24. Mai 2011 zugestellt wurde, richtet sich die rechtzeitig eingebrachte Berufung vom 1. Juni 2011.

 

Einleitend werden weder die strafrechtlichen Verfehlungen noch die Verurteilung vom 19. März 2009 bestritten. Die Delikte würden jedoch bereits fünf Jahre zurückliegen und die Bw habe sich seither wohl verhalten. Mildernd habe das Gericht das Geständnis, das bisherige Wohlverhalten, die untergeordnete Beteiligung und das Abhängigkeitsverhältnis zum damaligen Gatten gewertet. Alleine schon der Umstand, dass für ein Faktum nach § 142 StGB lediglich eine gänzlich bedingte Strafe verhängt worden sei, lasse darauf schließen, dass das Unrechtsgehalt dieser Tat im untersten Bereich des Strafrahmens liege. Die belangte Behörde habe sich mit diesen Fakten nicht auseinander gesetzt und nach Ablauf von fünf Jahren, in denen sich die Bw unauffällig und straffrei verhalten habe, das vorliegende Aufenthaltsverbot verhängt. Derzeit lebe die Bw in einer Lebensgemeinschaft mit einem österreichischen Staatsbürger und die Tochter besuche den Kindergarten in x. Mittlerweile habe sie auch die fixe Zusage, dass sie ab dem 10. September 2011 die Schule in x besuchen könne. Die Bw gehe einer geregelten Arbeit als Restaurantfachfrau nach, verdiene 1.310 Euro brutto, spreche fließend Deutsch und sei völlig integriert. Zu keinem Zeitpunkt habe sich die Bw illegal in Österreich aufgehalten. Ausschließlich während der Aufenthalte sei sie gemeldet gewesen. Die Feststellung, dass die Bw untergetaucht gewesen sei, sei nicht nur falsch sondern auch aktenwidrig. Ein weiterer Aufenthalt in Österreich stelle keinesfalls einen erheblichen Eingriff in die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Vielmehr erfordere das private Familienleben einen weiteren Verbleib in Österreich.

 

Neben dem Antrag, den angefochtenen Bescheid aufzuheben wurde ergänzend beantragt, der Berufung die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Zu Beweiszwecken wurden der Berufung zwei Lohnzettel, eine Bestätigung des Dienstgebers, der Caritas und des Lebensgefährten beigelegt.

 

3. Die belangte Behörde hat die Berufung samt Verfahrensakt der Sicherheitsdirektion Oberösterreich vorgelegt.

 

3.1. Mit Schreiben vom 13. Juli 2011 übermittelte die Sicherheitsdirektion Oberösterreich den gesamten Verwaltungsakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich.

 

Aufgrund der Mitteilung der Sicherheitsdirektion Oberösterreich vom 11. Juli 2011, wonach nunmehr der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zur Entscheidung über die Berufung zuständig sei, brachte der Rechtsvertreter eine Berufungsergänzung und einen "dringenden Eilantrag" ein und legte diesem zwei Aussendungen der Volksschule Eferding bei.

 

Im Schriftsatz führte der Rechtsvertreter aus, dass die belangte Behörde offensichtlich willkürlich und in völlig überzogener Vorgangsweise ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von 7 Jahren verhängt habe, obwohl der hierfür herangezogene Anlass bereits 5 Jahre zurückliege und von einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr im Sinne des § 67 Abs. 1 FPG überhaupt keine Rede sein könne. Darüber hinaus plane die belangte Behörde die zwangweise Abschiebung der Bw am 12. August 2011. Zwar sei im Zuge der Erlassung des Aufenthaltsverbotes die aufschiebende Wirkung einer Berufung ausgeschlossen worden; dies jedoch ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen und ohne Begründung. Die belangte Behörde habe das Wohlverhalten und die Integration der Bw nicht bestritten, allerdings "gewissentlich übersehen". Eine derart grobe Verkennung sämtlicher Rechtsgrundlagen indiziere reine Willkür und ziehe entsprechende persönliche Konsequenzen für die Sachbearbeiterin der belangten Behörde nach sich (Strafanzeige wegen Amtsmissbrauch). Vordringlich gehe es darum, zumindest weitere, auf Basis der zuvor angeführten rechtswidrigen Vorgangsweise der belangten Behörde aufbauende Vollzugsakte zu unterbinden (Verhinderung der zwangsweisen faktischen Außerlandesschaffung der Bw). Die akute Abschiebung hätte drastische Auswirkungen auf die schulische Laufbahn der Tochter der Bw.

