Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-730208/3/BP/Wu VwSen-730209/3/BP/Wu VwSen-730210/3/BP/Wu

Linz, 06.09.2011

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Bernhard Pree über die Berufung 1. der x, sowie als gesetzliche Vertreterin für 2. der x und 3. der x, StA von Pakistan, sämtlich vertreten durch x, Rechtsanwalt in x, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes des Bezirks Vöcklabruck vom 27. Juli 2010, GZ: Sich40-23252-2004 und Sich40-24638-2006, betreffend eine Ausweisung der Berufungswerberinnen nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

 

Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

 

 

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 

The appeal is allowed and the decision opposed is reversed without substitution.

 

 

Legal basis:

§ 66 par. 4 in conjunction with § 67a par. 1 Z 1 AVG

 


Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 27. Juli 2010, GZ.: Sich40-23252-2004 und Sich40-24638-2006, wurde gegen die Berufungswerberinnen (im Folgenden: Bw) auf Basis der §§ 54 Abs. 1 und 3 iVm. 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, die Ausweisung angeordnet und die Ausreiseverpflichtung mit 16. August 2010 festgesetzt.

 

Begründend führt die belangte Behörde zunächst zum Sachverhalt aus, dass die Erst-Bw, eine Staatsangehörige von Pakistan, seit dem 22. Juni 2005 rechtmäßig in Österreich sei. Den damaligen Zuzug habe sie damit begründet, dass sie zu ihrem Vater (einem österreichischen Staatsangehörigen) ziehen wolle.

 

Am 19. April 2010 habe die Bw für sich und ihre minderjährige Tochter – die Zweit-Bw – persönlich einen Verlängerungsantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für "unbeschränkt" bzw. "beschränkt" gestellt. Die minderjährige Tochter x – Dritt-Bw – besitze ebenfalls eine Niederlassungsbewilligung für "beschränkt", gültig bis 14. Dezember 2010. Bei der Prüfung des Verlängerungsantrages sei festgestellt worden, dass sich der Gatte der Erst-Bw, der in Italien wohnhaft sei, in Form eines notariell beglaubigten Unterhaltsvertrages vom 27. November 2008 verpflichtet habe, monatlich auf ein, der Erst-Bw zuzurechnendes, Konto bei der Raiffeisenbank x 500,-- Euro zu überweisen. Die Erst-Bw habe bis zum 4. Mai 2010 Kinderbetreuungsgeld in der Höhe von monatlich 805,80 Euro erhalten. Ansonsten verfüge die Bw über kein Einkommen. Gemäß den Richtsätzen des § 293 ASVG müsse die Bw für sich selbst über 783,99 Euro sowie für jedes Kind über 82,16 Euro monatlich verfügen (insgesamt 948,31 Euro). Dies sei jedoch nicht der Fall. Laut Kontoauszug im April und Mai 2010 habe der Gatte die vereinbarten 500,-- Euro überwiesen. Ansonsten habe sie keine Kontoauszüge vorweisen können, die bestätigt hätten, dass der Gatte die Unterhaltsvereinbarung eingehalten habe.

 

Die belangte Behörde habe weiters festgestellt, dass weder die Bw selbst noch die beiden Kinder im Besitz einer Krankenversicherung seien, die alle Risken abdecke. Dieser Umstand sei am 18. Mai 2010 um 14.30 Uhr auf Grund einer telefonischen Anfrage bekannt geworden. Seit dem Aufenthalt im Bundesgebiet habe die Bw insgesamt 10 Monate gearbeitet und zwar in der Zeit zwischen dem 1. Juni 2005 und 30 November 2005 sowie in der Zeit zwischen 13. Februar 2006 bis 1. Juni 2006.

 

Am 10. September 2005 sei die Erst-Bw die Integrationsvereinbarung eingegangen. Bis dato lägen jedoch keine Unterlagen bzw. Bestätigungen vor, aus denen hervorgehe, dass sie jemals einen Deutschkurs besucht habe. Sie habe die Integrationsvereinbarung somit nicht erfüllt.

