Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730283/2/BP/Wu

Linz, 27.10.2011

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Bernhard Pree über die Berufung des X, StA von Bosnien, vertreten durch X, Rechtsanwalt in X, X, gegen den Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 11. August 2010, Zl.: 1066700/FRB, betreffend die Verhängung eines auf 10 Jahre befristeten Aufenthaltsverbotes gegen den Berufungswerber nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

 

Der Berufung wird mit der Maßgabe stattgegeben, als die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf 5 Jahre herabgesetzt und weiters dem Berufungswerber gemäß § 70 Abs. 3 des Fremdenpolizeigesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 ein Durchsetzungsaufschub von 1 Monat gewährt wird; im Übrigen wird der angefochtene Bescheid bestätigt.

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG



Entscheidungsgründe

 

1.1.1. Mit Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 11. August 2010, AZ.: 1066700/FRB, wurde über den Berufungswerber (im Folgenden: Bw) auf Basis des § 60 Abs. 1 und 2 Z. 1 iVm. § 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, ein auf 10 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich verhängt.

 

Begründend führt die belangte Behörde zunächst zum Sachverhalt aus, dass gegen den Bw folgende gerichtliche Verurteilungen vorlägen:

 

1.) LG Steyr zu EVr 164/1995, vom 12. Juni 1995, rechtskräftig seit 12. Juni 1995, wegen gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127 und 130 1. Fall StGB, Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe, Jugendstraftat, Probezeit 3 Jahre;

 

2.)  LG Steyr zu 10 EVr 131/1998, vom 4. Mai 1998, rechtskräftig seit 8. Mai 1998, wegen schwerer Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1 und 84 Abs. 1 StGB, Geldstrafe S 7.200, Probezeit 3 Jahre;

 

3.) LG Steyr zu 12 Hv 1020/01i, vom 30. Jänner 2002, rechtskräftig seit 13. März 2002, gemäß § 28 Abs.2, 2. und 3. Fall, Abs. 3 1. Fall SMG sowie gemäß § 28 Abs. 2, 4. Fall, Abs. 3, 2. Fall SMG, Freiheitsstrafe 2 Jahre, davon 16 Monate bedingt, Probezeit 3 Jahre;

 

4.) BG Enns zu 2 U 41/05i, vom 11. März 2005, rechtskräftig seit 12. April 2005, wegen Veruntreuung nach § 133 Abs. 1 StGB, Geldstrafe 720 Euro;

 

5.) BG Enns zu 2 U 105/05a, vom 10. August 2005, rechtskräftig seit 9. September 2005, wegen § 27 Abs. 1 SMG, Geldstrafe 720 Euro;

 

6.) LG Graz zu 8 Hv 95/09y, vom 18. November 2009, rechtskräftig seit 24. November 2009, wegen Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1, 4. Fall, Abs. 4 Z. 3 SMG (Beitragstäter), wegen Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1, 4. Fall, Abs. 4 Z. 3 SMG, wegen Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1, 5. Fall, Abs. 2 Z. 1 SMG, wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z. 1 1. und 2. Fall SMG, wegen Betrugs nach § 146 StGB sowie wegen Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Bas. 1 StGB, Freiheitsstrafe 2,5 Jahre.

 

In weiterer Folge schildert die belangte Behörde die diversen – den Verurteilungen zugrunde liegenden – Sachverhalte, wobei neben den Diebstählen, dem Betrug und der Körperverletzung vor allem die massiven und umfangreichen Suchtgiftdelikte ins Auge stechen, die den Bw durch weite Teile des Bundesgebietes geführt haben.

Der Rechtsvertreter des Bw habe zur beabsichtigten Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Schriftsatz vom 4. August 2010 ua. ausgeführt, dass der in Bosnien im Jahr 1980 geborene Bw schon seit Frühsommer 1990 in Österreich aufhältig sei und ab diesem Jahr in X die Volksschule, bis 1995 die Hauptschule, und daran anschließend eine dreijährige Lehre als Dachdecker und Spengler absolviert habe. Sämtliche Familienangehörige befänden sich ebenfalls seit 1990 im Bundesgebiet.

 

Der Bw sei mit einer österreichischen Staatsangehörigen verlobt und werde mit ihr in naher Zukunft die Ehe eingehen.

 

Dem Bw hätte vor Verwirklichung der Straftatbestände die österreichische Staatsangehörigkeit verliehen werden können, da er zu diesem Zeitpunkt nicht zu einer unbedingten Haftstrafe von einem Jahr wegen einer begangenen Vorsatztat verurteilt worden sei. Darüber hinaus sei ein Aufenthaltsverbot im Grunde des § 66 FPG in Hinblick auf das Privat- und Familienleben nicht zulässig.

 

1.1.2. In rechtlicher Hinsicht führt die belangte Behörde ua. aus, dass der Bw seit nunmehr 20 Jahren im Bundesgebiet aufhältig sei, hier die Schulausbildung absolviert habe, pflichtversichert und der Aufenthaltsdauer angemessen integriert sei.

 

Durch die Sozialschädlichkeit des massiven Fehlverhaltens des Bw im Suchtgiftbereich sei jedoch die soziale Integration erheblich beeinträchtigt. Suchtgifthandel – wie im vorliegenden Ausmaß – stelle eine eklatante Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar, die per se schon die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes – trotz Bedachtnahme auf die persönlichen Interessen des Bw – erfordert. Auch der EuGH erkenne die Notwendigkeit von effektiven Abwehrmaßnahmen gegen die notorisch mit Suchtgiftkriminalität einhergehenden wirtschaftlichen und gesundheitlichen Belastungen. Das Wohl der Gesellschaft, vor allem der Jugend, sei massivst durch das Verhalten des Bw bedroht.

 

Trotz entsprechender Verurteilung im Jahr 2002 (mit einer 2-jährigen Freiheitsstrafe) habe sich der Bw nicht dem Suchtmittel-Milieu entzogen, sondern sei weiterhin straffällig geworden, was schließlich zu der beträchtlichen Verurteilung von 2,5 Jahren unbedingter Freiheitsstrafe geführt habe.

 

Bei der Beurteilung habe weder das Privat- und Familienleben im Sinne des § 66 Abs. 2 bzw. Art. 8 EMRK noch die Tatsache, dass der Bw mit einer österreichischen Staatsangehörigen verlobt sei, den Ausschlag zu seinen Gunsten geben können.   

 

1.2. Gegen diesen Bescheid erhob der Bw durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter rechtzeitig Berufung mit Schriftsatz vom 30. August 2010.

Zunächst wird in der Berufung dem erhobenen Sachverhalt im Grunde nicht entgegengetreten, sondern lediglich die Merkmale der Integration des Bw betont. Dies gelte vor allem für die am 2. Oktober 2010 beabsichtigte Verehelichung des Bw mit einer österreichischen Staatsangehörigen, die eine weitere Komponente der familiären Integration darstelle.

 

Es hätte – entgegen der Ansicht der belangten Behörde – die Tatsache, dass dem Bw die österreichische Staatsbürgerschaft vor Begehung seiner Straftaten hätte verliehen werden können, berücksichtigt werden müssen.

 

Dass im Schuldspruch des Urteils des LG Graz überhaupt von der Strafsatz bestimmenden Tatbestandsverwirklichung des Tatbildes nach § 28a Abs. 4 Z. 3 SMG (in Bezug auf Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge) ausgegangen und dieses Delikt habe angeklagt werden können, finde seine Begründung ausschließlich darin, dass erst mit der SMG-Novelle 2007, somit in Rechtswirksamkeit getreten ab Jänner 2008, überhaupt erst das in Abs. 1 Z. 1 dieser Bestimmung erfasste "Anbieten" als selbständig vertypte Vorbereitungshandlung erstmals in den Rechtsbestand eingeführt worden und bis dahin in keiner Weise strafbar gewesen sei, andererseits darüber hinaus es zur Deliktsverwirklichung dieses "Anbietens" durch den Bw im Sinne einer Beitragshandlung (durch Weitergabe von Telefonnummern etc.) überhaupt nur deshalb gekommen sei, da er von 2 verdeckten Ermittlern des BMI zu einer solchen Tathandlung provoziert worden sei, ohne dass er natürlich je in der Lage gewesen wäre, überhaupt Suchtmittel in dieser Größenordnung auch nur annähernd zu besorgen, wie das Strafverfahren des LG Graz eindeutig ergeben habe.

 

Es entspreche der ständigen Judikatur, dass eine Tatprovokation durch staatliche Organwalter bei der Sanktionsfindung angemessen zu kompensieren sei und als Milderungsgrund zu gelten habe. Dass eine die 2-Jahresfrist übersteigende Freiheitsstrafe verhängt worden sei, habe nicht zuletzt auch den Grund lediglich in der Vorstrafenbelastung und in weiteren dazukommenden Vergehen des Bw gehabt.

 

Dass der Bw im Rahmen der Hauptverhandlung vor dem LG Graz weitere Suchtgiftkonsumenten genannt habe, zeige seinen Gesinnungswandel und müsse in der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden. Es werde daher die Beischaffung des diesbezüglichen Strafaktes beantragt. Daran schließt der Bw allgemeine Überlegungen zu Sinn und Natur des Delikts nach § 28a SMG, wobei er ausführt, diese rund ein 3/4-Jahr vor der Tatbegehung in Kraft getretene Novelle nicht gekannt zu haben, was er als schuldmindernd einstuft.

Die Verhängung des Aufenthaltsverbotes sei im Hinblick auf die über 20-jährige Integration des Bw im Bundesgebiet keinesfalls dringend geboten, um die Ziele des Art. 8 EMRK zu erreichen.

 

Abschließend werden die Berufungsanträge auf Aufhebung des in Rede stehenden Aufenthaltsverbotes; in eventu auf Aufhebung und Zurückverweisung; in eventu auf Herabsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes gestellt.

 

 

2.1. Die belangte Behörde legte zunächst den in Rede stehenden Verwaltungsakt der Sicherheitsdirektion für Oberösterreich vor.

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 38/2011 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass der Unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist, weshalb der in Rede stehende Verwaltungsakt von der Sicherheitsdirektion – nach In-Krafttreten der Novelle am 1. Juli 2011 – dem Oö. Verwaltungssenat übermittelt wurde.

 

2.2.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde.

 

2.2.2. Dem Oö. Verwaltungssenat liegen nunmehr eine Heiratsurkunde über die Eheschließung des Bw mit einer österreichischen Staatsangehörigen am X, eine Geburtsurkunde betreffend die Geburt der gemeinsamen Tochter des Ehepaares vom X sowie eine Arbeitsbestätigung bzw. ein Arbeitsvertrag ab 2. Mai 2011, vor. Der Bw wurde am X aus der Strafhaft entlassen.

 

Hinsichtlich des Antrages auf Beischaffung des Strafaktes vom LG Graz ist anzumerken, dass davon abgesehen werden konnte, da das im Urteil festgestellte Strafausmaß, das per se schon gewisse Rechtsfolgen auszulösen im erstinstanzlichen Verfahren geeignet war, als objektiv feststehend, nicht vom Oö. Verwaltungssenat neu zu interpretieren wäre, um – wie in der Berufung gefordert – die angeführte Tatprovokation durch Staatsorganwalter nunmehr mildernd zu berücksichtigen.

 

2.2.3. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil eine solche nicht erforderlich war, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lässt (§ 67d AVG).

2.3. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1.1.1., 1.2. und 2.2.2. dieses Erkenntnisses dargestellten völlig Sachverhalt aus.

 

2.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

3. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

3.1.1. Gemäß § 65b des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG idgF. BGBl. I Nr. 38/2011 unterliegen Familienangehörige (§ 2 Abs. 4 Z. 12) der Visumpflicht. Für sie gelten die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach den §§ 41a, 65a Abs. 2, 66, 67 und 70 Abs. 3.

 

Gemäß § 2 Abs. 4 Z. 12 FPG ist Familienangehöriger: wer Drittstaatsangehöriger und Ehegatte oder minderjähriges lediges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind ist (Kernfamilie); dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, die Drittstaatsangehörige sind.

 

3.1.2. Im vorliegenden Fall ist § 65b FPG einschlägig, da der Bw nunmehr seit X Ehegatte einer österreichischen Staatsangehörigen ist.

 

Die Verhängung von Aufenthaltsverboten für EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige ist in § 67 FPG geregelt, der durch § 65b FPG als anwendbar erklärt wird. Daher erfährt die Beurteilung des in Rede stehenden Aufenthaltsverbotes einen Regimewechsel von bloß aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (wie von der belangten Behörde vorgenommen) zu § 67 FPG.

 

3.2.1. Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

 

Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens 10 Jahren erlassen werden.

 

3.2.2. Es ist – im Hinblick auf die oa Bestimmung - nun zu prüfen, ob das Verhalten des Bw auch aus derzeitiger Sicht geeignet erscheint, die öffentliche Ordnung oder Sicherheit nachhaltig und schwerwiegend zu gefährden.