 

Abschließend stellte der Rechtsvertreter "Eilanträge" um eine Entscheidung vor dem Abschiebetermin zu erlangen.

 

3.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den fremdenpolizeilichen Verwaltungsakt der Bezirkshauptmannschaft Eferding zu Zl. Sich40-212-2011.

 

3.3. Aus dem Vorlageakt ergab sich in Verbindung mit der Berufung der nachfolgend geschilderte, im Wesentlichen unstrittige, Sachverhalt:

 

3.3.1. Die Bw, x, geboren am x, x Staatsangehörige, hielt sich erstmals im Jahr 2003 für mehrere Monate in Österreich auf. Ab März 2006 verfügte die Bw über weite Strecken über Haupt- bzw. Nebenwohnsitze in Österreich. In mehr oder weniger regelmäßigen Abstanden befand sich die Bw in diesem Zeitraum immer wieder für mehrere Monate im Ausland. Wie bereits die belangte Behörde festgestellt hat, waren die Aufenthalte in Österreich rechtmäßig (siehe Seite 7 des angefochtenen Bescheides) und sind keine einschlägigen Verwaltungsstrafverfahren aktenkundig. Am 17. Jänner 2011 nahm die Tochter der Bw gemeinsam mit der Bw in Österreich ihren Aufenthalt und am 30. März 2011 beantragte die Bw bei der belangten Behörde die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung für EWR-Bürger. Seit dem 15. März 2011 geht die Bw einer legalen Beschäftigung im Zuständigkeitsbereich der belangten Behörde nach.

 

3.3.2. Im Jahr 2006 wurde die Bw in drei Fällen wegen gerichtlich strafbarer Delikte (Verbrechen des Raubes, Vergehen des Betruges [Einmietbetrug] und Vergehen des versuchten Diebstahls [Ladendiebstahl]) angezeigt.

 

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 19. März 2009, Zahl: 141 Hv 156/08 g, wurde die Bw wegen des Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB, des Vergehen des Betruges nach § 146 und des versuchten Diebstahls nach den §§ 15, 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Gemäß § 43 Abs. 1 StGB wurde die verhängte Freiheitsstrafe bedingt mit einer Probezeit von 3 Jahren nachgesehen.

Die Bw wurde für schuldig erkannt, dass sie

A) am 24. Dezember 2006 als Mittäterin in Wien mit zwei weiteren Tätern im bewussten und gewollten Zusammenwirken einer männlichen Person mit Gewalt, nämlich durch einen Faustschlag ins Gesicht, fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen habe, und zwar einen Laptop im Wert von ca. 100 Euro und ein Mobiltelefon im Wert von ca. 250 Euro;

B) 1.) am 14. April 2006 mit dem Vorsatz, durch das Verhalten des Getäuschten sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, Verfügungsberechtigte eines Wiener Hotels durch Täuschung über Tatsachen, nämlich ihre Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit zu einer Duldung verleitet habe, die diese am Vermögen schädigte, indem sie sich in der Zeit vom 14. bis 22. April 2006 im Wissen um ihre mangelnde Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit in diesem Hotel einmietete und bei der Abreise am 22. April 2006 die aufgelaufene Zeche von 1.452,14 Euro nicht bezahlte;

    2.) am 25. August 2006 dadurch versucht habe, Verfügungsberechtigte der Firma X in Wien, fremde bewegliche Sachen, nämlich Kosmetika im Wert von 51,34 Euro mit dem Vorsatz wegzunehmen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, dass sie die Waren aus den Regalen des Kaufhauses entnahm und damit ohne zu bezahlen das Kaufhaus zu verlassen suchte.