 

Mit Schreiben vom 18. Mai 2010 seien die Bw von der beabsichtigten Ausweisung in Kenntnis gesetzt worden. In einer Stellungnahme des Gatten der Erst-Bw vom 26. Mai 2010 führte dieser u.a. aus, dass er auf Grund seines ausreichenden Einkommens in Italien voll in der Lage sei, seine Gattin und die gemeinsamen Kinder finanziell zu unterstützen, was er nicht nur durch Überweisungen, sondern auch durch Bargeld im Rahmen von Besuchen tue. Im übrigen könne – bei allfälligem Bedarf – seine Familie auch durch die Eltern und die Brüder der Erst-Bw jederzeit finanziell unterstützt werden, weshalb eine Belastung öffentlicher Institutionen in Österreich keinesfalls zu erwarten sei.

 

Nachdem sich die Erst-Bw bislang um die beiden Kleinkinder gekümmert habe, habe sie noch keinen Deutschkurs belegt, werde dies jedoch nachholen.

 

Hinsichtlich der fehlenden Krankenversicherung führt der Gatte aus, dass die Erst-Bw auf Grund ihrer Mutterschaft nicht erwerbstätig und daher auch nicht versichert gewesen sei. Es sei jedoch beabsichtigt, eine private Krankenversicherung abzuschließen.

 

1.1.2. In rechtlicher Hinsicht führt die belangte Behörde aus, dass die Erst-Bw zum Einleitungszeitpunkt des Ausweisungsverfahrens noch nicht 5 Jahre durchgehend im Bundesgebiet niedergelassen gewesen sei.

 

Der Gatte der Erst-Bw überweise lediglich 500,-- Euro monatlich auf deren Konto, sie selbst habe bis zum 4. Mai 2010 Kinderbetreuungsgeld in der Höhe von 805,80 Euro erhalten, ansonsten verfüge sie über kein Einkommen und erhalte derzeit auch kein Kinderbetreuungsgeld. Die nach den Richtlinien erforderlichen 948,31 Euro lägen somit nicht vor. Über eine Anfrage bei der Österreichischen Botschaft in Italien errechnet die belangte Behörde, dass der Ehegatte der Erst-Bw auf Grund seines monatlichen Einkommens von ca. 1.280,- Euro nur in der Lage sei, rund 255,-- Euro an seine Familie in Österreich zu übermitteln, da der Rest für seinen Lebensunterhalt in Italien aufgewendet werden müsse. Er sei also nicht in der Lage, seine Familie im erforderlichen Ausmaß zu unterstützen, was auch für die in Österreich ansässige Familie der Erst-Bw gelte.

 

Die Bw seien nicht entsprechend krankenversichert und die Erst-Bw habe auch nicht die Integrationsvereinbarung in der Form erfüllt, dass sie entsprechende Sprachkenntnisse erworben habe, was ihr jedenfalls – auch trotz der erforderlichen Kinderbetreuung – zumutbar gewesen wäre.

 

Nach einer eingehenden Interessensabwägung im Sinne des § 66 FPG kommt die Behörde zu dem eindeutigen Schluss, dass die öffentlichen Interessen die familiären bzw. privaten Interessen der Bw überwiegen. Insbesondere wird auch ausgeführt, dass der Ehegatte der Erst-Bw, der die italienische Staatsbürgerschaft anstrebe, im Fall einer Ausweisung seine Kernfamilie bei sich aufnehmen könne.

 

1.2. Gegen diesen Bescheid erhoben die Bw durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter rechtzeitig Berufung mit Schriftsatz vom 4. August 2010.

 

In der Berufung wird u.a. ausgeführt, dass die Erst-Bw, deren Karenz bis 22. Juli 2010 gedauert habe, seit 23. Juli 2010 eine Vollzeitbeschäftigung als Küchenhilfe in der x in x, aufgenommen habe,  wobei sie monatlich netto 989,26 Euro verdiene. Darüber hinaus erhalte sie die monatlichen Unterhaltszahlungen in der Höhe von 500,-- Euro von ihrem in Italien lebenden Ehegatten. In Folge der Vollzeitbeschäftigung sei die Erst-Bw bei der Salzburger Gebietskrankenkasse umfassend seit 26. Juli 2010 sozialversichert. Somit seien auch die beiden minderjährigen Töchter mit der Erst-Bw mitversichert.

