Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-240828/19/Gf/Mu

Linz, 17.10.2011

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mit­glied Dr. Grof über die Berufung des x, vertreten durch RA x, gegen die aus Anlass von Übertretungen des Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetzes erlassenen Straferkenntnisse des Bezirkshauptmannes von
Urfahr-Umgebung vom 7. Juni 2011, Zlen. SanLA96-12-2011 u. SanLA96-13- 2011, zu Recht:

 

I. Der Berufung wird stattgegeben; die angefochtenen Straferkenntnisse werden aufgehoben und die Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

 

II. Der Berufungswerber hat weder einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch einen Kostenbeitrag für das Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat noch einen Ersatz von Untersuchungs- und Begutachtungskosten zu leisten.

 

Rechtsgrundlage:

§ 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG; § 45 Abs. 1 Z. 1 und 2 VStG; § 66 Abs. 1 VStG; § 71 Abs. 3 LMSVG.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

 

1.1. Mit Straferkenntnissen des Bezirkshauptmannes von Urfahr-Umgebung vom 7. Juni 2011, Zlen. SanLA96-12-2011 u. SanLA96-13- 2011, wurden über den Beschwerdeführer insgesamt zwei Geldstrafen in einer Höhe von jeweils 500 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe: jeweils 13 Stunden; Verfahrenskostenbeitrag: jeweils 50 Euro; Untersuchungskosten: jeweils 294 Euro; zu zahlender Gesamtbetrag daher 1.688 Euro) verhängt, weil er es "als das gemäß § 9 Abs. 2 VStG bestellte und somit nach außen vertretungsbefugte und strafrechtlich verantwortliche Organ" einer GmbH zu vertreten habe, dass diese am 15. März 2010 in ihrem Kühlraum Lebensmittel mit einer mangelhaften Sachbezeichnung (nämlich einerseits ca. 1 kg "Toastschinken" und andererseits ca. 1 kg "gekochtes Formfleisch – Vorderschinken geschnitten") zur Auslieferung bereit gehalten und damit in Verkehr gebracht habe. Dadurch habe er jeweils eine Übertretung des § 4 Abs. 1 Z. 1 der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung, BGBl.Nr. 72/1993 i.d.F. BGBl.Nr. II 165/2008 (im Folgenden: LMKV) begangen, weshalb er nach § 90 Abs. 3 des Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetzes, BGBl.Nr. I 13/2006, i.d.F. BGBl.Nr. I 52/2009 (im Folgenden: LMSVG), zu bestrafen gewesen sei.

 

Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass die dem Rechtsmittelwerber angelasteten Übertretungen auf Grund entsprechender Wahrnehmungen des einschreitenden Lebensmittelaufsichtsorganes des Amtes der Oö. Landesregierung und von Gutachten der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) als erwiesen anzusehen seien.

 

Denn nach diesen Gutachten sei das Wasser/Eiweiß-Verhältnis mit „4,4 ± 0,2bzw. mit „5,6 ± 0,2“ jeweils erhöht gewesen und habe daher nicht der im Österreichischen Lebensmittelbuch (bzw. Codex Alimentarius Austriacus; im Folgenden kurz: "ÖLMB" bzw. "Codex") für Toastschinken festgelegten Norm (Kochpökelware vom Schlögel – Grenzwert 4,0) entsprochen. Daher hätte der auf den Etiketten an sich zutreffend angebrachte Zusatz „nicht nach dem Codex hergestellt“ jeweils in einer ähnlich hervorhebenden Weise wie die Bezeichnung „Toastschinkenbzw.Gek. Formfleisch – Vorderschinken“ – nämlich in einer Schriftgröße von 4 mm und nicht von bloß 1,6 mm – ausgestaltet werden müssen.

 

Im Zuge der Strafbemessung seien mehrere einschlägige Vormerkungen als erschwerend zu werten gewesen, während Milderungsgründe nicht hervorgekommen seien; die vom Beschwerdeführer bekannt gegebenen Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse seien jedoch entsprechend berücksichtigt worden.