 

Erschwerend wurde das Zusammentreffen verschiedener strafbarer Handlungen gewertet. Als Milderungsgründe sah das erkennende Gericht das Geständnis, das bisherige Wohlverhalten, die untergeordnete Beteiligung und das zweieinhalbjährige Wohlverhalten der Bw seit der Tatzeit an. Aufgrund der Einsichtigkeit der Bw und ihres bereits lange andauernden Wohlverhalten wurde ihr bedingte Strafnachsicht gewährt und als Probezeit 3 Jahre vorgesehen.

 

3.4. Der vorliegende Sachverhalt ist im Wesentlichen unstrittig. Die Vermutung der belangten Behörde, dass sich die Bw durch ihr Verhalten einer fremdenpolizeilichen Überprüfung entziehen wollte und sie mehrmals in die Anonymität abgetaucht sei, kann auf keine nachvollziehbaren Ermittlungsergebnisse gestützt werden.

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

4.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des FPG lauten:

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige dann zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Hauptwohnsitz seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

Nach Abs. 2 kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens 10 Jahren erlassen werden.

Gemäß Abs. 4 ist bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist beginnt mit Eintritt der Durchsetzbarkeit zu laufen.

4.2. § 67 FPG enthält Sonderbestimmungen für den Entzug der Aufenthaltsbe­rechtigung betreffend freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigten Drittstaatsangehörigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtslage vor dem 1. Jänner 2006 durfte gegen einen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsverbot nämlich nur erlassen werden, wenn die Voraussetzungen des § 36 Abs 1 Z 1 FrG erfüllt waren. Dabei war § 36 Abs 2 FrG als "Orientierungsmaßstab" heranzuziehen (vgl. Verwaltungsgerichtshof vom
13. Oktober 2000, 2000/18/0013).

 

Dass diese Rechtsprechung uneingeschränkt auch auf § 67 Anwendung finden kann und Teile des § 53 FPG als "Orientierungsmaßstab" heranzuziehen sind, scheint im Hinblick darauf, dass der Gesetzgeber nur im § 63 Abs. 2 FPG (Aufenthaltsverbot für Drittstaatsangehörige mit Aufenthaltstitel) einen dementsprechenden Verweis vorgesehen hat, nicht ohne weiteres möglich.

 

Nach § 53 Abs. 3 FPG ist ein "Einreiseverbot" für die Dauer von höchstens 10 Jahren zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine "schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit" darstellt. Gemäß Z. 1 hat als bestimmte Tatsache zu gelten, wenn ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilt worden ist.  

 

Demgegenüber spricht § 67 FPG zwar nur davon, dass das persönliche Verhalten die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. Im Hinblick darauf, dass § 67 Abs. 2 FPG die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes für die Dauer von höchstens 10 Jahren vorsieht, wird im Falle der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes von über 5 Jahren auf § 53 Abs. 3 FPG abzustellen sein und eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit vorliegen müssen. Neben dem Vorliegen dieser Voraussetzung muss darüber hinaus das persönliche Verhalten des EWR-Bürgers eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

 

Die Erläuterungen zu § 86 FPG (22 GP, RV 952, 106) in der Fassung vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 verweisen auf die Art. 27
Abs. 2 und Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG und die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 27.10.1977, Rs 30/77 - Fall Bouchereau).

 

Hinsichtlich der nach dem FPG anzustellenden Prognosebeurteilungen hat der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur ausgesprochen, dass es letztlich immer auf das in Betracht zu ziehende Verhalten des Fremden ankommt. Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Wie nachfolgend dargelegt, legt das FPG, bezogen auf unterschiedliche Personenkreise oder nach bestimmter Aufenthaltsdauer, ein unterschiedliches Maß für die zu prognostizierende Gefährlichkeit des Fremden fest. So setzt § 53 Abs. 2 FPG ("Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" oder "Zuwiderlaufen anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen") in Relation zu § 64 Abs. 4 FPG ("schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit") ein geringeres Maß der Gefährlichkeitsprognose voraus. Hingegen verlangt § 67 Abs. 1 FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") im Verhältnis zu § 64 Abs 4 FPG ein höheres Maß der Gefährdungsprognose, die sich zudem nach dem fünften Satz des § 67 Abs 1 FPG ("nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit") noch weiter steigert (vgl. zur Rechtslage vor dem FrÄG 2011: VwGH vom 20. November 2008, 2008/21/0603; E vom 3. April 2009, 2008/22/0913).

 

Der EuGH hat im Urteil vom 27. Oktober 1977, Rs 30/77, ausgeführt, dass jede Gesetzesverletzung eine Störung der öffentlichen Ordnung darstellt. Neben dieser Störung der öffentlichen Ordnung muss nach Ansicht des Gerichtshofes jedenfalls eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Frühere strafrechtliche Verurteilungen dürfen nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zugrunde liegenden Umstände  ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Wenn auch in der Regel die Feststellung einer derartigen Gefährdung eine Neigung des Betroffenen nahelegt, dieses Verhalten in Zukunft beizubehalten, so ist es doch auch möglich, dass schon allein das vergangene Verhalten den Tatbestand einer solchen Gefährdung der öffentlichen Ordnung erfüllt. Es obliegt den nationalen Behörden und gegebenenfalls den nationalen Gerichten, diese Frage in jedem Einzelfall zu beurteilen, wobei sie die besondere Rechtstellung der dem Gemeinschaftsrecht unterliegenden Personen und die entscheidende Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit zu berücksichtigen haben.

 

Für den Oö. Verwaltungssenat steht zunächst zweifelsfrei fest, dass das Verhalten der Bw ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Wie bereits dargelegt, ist eine Gefährdungsprognose zu erstellen und die Überprüfung an Hand der, je nach Lage des Falles einschlägigen Bestimmungen vorzunehmen.

 

Im konkreten Fall handelt es sich auch nicht um ein bloß sonstiges öffentliches Interesse sondern tatsächlich um ein Grundinteresse der Gesellschaft, dass darin gelegen ist, strafbare Handlungen gegen Leib und Leben, Aggressions-, und Eigentumsdelikte zu verhindern. Die Straftaten der Bw wurden teils als Verbrechen und teils als Vergehen eingestuft.

 

Im Sinne der wiedergegeben Judikatur (VwGH, EGMR, EuGH) ist nicht primär maßgeblich, dass eine strafgerichtliche Verurteilung ausgesprochen wurde, sondern dass im Sinne einer Prognoseentscheidung das gegenwärtige und zukünftige Verhalten einer Person im Lichte einer strafgerichtlichen Verurteilung rechtlich zu würdigen ist. Im konkreten Einzelfall ist zu analysieren, ob davon ausgegangen werden kann, dass sich die Bw hinkünftig rechtskonform verhalten wird. Besonders aussagekräftig ist daher die Strafzumessungsbegründung. Diese lässt einen eindeutigen Rückschluss auf die Persönlichkeit der Bw zu.

 

Im Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien würdigte das Gericht das Geständnis, das bisherige Wohlverhalten, die untergeordnete Beteiligung und das zweieinhalbjährige Wohlverhalten der Bw seit der Tatzeit als mildernd und das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen als erschwerend.

 

Darüber hinaus maß das erkennende Gericht der Einsichtigkeit der Bw und ihrem bereits lange andauernden Wohlverhalten solche Bedeutung zu, dass es der Bw bedingte Strafnachsicht gewährte und von einer unbedingten Freiheitsstrafe zur Gänze Abstand nahm.