 

In Zusammenschau mit der Tatsache, dass die Bw im gemeinsamen Haushalt mit den Eltern und Geschwistern der Erst-Bw lebten und weder für die Unterkunft noch für Nahrungsmittel finanziell aufkommen müssten, zumal dies alles von den Eltern bereitgestellt werde, könne nicht von einer Gefährdung des Wohles des Staates bzw. der öffentlichen Sicherheit in Folge mangelnder finanzieller Mittel der Bw ausgegangen werden. Vielmehr seien sie im Stande, für ihren Lebensunterhalt aufzukommen.

 

Entgegen der Annahme der belangten Behörde, dass die Erst-Bw keinen Integrationswillen zeige, zumal sie bislang keine Deutschprüfung abgelegt habe, sei der Integrationswille der Bw durch intensive Kontaktaufnahme mit österreichischen Staatsangehörigen sehr wohl erkennbar.

 

Hinsichtlich der Interessensabwägung nach Art. 8 EMRK wird ausgeführt, dass die Bw, die seit Jahren im Bundesgebiet rechtmäßig aufhältig gewesen und unbescholten seien, in einem Großfamilienverband mit den Eltern und den Geschwistern der Erst-Bw (sämtlich österreichische Staatsangehörige) leben würden, weshalb durch die Ausweisungen das Familienleben der "Kernfamilie" massiv betroffen sei. Mittlerweile sei die Erst-Bw auch beruflich wieder integriert. Hingegen bestünden keine Beziehungen mehr zum Herkunftsstaat. Dass die Erst-Bw sprachlich nicht integriert sei, müsse bei der Interessensabwägung als geringfügig gewertet werden.

 

Zusammenfassend lägen keine derart relevanten Gründe vor, die einen so heftigen Eingriff in das Privat- und Familienleben der Berufungswerberinnen rechtfertigen würde, weshalb nachfolgende Anträge gestellt würden:

 

"1. Die Sicherheitsdirektion als Berufungsbehörde möge den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 27. Juli 2010, GZ. Sich40-23252-2004 und Sich40-24638-2006, aufheben und den Aufenthalt der Berufungs­werberinnen im Bundesgebiet der Republik Österreich für zulässig erklären.

2. Das NAG-Verfahren über den Verlängerungsantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung der Berufungswerberinnen möge bis zur Entscheidung der Berufungsbehörde über die Ausweisung ausgesetzt werden.

3. Der Verlängerungsantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für 'unbeschränkt' bzw. 'beschränkt' der Berufungswerberinnen möge für zulässig erklärt und eine entsprechende Niederlassungsbewilligung ausgestellt werden."

 

2.1. Die belangte Behörde legte zunächst den in Rede stehenden Verwaltungsakt der Sicherheitsdirektion für Oberösterreich vor.

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 38/2011 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass der unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist, weshalb der in Rede stehende Verwaltungsakt von der Sicherheitsdirektion – nach In-Krafttreten der Novelle am 1. Juli 2011 – dem Oö. Verwaltungssenat übermittelt wurde.

 

2.2.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde.

 

2.2.2. Am 2. September 2011 erschien die Erst-Bw in Begleitung ihres Ehegatten, ihres Bruders und ihres Nachbarn beim Oö. Verwaltungssenat und teilte u.a. mit, dass sie nunmehr sozialversichert und erwerbstätig sei, von ihrem Ehemann weiter finanziell unterstützt werde, bislang aber keinen Deutschkurs belegt habe. Der Ehegatte sei mittlerweile italienischer Staatsbürger und betreibe zwei Lebensmittelgeschäfte in x, die Töchter würden beide den Kindergarten in x besuchen.

 

Eine Anfrage bei der Oö. Gebietskrankenkasse vom 5. September 2011 ergab, dass alle drei Bw sozialversichert seien.

 

Aus dem Versicherungsdatenauszug der Erst-Bw ergibt sich:

 

01. 06. 2005 bis 30. 11. 2005; gewerbl.selbständig Erwerbstätige

13. 02. 2006 bis 01. 06. 2006; Arbeiterin

02. 06. 2006 bis 20. 10. 2006; Wochengeldbezug (DGKTONR-bezogen)

                                                                     x

17. 07. 2006 bis 17. 07. 2006; Anzeige einer Lebendgeburt

01. 08. 2006 laufend vorläuf. Ersatzzeit wg. Kindererziehung

21. 10. 2006 bis 16. 07. 2008; Bezug/Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld

03. 10. 2008 bis 20. 02. 2009; Wochengeldbezug, Sonderfall

17. 11. 2008 bis 17. 11. 2008; Anzeige einer Lebendgeburt

26. 07. 2010 bis 31. 01. 2011; Arbeiterin; x

07. 02. 2011 bis 28. 02. 2011; geringfügig beschäftigte Arbeiterin

01. 03. 2011 laufend Arbeiterin; x

 

2.2.3. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil eine solche nicht erforderlich war, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lässt (§ 67d AVG).

 

2.3. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1.1.1., 1.2. und 2.2.2. dieses Erkenntnisses dargestellten völlig unbestrittenen Sachverhalt aus.

 

2.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

3. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

3.1.1. Gemäß § 62 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, sind Drittstaatsangehörige, die sich während eines Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG im Bundesgebiet aufhalten, mit Bescheid, sofern kein Fall des § 64 vorliegt, auszuweisen, wenn

1.       der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11           Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder

2.       das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG aus Gründen,           die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht           rechtzeitig erfüllt wurde.  

 

Gemäß § 62 Abs. 2 FPG sind Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig mit einem Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufhalten, mit Bescheid, sofern kein Fall des § 64 vorliegt, auszuweisen, wenn

1.       nachträglich ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) eintritt oder           bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels           entgegengestanden wäre,

2.       ihnen ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z. 1, 2 oder 4 NAG erteilt           wurde, sie der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen und im ersten Jahr           ihrer Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen           Erwerbstätigkeit nachgegangen sind oder

 3.      ihnen ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z. 1, 2 oder 4 NAG erteilt           wurde, sie länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet           niedergelassen sind und während der Dauer eines Jahres nahezu           ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen sind.

 

Gemäß § 62 Abs. 3 FPG hat die Behörde in Verfahren gemäß Abs 1 nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG bei der Behörde nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz bereits hätte nachweisen können und müssen.

 

Werden gemäß § 62 Abs. 4 FPG der Behörde nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz Ausweisungsgründe (Abs. 2) bekannt, so ist diese verpflichtet der Behörde nach diesem Bundesgesetz die bekannten Ausweisungsgründe unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen.

 

3.1.2. Im vorliegenden Fall ist völlig klar, dass die in Rede stehende Ausweisung der Bw auf Basis des § 54 FPG ("alte Fassung") erlassen wurde und dass ein Verlängerungsantrag betreffend den ursprünglich legalen Aufenthalt gestellt worden war.

 

Nun ergibt sich aber aus dem Sachverhalt, dass der Ehegatte der Erst-Bw zwischenzeitig italienischer Staatsbürger geworden ist, weshalb sich nunmehr die Frage stellt, ob nicht sämtliche Bw als begünstigte Drittstaatsangehörige anzusehen sind.

 

3.1.3. Gemäß § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG ist begünstigter Drittstaatsangehöriger: der Ehegatte, eingetragene Partner, eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder des eingetragenen Partners eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers oder Österreichers, die ihr unionsrechtliches oder das ihnen aufgrund des Freizügigkeitsabkommens EG - Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben, in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, sowie eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, insofern dieser Drittstaatsangehörige den unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine unionsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht.

 

3.1.4. Im vorliegenden Fall könnte man versucht sein den Bw die Eigenschaft begünstigter Drittstaatsangehöriger abzusprechen, zumal auf den ersten Blick der italienische Ehegatte bzw. Vater der Bw in x lebt und arbeitet. Es ist also nicht so, dass die Kernfamilie den italienischen Staatsangehörigen  begleiten würde; jedoch darf nicht übersehen werden, dass die Familienangehörigen des Freizügigkeitsberechtigten per se ein grenzüberschreitendes Element aufweisen, indem sie in Österreich leben und – wenn auch nicht im selben Haushalt wie der Freizügigkeitsberechtigte – von ihm regelmäßig im Bundesgebiet aufgesucht werden. In diesem Sinn ist festzuhalten, dass das – generell gesprochen – vom EuGH geforderte grenzüberschreitende Element im vorliegenden Fall gegeben ist. "Indirekt" nimmt der Freizügigkeitsberechtigte so auch seine unionsrechtlich gewährleistete Grundfreiheit in Anspruch, zumal der Mittelpunkt bzw. Standort seiner Kernfamilie in Österreich besteht und das Ehe- und Familienleben offensichtlich aufrecht ist. Aus unmittelbar anwendbarem Unionsrecht ergibt sich für den in Rede stehenden Fall die Zuerkennung der Eigenschaft als begünstigte Drittstaatsangehörige der Bw; dies ungeachtet der engeren Formulierung des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG.

 

Daraus folgt aber, dass die in Rede stehenden Ausweisungsentscheidungen an § 66 FPG zu messen sind.

 

3.2.1. Gemäß § 66 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, können EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

 

Gemäß § 66 Abs. 2 FPG hat die Behörde, wenn ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden soll, insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

 

Gemäß § 66 Abs. 3 FPG ist die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

 

Gemäß § 66 Abs. 4 FPG gilt § 59 Abs. 1 sinngemäß.

 

3.2.2. Gemäß § 55 Abs. 3 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes in der Fassung des Bundesgesetzblattes, BGBl. I Nr. 38/2011, hat die Behörde, sofern das Aufenthaltsrecht gemäß § 51, 52 und 54 nicht besteht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht mehr vorliegen, den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass die zuständige Fremdenpolizeibehörde hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Die zuständige Fremdenpolizeibehörde ist unverzüglich spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7.

 

Als Voraussetzungen für einen drei Monate übersteigenden rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet nennt das NAG im Wesentlichen eine unselbständige oder selbständige Erwerbstätigkeit bzw. ausreichende finanzielle Mittel, die über dem Sozialhilfeniveau liegen müssen sowie einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz.

 

3.3.1. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Sachverhalt, dass sämtliche Bw bei nunmehr über eine aufrechte Sozialversicherung verfügen, weshalb das Kriterium des bestehenden Krankenversicherungsschutzes erfüllt ist.

 

3.3.2. Die Erst-Bw geht einer – wenn auch zum Entscheidungszeitpunkt nur geringfügigen – Beschäftigung nach. Darüber hinaus werden die Bw vom Ehegatten bzw. Vater durch 500 Euro monatlich unterstützt. Ohne auf die konkreten Beträge einzugehen, ist festzuhalten, dass glaubhaft vermittelt wurde, dass die Bw für Wohnung und Verpflegung keine gesonderten Aufwendungen tragen müssen, da sie diese im Zusammenhalt des Großfamilienverbandes erhalten. Sohin reduziert sich der richtliniengemäße Betrag von rund 950 Euro beträchtlich und scheint jedenfalls die Voraussetzung der entsprechenden finanziellen Mittel nach dem NAG gegeben.

 

Damit muss aber festgestellt werden, dass es für eine Ausweisung schon am Vorliegen der Tatbestandselemente des § 66 Abs. 1 FPG mangelt, weshalb der angefochtene Bescheid aufzuheben war.  

 

Auf die Frage der Nicht-Einhaltung der Integrationsvereinbarung in Form mangelnder sprachlicher Integration muss in diesem Verfahren nicht mehr eingegangen werden.

 

3.4. Ein gesondertes Eingehen auf Art. 8 EMRK bzw. § 61 FPG erübrigt sich mangels Vorliegens der Voraussetzungen für die Ausweisungsentscheidungen per se.  

 

3.5. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden. 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 14,30 Euro (Eingabegebühr) angefallen.

 

 

Instruction on the right to appeal

No legal remedies are permitted against this decision.

 

Information

Within 6 weeks after delivery a complaint can be lodged against this decision with the Constitutional Court and/or with the Administrative Court; except from legal exceptions, it must be lodged by an authorized attorney. Paying 220 Euros as an appeal fee is required for each complaint to be lodged.

 

Bernhard Pree

Beachte:

 

vorstehende Entscheidung wurde aufgehoben;

 

VwGH vom 28. August 2012, Zl.: 2011/21/0239-8

 

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum