Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730047/2/SR/Jo

Linz, 03.10.2011

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des X, geboren am X, nigerianischer Staatsangehöriger, vertreten durch X, gegen den Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 20. April 2010, AZ 1005103/FRB, betreffend eine Ausweisung des Berufungswerbers nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

            I.      Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

 

        II.      Eine Rückkehrentscheidung ist auf Dauer unzulässig.

 

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 

 Entscheidungsgründe:

 

 

1. Mit Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 20. April 2010, AZ 1005103/FRB, wurde gegen den Berufungswerber (im Folgenden: Bw) auf Basis der §§ 31, 53 und 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, die Ausweisung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich angeordnet.

 

Begründend führt die belangte Behörde zunächst zum Sachverhalt aus, dass der Bw, ein Staatsangehöriger von Nigeria, nach illegaler Einreise in Österreich am 2. Juli 2001 einen Asylantrag gestellt habe, der gemäß den §§ 7 und 8 AsylG abgewiesen worden sei. Die Behandlung der rechtzeitig eingebrachten Beschwerde habe der Verwaltungsgerichtshof nach Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung am 11. Februar 2010 abgelehnt.

 

Mit rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens habe auch das Aufenthaltsrecht des Bw in Österreich geendet. Seither sei er unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.

 

Nach Darstellung des Lebenslaufes vor der Einreise hielt die belangte Behörde fest, dass der Bw gemeinsam mit seiner Gattin und dem gemeinsamen Sohn leben würde. Die Gattin verfüge über eine unbefristete Niederlassungsbewilligung, halte sich seit 11 Jahren in Österreich auf und werde in der Folge um die österreichische Staatsbürgerschaft ansuchen. Der Bw gehe keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach, werde von der Gattin unterstützt, sei bei ihr mitversichert und kümmere sich um den gemeinsamen Sohn.

 

Im Hinblick auf die geschilderten Umstände sei dem Bw eine entsprechende Integration zuzubilligen und die vorliegende Ausweisung greife zweifellos erheblich in das Privat- und Familienleben des Bw ein. Das Gewicht der aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren Integration sei maßgeblich gemindert, da der Aufenthalt nur durch das Asylverfahren berechtigt war und sich der Asylantrag letztendlich als unberechtigt erwiesen habe. Spätestens seit der erstinstanzlichen Asylentscheidung am 13. März 2002 musste dem Bw bewusst sein, dass er nach Abschluss des Verfahrens nicht in Österreich bleiben dürfe. Das Familienleben sei in einem Zeitraum entstanden, in dem sich der Bw seines unsicheren Aufenthaltes bewusst sein musste. Die Unbescholtenheit schlage nicht zu seinen Gunsten aus, weil dieser Umstand weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung des für die Ausweisung gebietenden öffentlichen Interesses zur Folge habe. Mangels einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung könne von keiner beruflichen oder sozialen Verfestigung ausgegangen werden, die eine "gelungene Integration" erkennen lassen würde. Da sich auch Verwandte des Bw in Nigeria aufhalten würden, sei eine Bindung an den Herkunftsstaat gegeben und dem Bw eine Reintegration in Nigeria zumutbar.

 

Die Einleitung fremdenpolizeilicher Maßnahmen erscheine unter Berücksichtigung des Art. 8 EMRK zulässig und unbedingt erforderlich. Der geschilderte Sachverhalt stelle eine so schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar, dass die Ausweisung geboten sei.

 

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Bw durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter mit Schriftsatz vom 6. Mai 2010 rechtzeitig Berufung.

 

Einleitend verwies der Rechtsvertreter auf die bisherigen Schriftsätze. Unter Bezugnahme auf den relevanten Sachverhalt brachte der Rechtsvertreter vor, dass die Intensität der Beziehung groß sei und der Bw mit seiner Partnerin eine selbständige und sichere Existenz in Österreich aufbauen möchte. Der gemeinsame  Sohn wohne bei der Lebensgefährtin und dem Bw und sie stünden sich sehr nahe. Während der Arbeitszeit der Lebensgefährtin kümmere sich der Bw hingebungsvoll um den Sohn. Eine Rückkehr nach Nigeria würde sich schwer auf das bestehende tiefgreifende Familienleben auswirken. Die Beziehung könnte scheitern und würde dem Bw den Sohn dauerhaft entziehen. Der Bw sei sehr integrationswillig, auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen könne er keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen. Im Falle der Änderung der Rechtslage sei er bereit, sich unverzüglich eine Arbeit zu suchen. Seine Deutschkenntnisse seien sehr gut und er würde in naher Zukunft die A2-Prüfung ablegen. In Österreich gehe er einem regen sozialen Leben nach. Es sei ihm gelungen, einen Freundeskreis aufzubauen, der ihm sehr ans Herz gewachsen sei und den er nicht missen möchte. Diesbezüglich verweise er auf die Unterstützungserklärung seines Freundes X. Da seine Kernfamilie in Österreich lebe, er kaum mehr Kontakt zu seinen Verwandten in Nigeria habe, hege er keinerlei Heimatgefühle für Nigeria.

 

Betrachte man alle diese Gesichtspunkte, so erweise sich die Ausweisung des Bw als dauerhaft unzulässig.

 

Bereits einleitend wurde der Antrag gestellt, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und eine Ausweisung als auf Dauer unzulässig auszusprechen.

 

3. Die belangte Behörde legte zunächst den in Rede stehenden Verwaltungsakt der Sicherheitsdirektion für Oberösterreich vor.

 

Dem Schriftsatz vom 1. März 2011 fügte der Rechtsvertreter das Sprachzertifikat Deutsch (Niveaustufe A 2) und eine Einstellungsbestätigung der Firma X der Sicherheitsdirektion Oberösterreich bei.

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 38/2011 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass der Unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist, weshalb der in Rede stehende Verwaltungsakt von der Sicherheitsdirektion Oberösterreich – nach In-Krafttreten der Novelle am 1. Juli 2011 – dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich übermittelt wurde.

 

3.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde.

 

Im Zuge des Berufungsverfahrens ersuchte der Rechtsvertreter des Bw um Erledigung des Verfahrens und teilte mit, dass der Bw über ausreichende Deutschkenntnisse verfüge und keinen Dolmetscher benötige.

 

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil eine solche nicht erforderlich war, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lässt (§ 67d AVG).

 

3.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1., 2. und 3. dieses Erkenntnisses dargestellten völlig unbestrittenen Sachverhalt aus.

 

4. In der Sache hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erwogen:

 

4.1.1. Gemäß § 125 Abs. 14 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, gelten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassene Ausweisungen gemäß § 53 als Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter, mit der Maßgabe, dass ein Einreiseverbot gemäß § 53 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 damit nicht verbunden ist.

 

4.1.2. Die bekämpfte Ausweisung wurde auf Basis des § 53 FPG in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassen, weshalb diese Ausweisung als Rückkehrentscheidung im Sinne des § 52 FPG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011, anzusehen und zu beurteilen ist.

 

4.2.1. Gemäß § 52 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, ist gegen einen Drittstaatsangehörigen, sofern nicht anderes bestimmt ist, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Berufung gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 66 Abs. 4 AVG auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

 

4.2.2. Im vorliegenden Fall ist zunächst auch vom Bw selbst unbestritten, dass er über keinerlei Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügt und somit grundsätzlich unrechtmäßig aufhältig ist. Allerdings ist bei der Beurteilung der Ausweisung bzw. der Rückkehrentscheidung auch auf Art. 8 EMRK sowie § 61 FPG Bedacht zu nehmen.

 

4.3.1. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist allerdings ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs. 1 (nur) statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

4.3.2. Gemäß § 61 Abs. 1 FPG ist, sofern durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.      die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der        bisherige Aufenthalt des Fremden rechtmäßig war;

2.      das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.      die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.      der Grad der Integration;

5.      die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.      die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.      Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des      Asyl- Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.      die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem   Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren   Aufenthaltstatus bewusst waren;

9.      die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden       zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 3 FPG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein aufgrund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51ff. NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

Nach § 125 Abs. 20 FPG, gelten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 38/2011 vorgenommene Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 66 als Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 61 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter.

 

4.4.1. Im Sinne der zitierten Normen ist eine Interessenabwägung – basierend auf einer einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung – vorzunehmen.

 

Gestützt auf die ständige Rechtsprechung der Höchstgerichte ist es grundsätzlich zulässig und erforderlich, Maßnahmen zu ergreifen, um den unrechtmäßigen Aufenthalt einer Person zu beenden, da ein solcher rechtswidriger Status fraglos dazu geeignet ist, die öffentliche Ordnung eines Staates massiv zu beeinträchtigen. Daraus folgt, dass das diesbezügliche öffentliche Interesse hoch anzusetzen ist und eine Rückkehrentscheidung grundsätzlich ein nicht inadäquates Mittel darstellt, um einen rechtskonformen Zustand wiederherzustellen. Dies gilt jedoch nur insofern, als die privaten bzw. familiären Interessen im jeweils konkreten Einzelfall nicht als höherrangig anzusehen sind.

 

4.4.2. Der belangten Behörde folgend weist der Bw bedingt durch die lange Aufenthaltsdauer in Österreich eine nicht unerhebliche Integration auf und es ist im Wesentlichen eine Interessensabwägung gemäß § 61 Abs. 2 FPG hinsichtlich des Familienlebens des Bw vorzunehmen, wobei insbesondere auch auf die familiären Beziehungen zur seiner Lebensgefährtin, dem gemeinsamen Kind, die soziale Integration, das Asylverfahren und die lange Aufenthaltsdauer Bedacht zu nehmen sein wird.

 

Im Hinblick auf den über 10 Jahre währenden Aufenthalt in Österreich ist im Besonderen auf die die jüngste Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abzustellen. Wie folgt wiedergegeben hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, GZ 2009/21/0348, einer sozialen Integration, die in einem Zeitraum entstand ist, während dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war, nur im Zuge der Gesamtbetrachtung ein geringes Gewicht beigemessen.

 

Das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich ist in seinem Gewicht gemindert, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen (E. vom 22. Oktober 2009, Zl. 2009/21/0293; E. vom 29. September 2009, Zl. 2009/21/0253; E. des VfGH vom 3. März 2008, B 825/07 mit Bezug auf die Urteile des EGMR vom 31. Jänner 2006, Rodrigues da Silva und Hoogkaamer gegen die Niederlande [Beschwerde Nr. 50435/99] und vom 31. Juli 2008, Darren Omoregie u.a. gegen Norwegen [Beschwerde Nr. 265/07]). Der EGMR stellt in den angesprochenen Urteilen darauf ab, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die betroffenen Personen bewusst waren, der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes sei derart, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland von vornherein unsicher ist. Sei das der Fall, bewirke eine Ausweisung des ausländischen Familienangehörigen nur unter ganz speziellen bzw. außergewöhnlichen Umständen ("in exceptional circumstances") eine Verletzung von Art 8 EMRK (vgl.: E vom 19. Februar 2009, Zl. 2008/18/0721, E. vom 30. April 2009, Zl. 2009/21/0086). In diesem Sinn ist nach der Z. 8 des § 66 Abs. 2 FPG [in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011] aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Annordnung bei der Interessensabwägung darauf Bedacht zu nehmen, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstanden ist, indem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war. Freilich hat die genannte Bestimmung schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte.

 

Im Erkenntnis vom 20. Jänner 2011, Zl. 2010/22/0158, hat der Verwaltungsgerichtshof bei einer im Wesentlichen vergleichbaren Sachlage, jedoch eines über 10 Jahre bestehenden Aufenthaltes, dem persönlichen Interesse des Fremden am Verbleib in Österreich ein solches Gewicht beigemessen, dass eine Ausweisung unzulässig ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat dabei wie folgt ausgeführt:

Der Beschwerdeführer verweist auf seine Erwerbstätigkeit und darauf, dass er sich während seines Aufenthaltes in Österreich in privater Hinsicht sehr gut integriert habe. Die belangte Behörde hob zwar zu Recht hervor, dass dem Beschwerdeführer bereits nach erstinstanzlicher Abweisung seines Asylantrages die Unsicherheit seines Aufenthaltsstatus bewusst war, er somit nicht mit einem legalen Aufenthalt in Österreich rechnen durfte. Sie ist auch darin im Recht, dass dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. für viele etwa das Erkenntnis vom 6. Juli 2010, 2008/22/0688). Dementsprechend haben Fremde nach Abweisung ihres Asylantrages grundsätzlich den rechtmäßigen Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet herzustellen. Demgegenüber vermag der Beschwerdeführer jedoch einen bereits über zehnjährigen Aufenthalt in Österreich für sich ins Treffen zu führen und es stellte die belangte Behörde auch fest, dass er erwerbstätig ist. Diese Umstände verleihen dem persönlichen Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich ein solches Gewicht, dass die Ausweisung – auch bei einem Eingriff nur in sein Privatleben – unverhältnismäßig erscheint (vgl. zu ähnlichen Fällen etwa die E. vom 26. August 2010, 2010/21/0206 und 2010/21/0009).

 

4.4.3. Wie sich aus dem Sachverhalt ergibt, befindet sich der Bw schon mehr als 10 Jahre im Bundesgebiet, verfügte für den überwiegenden Teil über eine Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber, kann notwendige Deutschkenntnisse nachweisen, lebt seit 2007 mit seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Sohn zusammen, nimmt mangels Zugang zum Arbeitsmarkt die väterlichen Pflichten wahr und kümmert sich um den Sohn. Er ist in strafrechtlicher Hinsicht unbescholten und seine Beziehungen zu seinem Herkunftsstaat sind zu vernachlässigen. Bedingt durch die Erwerbstätigkeit der Lebensgefährtin ist die Familie laut Aktenlage selbsterhaltungsfähig. Für den Fall der Erlangung eines Aufenthaltstitels wurde dem Bw eine Beschäftigung in Aussicht gestellt.

 

Nach dem mehr als zehnjährigen Aufenthalt kann dem Bw ein hohes Maß an Integration zugemessen werden. Dafür sprechen auch die vom Bw glaubhaft vorgebrachten Nachweise, die schlussendlich auch von der belangten Behörde selbst nicht mehr in Frage gestellt wurden. Neben der familiären Integration ist er auch, wie die nicht widerlegten Kontakte zu in Österreich ansässigen Personen belegen, sozial integriert. Dem gegenüber hat der Bw kaum nennenswerte Kontakte zum Herkunftsstaat.

 

Der jüngsten Judikatur des VwGH folgend ist im vorliegenden Fall nicht mehr die Frage eines unsicheren Aufenthalts nach § 61 Abs. 2 Z. 8 FPG näher zu erörtern und bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände festzustellen, dass die für die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung sprechenden familiären und privaten Elemente die des öffentlichen Interesses gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK überwiegen. Nicht zuletzt wird auch davon auszugehen sein, dass gemäß § 61 Abs. 2 Z. 9 FPG von einer eher in die Sphäre der Behörden fallenden langen Verfahrensdauer gesprochen werden muss.

 

Die dargelegten Umstände verleihen dem persönlichen Interesse des Bw an einem Verbleib in Österreich ein solches Gewicht, dass die Rückkehrentscheidung unverhältnismäßig ist.

 

4.4.4. Im Ergebnis ist eine Rückkehrentscheidung im Hinblick auf das Privatleben des Bw auf Dauer unzulässig.

 

4.5. Es war daher der Berufung stattzugeben, der angefochtene Bescheid aufzuheben und spruchgemäß zu entscheiden.

 

5. Im Hinblick darauf, dass der Bw ausreichend der deutschen Sprache mächtig ist, konnte gemäß § 59 Abs. 1 FPG von der Übersetzung des Spruches und der Rechtsmittelbelehrung Abstand genommen werden.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von insgesamt 33,80 Euro (Eingabegebühr) angefallen.

 

 

Mag. Stierschneider

 

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