 

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde lässt sich dem Vorlageakt nicht entnehmen, dass von der Bw "bis dato eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ausgeht".

 

Vielmehr ist der Einschätzung des Landesgerichtes für Strafsachen Wien zu folgen. Diese hat sich mehr als bestätigt. Nicht nur dass sich die Bw vor den strafbaren Handlungen, die von ihr ausschließlich im Jahre 2006 gesetzt wurden, und danach bis zur Verurteilung im Jahre 2009 wohl verhalten hat, ist sie auch seit diesem Zeitpunkt nicht mehr straffällig geworden.

 

Die Haltung der Bw, die über einen langen Zeitraum (2003 bis 2011) beobachtet werden konnte, lässt eine kriminelle Energie bloß punktuell und nur auf einen kurzen Zeitraum (2006) beschränkt erkennen.

 

Auch wenn von einer umfassenden Integration zum Entscheidungszeitpunkt nicht ausgegangen werden kann, zeigt die Bw mit ihrem Vorbringen dennoch auf, dass sie zumindest seit Anfang 2011 einen bürgerlichen Lebensstil pflegt (gemeinsame Wohnung mit der Tochter, Einschulung der Tochter in Österreich, Lebensgemeinschaft mit einem Österreicher, legales unbefristetes Beschäftigungsverhältnis) und dem bisherigen Milieu den Rücken gekehrt hat.

 

4.3. Auf Grund der besonderen Umstände dieses Falles kann kein gegenwärtiges konkretes Gefährdungspotential erkannt werden. Das Persönlichkeitsbild der Bw lässt den Schluss zu, dass sie geläutert ist und sich auch zukünftig rechtskonform verhalten wird.

 

Das Aufenthaltsverbot war daher spruchgemäß aufzuheben.

 

4.4. Gemäß § 64 FPG in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011, durfte bei Fremden, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, die aufschiebende Wirkung einer Berufung gegen ein Aufenthaltsverbot oder ein Rückkehrverbot ausgeschlossen werden, wenn die sofortige Ausreise des Fremden oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder aus Gründen der nationalen Sicherheit erforderlich war.

 

Die Vorläuferbestimmungen des § 45 Abs 4 Fremdengesetz 1997 und des § 27 Abs 4 Fremdengesetz 1993 enthielten bis auf die Ergänzung der Wendung "oder die sofortige Durchsetzbarkeit" eine gleichlautende Ermächtigung der Behörde.

 

In der Regierungsvorlage zum Fremdenrechtspaket 2005 (952 BlgNR 22. GP) wird zu § 64 auf Seite 101 erläuternd ausgeführt:

 

"§ 64 gibt Art I Z 2 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK für den Bereich des Aufenthaltsverbotes wieder. In den Fällen, in denen sich der Fremde jedoch nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat er keinen Anspruch darauf, während des Berufungsverfahrens im Inland zu verbleiben, wenn der Berufung die aufschiebende Wirkung genommen wird. In diesen Fällen kann die aufschiebende Wirkung einer Berufung unter den Voraussetzungen des § 64 AVG ausgeschlossen werden."

 

Im Erkenntnis vom 27. Juni 2006, Zl. 2006/18/0092, hat der Verwaltungsgerichtshof unter Hinweis auf das zum vergleichbaren Fremdengesetz 1997 ergangene Erkenntnis vom 21. September 2000, Zl. 99/18/0179, ein rechtliches Interesse des Beschwerdeführers daran bejaht, dass sich der unabhängige Verwaltungssenat mit der Frage der Rechtmäßigkeit des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung der Berufung auseinandersetzt. Einer Berufung gegen einen Ausspruch nach § 64 Abs 2 AVG kommt keine aufschiebende Wirkung zu. Dies verbietet der Sinn des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung. Ein Rechtsmittel gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung soll lediglich die Überprüfung der dafür bestehenden Voraussetzungen durch die Berufungsbehörde ermöglichen. Bei der Berufungsentscheidung ist auf den Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides abzustellen und sind die Voraussetzungen für diesen Zeitpunkt zu beurteilen (vgl Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6 [2004], E 13a, 13b und 13c zum insoweit vergleichbaren § 64 Abs 2 AVG).