 

1.2. Gegen diese ihm jeweils am 15. Juni 2011 zugestellten Straferkenntnisse richten sich die vorliegenden, am 28. Juni 2010 – und damit rechtzeitig – zur Post gegebenen Berufungen.

 

Darin wird vorgebracht, dass im Spruch der angefochtenen Straferkenntnisse nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit zum Ausdruck gebracht worden sei, welche Tathandlung ihm überhaupt zur Last gelegt werde, denn auf dem Etikett sei ohnehin der explizite und zudem für jeden normalsichtigen Verbraucher deutlich lesbare Hinweis angebracht gewesen, dass es sich um Ware gehandelt habe, die nicht nach dem Lebensmittelkodex hergestellt wurde. Außerdem verkörpere ein bloßes "Lagern" noch kein "Inverkehrsetzen" eines Lebensmittels. Davon abgesehen sei die LMKV auf die gegenständlichen Fälle schon deshalb nicht anwendbar, weil die Waren nicht für Letztverbraucher, sondern zur Abgabe an einen Gastronomiebetrieb bestimmt gewesen seien.

 

Da insofern, als im gegenständlichen Fall zwei Straferkenntnisse erlassen wurden, jedenfalls eine unzulässige Doppelbestrafung vorliege und den Beschwerdeführer schließlich auch kein bzw. bloß ein geringfügiges Verschulden treffe, wird die Aufhebung der angefochtenen Straferkenntnisse und die Einstellung der Verwaltungsstrafverfahren, in eventu eine Herabsetzung der Strafhöhe oder ein Absehen von der Verhängung einer Geldstrafe beantragt.

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in die Akten der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung zu Zlen. SanLA96-12-2011 u. SanLA96-13-2011 sowie im Wege der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung am 13. Oktober 2011, zu der als Parteien der Beschwerdeführer und dessen Rechtsvertreter sowie die sachverständige Zeugin x (AGES) erschienen sind.

2.1.1. Im Zuge dieser Beweisaufnahme wurde folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt:

 

Am 15. März 2010 hat ein Aufsichtsorgan des Amtes der Oö. Landesregierung gegen 11:00 Uhr in dem in X situierten Betrieb der GmbH des Beschwerdeführers eine Kontrolle nach dem LMSVG durchgeführt. In deren Zuge wurden von zwei unterschiedlichen Fleischwaren ("Toastschinken geschnitten" bzw. "Gekochtes Formfleisch – Vorderschinken geschnitten") Proben gezogen, hinsichtlich derer in den Gutachten der AGES vom 7. Juni 2010, Zlen. 10023751 u. 10023752, jeweils festgestellt wurde (vgl. S. 4 dieser Gutachten), dass bei diesen das Wasser-Eiweiß-Verhältnis erhöht gewesen sei und daher nicht den Richtlinien des Österreichischen Lebensmittelbuches entsprochen habe. Davon ausgehend erweise sich zwar die auf den Etiketten angebrachte Bezeichnung "Nicht nach Codex hergestellt" als korrekt; allerdings hätten diese Produkte auf Grund ihres erhöhten Wasser-Eiweiß-Verhältnisses im Zuge einer auf der Speisekarte eines Pizzarestaurants vorgenommenen Auflistung der Zutaten von verschiedenen Pizzasorten nicht als "Schinken" deklariert werden dürfen, weshalb diese mit einer zur Irreführung geeigneten Angabe i.S.d. § 5 Abs. 2 Z. 1 LMSVG in Verkehr gebracht worden seien.

 

In der Folge hat der Bezirkshauptmann von Urfahr-Umgebung mit Aufforderung zur Rechtfertigung vom 17. Februar 2011, Zlen. SanLA96-12-2011 u. SanLA96-13-2011, dem Beschwerdeführer die oben unter 1.1. bezeichneten Übertretungen – also das Inverkehrbringen von mangelhaft bezeichneten Lebensmitteln – vorgehalten und ihm gleichzeitig die Möglichkeit eingeräumt, zu den konkreten Tatvorwürfen – nämlich einerseits, dass der Hinweis "Nicht nach dem Codex hergestellt – für die Weiterverarbeitung bestimmt" jeweils erst am Ende der Zutatenliste aufscheine und damit nur bei einem vollständigen Studium des Etiketts erkennbar gewesen sei sowie andererseits, dass dieser Hinweis im Gegensatz zu der in einer Schriftgröße von 4 mm verfassten Warenbezeichnung "Toastschinken" bzw. "Gekochtes Formfleisch – Vorderschinken geschnitten" lediglich eine Größe von 1,6 mm aufgewiesen habe und damit nur schlecht lesbar gewesen sei, obwohl es sich dabei um eine essentielle Käuferinformation handle – vorgehalten und ihm gleichzeitig die Möglichkeit eingeräumt, sich hierzu im Wege einer persönlichen Einvernahme bei der Behörde oder schriftlich zu äußern.   

 

Mit Eingabe vom 28. Februar 2011 hat der Rechtsmittelwerber darauf hingewiesen, dass sich aus dem Inhalt der auf den Verpackungen angebrachten Etiketten sowohl die Beschaffenheit der Ware als auch ergebe, dass diese nicht für Letztverbraucher, sondern für die Weiterverarbeitung durch Großhandels- und Gastronomiebetriebe bestimmt gewesen seien. Außerdem sei eine Schriftgröße von 1,6 mm für einen normalsichtigen Verbraucher bei durchschnittlichen Lichtverhältnissen jedenfalls deutlich lesbar.

 

Hierauf hat der Bezirkshauptmann von Urfahr-Umgebung die zuvor unter 1.1. angeführten und mit den gegenständlichen, unter 1.2. dargestellten Berufungen bekämpfte Straferkenntnisse erlassen.

 

Im Zuge der mündlichen Verhandlung hat der Beschwerdeführer darauf hingewiesen, dass bei den Erzeugnissen seines Unternehmens das Wasser-Eiweiß-Verhältnis deshalb höher als der im Lebensmittelbuch festgelegte Grenzwert sein muss, weil diese ausschließlich als Belag für in Restaurants hergestellte Pizzen vorgesehenen Produkte ansonsten im Zuge des Backvorganges (mit einer Temperatur bis zu 350 °C) zu sehr austrocknen (und u.U. sogar anbrennen) und diesfalls die Konsumenten sowohl optisch als auch geschmacklich irritieren würden. Die sachverständige Zeugin hat in der Verhandlung klargestellt, dass sie sich bei der Erstattung ihres Gutachtens lediglich an den Rahmen des Prüfauftrages gehalten und daher zur Frage der Schriftgröße der Etiketten überhaupt nicht Stellung genommen hat.

2.1.2. Diese Sachverhaltsfeststellungen ergeben sich aus dem Inhalt der von der belangten Behörde vorgelegten Akten sowie aus den glaubwürdigen, in sich
widerspruchsfreien und mit dem Akteninhalt übereinstimmenden Aussagen des in der öffentlichen Verhandlung einvernommenen Beschwerdeführers und der sachverständigen Zeugin.

2.2. Nach § 51c VStG hatte der Oö. Verwaltungssenat im gegenständlichen Fall – weil hier eine den Betrag von 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe nicht verhängt wurde – nicht durch eine Kammer, sondern durch ein Einzelmitglied zu entscheiden.

3. Über die vorliegende Berufung hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

3.1. Im gegenständlichen Fall wurde die Bestrafung des Beschwerdeführers in den angefochtenen Straferkenntnissen in rechtlicher Hinsicht auf § 90 Abs. 3 Z. 2 LMSVG i.V.m. § 4 Abs. 1 Z. 1 LMKV gestützt.

 

Gemäß § 90 Abs. 3 Z. 2 LMSVG i.V.m. § 4 Abs. 1 Z. 1 LMKV begeht derjenige eine Verwaltungsübertretung und ist hierfür mit einer Geldstrafe bis zu 20.000 Euro zu bestrafen, der verpackte Waren – d.s. nach § 1 Abs. 1 LMKV solche
Lebensmittel, die ohne weitere Verarbeitung für den Letztverbraucher oder für Einrichtungen der Gemeinschaftsversorgung bestimmt sind – nicht mit deren Sachbezeichnung – d.i. jene Bezeichnung, die in den für diese Waren geltenden Rechtsvorschriften vorgesehen sind – deklariert.

 

3.2. In diesem Zusammenhang geht die belangte Behörde offenbar davon aus, dass das ÖLMB eine "geltende Rechtsvorschrift" i.S.d. § 4 Abs. 1 Z. 1 LMKV darstellt und die Waren für einen Letztverbraucher oder eine Einrichtung der Gemeinschaftsversorgung bestimmt waren.

 

Beides trifft jedoch aus folgenden Gründen nicht zu:

 

3.2.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshof weist das in § 76 LMSVG gesetzlich geregelte ÖLMB nämlich – lediglich – die Rechtsnatur eines "objektivierten Sachverständigengutachtens, das widerlegbar die konkrete Verbrauchererwartung wiedergibt", auf (vgl. z.B. VwGH v. 20. Juni 1994, Zl. 92/10/0118). Das bedeutet, dass, soweit den im ÖLMB getroffenen Festlegungen gutachtlicher Charakter i.S. einer wissenschaftlich fundierten Aussage über Tatsachen zukommt, diesen auf gleicher fachlichen Ebene – also im Wege eines sog. "Gegengutachtens" – entgegen getreten werden kann (bzw. muss), nicht jedoch, dass das ÖLMB darüber hinaus auch die Qualität einer generell-abstrakten, allgemein verbindlichen Rechtsvorschrift i.S.d. Art. 18 Abs. 1 und 2 B-VG erreicht.

 

Die im ÖLMB getroffenen Anordnungen, im Besonderen jene bezüglich des Wasser-Eiweiß-Verhältnisses von Schinken, stellen sohin keine "für diese Waren geltenden Rechtsvorschriften" i.S.d. § 4 Abs. 1 Z. 1 LMKV dar, sodass die belangte Behörde die Bestrafung des Rechtsmittelwerbers im vorliegenden Fall schon aus diesem Grund nicht auf § 90 Abs. 3 Z. 2 LMSVG i.V.m. § 4 Abs. 1 Z. 1 LMKV stützen konnte. Bestünde dieses formale Hindernis hingegen nicht, dann wäre die belangte Behörde bzw. die AGES allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass die vom Beschwerdeführer bereit gehaltenen Waren mit der zur Irreführung geeigneten Bezeichnung "Schinken" in Verkehr gebracht wurden, weil der insoweit im ÖLMB in Bezug auf das Wasser-Eiweiß-Verhältnis festgelegte Grenzwert von 4,0 – selbst dann, wenn man die Messfehlergrenze von 0,2 in Abzug bringt und somit zu Gunsten des Beschwerdeführers berücksichtigt – jeweils zweifelsfrei überschritten (4,2 bzw. 5,4) und den diesbezüglichen Feststellungen der AGES vom Rechtsmittelwerber im Zuge des Verwaltungsstrafverfahrens nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegen getreten wurde.

 

3.2.1. Allein die Heranziehung einer unzutreffenden Rechtsgrundlage i.S.d. § 44a Z. 2 VStG führt jedoch noch nicht zur Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses; vielmehr ist diese im zweitinstanzlichen Verfahren entsprechend zu korrigieren, solange dadurch – wenn, wie dies im gegenständlichen Fall zutrifft, die Verfolgungsverjährungsfrist bereits verstrichen ist (vgl. § 90 Abs. 7 LMSVG, wonach diese Frist zwar abweichend von § 31 Abs. 2 VStG nicht bloß 6 Monate, sondern ein Jahr beträgt, diese jedoch nach dem im Spruch des Straferkenntnisses enthaltenen Tatzeitpunkt bereits am 15. März 2011 abgelaufen ist) – der Tatvorwurf inhaltlich keine Veränderung erfährt (vgl. z.B. VwGH v. 22. Mai 1985, Zl. 85/03/0081, sowie die weiteren Nachweise bei Hauer – Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts, 6. Aufl. [2004], 1525).

 

Da die spruchmäßige Tatanlastung konkret dahin lautet, dass insoweit eine mangelhafte Sachbezeichnung vorliege, als der Zusatz "Nicht nach dem Codex hergestellt" als ein wichtiger Teil der Sachbezeichnung (handelsübliche Bezeichnung oder Beschreibung der Ware) nicht in derselben Schriftgröße wie die Bezeichnungen "Toastschinken" bzw. "gekochtes Formfleisch – Vorderschinken" verfasst war, ist sohin zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer damit in Wahrheit nicht ein Verstoß gegen § 3 Abs. 1 lit. a LMKV angelastet wird. Danach müssen nämlich die Kennzeichnungselemente (Angaben) u.a. "deutlich lesbar" auf der Verpackung bzw. auf einem mit dieser verbundenen Etikett angebracht werden.

 

Diesbezüglich hat der Verwaltungsgerichtshof im Zusammenhang mit der Verpflichtung zur Anbringung von anlassrelevanten Jugendschutzbestimmungen in einer Diskothek ausgesprochen, dass der insoweit vergleichbare Begriff der "deutlichen Sichtbarkeit" grundsätzlich im Sinne von "augenfällig" zu verstehen ist, sodass diesem Erfordernis nicht entsprochen wird, wenn es längerer Zeit (vgl. VwGH v. 29. Juli 1998, Zl. 96/01/0301) zum Durchlesen bedarf.

 

Parallel hierzu hat der Oö. Verwaltungssenat bereits mehrfach festgestellt, dass es für eine "deutliche Lesbarkeit" nicht allein auf die Schriftgröße, sondern auch auf den Kontrast zwischen Schrift- und Etikettenfarbe ankommt (vgl. VwSen-240331 vom 19. April 1999) und davon ausgehend eine Schrifthöhe von 1,15 mm bei weißer Schrift auf schwarzem Untergrund (vgl. VwSen-240283 vom 5. November 1997) bzw. von 1,2 bis 1,4 mm bei starkem Kontrast (vgl. VwSen-240337 vom 5. Juli 1999) als nicht gegen § 3 Abs. 1 lit. a LMKV verstoßend qualifiziert; dies v.a. auch deshalb, weil davon ausgegangen werden kann, dass ein durchschnittlich interessierter Konsument im Falle einer Sehbehinderung mit einem entsprechenden Sehbehelf ausgestattet ist und (im Gegensatz zu einem Diskothekenbesucher) nach der Sachbezeichnung einer Ware und ihren spezifischen Kennzeichnungselementen "geradezu sucht" (vgl. VwSen-240337 vom 5. Juli 1999).

 

Selbst wenn man daher mit der belangten Behörde davon ausgeht, dass ein Zusatz wie "Nicht nach Codex hergestellt" einen essentiellen Bestandteil der handelsüblichen Bezeichnung, Beschreibung oder Kennzeichnung einer Ware i.S.d. § 4 Abs. 1 Z. 1 lit. a LMKV – nämlich derart, dass es dem Käufer ermöglicht wird, die tatsächliche Art der Ware zu erkennen und sie von Erzeugnissen zu unterscheiden, mit denen sie verwechselt werden könnte – bildet, so lässt sich einerseits weder einer Rechtsvorschrift das konkrete (geschweige denn verwaltungsstrafrechtlich sanktionierte) Gebot entnehmen, dass dieser Zusatz auf dem Etikett in derselben Schriftgröße wie Bezeichnung der Ware angebracht sein muss; und andererseits ist die im vorliegenden Fall verwendete Schrifthöhe von 1,6 mm bei schwarzer Schriftfarbe auf weißem Untergrund nach den vorangeführten Entscheidungen als "deutlich lesbar" zu qualifizieren, sodass insgesamt betrachtet auch eine Übertretung des § 3 Abs. 1 lit. a LMKV nicht vorliegt.

 

3.2.2. Ob der Beschwerdeführer schließlich allenfalls die von der AGES in ihren Gutachten vom 7. Juni 2010, Zlen. 10023751 u. 10023752, relevierten Verstöße gegen § 5 Abs. 2 Z. 1 LMSVG (Inverkehrbringen von Lebensmitteln mit zur Irreführung geeigneten Angaben, im Besonderen: Täuschung über deren Zusammensetzung) begangen hat, hatte der Oö. Verwaltungssenat hingegen schon deshalb nicht zu prüfen, weil gegen ihn ein darauf bezüglicher, den Anforderungen des § 44a Z. 1 VStG entsprechend konkretisierter Tatvorwurf innerhalb der Verjährungsfrist des § 90 Abs. 7 LMSVG nicht (einmal ansatzweise) erhoben wurde.

 

3.3. Weiters steht allseits unstrittig fest, dass das Unternehmen des Rechtsmittelwerbers beabsichtigte, die verfahrensgegenständlichen Waren an eine GmbH abzugeben, die ihrerseits Gastronomiebetriebe beliefert, die diese Waren vornehmlich als Pizzabeläge verwenden.

 

Dass diese als Zwischenhändlerin fungierende GmbH weder als Letztverbraucherin noch als Einrichtung der Gemeinschaftsversorgung i.S.d. § 1 Abs. 1 LMKV anzusehen ist, ist evident. (Gleiches würde im Übrigen auch für die von dieser belieferten Gastronomiebetriebe gelten, weil solche – wie z.B. die entsprechende alternative Gegenüberstellung in § 1 Abs. 2 der in einem legistischen Naheverhältnis zur LMKV gestanden habenden Frischfleisch-Hygieneverordnung, BGBl.Nr. 396/1994, zeigt – ebenfalls keine Gemeinschaftsversorgungseinrichtungen [und erst recht keine Letztverbraucher] verkörpern.)

 

Vor diesem Hintergrund trifft daher der Einwand des Rechtsmittelwerbers, dass die LMKV im vorliegenden Fall nicht zum Tragen kommt, zu.

 

3.4. Im gegenständlichen Fall ergibt sich einerseits aus der Anzeige des Lebensmittelaufsichtsorganes (vgl. das Schreiben des Amtes der Oö. Landesregierung vom 15. Februar 2011, Zl. ESV-530266/2-2011/DAUB, S. 2), andererseits aber auch aus der Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 28. Februar 2011 (vgl. deren Unterfertigung mit "Mit freundlichen Grüßen – x GmbHProk. x, Leitung Qualitätssicherung"), dass der Beschwerdeführer bei der im Spruch der angefochtenen Straferkenntnisse bezeichneten GmbH die Position eines Prokuristen bekleidet. Aus dem Firmenbuch ergibt sich hierzu, dass er (seit dem 15. April 2008) – nur – "gemeinsam mit einem Geschäftsführer oder einem weiteren Prokuristen" zur Vertretung der GmbH befugt ist. Allein auf Grund seiner Funktion als Prokurist ist der Beschwerdeführer jedoch nach herrschender Lehre und Rechtsprechung (vgl. z.B. Hauer – Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts, 6. Aufl. [2004], 1282, m.w.N.) nicht als ein zur Vertretung nach außen berufenes Organ der GmbH i.S.d. § 9 Abs. 1 VStG anzusehen.

 

Um dem gegenüber als verantwortlicher Beauftragter i.S.d. § 9 Abs. 2 VStG verwaltungsstrafrechtlich belangt werden zu können, bedürfte es aber eines entsprechenden, zudem bereits aus einer Zeit vor der Tatbegehung stammenden und damals auch der zuständigen Behörde übermittelten Bestellungsnachweises (vgl. wiederum Hauer – Leukauf, a.a.O., 1289). Ein solcher erliegt jedoch weder in dem von der belangten Behörde übermittelten Akt, noch haben sich im Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat Hinweise für das Bestehen einer derartigen Bestellung ergeben.

 

Ist demnach insgesamt davon auszugehen, dass zum Tatzeitpunkt eine verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit des Beschwerdeführers nach § 9 Abs. 1 oder 2 VStG nicht bestand, so hätte er auch nicht als das "strafrechtlich verantwortliche Organ" der GmbH in Anspruch genommen werden dürfen, sodass sich – weil dieser Aspekt ungeachtet des Umstandes, dass ein konkret darauf gerichtetes Beschwerdevorbringen fehlt, von Amts wegen aufzugreifen war – die angefochtenen Straferkenntnisse jeweils mangels Zurechenbarkeit der Tat zum Täter auch insoweit als rechtswidrig erweisen.

