Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-166457/2/Br/Th

Linz, 11.11.2011

 

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung von Frau X, geb. X, X, vertreten durch Rechtsanwalt DDr. X, X,  gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom 20.8.2011, Zl. VerkR96-4348-2011-FS, zu Recht:

 

 

I.    Der Berufung wird stattgegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird behoben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs.1 Z1 VStG eingestellt.

                    

II.   Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.

 

 

Rechtsgrundlagen:

Zu I.:   § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz BGBl. Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I. Nr. 111/2010 - AVG iVm § 24, § 45 Abs.1 Z1, § 51 Abs.1,
§ 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I. Nr. 111/2010 - VStG;

Zu II.: § 66 Abs.1 VStG

 

Entscheidungsgründe:

 

 

1. Über die Berufungswerberin wurde mit dem o.a. Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn, wegen der Übertretungen nach § 20 Abs.1 iVm § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960,  eine Geldstrafe von 100 Euro und im Nichteinbringungsfall Ersatzfreiheitsstrafen von 24 Stunden verhängt, weil sie am 26.4.2011 um 10:20 Uhr in Mauerkirchen, Heiligengeistgasse 18, auf Höhe des Hauses Nr. 10, in Fahrtrichtung Uttendorf, als Lenkerin des Pkw mit dem Kennzeichen X, infolge einer nicht richtig gewählten Fahrgeschwindigkeit einen Verkehrsunfall verursacht habe indem sie auf ein Vorderfahrzeug aufgefahren sei.

 

 

1.1. Die Behörde erster Instanz erblickt die Verwaltungsübertretung in einer hier nicht angepasst gewesenen Fahrgeschwindigkeit welche sie offenbar Unfallskausal erachtet.  Sie verweist insbesondere auf OGH v. 19.3.1964, 11 Os 1/64 veröffentlicht in ZVR 1964/194.

Diese Judikatur besagt in der Substanz, dass ein Fahrer die Fahrgeschwindigkeit den "gegebenen Umständen entsprechend zu wählen habe, die es ihm unter Berücksichtigung seines Fahrkönnens ermöglicht, das Fahrzeug jederzeit zu beherrschen."

Damit vermag jedoch der Tatvorwurf nicht begründet gelten.

 

 

2. Dem tritt die Berufungswerberin in ihrer Verantwortung entgegen und vermeint die Geschwindigkeit sehr wohl so gewählt gehabt zu haben, sodass sie das Fahrzeug jederzeit habe beherrschen können. Sie verweist auf die unterbliebene Feststellung in welchem Ausmaß sie (subjektiv gesehen) eine unrichtige Geschwindigkeitswahl getroffen hätte.

Im Ergebnis verweist sie auf widrige Umstände die zum Auffahren auf das Vorderfahrzeug  führten. Nicht jeder Unfall müsse zu einer Verwaltungsstrafe führen, so die Berufungswerberin.

In ihrer Stellungnahme vom 20.7.2011 räumte sie eine leichte Reaktionsverzögerung von einigen Zehntelsekunden in Verbindung mit einem Aufmerksamkeitsfehler ein.

Abschließend wird die ersatzlose Behebung des Straferkenntnisses beantragt.

 

 

3. Da keine 2.000 Euro übersteigenden Geldstrafen verhängt wurden, hat der unabhängige Verwaltungssenat durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu erkennen. Eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung konnte mit Blick § 51e Abs.1 Z1 VStG unterbleiben.

 

 

3.1. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verfahrensakt.

Daraus ergibt sich der für die Entscheidung wesentliche Sachverhalt.

 

 

4. Laut Bericht der Polizeiinspektion Braunau "Verkehrsunfall mit Eigenverletzung", vom 12.5.2011, GZ C1/81119/2011-Sch, habe die Berufungswerberin unmittelbar vor dem Auffahren kurz auf den Ganghebel geblickt. Als sie wieder nach vorne blickte, sei der Postbus am rechten Fahrbahnrand unmittelbar vor ihr gestanden. Sie bremste ihren Pkw noch ab und lenkte diesen auch noch nach rechts, habe jedoch eine Kollision nicht mehr verhindern können. Die Unfallbeteiligten machten einen Identitätsaustausch und nach einer Stunde habe die Berufungswerberin jedoch starke Schmerzen im Hals- u. Brustbereich bekommen.