Im Erkenntnis vom 17. Februar 2000, Zl. 97/18/0564, das zur vergleichbaren Vorläuferbestimmung des § 27 Abs 4 Fremdengesetz 1993 ergangenen und deshalb auch heute noch einschlägig ist, hat sich der Verwaltungsgerichthofs mit der Frage des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung auseinandergesetzt und ausgeführt, dass bereits aus dem Wortlaut deutlich werde, dass ein strenger Maßstab anzulegen sei. Der Ausschluss sei nur gerechtfertigt, wenn die sofortige Ausreise im Interesse der öffentlichen Ordnung oder aus Gründen der nationalen Sicherheit, nicht aber zur Erreichung anderer im Art 8 Abs 2 EMRK genannter Gründe, erforderlich ist. Daraus sei ersichtlich, dass als Grundlage für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Berufung – anders als für die Beurteilung des Dringend-Geboten-Seins eines Aufenthaltsverbotes – nur eine vom Fremden ausgehende schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung in Betracht kommt, der ein annähernd gleichwertiges Gewicht wie der Gefährdung der nationalen Sicherheit zukommt.

 

Die belangte Behörde hat zum Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nach dem § 64 FPG ohne nähere Begründung behauptet, dass von der Bw "bis dato eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ausgehe. Die gemäß § 64 FPG normierte Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Berufung gegen dieses Aufenthaltsverbot sei demzufolge auszusprechen und das erlassene Aufenthaltsverbot sofort durchsetzbar. Die nachweisliche freiwillige Ausreise aus dem Bundesgebiet von Österreich habe unmittelbar (bis spätestens 31.05.2011) zu erfolgen."

 

Diese pauschale Behauptung der belangten Behörde ist bedenklich und abzulehnen. Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit der sofortigen Ausreise ist nach der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs als positive Voraussetzung für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung ein strenger Maßstab zu Grunde zu legen, der nur bei einer so schwerwiegenden Gefährdung durch den Fremden erfüllt ist, die annähernd einer Gefährdung der nationalen Sicherheit gleichkommt.

 

Diese schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch die Bw, der annähernd ein Gewicht wie der Gefährdung der nationalen Sicherheit zukommt, kann nach der Aktenlage keinesfalls angenommen werden. Das Landesgericht für Strafsachen Wien hat trotz der schwerwiegenden Straftat nach § 142 StGB lediglich eine bedingte Freiheitsstrafe verhängt. Die dafür notwendige günstige Täterprognose wurde auf das überwiegende Vorliegen von Milderungsgründen, das Geständnis, die untergeordnete Beteiligung, das Wohlverhalten vor und nach der Tat und die Einsichtigkeit gestützt. In einem solchen Fall erscheint dem erkennenden Verwaltungssenat die Ansicht, dass die sofortige Ausreise des Fremden nach Bescheiderlassung (fast 5 Jahre nach der Tat und 2 Jahre nach der Urteilsverkündung) im Interesse der öffentlichen Ordnung erforderlich wäre, als nicht begründbar und daher auch nicht vertretbar.

 

Aus diesen Gründen war der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung im angefochtenen Bescheid als rechtswidrig festzustellen. Eine Aufhebung dieses Ausspruchs kommt nicht in Betracht, weil er sachlogisch mit der Berufungsentscheidung ohnehin wegfällt (vgl. VwSen-720284/5/WEI/Sic/Ba).

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweise:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Eingabengebühren in Höhe von 45,50 Euro für die Berufung angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

 

 

 

Mag. Christian Stierschneider

 

 

 

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum