Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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Linz, 19.08.2011

                                                                                                                                                                               Zimmer, Rückfragen:

Mag. Dr. Bernhard Pree                                                                                      4A13, Tel. Kl. 15685

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Bernhard Pree über die Berufungen 1. des X, 2. der X sowie 3. des X, allesamt StA von Montenegro, sämtlich vertreten durch X, Rechtsanwalt in X, gegen die Bescheide der Bezirkshauptfrau des Bezirks Steyr-Land vom 12. Juli 2010, GZ.: Sich05-75-1993, Sich40-323-2003 sowie Sich40-322-2003, betreffend Ausweisungen der Berufungswerber nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

I.       Den Berufungen wird stattgegeben und die angefochtenen   Bescheide ersatzlos aufgehoben.

 

         Жалба се усваја а оспорено решење укида без права на накнаду трошкова

 

 

II.     Eine Rückkehrentscheidung ist jeweils auf Dauer unzulässig.

 

Одлука о повратку има трајно дејство

 

 

 

Rechtsgrundlage:

Законски основ :

 

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 


Entscheidungsgründe:

 

1.1.1. Mit Bescheiden der Bezirkshauptfrau des Bezirks Steyr-Land vom 12. Juli 2010, GZ.: Sich05-75-1993, Sich40-323-2003 sowie Sich40-322-2003, wurde gegen die Berufungswerber (im Folgenden Bw) auf Basis des § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, jeweils die Ausweisung angeordnet und darüber hinaus gemäß § 68 FPG einer allfälligen Berufung die aufschiebende Wirkung aberkannt.  

 

Begründend führt die belangte Behörde zunächst zum Sachverhalt aus, dass der Erst-Bw, ein Staatsangehöriger von Montenegro, am 12. Juli 1999 nach illegaler Einreise nach Österreich einen Asylantrag gestellt habe. Am 12. Dezember 2003 habe der Erst-Bw gemeinsam mit seiner Ehegattin (Zweit-Bw) und dem 1989 geborenen Sohn (Dritt-Bw) neuerlich einen Asylantrag gestellt.

 

Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 10. Februar 2009 und in der Folge mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 27. April 2009 seien diese Asylanträge abgelehnt worden. Die negativen Asylbescheide seien am 12. Mai 2009 rechtskräftig geworden.

 

Nach negativer Finalisierung der Asylverfahren komme den Bw keine Aufenthaltsberechtigung mehr zu. Der Aufenthalt sei daher unrechtmäßig. Die Bw hätten trotz der Aufforderung von Seiten der belangten Behörde vom 26. Mai 2009 das Land bislang nicht freiwillig verlassen.

 

Mit 9. Juni 2009 hätten die Bw Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels (Niederlassungsbewilligung beschränkt gemäß § 44 Abs. 3 NAG) bei der belangten Behörde gestellt, über die bislang noch nicht rechtskräftig entschieden worden sei.

 

Mit der Familie, die über einen aufrechten Wohnsitz im Bundesgebiet verfügt,  sei am 21. Juli 2009 eine Niederschrift aufgenommen worden, wobei sich ergeben habe, dass der Erst-Bw relativ gut Deutsch spreche, einer geregelten Arbeit nachgehe und bemüht sei, für seine Familie zu sorgen.

 

Die Zweit-Bw sei der deutschen Sprache nicht mächtig. Es sei zwar angegeben worden, dass sie die Verhandlungsleiterin verstanden habe, aber eine Unterhaltung mit ihr in deutscher Sprache nicht möglich sei.

 

Der Dritt-Bw spreche Deutsch. Er habe den polytechnischen Lehrgang besucht. Weitere Deutschkurse habe er nicht besucht und habe auch kein Interesse daran mit seiner Mutter Deutsch zu lernen oder diese wenigstens im Haushalt zu unterstützen.  Berufswünsche und Perspektiven habe er nicht geäußert. Er habe angegeben vom Geld seines Vaters zu leben.

 

In Österreich würden neben der Tochter bzw. Schwester, die hier legal aufhältig ist, noch zwei Brüder des Erst-Bw leben.

 

In der Stellungnahme vom 23. September 2009 habe sich die Sicherheitsdirektion für Oberösterreich für die Zulässigkeit der Ausweisungen ausgesprochen zumal sich die Bw ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst gewesen seien.

 

Angesichts der langen Aufenthaltsdauer (beim Erst-Bw von über 10 Jahren) könne fraglos von einer nicht unerheblichen Verfestigung der Integration im Bundesgebiet ausgegangen werden. Überdies gehe der Erst-Bw seit 1. November 2005 einer geregelten Beschäftigung nach und sorge für den Familienunterhalt.