 

3.5. Unzutreffend ist hingegen der im Berufungsschriftsatz erhobene Einwand des Rechtsmittelwerbers, dass die Erlassung von zwei gesonderten Straferkenntnissen einen Verstoß gegen das Doppelverfolgungs- bzw. ‑bestrafungsverbot des Art. 4 des 7.ZPMRK darstellt.

 

Denn in den gegenständlichen Verfahren handelte es sich jeweils um zwei voneinander (physisch) verschiedene Waren und damit materiell betrachtet wohl schon nicht um "substantially the same facts" i.S.d. nunmehr maßgeblichen sog. "Zolotukhin"-Urteils des EGMR vom 10. Februar 2009, 14939/03 (= NLMR 2009, 37 ff); wesentlich entscheidendere Bedeutung kommt jedoch dem formellen Aspekt zu, dass zweifelsfrei keines dieser Verfahren bereits "rechtskräftig" i.S.d. Art. 4 Abs. 1 des 7.ZPMRK erledigt war, als das andere Verfahren (erst) eingeleitet wurde.

 

Für die Annahme eines – wie der Beschwerdeführer in der öffentlichen Verhandlung alternativ ergänzt hat – fortgesetzten Deliktes fehlt es hingegen in den vorliegenden Fällen, wo ihm bloß fahrlässiges Verhalten angelastet wurde (vgl. S. 3 der angefochtenen Straferkenntnisse), aber an der notwendigen Voraussetzung der Schuldform des Vorsatzes. 

 

3.6. Dessen ungeachtet musste jedoch jeder der unter 3.2. bis 3.4. genannten Rechtswidrigkeitsgründe bereits für sich betrachtet jeweils zur Aufhebung der angefochtenen Straferkenntnisse führen.

 

Der gegenständlichen Berufung war daher gemäß § 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG stattzugeben; davon ausgehend waren die angefochtenen Straferkenntnisse aufzuheben und die Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs. 1 Z. 1 und 2 VStG einzustellen.

4. Bei diesem Verfahrensergebnis war dem Rechtsmittelwerber gemäß § 66 Abs. 1 VStG weder ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch ein Kostenbeitrag für das Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat noch nach § 71 Abs. 3 LMSVG ein Ersatz von Untersuchungs- und Begutachtungskosten der AGES vorzuschreiben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

Dr.  G r o f

 

VwSen-240828/19/Gf/Mu vom 17. Oktober 2011;

VwSen-240829/19/Gf/Mu vom 17. Oktober 2011;

 

Erkenntnis

 

 

Rechtssatz 1

 

B-VG Art18;

LMKV §4 Abs1 Z1

 

Das Österreichische Lebensmittelbuch (ÖLMB) weist lediglich die Rechtsnatur eines "objektivierten Sachverständigengutachtens, das widerlegbar die konkrete Verbrauchererwartung wiedergibt", auf (vgl zB VwGH 20.6.1994, 92/10/0118); das bedeutet, dass, soweit den im ÖLMB getroffenen Festlegungen gutachtlicher Charakter iSe wissenschaftlich fundierten Aussage über Tatsachen zukommt, diesen auf gleicher fachlichen Ebene – also im Wege eines sog "Gegengutachtens" – entgegen getreten werden kann (bzw muss), nicht jedoch, dass das ÖLMB darüber hinaus auch die Qualität einer generell-abstrakten, allgemein verbindlichen Rechtsvorschrift iSd Art 18 Abs1 und 2 B-VG erreicht. Daher stellen auch die im ÖLMB getroffenen Anordnungen keine "für diese Waren geltenden Rechtsvorschriften" iSd § 4 Abs1 Z1 LMKV dar.

 

 

 

Rechtssatz 2

 

LMKV §3 Abs1 lita;

LMKV §4 Abs1 Z1

 

Zum Begriff der "deutlichen Sichtbarkeit" hat der VwGH im Zusammenhang mit der Verpflichtung zur Anbringung von anlassrelevanten Jugendschutzbestimmungen in einer Diskothek ausgesprochen, dass dieser grundsätzlich iSv "augenfällig" zu verstehen ist, sodass diesem Erfordernis nicht entsprochen wird, wenn es längerer Zeit zum Durchlesen bedarf (vgl VwGH 29.7.1998, 96/01/0301). Parallel hierzu hat der Oö Verwaltungssenat bereits mehrfach festgestellt, dass es für eine "deutliche Lesbarkeit" iSd § 3 Abs1 lita LMKV nicht allein auf die Schriftgröße, sondern auch auf den Kontrast zwischen Schrift- und Etikettenfarbe ankommt (vgl VwSen-240331 vom 19. April 1999) und davon ausgehend eine Schrifthöhe von 1,15 mm bei weißer Schrift auf schwarzem Untergrund (vgl VwSen-240283 vom 5. November 1997) bzw von 1,2 bis 1,4 mm bei starkem Kontrast (vgl VwSen-240337 vom 5. Juli 1999) als nicht gegen § 3 Abs1 lita LMKV verstoßend qualifiziert; dies va auch deshalb, weil davon ausgegangen werden kann, dass ein durchschnittlich interessierter Konsument im Falle einer Sehbehinderung mit einem entsprechenden Sehbehelf ausgestattet ist und (im Gegensatz zu einem Diskothekenbesucher) nach der Sachbezeichnung einer Ware und ihren spezifischen Kennzeichnungselementen "geradezu sucht" (vgl VwSen-240337 vom 5. Juli 1999). Selbst wenn man daher davon ausgeht, dass ein Zusatz wie "Nicht nach Codex hergestellt" einen essentiellen Bestandteil der handelsüblichen Bezeichnung, Beschreibung oder Kennzeichnung einer Ware iSd § 4 Abs1 Z1 lita LMKV – nämlich derart, dass es dem Käufer ermöglicht wird, die tatsächliche Art der Ware zu erkennen und sie von Erzeugnissen zu unterscheiden, mit denen sie verwechselt werden könnte – bildet, so lässt sich einerseits weder einer Rechtsvorschrift das konkrete (geschweige denn verwaltungsstrafrechtlich sanktionierte) Gebot entnehmen, dass dieser Zusatz auf dem Etikett in derselben Schriftgröße wie Bezeichnung der Ware angebracht sein muss und andererseits ist die im vorliegenden Fall verwendete Schrifthöhe von 1,6 mm bei schwarzer Schriftfarbe auf weißem Untergrund nach den vorangeführten Entscheidungen als "deutlich lesbar" zu qualifizieren, sodass insgesamt betrachtet eine Übertretung des § 3 Abs1 lita LMKV nicht vorliegt.

 

 

 

Rechtssatz 3

 

LMKV §1 Abs1

 

Ein Gastronomiebetrieb ist weder als Letztverbraucher noch – wie zB die entsprechende alternative Gegenüberstellung in § 1 Abs2 der in einem legistischen Naheverhältnis zur LMKV gestanden habenden Frischfleisch-Hygieneverordnung, BGBl 396/1994, zeigt – als Einrichtung der Gemeinschaftsversorgung iSd § 1 Abs1 LMKV zu qualifizieren.

 

 

 

Rechtssatz 4

 

7. ZPMRK Art4 Abs1

 

Kein Verstoß gegen das Doppelverfolgungs- bzw –bestrafungsverbot des Art 4 des 7.ZPMRK, wenn dem konkreten Verfahren zwei voneinander (physisch) verschiedene Gegenstände (Waren) und damit materiell betrachtet wohl schon nicht "substantially the same facts" iSd sog "Zolotukhin"-Urteils, EGMR 10.2.2009, 14939/03 (= NLMR 2009, 37 ff) zu Grunde liegen. Wesentlich entscheidendere Bedeutung kommt jedoch dem formellen Aspekt zu, dass zweifelsfrei keines dieser Verfahren bereits "rechtskräftig" iSd Art 4 Abs1 des 7. ZPMRK erledigt war, als das andere Verfahren (erst) eingeleitet wurde.

 

 

 

 

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum