Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-401126/2/Gf/Mu

Linz, 05.09.2011

 

 

 

 

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mit­glied Dr. Grof über die Beschwerde des x, dzt. x, gegen seine Anhaltung in Schubhaft durch den Bezirkshauptmann von Vöcklabruck seit dem 22. Juni 2011 zu Recht:

 

I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen; unter einem wird festgestellt, dass die Voraussetzungen der Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft gegenwärtig weiterhin vorliegen.

II. Der Beschwerdeführer hat dem Bund einen Kostenaufwand in Höhe von insgesamt 426,20 Euro binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

 

Rechtsgrundlage:

 

§ 83 FPG; § 67c Abs. 3 AVG; § 79a AVG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 22. Juni 2011, Zl. Sich40-2150-2011, wurde über den Rechtsmittelwerber, einen Staatsangehörigen der Republik Kosovo, gestützt auf § 76 Abs. 2 Z. 2 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, i.d.F. BGBl.Nr. I 38/2011 (im Folgenden: FPG), zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung und eines Rückkehrverbotes sowie zur Sicherung seiner Abschiebung die Schubhaft verhängt und durch Überstellung in das Polizeianhaltezentrum (PAZ) Steyr vollzogen.

Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer erstmals am 19. Mai 1999 widerrechtlich in das Bundesgebiet eingereist sei und einen Asylantrag gestellt habe. Da er sich jedoch in der Folge durch Untertauchen dem Asylverfahren entzogen habe, habe dieses von Amts wegen eingestellt werden müssen. Am 26. Februar 2004 sei er dann neuerlich – und zwar gemeinsam mit seiner Gattin – illegal eingereist. In der Folge sei deren Asylantrag mit Bescheid des Bundesasylamtes Eisenstadt vom 24. März "2011" (gemeint wohl: 2004) abgewiesen, dagegen jedoch eine Berufung an den Unabhängigen Bundesasylsenat erhoben worden. Während des Berufungsverfahrens sei der Rechtsmittelwerber mehrmals rechtskräftig verurteilt worden, weshalb seine Gattin mit ihren beiden zwischenzeitlich in Österreich geborenen Kindern auch Zuflucht in einem Frauenhaus in Graz gesucht habe und die Ehe geschieden worden sei. In der Folge habe sich der Beschwerdeführer in der BRD aufgehalten, wobei er auch dort wegen schwerer Körperverletzung verurteilt worden sei. Seine Rückübernahme habe daher erst nach Strafende, also am 22. Juni 2011, durchgeführt werden können. Zuvor sei seine Berufung gegen die negative Asylentscheidung des Bundesasylamtes Eisenstadt mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 25. März 2011 abgewiesen worden. Im Zuge seiner Rückübernahme habe er neuerlich einen Asylantrag gestellt und die Gegenzeichnung der Mitteilung über die Einleitung eines Ausweisungsverfahrens mit der Begründung verweigert, unter keinen Umständen wieder in den Kosovo zurückkehren zu wollen. Da er weder über einen polizeilich gemeldeten Wohnsitz noch über nennenswertes Vermögen verfüge; mehrmals illegal in EU-Staaten eingereist sei, dort Asylanträge gestellt und sich den Asylverfahren jeweils durch Untertauchen entzogen habe; mehrfach wegen Gewaltdelikten gerichtlich verurteilt worden sei; und sich zudem dezidiert weigere, in seinen Heimatstaat zurückzukehren, müsse sohin davon ausgegangen werden, dass er – in Freiheit belassen – neuerlich in der Anonymität untertauchen und sich so seiner zwangsweisen Abschiebung entziehen würde, weshalb auch die bloße Anordnung eines gelinderen Mittels nicht in gleicher Weise effektiv erscheinen könne.