 

 

4.1. Aus diesem Bericht ergibt sich weder eine Ausgangsgeschwindigkeit noch ein Hinweis, dass diese etwa objektiv nicht angepasst gewesen wäre. Ebenfalls nicht ob der Bus noch gestanden oder etwa bereits aus der Haltestelle ausgefahren war. Offenkundig ist der Unfall auf einen Aufmerksamkeitsfehler zurückzuführen, was letztlich auch die Berufungswerberin selbst einräumt, an deren Auto dabei ein Totalschaden eintrat.

 

 

5. Rechtlich hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

In rechtlicher Hinsicht gilt es zur Beurteilung für die Wahl der Geschwindigkeit iSd § 20 Abs.1 StVO die maßgebenden Faktoren festzustellen ob gegebenenfalls durch ein Plus anderer Faktoren diese ausgeglichen werden können (zB regennasse Fahrbahn, Vorliegen einer relevanten Sichtbehinderung, Straßenbreite, Straßenverlauf, Zustand der Fahrbahndecke udgl., VwGH 18.4.1994, 93/03/0301).

Feststellungen darüber, dass hinsichtlich einer (oder einzelner) der maßgeblichen Komponenten ungünstige Verhältnisse bestanden, genügen daher für einen Schuldspruch nicht.

Für den vorliegenden Fall gilt es festzuhalten, dass die Berufungswerberin offenbar auf Grund eines Fahr- bzw. Aufmerksamkeitsfehlers (Blick auf den Gangschalter) den stehenden oder soeben vom rechten Fahrbahnrand  aus- bzw. wegfahrenden Bus nicht rechtzeitig wahrgenommen hat, sodass es folglich zum Auffahrunfall mit Eigenverletzung gekommen ist.

Das sie vorher eine nicht angepasste Fahrgeschwindigkeit gehabt hätte ist schon deshalb unwahrscheinlich, weil jegliche Bewegung (Fahrgeschwindigkeit) im Falle eines Aufmerksamkeitsfehlers zu einem solchen Unfall führen kann.

Es kann nun dahingestellt sein, inwieweit, um die Frage einer unzulässigen Geschwindigkeit im Sinne des § 20 Abs.1 erster Satz StVO 1960 richtig beurteilen zu können, die Geschwindigkeit in dem betreffenden Verwaltungsstrafverfahren ziffernmäßig festgestellt, bereits im Spruch des Bescheides angeführt sein müsste (vgl. h. Erk. v. 15.3.2010, VwSen-164754/2/Fra/Ka).

Da, wie schon gesagt, letztlich im Ergebnis jede noch so geringe Ausgangsgeschwindigkeit zu einem Auffahren führen kann, geht hier  der Tatvorwurf der nicht angepassten Fahrgeschwindigkeit im Falle dieses Auffahrereignisses – was im Verkehrsfluss etwa eher noch mit § 18 Abs.1 StVO ursächlich gesehen werden könnte – ins Leere.

Gleiches gilt im Ergebnis auch bei einem Abkommen von der Fahrbahn nach rechts, dessen Schutzziel nicht vom § 7 StVO erfasst gilt (vgl. h. Erk. vom 5.7.2010, VwSen-165011/8/Br/Th, mit Hinweis auf VwGH 10.10.1995, 95/02/0276, VwSlg 14338 A/1995).

 

Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

 

 

Dr. B l e i e r

 

 

 

 

VwSen-166457/2/Br/Th vom 11. November 2011

 

Erkenntnis

 

StVO 1960 §20 Abs1

 

Das Auffahren auf ein stehendes KFZ auf Grund eines Aufmerksamkeitsfehlers ist nicht unter § 20 Abs 1 StVO 1960 subsumierbar. Gegen diese Bestimmung, deren Schutzziel eine den "Verhältnissen" angepasste Fahrgeschwindigkeit ist, wird nicht schon durch die Verursachung eines – auf einen Aufmerksamkeitsfehler zurückzuführenden – Unfalls mit Eigenverletzung verstoßen. Vielmehr bedarf es konkreter Feststellungen, warum die Fahrgeschwindigkeit nicht angepasst war.

 

 

 

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