 

Die Bw verfügten über Verwandte in ihrem Heimatland, weshalb die Bindungen dort hin bestünden. Erst- und Zweit-Bw hätten den Großteil ihres Lebens im Heimatland verbracht, weshalb eine Reintegration zumutbar sei.

Erst- und Zweit-Bw seien völlig unbescholten. Der Dritt-Bw, gegen den von der belangten Behörde ein Waffenverbot verhängt worden sei (Bescheid vom
28. April 2010), sei vom LG Steyr mit Beschluss vom 4. Juni 2010 unter AZ.: 499 010 HV 44/10h, wegen §§ 146 und 148 Abs. 1 StGB zu 4 Monaten Freiheitsstrafe bedingt verurteilt worden.   

 

Mit Schreiben vom 12. November 2009 seien die Bw über die beabsichtigte Ausweisung in Kenntnis gesetzt worden.

 

In der Stellungnahme vom 26. November 2009 hätten die Bw ua. ausgeführt, dass für den Erst-Bw eine Arbeitszusage vorliege, falls die arbeitsmarktrechtlichen Bedingungen erfüllt seien. Die Zweit-Bw sei für einen Deutschkurs angemeldet und sowohl Erst- als auch Dritt-Bw würden die Sprachprüfung Niveau A2 ablegen.

 

In Montenegro bestehe kein soziales Netz für die Familie, zumal die meisten Familienangehörigen in Österreich leben würden.

 

Im April 2010 habe der Rechtsvertreter der Bw die Zertifikate der Deutschprüfung Niveau A2 für den Erst- und den Dritt-Bw vorgelegt.

 

1.1.2. In ihren rechtlichen Überlegungen führt die belangte Behörde ua. aus, dass die familiäre und soziale Integration während eines weitgehend unsicheren Aufenthaltsstatus entstanden sei, der dem Erst-Bw bereits seit dem Jahr 2000 habe bewusst sein müssen.

 

Die Zweit-Bw spreche kaum Deutsch und habe auch keinerlei Nachweis für den von ihr im Verfahren avisierten Alphabetisierungskurs beigebracht.

 

Der Dritt-Bw sei nicht strafrechtlich unbescholten und gehe darüber hinaus keiner Beschäftigung nach, sondern werde allein von seinem Vater finanziell unterstützt.

 

Durch den unrechtmäßigen Aufenthalt in Österreich seien die öffentlichen Interessen dermaßen gefährdet, dass auch bei einer entsprechenden Abwägung gemäß Art. 8 EMRK ein Überwiegen dieser öffentlichen Interessen eindeutig festzustellen sei.  

 

Nach Abwägung der angeführten Umstände ergebe sich aus dem festgestellten Sachverhalt, dass unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK die Ausweisung der Bw zulässig sei.

 

1.2. Gegen diesen Bescheid erhoben die Bw durch ihre Rechtsvertretung rechtzeitig Berufung mit Schriftsatz vom 29. Juli 2010.

 

Eingangs werden darin die Berufungsanträge auf

a) Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung,

b) Abänderung der angefochtenen Bescheide dahingehend, dass festgestellt     werde, dass eine Ausweisung auf Dauer unzulässig sei, in eventu

c) Aufhebung der angefochtenen Bescheide und Zurückverweisung an die         Erstbehörde zur neuerlichen Entscheidung und Verfahrensergänzung sowie

d) Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der ggst. Berufung

gestellt.

 

Begründend wird unter Verweis auf das erstinstanzliche Vorbringen ua. ausgeführt, dass bei richtiger rechtlicher Würdigung im Hinblick auf das Privat- und Familienleben der Bw die Ausweisungsentscheidungen als auf Dauer unzulässig hätten erkannt werden müssen.

 

Der Erst-Bw halte sich schon seit 1999 (sohin seit mehr als 11 Jahren) im Bundesgebiet auf, die übrigen Familienmitglieder seit immerhin schon 7 Jahren.

 

Der Erst-Bw gehe seit November 2005 einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung (stets beim selben Arbeitgeber) nach, erhalte die Familie finanziell. Der Dritt-Bw könnte ebenfalls nach Vorliegen einer Niederlassungsbewilligung sofort eine Arbeitstelle antreten, was aus der Arbeitszusage der Fa. X hervorgehe.

 

Erst- und Dritt-Bw verfügten über Deutschsprach-Zertifikate der Niveaustufe A2, die Zweit-Bw besuche derzeit entsprechende Sprachkurse. Der Dritt-Bw habe in Österreich die Schulausbildung abgeschlossen.

 

Die gesamte Familie sei strafrechtlich unbescholten.

 

Im Heimatland bestehe kein soziales bzw. familiäres Netzwerk mehr. Die ebenfalls im Jahr 2003 eingereiste Tochter bzw. Schwester sei mittlerweile in Österreich verheiratet und verfüge über eine Aufenthaltsberechtigung, weshalb hier im Bundesgebiet intensive familiäre Bindungen vorlägen.  

 

Abschließend wird auch der in den angefochtenen Bescheiden ausgesprochene Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Berufungen massiv bekämpft.

 

1.3. Mit Schreiben vom 21. Februar 2011 übermittelte der Rechtsvertreter der Bw

-         eine Einstellungszusage der Fa. X Gesellschaft m.b.H. im Auftrag der Fa. X, X, wonach der Dritt-Bw nach Erteilung der Beschäftigungsbewilligung als Facharbeiter zu einem durchschnittlichen Bruttolohn von 1.933 Euro pro Monat, im Ausmaß von 39 Wochenstunden beschäftigt werde;

-         eine Einstellungszusage der Fa. X KG, ebenfalls für den Dritt-Bw sowie

-         eine Bestätigung des Vereins X über die erfolgreiche Teilnahme der Zweit-Bw an einem Alphabetisierungskurs im Jahr 2010 und die Mitteilung, dass die Zweit-Bw bei einem weiteren Alphabetisierungskurs im  Sommersemester 2011 angemeldet, allerdings auf der Warteliste aufscheint.

 

2.1. Die belangte Behörde legte zunächst den in Rede stehenden Verwaltungsakt der Sicherheitsdirektion für Oberösterreich vor.

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 38/2011 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass der Unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist, weshalb der in Rede stehende Verwaltungsakt von der Sicherheitsdirektion – nach In-Krafttreten der Novelle am 1. Juli 2011 – dem Oö. Verwaltungssenat übermittelt wurde.

 

2.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde.

 

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil eine solche nicht erforderlich war, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lässt (§ 67d AVG).

 

2.3. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1.1.1. und 1.3. dieses Erkenntnisses dargestellten völlig unbestrittenen Sachverhalt aus.

 

2.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

3. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

3.1.1. Gemäß § 125 Abs. 14 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, gelten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassene Ausweisungen gemäß § 53 als Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter, mit der Maßgabe, dass ein Einreiseverbot gemäß § 53 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 damit nicht verbunden ist.

 

3.1.2. Im vorliegenden Fall ist völlig klar, dass die in Rede stehenden Ausweisungen auf Basis des § 53 FPG ("alte Fassung") erlassen wurden, weshalb diese Ausweisungen als Rückkehrentscheidung im Sinne des nunmehrigen § 52 FPG anzusehen und zu beurteilen sind.

 

3.2.1. Gemäß § 52 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, ist gegen einen Drittstaatsangehörigen, sofern nicht anderes bestimmt ist, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Berufung gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 66 Abs. 4 AVG auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

 

3.2.2. Im vorliegenden Fall ist zunächst auch von den Bw selbst unbestritten, dass sie über keinerlei Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügen und somit grundsätzlich unrechtmäßig aufhältig sind. Allerdings ist bei der Beurteilung der Ausweisungen bzw. der Rückkehrentscheidungen auch auf Art. 8 EMRK sowie
§ 61 FPG Bedacht zu nehmen.

 

3.3.1. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist allerdings ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs. 1 (nur) statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

3.3.2. Gemäß § 61 Abs. 1 FPG ist, sofern durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.      die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der        bisherige          Aufenthalt des Fremden rechtmäßig war;

2.      das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.      die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.      der Grad der Integration;

5.      die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.      die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.      Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des      Asyl-          Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.      die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem   Zeitpunkt    entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren         Aufenthaltstatus   bewusst waren;

9.      die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden       zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 3 FPG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein aufgrund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51ff. NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

Gemäß § 125 Abs. 20 FPG  gelten, vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 38/2011 vorgenommene Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 66 als Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 61 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter.

 

3.4.1. Im Sinne der zitierten Normen ist eine Interessensabwägung – basierend auf einer einzelfallbezogenen  Gesamtbetrachtung – vorzunehmen.

 

3.4.2. Es ist festzuhalten, dass es gestützt auf die ständige Rechtsprechung der Höchstgerichte zulässig und erforderlich ist, Maßnahmen zu ergreifen, um den unrechtmäßigen Aufenthalt einer Person zu beenden, da ein solcher rechtswidriger Status fraglos dazu geeignet ist, die öffentliche Ordnung eines Staates massiv zu beeinträchtigen. Daraus folgt, dass das diesbezügliche öffentliche Interesse hoch anzusetzen ist und eine Ausweisung grundsätzlich ein nicht inadäquates Mittel darstellt, um einen rechtskonformen Zustand wiederherzustellen. Dies gilt jedoch nur insofern, als die privaten bzw. familiären Interessen im jeweils konkreten Einzelfall nicht als höherrangig anzusehen sind.

 

3.4.3. Im vorliegenden Fall ist zunächst festzuhalten, dass der Erst-Bw und die Zweit-Bw fraglos ein Familienleben im Bundesgebiet führen. Die hier nicht vom Verfahren betroffene erwachsene Tochter ist in Österreich verheiratet und verfügt über einen Aufenthaltstitel. Sie lebt also nicht mehr im Familienverband. Der Dritt-Bw – ebenfalls erwachsen – lebt allerdings noch im Familienverband und wird finanziell von den Eltern unterstützt. Nachdem aber die Ausweisungsentscheidungen gegen alle Bw gleichermaßen erlassen wurden, ist das Familienleben im engeren Sinn nicht durch die Maßnahme beeinträchtigt. Der Umstand der in Österreich aufhältigen Tochter bzw. Schwester ist jedoch jedenfalls gewichtig in eine Erörterung aufzunehmen.

 

Grundsätzlich ist also vordringlich ein Eingriff in das Privatleben zu erkennen. Dabei ist festzustellen, dass die jeweiligen Eingriffe in das Privatleben des / der einzelnen Bw auch unmittelbar die anderen Familienmitglieder zu beeinträchtigen geeignet sind und somit bei Ausspruch der Ausweisung nur gegen einzelne Mitglieder auch das Familienleben tangiert ist.  

 

3.4.4. Hinsichtlich der Dauer und der Natur des Aufenthalts können der Erst-Bw (12 Jahre) sowie die übrigen Bw (8 Jahre) auf eine relativ lange Dauer verweisen, wobei der größte Teil davon – wegen des aufrechten Asylverfahrens – grundsätzlich legal war. Es ist aber – der belangten Behörde folgend - anzumerken, dass der Aufenthaltsstatus spätestens nach der erstinstanzlichen Entscheidung im Asylverfahren doch als unsicher angesehen werden musste.

 

Hier ist insbesondere auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen:

 

Demnach hat der dem § 61 Abs. 2 FPG vergleichbare § 66 Abs. 2 FPG 2005 schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während eines unsicheren Aufenthaltsstatus erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen wäre und ein solcherart begründetes privates bzw. familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte (vgl. auch E 22. Dezember 2009, 2009/21/0348).

 

Der rund 10 Jahre und 9 Monate dauernde Aufenthalt sowie die mehr als 9 Jahre lang kontinuierlich ausgeübte unselbständige Erwerbstätigkeit (in Verbindung mit weiteren Aspekten der erreichten Integration) verleihen den persönlichen Interessen des Fremden am Verbleib im Bundesgebiet ein derart großes Gewicht, dass die Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FrPolG 2005 - auch bei einem Eingriff nur in das Privatleben - unverhältnismäßig erscheint (vgl. VwGH vom 20. Jänner 2011, 2010/22/0158).

 

3.4.5. Der Erst-Bw geht seit dem Jahr 2005 regelmäßig einer Beschäftigung nach, ist sozialversichert, fähig sich selbst sowie seine Familie zu erhalten und verfügt über nachgewiesene Deutschkenntnisse. Eine soziale Integration ist bei ihm aufgrund der langen Dauer des Aufenthalts und nicht zuletzt aufgrund des Umstandes, dass seine Tochter in Österreich verheiratet ist, jedenfalls gegeben. In seinem Fall sind also fraglos die vom VwGH angenommenen Merkmale gegeben, zumal es glaubhaft ist, dass der Erst-Bw nach der langen Abwesenheit von seinem Heimatland dorthin keine intensive Bindung mehr hat, auch wenn ihm aufgrund des Umstandes, dass er doch den größeren Teil seines Lebens dort verbracht hat, eine Reintegration zumutbar sein könnte. Nichts desto trotz überwiegen eindeutig die Bindungen im Bundesgebiet.

 

Eine Interessensabwägung führt also zu dem eindeutigen Schluss, dass im Fall des Erst-Bw im Hinblick auf § 61 FPG eine Ausweisung bzw. nunmehr Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist. Darüber hinaus ist noch anzuführen, dass er wie auch seine Gattin völlig unbescholten sind.

 

3.4.6. Die Zweit-Bw weist zwar hinsichtlich der beruflichen Integration wie auch in sprachlicher Hinsicht – im Vergleich mit ihrem Ehemann – einen geringeren Grad auf, kann aber zumindest das Bemühen um den Erwerb von sprachlichen Grundkenntnissen ins Treffen führen. In sozialer Hinsicht gilt für sie Vergleichbares wie für ihren Gatten, wobei insbesondere auf den Umstand der in Österreich verehelichten Tochter hingewiesen wird.

 

Nicht zuletzt würde aber eine lediglich gegen sie ausgesprochene Rückkehrentscheidung massiv in ihr Familienleben eingreifen, zumal diese Maßnahme gegen ihren Gatten nicht zulässig verhängt werden kann. Somit ist auch in ihrem Fall festzuhalten, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer als unzulässig anzusehen ist.

 

3.4.7. Im Fall des Dritt-Bw, der ebenfalls schon seit 8 Jahren (somit seit seinem 14. Lebensjahr) in Österreich aufhältig ist, bedarf es allerdings einer gesonderten Betrachtung.

 

Unbestritten ist, dass er sprachlich und wohl auch sozial integriert ist und darüber hinaus für den Fall seiner rechtmäßigen Niederlassung im Bundesgebiet über Arbeitszusagen verfügt. Seine Bindungen zum Heimatstaat sind fraglos als nicht erheblich anzusehen. Eine Reintegration wäre aber auch in seinem Fall nicht undenkbar, zumal er die Grundschule dort absolvierte und somit der Landessprache auch ausreichend mächtig ist. Aber auch bei ihm wird der sozialen Integration im Bundesgebiet der eindeutige Vorrang zu geben sein.

 

Sowohl im angefochtenen Bescheid als auch in der Berufung wird allerdings der Umstand, dass der Bw wegen gewerbsmäßigen Betrugs zu 4 Monaten Freiheitsstrafe (wenn auch bedingt) verurteilt und über ihn auch ein Waffenverbot verhängt wurde, nicht gewürdigt.

 

Grundsätzlich ist dazu anzumerken, dass in Hinblick auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung Ruhe und Sicherheit ein derartiges Verhalten geeignet sein kann, bei einer Abwägung von öffentlichen und persönlichen Interessen erheblich Berücksichtigung zu finden.

 

Zugute muss dem Dritt-Bw gehalten werden, dass er als Ersttäter anzusehen ist und über ihn lediglich eine bedingte Strafe verhängt wurde, was allenfalls darauf hindeutet, dass das urteilende Strafgericht von einem gemilderten Unrecht des Verhaltens des Täters ausging. Der Umstand wirkt sich also bei einer Gesamtbetrachtung nicht dermaßen gravierend aus, dass die Waagschale gänzlich zu Ungunsten des Dritt-Bw beschwert wird.

 

3.4.8. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass in Hinblick auf § 61 FPG die Voraussetzungen für eine Rückkehrentscheidung in den in Rede stehenden Fällen nicht bestehen und die privaten Interessen die öffentlichen bei einer Gesamtbetrachtung überwiegen. Nicht zuletzt wird auch davon auszugehen sein, dass gemäß § 61 Abs. 2 Z. 9 FPG von einer eher in die Sphäre der Behörden fallenden langen Verfahrensdauer gesprochen werden muss. 

 

3.4.9. Im Ergebnis ist also eine Rückkehrentscheidung im Hinblick auf das Privat- und Familienleben der Bw auf Dauer als nicht zulässig zu betrachten.

 

3.5. Es war daher der Berufung stattzugeben, die angefochtenen Bescheide aufzuheben und spruchgemäß zu entscheiden.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

 

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

 

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von je 14,30 Euro (Eingabegebühr), 11,70 Euro Beilagen (insgesamt 54,60 Euro, Eingabegebühr) angefallen.

 

 

                                               Поука о правном леку

 

Против овог Решењa није дозвољено уложити уредан правни лек.

 

Напомена:

 

Против овог Решењa може да се уложи жалба у року од шест недеља од дана достављањa истог на Уставни или Управни суд. Жалбу мора - осим законом предвиђених изузетака – да уложи и потпише надлежни адвокат. На сваку жалбу плаћа се такса у вредности од 220 Евро.

Bernhard Pree

 

 

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