1.2. Mit Schreiben vom 2. August 2011, Zl. B10-248553-2/2011/3Z, hat der Asylgerichtshof mitgeteilt, dass der Beschwerde des Rechtsmittelwerbers gegen die Zurückweisung seines im Zuge seiner Rückübernahme am 22. Juni 2011 gestellten (dritten) Asylantrages – ohne nähere Begründung – die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde; da in der Folge jedoch eine Sachentscheidung durch den Asylgerichtshof nicht innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist von 14 Tagen erfolgte, konnte auch die für den 18. Juni 2011 auf dem Luftweg vorgesehene Abschiebung des Beschwerdeführers nicht durchgeführt werden.

1.3. Am 22. August 2011 wurde der Rechtsmittelwerber vom LG Wien wegen gefährlicher Drohung (u.a.) zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt, wobei dieses Urteil derzeit noch nicht rechtskräftig ist.

1.4. Gegen seine Anhaltung in Schubhaft richtet sich die vorliegende, am
1. September 2011 per Telefax bei der belangten Behörde eingebrachte Beschwerde.

Darin wird vorgebracht, dass die Schubhaft nun schon länger als 2 Monate andauere. Im Asylverfahren sei seiner Beschwerde vom Asylgerichtshof zudem die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden. Darüber hinaus könne er im Falle seiner Entlassung aus der Schubhaft bei einem näher bezeichneten Bekannten in Graz Unterkunft nehmen. Schließlich würde er auch keinen Kontakt zu seiner Ex-Gattin, sondern lediglich einen solchen zu seinen beiden Kindern suchen, wobei er sich deshalb, weil er diese schon länger nicht mehr gesehen habe, bereits in einer schlechten psychischen Verfassung befinde.

Daher wird – erschließbar –  die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Anhaltung in Schubhaft beantragt.

1.5. Die belangte Behörde hat dem Oö. Verwaltungssenat am 5. September 2011 diese Beschwerde vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, mit der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

In diesem Zusammenhang wurde ergänzend darauf hingewiesen, dass sein eigentliches Reiseziel nicht Österreich, sondern stets die BRD gewesen sei und er bislang nie ein Interesse an einem Kontakt zu seinen Kindern gezeigt habe, sondern eine persönliche Kontaktaufnahme seitens des LG Wien vielmehr sogar dezidiert untersagt worden sei.

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der BH Vöcklabruck vorgelegten Akt zu Zl. Sich40-2150-2011; da sich
bereits aus diesem im Zusammenhang mit dem Beschwerdevorbringen der entscheidungswesentliche Sachverhalt feststellen ließ, konnte im Übrigen von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

Im Zuge dieser Beweisaufnahme konnte der oben unter 1.1. und 1.5. dar­gestellte Sachverhalt als allseits unbestritten und sohin zutreffend festgestellt werden.

2.2. Im vorliegenden Fall wurde der Rechtsmittelwerber auf Grund eines auf § 76 FPG gestützten Bescheides einer Behörde, die ihren Sitz im Sprengel des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich hat, angehalten; nach § 83 Abs. 1 FPG ist damit die örtliche Zuständigkeit des Oö. Verwaltungssenates zur Behandlung der gegenständlichen Beschwerde gegeben.

2.2.3. Dieser hatte gemäß § 83 Abs. 2 FPG i.V.m. § 67a AVG durch ein Einzelmitglied zu entscheiden.

3. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

3.1. Nach § 82 Abs. 1 FPG hat ein Fremder, gegen den die Schubhaft ange­ordnet wurde, das Recht, den Unabhängigen Verwaltungssenat u.a. mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit seiner Anhaltung in Schubhaft anzurufen.

Gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG kann die Fremdenpolizeibehörde gegen einen Asylwerber u.a. dann die Schubhaft verhängen, wenn gegen ihn ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde; ein Ausweisungsverfahren gilt nach § 27 Abs. 1 Z. 1 i.V.m. § 29 Abs. 3 Z. 4 AsylG u.a. dann schon ex lege als eingeleitet, wenn dem Asylwerber mitgeteilt wird, dass beabsichtigt ist, seinen Asylantrag zurückzuweisen.

