Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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Linz, 04.10.2011

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufungen 1. der X, geboren am X, 2. des X, geboren am X, 3. der X, geboren am X, 4. der X, geboren am X und 5. der X, geboren am X, alle türkische Staatsangehörige, 2. bis 5. vertreten durch X (Mutter) und diese vertreten durch X, gegen die mit Bescheiden des Bezirkshauptmannes von Freistadt vom 18. Februar 2010, GZen: Sich40-5080, Sich40-5080-1, Sich40-5080-2, Sich40-5080-3 und Sich40-5080-4 angeordneten Ausweisungen nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

 

Aus Anlass der Berufungen werden die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Angelegenheiten dem Bezirkshauptmann von Freistadt zur (allfälligen) Erlassung neuer Bescheide zurückverwiesen.

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs. 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit Bescheiden des Bezirkshauptmannes von Freistadt vom 18. Februar 2010, GZen: Sich40-5080, Sich40-5080-1, Sich40-5080-2, Sich40-5080-3 und Sich40-5080-4 wurde gegen die Berufungswerber (im Folgenden Bw) auf Basis der      §§ 54 Abs. 1 Z. 2 FPG in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, die Ausweisung angeordnet.

Nach Wiedergabe der einschlägigen Normen stellte die belangte Behörde fest, dass den Bw vom Magistrat Linz am 8. November 2007 und vom Magistrat Steyr Niederlassungsbewilligungen mit dem Aufenthaltszweck "Angehöriger" erteilt worden seien und die Bw am 24. August 2009 neuerlich – und zwar bei der belangten Behörde – einen Verlängerungsantrag für den Aufenthaltszweck "Niederlassungsbewilligung – Angehöriger" gestellt hätten. Weiters sei ein Erstantrag für das am X nachgeborene Kind X eingebracht worden.

 

Die Überprüfung der vorgelegten Urkunden habe ergeben, dass die bisherigen Aufenthaltstitel auf Grund einer Haftungserklärung der Mutter der Erst-Bw erteilt worden seien. Die Mutter der Erst-Bw verfüge über ein monatliches Gesamteinkommen in der Höhe von 1.512,-- Euro, das sie von zwei verschiedenen Arbeitgebern beziehe. Außerdem sei ein Unterhaltsvereinbarungsvertrag vorgelegt worden. Danach habe sich Herr X verpflichtet, der Mutter der Erst-Bw über fünf Jahre einen monatlichen Unterhalt von 500,-- Euro für die Erst-Bw zu überweisen. Weiters liege ein formloses Schreiben vom geschiedenen Gatten der Erst-Bw vor, wonach sich dieser verpflichtet habe, für die Erst-Bw und die gemeinsamen fünf Kinder monatlich 1.200 Euro,-- zu leisten. Der geschiedene Gatte halte sich seit 2005 in Österreich als Asylwerber auf und betreibe einen Kebab-Stand in X.

 

Unter Bezugnahme auf die heranzuziehenden Bestimmungen des NAG kam die belangte Behörde zum Ergebnis, dass jedenfalls (d.h. bei Einrechnung des Kinderbetreuungsgeldes für den nachgeborenen Sohn X in der Höhe von 436,-- Euro) ein fehlender Unterhaltsbetrag in der Höhe von 245,-- Euro verbleibe. Die vorgelegte Haftungserklärung der Mutter der Erst-Bw sei keinesfalls tragfähig und die weiteren Haftungserklärungen nicht von Relevanz, da die Haftungserklärung für sich alleine tragfähig sein müsse. Der Unterhaltsvertrag von Herrn X sei lediglich als Rückversicherung für die Mutter der Erst-Bw anzusehen und die Zuwendungen des geschiedenen Gatten der Erst-Bw könnten mangels Rechtstitels nicht berücksichtigt werden. Aus dem Scheidungsurteil sei ersichtlich, dass der geschiedene Gatte weder zur Zahlung von Entschädigungen noch von Alimenten verpflichtet sei. Im Hinblick auf den legalen Aufenthalt seit 26. November 2007 könne von keiner Aufenthaltsverfestigung ausgegangen werden. Der geschiedene Gatte habe als Asylwerber einen unsicheren Aufenthaltsstatus und lebe mit den Bw nicht in einem gemeinsamen Haushalt. Den persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich stünde das Interesse des § 11 Abs. 2 Z. 4 iVm Abs. 5 NAG (finanzielle Belastung einer Gebietskörperschaft) gegenüber. Bei Abwägung dieser gegenläufigen Interessen komme die belangte Behörde zum Ergebnis, dass die Ausweisung der Bw dringend geboten sei.

 

2. Gegen diesen Bescheid, zugestellt am 22. Februar 2010 an Rechtsanwalt X, erhob der nunmehrige Vertreter, Rechtsanwalt X, mit Schriftsatz vom 8. März 2010, innerhalb offener Frist Berufung.

 

Ausgehend von den Sachverhaltsfeststellungen der belangten Behörde erachtet der Rechtsvertreter deren Rechtsmeinung als unrichtig. Die von der Mutter der Erst-Bw abgegeben Haftungserklärung sei tragfähig und der von Herrn X vorgelegte Unterhaltsvertrag sei sehr wohl zu berücksichtigen. Das NAG bezwecke, dass der Aufenthalt eines Fremden zu keiner finanziellen Belastung für eine Gebietskörperschaft führe. Diesbezüglich seien Leistungen aus einem vollstreckbaren Unterhaltsvertrag zu berücksichtigen. So hätte die belangte Behörde auch den monatlichen Unterhaltsbeitrag des Herrn X in der Höhe von 500,-- Euro an die Mutter der Erst-Bw für Zwecke der Bw anrechnen und die Unterhaltsleistung des geschiedenen Gatten der Erst-Bw in der Höhe von 1.200,-- Euro berücksichtigen müssen. Der geschiedene Gatte der Erst-Bw sei als Vater der weiteren Bw gesetzlich zur Unterhaltsleistung verpflichtet und es bedürfe keines Unterhaltstitels, damit seine Zahlungen als Unterhaltszahlungen bewertet werden können. Erforderlichenfalls würde der Vater der Kinder sich per gerichtlichem Unterhaltsvergleich zur Zahlung des Kinderunterhaltes verpflichten.

Die Abwägung der gegenteiligen Interessen hätte zugunsten der Bw ausgehen müssen. Abschließend wies der Rechtsvertreter unter namentlicher Bekanntgabe darauf hin, dass zahlreiche Verwandte der Bw, mittlerweile österreichische Staatsangehörige, in Österreich leben würden.

 

U.a. beantragten die Bw die Aufhebung der angefochtenen Bescheide und die Zurückverweisung an die belangte Behörde.

 

3. Die belangte Behörde legte die in Rede stehenden Verwaltungsakte der Sicherheitsdirektion Oberösterreich vor.

 

3.1. Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 38/2011 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass der Unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist (siehe Erkenntnis des VwGH vom 31. Mai 2011, Zl. 2011/22/0097-5). Auf Grund dieser Zuständigkeitsänderung hat die Sicherheitsdirektion Oberösterreich die Berufungsakte übermittelt.

 

3.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in die vorgelegten Verwaltungsakte der belangten Behörde, die Mitteilung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Freistadt vom 22. August 2011 samt Beilagen und eigene weitergehende Erhebungsergebnisse.

 

Bei den ergänzenden Ermittlungen ist hervorgekommen, dass der geschiedene Gatte der Erst-Bw über eine "ROT-WEISS-ROT – KARTE PLUS" und einen freien Zugang zum Arbeitsmarkt verfügt (der Aufenthaltstitel A23064472 wurde von der belangten Behörde am 16. August 2011 unter der Zahl Sich40-5916 ausgestellt und ist bis zum 15. August 2012 gültig), dieser laut ZMR-Anfrage seit dem 12. Juli 2011 mit den Bw über einen gemeinsamen Hauptwohnsitz verfügt, aus der "Verbindung" der Erst-Bw mit ihrem geschiedenen Gatten zwei weitere Kinder hervorgegangen sind, die nicht von den vorliegenden Ausweisungsbescheiden erfasst werden und bei denen NAG-Verfahren anhängig sind, der geschiedene Gatte der Erst-Bw als Selbständiger einen Kebab-Stand betreibt und dieser mit der Erst-Bw unbeschränkt haftender Gesellschafter der X ist und die Erst-Bw an einem Deutsch-Integrationskurs Stufe 2 des Oberösterreichischen Berufsförderungsinstitutes und einem Deutschkurs der Volkshilfe Freistadt teilgenommen hat.

 

4. In der Sache hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erwogen:

 

4.1. Gemäß § 125 Abs. 15 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, gelten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassene Ausweisungen gemäß § 54 als Ausweisungen gemäß § 62 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter.

 

Nach § 62 Abs. 1 Z. 1 FPG in der Fassung des Bundesgesetzblattes BGBl. I Nr. 38/2011 sind Drittstaatsangehörige, die sich während eines Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG im Bundesgebiet aufhalten und kein Fall des § 64 vorliegt, mit Bescheid auszuweisen, wenn der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitel ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht.

 

Gemäß § 54 Abs. 1 Z. 2 FPG in der Fassung vor dem Bundesgesetzblatt BGBl. I. Nr. 38/2011, konnten Fremde, die sich auf Grund eines Aufenthaltstitels oder während eines Verlängerungsverfahrens im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund entgegenstand.

 

4.2. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung (Vernehmung) und Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverweisen, wenn der der Berufungsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung (Vernehmung) unvermeidlich erscheint.

 

Auf Grund der ergänzenden Ermittlungen des Oö. Verwaltungssenates erweist sich der vorliegende Sachverhalt als mangelhaft. Im Hinblick darauf, dass die unmittelbare Beweisaufnahme durch den Oö. Verwaltungssenat ein deutliches Mehr an Kosten und Zeit verursacht hätte, war es diesem verwehrt, die unabdingbar notwendigen und umfangreichen Erhebungen, die großteils vor Ort vorzunehmen sein werden, selbst zu pflegen.

 

Im fortzusetzenden Verfahren wird die belangte Behörde jedenfalls zu erheben haben, ob trotz der erfolgten Scheidung nunmehr wiederum ein Familienleben an der "gemeinsamen Wohnanschrift" besteht (Hinweis ZMR-Anfrage) und alle 6 Kinder miteingebunden sind, ob, bedingt durch den Aufenthaltstitel des geschiedenen Gatten der Erst-Bw, eine besondere Schutzwürdigkeit des Privatlebens der Bw hervorgekommen ist, inwieweit die aus der "Verbindung" der Erst-Bw mit ihrem geschiedenen Gatten nach der Scheidung hervorgegangenen weiteren Kinder die Schützwürdigkeit des Privatlebens unterstreichen, ob das Scheidungsurteil den Kindesvater tatsächlich von seinen gesetzlichen "Unterhaltsverpflichtungen befreit" hat und wie sich die Unterhaltspflicht betreffend der beiden nachgeborenen Kinder auf die finanzielle Situation der Bw auswirkt, ob die vorgelegten Dokumente tatsächlich entsprechende Deutschkenntnisse belegen können und ob der in der Berufungsschrift angesprochene Unterhaltsvereinbarungsvertrag geeignet ist, die Haftungserklärung der Mutter der Erst-Bw als tragfähig erscheinen zu lassen.  

 

Anzumerken ist, dass die belangte Behörde im fortzusetzenden Verfahren § 11 Abs. 3 NAG in ihre Beurteilung miteinzubeziehen haben wird.

 

4.3. Aus Anlass der Berufungen waren die angefochtenen Ausweisungsbescheide aufzuheben und die Angelegenheiten gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur Erlassung (allfälliger) neuer Bescheide zurückzuverweisen.

 

4.4. Im Hinblick auf die behaupteten Sprachkenntnisse der Bw war von der Übersetzung des Spruches und der Rechtsmittelbelehrung Abstand zu nehmen.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

 

Mag. Stierschneider

 

 

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