Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730391/2/SR/Wu

Linz, 06.09.2011

                                                                                                                                                        

E R K E N N T N I S

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des x, geboren am x, türkischer Staatsangehöriger, vertreten durch Rechtsanwalt x, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes von Gmunden vom 15. November 2007, AZ. Sich07/16380, mit dem gegen den Berufungswerber ein auf 10 Jahre befristetes Rückkehrverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich erlassen wurde, zu Recht erkannt: 

Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

 

1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Gmunden vom 15. November 2007, AZ. Sich07/16380, wurde über den Berufungswerber (im Folgenden: Bw), einem türkischen Staatsangehörigen, auf der Basis des Fremdenpolizeigesetzes in der zum Zeitpunkt der Erlassung geltenden Fassung ein auf 10 Jahre befristetes Rückkehrverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich verhängt.

 

Die belangte Behörde stützte das Rückkehrverbot im Wesentlichen auf das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 21. März 2003, mit dem der Bw wegen des Verbrechens des teils versuchten teils vollendeten schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 15 Monaten rechtskräftig verurteilt worden war. Ergänzend nahm die belangte Behörde Bezug auf das von ihr am 10. September 1996 verhängte (rechtskräftige) und auf fünf Jahre befristete Aufenthaltsverbot, setzte sich somit mit den wiederholten Verstößen des Bw gegen die österreichische Rechtsordnung auseinander und legte das erhebliche Gefährdungspotential des Bw dar.

 

1.2. Gegen diesen Bescheid, der dem Bw zu Handen seines Rechtsvertreters am 20. November 2007 zugestellt wurde, erhob dieser rechtzeitig eine umfassende Berufung, die der Sicherheitsdirektion Oberösterreich vorgelegt wurde.

 

Mit Bescheid vom 19. Dezember 2007, St 312/07, hat der Sicherheitsdirektor von Oberösterreich der Berufung keine Folge gegeben und den angefochtenen Bescheid bestätigt.

 

1.3. Dem Antrag auf aufschiebende Wirkung hat der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 12. Februar 2008, B 237/08-2, keine Folge gegeben und mit Beschluss vom 5. März 2008, B 237/08-04, wurde die Behandlung der Beschwerde abgewiesen.

 

Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Juni 2009, Zl. AW 2008/21/0222-5, wurde dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht stattgegeben.

 

Mit Erkenntnis vom 5. Juli 2011, Zl. 2008/21/0292, hat der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

 

Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass wie im Fall eines Aufenthaltsverbotes auch bei der Erstellung der für jedes Rückkehrverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen sei, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 62 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt wäre. Dabei komme es auf die Art und Schwere der einer gerichtlichen Verurteilung zugrundeliegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an. Bei der auf die aktuellen Verhältnisse abstellenden Gefährdungsprognose sei demnach zu berücksichtigen, wie lange die Straftaten zurückliegen und ob sich der Fremde seither wohlverhalten habe.

Dem habe die belangte Behörde nicht ausreichend Rechnung getragen. Auch wenn die gewerbsmäßige Begehung von Einbruchsdiebstählen keineswegs verharmlost werden solle, sei festzuhalten, dass die Tathandlungen nur in einem Zeitraum von zwei Tagen im Jahr 1996 verübt worden sind und der Bw seither einen "untadeligen Lebenswandel" aufgewiesen habe. Die belangte Behörde habe keine Feststellungen über ein nach Verübung dieser Straftaten im Jahr 1996 vom Bw neuerlich gesetztes Fehlverhalten getroffen. Es sei daher insbesondere in Bezug auf den Zeitraum seit der Wiedereinreise nach Österreich von einem seither durchgängigen Wohlverhalten des Bw auszugehen. Vor diesem Hintergrund könne der Verwaltungsgerichtshof die Annahme der belangten Behörde, aus den Mitte 1996 begangenen Straftaten des Bw sei bei Erlassung des angefochtenen Bescheides im Jänner 2008 nach wie vor aktuell abzuleiten, dass durch den Weiterverbleib des Bw im Bundesgebiet die öffentlichen Ordnung und Sicherheit der Republik Österreich gefährdet werde, nicht teilen. Dazu komme, dass die dem Gerichtsurteil vom 13. März 2003 zugrundeliegenden Straftaten des Bw, von denen die Fremdenpolizeibehörde bereits durch die sogenannte Stellungsanzeige vom 16. Juli 1996 Kenntnis erlangt hatte, den einzig maßgeblichen Grund für die Erlassung des fünfjährigen Aufenthaltsverbotes darstellten, wobei überdies ein Faktum verwertet worden sei, von dem der Bw später freigesprochen worden wäre. Damals habe die Bezirkshauptmannschaft Gmunden die festgesetzte Dauer von fünf Jahren damit begründet, dass davon ausgegangen werden könne, der Bw werde seine negative charakterliche Einstellung in diesem Zeitraum zum Besseren geändert haben. Angesichts dessen sei freilich überhaupt nicht nachvollziehbar, dass dieselbe Behörde wegen desselben Verhaltens des Bw, der danach nicht mehr strafrechtlich auffällig geworden sei, im November 2007 die Erlassung eines zehnjährigen Rückkehrverbotes für erforderlich gehalten habe.  

 

2. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich übermittelte mit Schreiben vom 10. August 2011, Zl. St. 312/07 den Verwaltungsakt zur Entscheidung der Berufung.

 

3.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt.

 

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist (§ 67d Abs. 2 Z. 1 AVG).

 

3.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder zuständig (vgl. § 67a Abs. 1 AVG).

 

4. In der Sache hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erwogen:

 

4.1. Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 38/2011 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass der Unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist, weshalb der in Rede stehende Verwaltungsakt von der Sicherheitsdirektion – nach In-Krafttreten der Novelle am 1. Juli 2011 – dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich übermittelt wurde.

 

Gemäß § 125 Abs. 16 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, bleiben vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassene Rückkehrverbote gemäß § 62 bis zum festgesetzten Zeitpunkt weiterhin gültig.

 

Für eine allfällige Überleitung von Rückkehrverboten, die in der Fassung vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 auf § 62 gestützt wurden, findet sich keine dem § 125 Abs. 14 FPG vergleichbare Bestimmung.

 

Daraus folgt aber, dass für Personen gegen die ein Rückkehrverbot gemäß § 62 in der Fassung vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 verhängt wurde, im Berufungsverfahren nach dem FPG in der nunmehr geltenden Fassung zur Prüfung § 54 heranzuziehen ist.

 

4.2. Nach § 54 Abs. 1 FPG ist gegen einen Asylwerber ein Rückkehrverbot zu erlassen, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt

  1. die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder
  2. anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

Das Rückkehrverbot gilt als Entzug des Aufenthaltsrechtes. §§ 12 und 13 AsylG 2005 gelten.

 

Nach § 54 Abs. 2 FPG gilt § 61 FPG.

 

Gemäß § 61 Abs. 1 FPG ist, sofern durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Nach § 61 Abs. 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.      die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der        bisherige          Aufenthalt des Fremden rechtmäßig war;

2.      das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.      die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.      der Grad der Integration;

5.      die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.      die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.      Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des      Asyl-          Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.      die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem   Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren   Aufenthaltstatus bewusst waren;

9.      die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden       zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist allerdings ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs. 1 (nur) statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

4.3.1. Das bekämpfte Rückkehrverbot wurde auf Basis des § 62 FPG in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011, erlassen, weshalb dieses grundsätzlich im Sinne des § 54 FPG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 anzusehen und zu beurteilen ist.

 

Gemäß § 54 Abs. 9 FPG gilt ein Rückkehrverbot als Einreiseverbot, wenn eine Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 durchsetzbar wird.

 

4.3.2. Die belangte Behörde hat mit Bescheid vom 1. April 2009, GZ Sich07/16380, gegen den Bw eine Ausweisung erlassen. Diese ist mit 16. April 2009 in Rechtskraft erwachsen. Laut ZMR-Anfrage vom 17. August 2011 ist der Bw am 19. Mai 2009 in die Türkei zurückgekehrt.

 

4.4. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Beschwerdeverfahren (Erkenntnis vom 5. Juli 2011, Zl. 2008/21/0292) unter Hinweis auf zahlreiche Judikate ausgeführt, dass es einer das Gesamtverhalten betreffenden Gefährlichkeitsprognose und der Erstellung eines Persönlichkeitsbildes bedarf, das auf Grund der Art und Schwere der einer gerichtlichen Verurteilung zugrundeliegenden Straftaten zu erstellen ist. Bei der auf die aktuellen Verhältnisse abstellenden Gefährdungsprognose ist besonders zu berücksichtigten, wie lange die Straftaten zurückliegen und ob sich der Fremde seither wohlverhalten hat.

 

Unbestritten hat der Bw am 12. und 14. Juli 1996 das Verbrechen des teils versuchten, teils vollendeten gewerbsmäßigen Diebstahl durch Einbruch begangen und ist hiefür vom LG Ried im Innkreis am 13. März 2003 zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt worden.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im teilweise wiedergegebenen Erkenntnis vom 5. Juli 2011 dargelegt hat, verhängte die belangte Behörde wegen der gewerbsmäßigen Begehung von Einbruchsdiebstählen am 12. und 14. Juli 1996 gegen den Bw bereits mit Bescheid vom 10. September 1996 ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot. Bei der zeitlichen Festsetzung ging die belangte Behörde davon aus, dass sich die negative charakterliche Einstellung des Bw in einem Zeitraum von 5 Jahren zum Besseren ändern werde.

 

Laut Aktenlage und EKIS-Abfrage hat sich der Bw nach der Verübung der Straftaten im Jahr 1996 während seiner Aufenthalte in Österreich wohlverhalten.

 

Der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes und der ursprünglichen Prognose der belangten Behörde (siehe Begründung im Bescheid vom 10. September 1996) folgend, lässt sich aktuell nicht ableiten, dass der Bw wegen der Mitte 1996 begangenen Straftaten eine Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Republik Österreich darstellt.

 

4.5. Im Hinblick auf den vorliegenden Sachverhalt und auf die Ausführungen im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. Juli 2011, Zl. 2008/21/0292, war der Berufung stattzugeben und der angefochtene Bescheid aufzuheben.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweise:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

Mag. Stierschneider

 

 

 

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