Nach § 77 Abs. 1 FPG hat die Behörde jedoch von der Anordnung der Schubhaft Abstand zu nehmen, wenn sie Grund zu der Annahme hat, dass deren Zweck durch die Anwendung gelinderer Mittel in gleicher Weise erreicht werden kann; in diesem Sinne kommt gemäß § 77 Abs. 3 FPG insbesondere die Anordnung in Betracht, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen oder sich in perio­dischen Abständen bei einem bestimmten dem Fremden zuvor bekannt gegebenen Polizei­kommando zu melden.

3.2. Die mit der gegenständlichen Beschwerde relevierte Frage, ob die Anhaltung des Rechtsmittelwerbers in Schubhaft seit dem 22. Juni 2011 sowohl in formeller als auch in inhaltlicher Hinsicht rechtmäßig war bzw. ist, kann – nur – dann bejaht werden, wenn 1.) ein Schubhafttatbestand gemäß § 76 Abs. 2 FPG vorliegt, 2.) eine dem Zweck dieses Tatbestandes entsprechende Sicherungsnotwendigkeit besteht und zudem 3.) durch eine derartige Maßnahme insgesamt auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt.

3.2.1. Schubhafttatbestand

3.2.1.1. Im gegenständlichen Verfahren hat die belangte Behörde die Schubhaftverhängung auf § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG gestützt. Dies setzt voraus, dass gegen ihn ein Ausweisungsverfahren eingeleitet, d.h. dass ihm zumindest gemäß § 27 Abs. 1 Z. 1 i.V.m. § 29 Abs. 3 Z. 4 AsylG mitgeteilt wurde, dass beabsichtigt ist, seinen Asylantrag zurückzuweisen.

3.2.1.2. Im gegenständlichen Fall erfolgte eine derartige Mitteilung am 22. Juni 2011 um 20.50 Uhr, also zu einem noch vor der tatsächlichen Inschubhaftnahme um 20.51 Uhr desselben Tages gelegenen Zeitpunkt.

Bei der Erlassung des Schubhaftbescheides am 22. Juni 2011 waren somit die Formalvoraussetzungen des § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG erfüllt.

 

3.3. Mit Blick auf die mit der gegenständlichen Beschwerde relevierte Frage, ob die Anhaltung des Rechtsmittelwerbers in Schubhaft vom 26. Mai 2011 bis zum 29. Juni 2011 auch in inhaltlicher Hinsicht rechtmäßig war, war jedoch noch zu prüfen, ob eine dem § 76 Abs. 2a FPG entsprechende Sicherungsnotwendigkeit vorlag.

3.3.1. Hinsichtlich der Beurteilung der Sicherungsnotwendigkeit (nicht: Sicherungsbedürfnis, weil durch diesen Terminus suggeriert werden würde, dass es insoweit nicht auf eine objektivierbare, sondern auf die subjektive Einschätzung der Organwalter der Fremdenpolizeibehörde ankäme) ist anhand objektiver
Kriterien zu prüfen, ob mit Blick auf das Ziel der beabsichtigten fremdenpolizei­lichen Maßnahme eine Beschränkung der persönlichen Freiheit unabdingbar war. Es ist also zunächst (und zwar nicht mit der vorgefassten Tendenz: "im Zweifel pro Haft", sondern im Gegenteil: mit der Grundhaltung, dass prinzipiell gelindere Mittel anzuordnen sind, sodass die Verhängung der Haft stets nur eine äußerste Notmaßnahme darstellen kann) zu untersuchen, ob anhand der Umstände des konkreten Falles tatsächlich nur im Wege einer Haft zuverlässig erreicht werden kann, dass die intendierte fremdenpolizeiliche Maßnahme auch effektiv umgesetzt werden kann.

Solche inzident für eine derartige Sicherungsnotwendigkeit sprechenden Kriterien können z.B. die fehlende Wahrscheinlichkeit einer freiwilligen Ausreise, die für eine Rückkehr in den Abschiebe- bzw. Heimatstaat fehlenden finanziellen Mittel, die im Heimatstaat fehlende soziale Bindung, die angesichts fehlender Sank­tionen gegebene Wahrscheinlichkeit einer illegalen Rückkehr des Fremden nach
Österreich o.Ä., nicht jedoch eine allgemeine, d.h. nicht im Zusammenhang mit dem Zweck der Sicherungsnotwendigkeit stehende Gleichgültigkeit gegenüber generellen Ordnungsvorschriften oder strafrechtlichen Verboten, ein allgemein unkooperatives Verhalten, eine allgemein mangelnde soziale, insbesondere
berufliche Integration, etc. sein.

Hat daher der Fremde beispielsweise seine persönliche Identität zu verschleiern versucht und war dieser weder polizeilich gemeldet noch tatsächlich durch längere Zeit hindurch an einer bestimmten Unterkunft aufhältig, so besteht eine hohe Gefahr des Untertauchens, die umgekehrt prinzipiell eine entsprechende Sicherungsnotwendigkeit begründet. Hingegen entfällt diese von vornherein, wenn der Fremde bloß gegen melderechtliche Vorschriften verstoßen hat und/oder beispielsweise wegen eines Suchtgiftdeliktes zu einer Freiheitsstrafe verurteilt
wurde, sich seither aber tatsächlich durchgehend an einer der Fremdenpolizei­behörde bekannten Unterkunft aufgehalten hat.

3.3.2. Im gegenständlichen Fall bezweckte die Schubhaftverhängung von Anfang an, dass der Beschwerdeführer der belangten Behörde für die Durchführung der Abschiebung auch tatsächlich zur Verfügung stehen und diese nicht dadurch, dass er zum maßgeblichen Zeitpunkt von deren effektiver Durchsetzung an
seinem bisherigen Aufenthaltsort faktisch nicht greifbar wäre, erschweren oder gar verunmöglichen können soll.

Dass der Rechtsmittelwerber bisher über einen ordnungsgemäßen Wohnsitz in Österreich verfügte, wird auch von ihm selbst gar nicht behauptet. Seinem Vorbringen, im Falle einer Entlassung aus der Schubhaft bei einem in der Beschwerde näher bezeichneten Bekannten wohnen zu können, kommt hingegen schon deshalb keine rechtliche Relevanz zu, weil es insoweit an einer verbindlichen Verpflichtungserklärung dieses Dritten fehlt.

Auch von einer sozialen oder beruflichen Integration des Rechtsmittelwerbers kann keine Rede sein, weil – abgesehen von seiner Ex-Gattin und seinen beiden Kindern, zu denen ihm jedoch eine Kontaktaufnahme seitens des LG Wien untersagt wurde – keine seiner Verwandten oder Bekannten in Österreich oder zumindest im angrenzenden EU-Raum leben.

Weiters hat der Beschwerdeführer im Zuge seines Asylverfahrens mehrfach explizit bekräftigt, dass er nicht freiwillig in seinen Heimatstaat zurückkehren will. Im nunmehrigen Wissen um den ursprünglich geplanten Abschiebungstermin (18. August 2011) war ihm jedoch klar, dass er demnächst zwangsweise in den Kosovo abgeschoben werden wird. Angesichts dessen liegt es also auch auf der Hand, dass er eine Abschiebung nicht widerstandslos über sich ergehen lassen, sondern – wenn er sich in Freiheit befände – vielmehr von der einfachsten und deshalb am nächsten liegenden Möglichkeit, nämlich: Verschleierung seines jeweiligen aktuellen Aufenthaltsortes, Gebrauch machen würde, um sich dieser zu entziehen.

3.3.3. Alle diese sowie jene von der belangten Behörde darüber hinaus in ihrem Schubhaftbescheid angeführten Gründe (Verschweigen der früheren Asylanträge in anderen EU-Staaten; Nichtvorliegen eines ordentlichen und gemeldeten Wohnsitzes; Mittellosigkeit und daraus resultierende Unmöglichkeit der Finanzierung des Aufenthalts in Österreich aus eigenem; Nichtbeachtung der österreichischen Einreise- und Aufenthaltsvorschriften; zahlreiche strafgerichtliche Verurteilungen) sprachen im vorliegenden Fall für eine dementsprechende Sicherungsnotwendigkeit; sie überwogen daher insgesamt betrachtet deutlich jene – wobei allenfalls (kurzfristige) Zeiträume eines Wohlverhaltens in Betracht kämen – dagegen sprechenden Argumente, und zwar v.a. auch deshalb, weil das Bestehen einer derartigen Sicherungsnotwendigkeit im sog. Spätstadium des Asylverfahrens (wie hier) stets dann umso mehr angenommen werden kann, wenn nicht evident zwingende Gründe dagegensprechen (vgl. z.B. VwGH vom 25. März 2010, Zl. 2008/21/0617).

3.3.4. Vom Bestehen einer Sicherungsnotwendigkeit ausgehend war schließlich in verfassungskonformer Interpretation dieser Bestimmung im Hinblick auf Art. 1 Abs. 3 PersFrBVG noch zu untersuchen, ob der mit der fremdenpolizeilichen Maßnahme konkret verfolgte Zweck nicht auch durch normale (diese Bezeichnung ist deshalb angebracht, weil dadurch umgekehrt die Haft als das "Ausnahmemittel" deutlicher in den Vordergrund tritt), d.h. im Verhältnis zum Entzug der persönlichen Freiheit im Wege der Haft gelindere Sicherungsmittel zu erreichen gewesen wäre.

3.3.4.1. Die Anordnung gelinderer Mittel bedingt das grundsätzliche, durch
entsprechende konkrete Kriterien objektivierbare Vertrauen, dass sich der Fremde zum Zeitpunkt der Durchführung der Abschiebung der Behörde zur Verfügung hält, d.h. für diese auch faktisch greifbar ist. In diesem Zusammenhang geht die Rechtsordnung davon aus, dass ein derartiges Vertrauen a priori zunächst vorauszusetzen ist – sonst wäre nicht die Schubhaftverhängung als ein bloßes ultima-ratio-Mittel, sondern im Gegenteil als Standardmaßnahme für die Fremdenpolizeibehörden gesetzlich vorgesehen worden. Daraus folgt, dass es dann, wenn die Schubhaft angeordnet wird, der Behörde obliegt, jene Gründe vorzubringen und entsprechend zu belegen, die im konkreten Fall für ein Nichtbestehen eines derartigen Vertrauensverhältnisses sprechen.

Einer derartigen Prognoseentscheidung sind somit v.a. jene Hinweise in Bezug auf das bisherige Verhalten zu Grunde zu legen, die gegen bzw. für eine Freiheitsentziehung sprechen (wie z.B. ob gelindere Mittel bisher schon angewendet wurden und wenn ja, ob diese erfolgreich waren oder nicht; ob sich auch die
näheren Familienangehörigen [legal] in Österreich befinden; ob der Fremde hier sozial integriert ist; ob sich der Ausländer grundsätzlich den österreichischen Rechtsvorschriften verbunden fühlt, etc.), wobei insoweit unter dem Aspekt, dass eine Haftanordnung nur eine ultima-ratio-Maßnahme darstellen kann, eben eine formelhafte oder bloß auf allgemeine Erfahrungssätze abstellende Begründung des Schubhaftbescheides nicht hinreicht, sondern diese vielmehr eine konkrete, individuell-fallbezogene Subsumtion mit entsprechender pro- und contra-Abwä-gung aufweisen muss, damit gewährleistet ist, dass durch diese keine antizipatorische "pro-Haft-Tendenz" zum Ausdruck kommt, d.h. eine haft"begünstigende" Begründungsargumentation objektiv betrachtet verlässlich ausgeschlossen ist. Nur wenn danach mit zwingenden Gründen davon ausgegangen werden kann, dass die effektive Umsetzung (eine bloße "Erschwerung" reicht hingegen nach § 76 FPG – und erst recht nach Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG – nicht hin) der beabsichtigten fremdenpolizeilichen Maßnahme nicht anders als durch einen Entzug der persönlichen Freiheit gewährleistet werden kann, erweist sich die Anordnung der Schubhaft auch unter dem Aspekt des Verhältnismäßigkeitsprinzips als
gerechtfertigt.

3.3.4.2. Im gegenständlichen Fall ist der Beschwerdeführer illegal und unter
Verschweigung von für das fremdenrechtliche Verfahren essentiellen Fakten (mehrfache vorangehende Asylantragstellungen) – wobei ihm dieser Umstand auch durchaus bewusst sein musste – in das Bundesgebiet eingereist. 

Dieses Verhalten – nämlich: die Nichtvorlage von Reisedokumenten; die Weigerung, das Bundesgebiet freiwillig zu verlassen; etc. – legt im Zusammenhang damit, dass der Rechtsmittelwerber weder über die für seinen Aufenthalt erforderlichen finanziellen Mittel und eine Unterkunftsmöglichkeit noch über
verifizierbare soziale Kontakte verfügt, insgesamt die Annahme nahe, dass die Stellung eines Asylantrages offensichtlich primär nur dazu gedient hat, um seinen faktischen Aufenthalt im EU-Raum, insbesondere auch in Österreich, zu verlängern.

Gesamthaft betrachtet folgt aus all dem, dass der Beschwerdeführer durch diese Handlungen das ihm grundsätzlich entgegen zu bringende Vertrauen objektiv-abstrakt besehen in einem solchen Grad enttäuscht hat, der es nicht mehr zulässt, mit gutem Grund annehmen zu können, dass er sich zum Zeitpunkt seiner Abschiebung sowohl freiwillig als auch tatsächlich der Fremdenpolizeibehörde zur Verfügung halten wird; Letzterer kann daher vor dem Hintergrund des hier
konkret zu beurteilenden Sachverhalts nicht entgegengetreten werden, wenn diese davon ausgegangen ist, dass es im vorliegenden Fall solcher Sicherungsmaßnahmen bedurfte, die der dargestellten Motivationslage des Rechtsmittelwerbers auch effektiv entgegenwirken.

3.3.4.3. Nach § 77 Abs. 3 FPG kommen als – im Vergleich zur Schubhaftverhängung – gelindere Mittel vornehmlich die Anordnung, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen und/oder sich in periodischen Abständen bei einem Polizeikommando zu melden, in Betracht. Wie sich aus der Textierung dieser Bestimmung, speziell aus der Verwendung des Wortes "insbesondere" ergibt, ist die Behörde hinsichtlich der Auswahl zwischen den unterschiedlichen Arten von Sicherungsmaßnahmen grundsätzlich zwar nicht, durch das in § 77 Abs. 1 FPG normierte Verhältnismäßigkeitsprinzip im Ergebnis jedoch insoweit beschränkt, als letztlich nur eine solche Maßnahme gewählt werden darf, die sowohl zur Zielerreichung geeignet ist als auch den vergleichsweise geringst-möglichen Eingriff in die Persönlichkeitssphäre des Fremden nach sich zieht.

Im gegenständlichen Fall wurde dem Beschwerdeführer auf Grund der Festsetzung eines konkreten Abschiebungstermines (18. August 2011) aktuell bewusst, dass und welche fremdenpolizeilichen Maßnahmen auf  ihn zukommen werden, insbesondere, dass seine zwangsweise Außerlandesschaffung im Wege der Abschiebung demnächst drohte. Dem gegenüber kann dem Umstand, dass der
Beschwerde seitens des Asylgerichtshofes die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, deshalb, weil diese Feststellung weder begründet wurde noch in der Folge innerhalb der gesetzlichen Frist eine Sachentscheidung erfolgte, keine maßgebliche, über eine bloß haftungsmäßige Konsequenzen präventiv ausschließende Standardmaßnahme hinausreichende  Bedeutung beigemessen werden.  Vor diesem Hintergrund bestand angesichts der besonderen Situation des Beschwerdeführers, der weder über eine eigene (geschweige denn eine ordnungsgemäß polizeilich gemeldete) Unterkunft noch über die erforderlichen finanziellen Mittel zur Bestreitung seines Aufenthalts oder irgendwelche soziale oder berufliche Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet oder einen rechtlichen Anspruch auf staatliche Versorgung im Wege einer Bundes- oder Landesbetreuung verfügt – wobei dem Rechtsmittelwerber einerseits eine Kontaktaufnahme zu seiner Ex-Gattin und seinen Kindern explizit gerichtlich untersagt wurde und er andererseits auch nicht entsprechend nachvollziehbar belegt vorgebracht hat, dass er im Falle seiner Freilassung adäquate Unterstützungsleistungen erhalten würde –, keine verläss­liche Gewähr dafür, dass gelindere Mittel anstelle der Schubhaftverhängung in gleicher Weise dazu geeignet gewesen wären, den mit dieser Maßnahme verfolgten Zweck – nämlich: dass der Beschwerdeführer jederzeit, insbesondere aber im Zeitpunkt der Vornahme seiner Abschiebung für die Fremdenpolizeibehörde auch tatsächlich greifbar ist – zu erfüllen.

 

Nach Abwägung der öffentlichen Interessen an der effektiven Umsetzung der Ausweisung gegenüber den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an der Nichtvornahme einer Freiheitsentziehung war es sohin nicht geboten, anstelle der Anhaltung des Rechtsmittelwerbers in Schubhaft gelindere Mittel i.S.d. § 77 Abs. 3 FPG anzuordnen, weil das grundsätzliche, durch die genannten Kriterien objektivierbare Vertrauen, dass sich der Fremde zum Zeitpunkt der Durchführung der Abschiebung der Behörde zur Verfügung halten, d.h. für diese auch
faktisch greifbar sein wird, aus den bereits mehrfach genannten Gründen insgesamt in einem solchen Maße gefährdet war, das es nicht mehr zuließ, eine jederzeitige effektive Greifbarkeit der Person des Rechtsmittelwerbers mit gutem Grund annehmen zu können.

 

3.3.5. Aus allen diesen Gründen war daher hier im Ergebnis davon auszugehen, dass die effektive Umsetzung der beabsichtigten fremdenpolizeilichen Maßnahme im vorliegenden Fall nicht anders als durch einen Entzug der persönlichen Freiheit – der im Übrigen das zeitliche Limit des § 80 Abs. 2 Z. 2 FPG (vier Monate) – bislang noch nicht überschritten hat – sichergestellt werden konnte bzw. kann.

 

3.3. Die gegenständliche Beschwerde war daher gemäß § 83 Abs. 2 FPG i.V.m. § 67c Abs. 3 AVG abzuweisen; unter einem war nach § 83 Abs. 4 FPG festzustellen, dass die Voraussetzungen der Anhaltung des Rechtmittelwerbers in Schubhaft gegenwärtig weiterhin vorliegen.

4. Bei diesem Verfahrensergebnis war der Beschwerdeführer  dazu zu verpflichten, dem Bund nach § 79a Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 4 Z. 3 AVG i.V.m. § 1 Z. 3 und 4 der UVS-Aufwandersatzverordnung, BGBl.Nr. II 456/2008, Kosten in Höhe von insgesamt 426,20 Euro (Vorlageaufwand: 57,40 Euro; Schriftsatzaufwand: 368,80 Euro) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweise:

1.  Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

2.  Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in einer Höhe von insgesamt 14,30 Euro entstanden; ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

 

 

Dr.  G r o f

 

 

VwSen-401126/2/Gf/Mu vom 5. September 2011, Erkenntnis

 

AsylG §37;

FPG 2005 §76

 

Hat der AsylGH einer an ihn gerichteten Beschwerde gemäß § 37 Abs1 AsylG die aufschiebende Wirkung zuerkannt, so kann einer derartigen Entscheidung im Zuge der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft dann, wenn diese weder begründet wurde noch in der Folge innerhalb der Frist des § 37 Abs4 AsylG eine Sachentscheidung des AsylGH erfolgte, keine maßgebliche, über eine bloß haftungsmäßige Konsequenzen präventiv ausschließende Standardmaßnahme hinausreichende Bedeutung beigemessen werden.

 

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