 

Nachdem der Bw seit rund 20 Jahren im Bundesgebiet aufhältig ist, kommt der besonders erhöhte Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1, 5. Satz FPG zum Tragen, wonach die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen Personen, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, dann zulässig ist, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch den Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

 

Zunächst ist das Tatbestandsmerkmal der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik näher auszulegen. Es muss sich demnach um eine Gefährdung eines Sicherheitsinteresses der Republik handeln, das seiner Natur nach ein nicht punktuelles sondern ein, der Beeinträchtigung nach, breit gestreutes Phänomen darstellt und bei dem der Staat ein besonders hohes Interesse haben muss, dessen Bedrohung und Verletzung nachhaltig und effektiv abzuwenden.

 

Ein geradezu klassisches Beispiel hiefür bildet fraglos der Suchtgifthandel. Dies hat nicht nur der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wiederholt, sondern auch der Verwaltungsgerichtshof festgestellt. "Die Suchtgiftdelinquenz stellt – auch nach gemeinschaftsrechtlichen Maßstäben – ein besonders verpöntes Fehlverhalten dar, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und besteht an dessen Verhinderung ein besonders großes  Interesse Angesichts dessen ist es nicht rechtswidrig in diesen Fällen die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 86 Abs. 1" (nunmehr § 67 Abs. 1) "FPG anzusehen" (VwGH vom 12. Oktober 2010, 2010/21/0335).

 

Dies gilt wohl nicht so sehr für den Drogen-Eigenkonsum, sondern insbesondere für den Handel mit Suchtgiften.

 

3.2.3. Im vorliegenden Fall steht außer Zweifel, dass der Bw wiederholt gerade im Bereich der Suchtgiftkriminalität aktiv wurde. Schon im Jahr 2002 war er wegen Suchtgifthandels zu 2 Jahren Freiheitsstrafe, davon 16 Monate bedingt verurteilt worden. Die damalige Freiheitsstrafe war nicht dazu angetan, den Bw, dessen kriminelles Vorleben bis ins Jahr 1995 zurückreicht, von weiteren Delikten abzuhalten. So folgten alleine im Suchtgiftbereich eine Verurteilung aus dem Jahr 2005 und noch eine weitere aus dem Jahr 2009, die allerdings eine besonders gefestigte Zugehörigkeit des Bw zum Suchtgiftmilieu manifestiert. Damit einhergehend zeigten sich auch verschiedene – durchaus häufig mit der Suchtgiftkriminalität einhergehende – Eigentumsdelikte.

 

3.2.4. Wenn nun in der Berufung angeführt wird, dass der Bw im Urteil des LG Graz fälschlich zu hoch bestraft worden sei und insbesondere versucht wird, das Tatbild des "Anbietens" herunterzuspielen, wirft dies kein adäquates Bild auf den vorgebrachten Gesinnungswandel, sondern lässt vielmehr den Schluss zu, dass der Bw das volle Unrecht seiner Tat auch jetzt noch nicht erkennen kann. Dem Argument, er sei durch die Strafhaft eines besseren belehrt worden, ist entgegenzuhalten, dass die erste diesbezügliche Strafhaft im Jahr 2002 nicht von dem nunmehr vorgebrachten Erfolg gekrönt war. Es spielt dabei auch keine Rolle, ob der Bw damals in der Lage gewesen wäre, die von den verdeckten Ermittlern avisierte Suchtgiftmenge aufzubringen oder nicht; einerseits war er ohnehin nur als Beitragstäter eingebunden und somit auch nicht der für die Aufbringung der Suchtgifte Verantwortliche, wobei bei der Beitragstäterschaft der Unrechtsgehalt ja in der Unterstützung der Straftat liegt; andererseits verwirklichte er – wie sich aus dem Akt ergibt – auch eigenständig das Delikt des Suchtgifthandels. Für die Gesamtbeurteilung hier von Bedeutung ist die Verfestigung des Bw im Milieu selbst.

 

Die in der Berufung thematisierte Frage der Möglichkeit der Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft ist aufgrund des oa. Regimewechsels von bloß aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen zu einem mit einer Österreicherin verheirateten Drittstaatsangehörigen (im Sinne des § 65b FPG) nicht weiter zu verfolgen.

 

Maßgeblich ist aber nicht primär, dass eine strafgerichtliche Verurteilung ausgesprochen wurde, sondern dass im Sinne einer Prognoseentscheidung das gegenwärtige und zukünftige Verhalten einer Person im Lichte einer strafgerichtlichen Verurteilung rechtlich zu würdigen ist. Es ist also im konkreten Einzelfall zu analysieren, ob davon ausgegangen werden kann, dass sich der Bw hinkünftig rechtskonform verhalten wird.

 

3.2.5. Dazu wird teils auf die obigen Feststellungen verwiesen und zudem angemerkt, dass keinerlei stichhaltige Gründe auszumachen sind, dass der Bw tatsächlich seine rund 15-jährige "kriminelle Laufbahn" hinter sich gelassen hätte. Angesichts der von ihm verwirklichten Delikte und der Tatsache, dass er sich erst seit einem halben Jahr wieder in Freiheit befindet, wäre ein solcher Schluss ohnehin zu früh. Die Tatsache allein, dass er in diesem halben Jahr nicht wieder belangt wurde, ist für eine positive Zukunftsprognose nicht ausreichend. Im Gegensatz dazu muss – ohne den Grundsatz "in dubio pro reo" außer Acht zu lassen, auch weiterhin von einem akuten, nachhaltigen und besonders hohen Gefährdungspotential für die Sicherheit der Republik Österreich ausgegangen werden, weshalb die Tatbestände des § 67 Abs. 1 FPG als gegeben anzunehmen sind.

 

Allerdings ist im in Rede stehenden Fall auch besonders auf das Privat- und Familienleben des Bw im Sinne einer Interessensabwägung Bedacht zu nehmen.

3.3. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs. 1 (nur) statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

3.3.2. Gemäß § 61 Abs. 1 FPG ist, sofern durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.      die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der        bisherige          Aufenthalt des Fremden rechtmäßig war;

2.      das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.      die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.      der Grad der Integration;

5.      die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.      die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.      Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des      Asyl-          Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.      die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem   Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren   Aufenthaltstatus bewusst waren;

9.      die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden       zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 3 FPG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein  aufgrund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51ff. NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

Gemäß § 125 Abs. 20 FPG  gelten, vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 38/2011 vorgenommene Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 66 als Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 61 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter.

 

3.4.1. Im Sinne der zitierten Normen ist eine Interessensabwägung – basierend auf einer einzelfallbezogenen  Gesamtbetrachtung – vorzunehmen.

 

Es ist festzuhalten, dass es gestützt auf die ständige Rechtsprechung der Höchstgerichte grundsätzlich zulässig und erforderlich ist, Maßnahmen zu ergreifen, um der Gefährdung der Sicherheit der Republik Österreich effektiv zu begegnen. Daraus folgt, dass das diesbezügliche öffentliche Interesse äußerst hoch anzusetzen ist und ein Aufenthaltsverbot grundsätzlich ein nicht inadäquates Mittel darstellt, um einen rechtskonformen Zustand wiederherzustellen. Dies gilt jedoch nur insofern, als die privaten bzw. familiären Interessen im jeweils konkreten Einzelfall nicht als höherrangig anzusehen sind.

 

3.4.2. Es steht außer Frage, dass das in Rede stehende Aufenthaltsverbot massiv sowohl in das Privat- als auch Familienleben des Bw eingreift. Er ist seit einem Jahr verheiratet und lebt seit einem halben Jahr auch mit seiner Ehefrau in einem gemeinsamen Haushalt. Seit August 2011 haben die Eheleute auch eine gemeinsame Tochter. Der Bw selbst lebt seit rund 20 Jahren in Österreich, hat hier seine Schulausbildung abgeschlossen und ist sowohl beruflich als auch sozial völlig integriert. Diese Feststellung relativiert sich aber dadurch merklich, dass der Bw zwar mit 10 Jahren ins Bundesgebiet kam, seit seinem 15. Lebensjahr jedoch auch regelmäßig straffällig wurde und dies über weitere 15 Jahre beibehielt. Sein Aufenthalt war grundsätzlich rechtmäßig und er beherrscht die deutsche Sprache. Seine Familie lebt sämtlich im Bundesgebiet.

 

Es kann aber auch festgestellt werden, dass der Bw bis zu seinem 10. Lebensjahr in seinem Herkunftsstaat lebte, was für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht unwesentlich ist, da er in den ersten 10 Lebensjahren in der Lage war, die Kultur und gesellschaftlichen Gepflogenheiten seiner Heimat kennenzulernen. Eine Reintegration ist daher – wenn auch unter manchen Schwierigkeiten – durchaus nicht undenkbar.

 

3.4.3. Im vorliegenden Fall sind aber auch die Interessen der österreichischen Ehefrau und des Kindes zu erörtern (vgl. § 61 Abs. 3 FPG). Dazu ist zunächst festzuhalten, dass die Eheschließung mit der österreichischen Ehegattin erst im Oktober 2010 stattfand, zu einem Zeitpunkt also, wo der Bw schon aufgrund der erstinstanzlichen Entscheidung mit der fremdenpolizeilichen Maßnahme rechnen musste. Das Aufenthaltsverbot war gegen ihn schon ausgesprochen. Dessen musste sich auch die Ehegattin bewusst sein und ist wohl in Bedachtnahme auf die allfällige Außerlandesschaffung des Bw die Ehe eingegangen. Würde man dieser Ansicht nicht folgen, müsste man generell bejahen, dass – ohne Interessensabwägung – stets bei Vorliegen einer Ehe zwischen Drittstaatsangehörigen und Österreichern jegliche fremdenpolizeiliche Maßnahmen zu unterbleiben hätten. Das Interesse der kürzlich geborenen Tochter am Verbleib des Vaters im Bundesgebiet ist zwar fraglos als hoch und schützenswert zu qualifizieren, allerdings gilt hier ebenfalls die obige Feststellung. Unter den besonderen gegebenen Umständen dieses Falles kann sich der Bw also auch nicht durchschlagend auf das Privat- und Familienleben seiner Gattin bzw. Tochter berufen. Für den Fall, dass er beim Verlassen des Bundesgebietes nicht von der Kernfamilie begleitet werden sollte, ist er auf die Möglichkeiten der modernen Kommunikationsmittel angewiesen, um den Kontakt aufrecht zu erhalten. Darüber hinaus wird aber bei der Bemessung der Dauer des Aufenthaltsverbotes auf die Interessen der Familienangehörigen Rücksicht zu nehmen sein.

 

3.4.4. Angesichts der massiven Straffälligkeiten des Bw und dem damit verbundenen Interesse des Staates an seiner dauerhaften Außerlandesschaffung ist festzuhalten, dass, obwohl von einem besonders drastischem Maß an persönlicher Beeinträchtigung des Lebens durch die Maßnahme auszugehen ist, das öffentliche Interesse als noch höherrangig einzuschätzen ist.

 

3.5. Hinsichtlich der Dauer des Aufenthaltsverbotes sind als maximaler Rahmen nach § 67 Abs. 2 FPG 10 Jahre vorgesehen. In Anbetracht der familiären Situation, des langjährigen Aufenthalts des Bw im Bundesgebiet, seiner grundsätzlichen Integration erachtet das erkennende Mitglied des Oö. Verwaltungssenates einen Zeitraum von 5 Jahren für angemessen, um dem Bw die Möglichkeit zu geben, den von ihm behaupteten Gesinnungswandel entsprechend unter Beweis zu stellen. Eine mittelfristige Trennung vom bislang gepflogenen Umgang soll dem Bw einen Neuanfang nach Ablauf ermöglichen – stets ein Wohlverhalten vorausgesetzt.

 

In diesem Punkt war also zugunsten des Bw vom angefochtenen Bescheid abzuweichen.

 

3.6.1. Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen bei der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

 

3.6.2. Diese Regelung gilt konsequenter Weise auch für die Personengruppe des § 65b FPG. Zumal der Bw im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides noch nicht Angehöriger einer österreichischen Staatsbürgerin und somit noch nicht dem durch § 65b geschützten Personenkreis zugehörig war, war zur Wahrung seiner Rechte nun vom Oö. Verwaltungssenat der Durchsetzungsaufschub im Sinne des § 70 Abs. 3 FPG zuzusprechen.

 

3.7.1. Es war daher im Ergebnis der Berufung hinsichtlich der Dauer des Aufenthaltsverbotes stattzugeben, diese auf 5 Jahre herabzusetzen, den Durchsetzungsaufschub zuzusprechen und im Übrigen der angefochtene Bescheid zu bestätigen.  

3.7.2. Nachdem der Bw offenkundig der deutschen Sprache ausreichend mächtig ist, konnte gemäß § 67 Abs. 5 iVm. § 59 Abs. 1 FPG auf die Übersetzung des Spruchs und der Rechtsmittelbelehrung verzichtet werden. 

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 18,20 Euro (Eingabegebühr) angefallen.

 

 

 

Bernhard Pree

 

Beachte:

Beschwerde gegen vorstehende Entscheidung wurde abgelehnt;

VwGH vom 26.01.2012, Zl. 2011/21/0297-5

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