Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730113/5/SR/MB/Wu

Linz, 28.10.2011

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des X, geboren am X, StA Türkei, wohnhaft in X, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes des Bezirkes Perg vom 26. August 2010, GZ Sich40-9840/2-2010-KG/PB, betreffend eine Ausweisung des Berufungswerbers nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

            I.      Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

 

        II.      Eine Rückkehrentscheidung ist auf Dauer unzulässig.

 

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes des Bezirkes Perg vom 26. August 2010, GZ Sich40-9840/2-2010-KG/PB, wurde gegen den Berufungswerber (im Folgenden: Bw) auf Basis des § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 – in der damals geltenden Fassung – die Ausweisung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich angeordnet.

 

Begründend führt die belangte Behörde zum Sachverhalt aus, dass der Bw türkischer Staatsbürger sei und am 18. Oktober 2001 illegal nach Österreich einreiste. In der Folge habe der Bw am 19. Oktober 2001 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Am 11. Jänner 2001 sei ihm die vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz zugesprochen worden. Das Asylverfahren selbst sei mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 5. März 2010 rechtskräftig negativ abgeschlossen worden.

 

Ab diesem Zeitpunkt habe der Bw seine bis dahin gültige Aufenthaltsberechtigung verloren. Auch aus irgendeinem anderen Recht komme dem Bw kein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet der Republik Österreich zu.

 

Des weiteren führt die belangte Behörde aus, dass der Bw aufgrund seiner zuvor angeführten Aufenthaltszeiten im Bundesgebiet unter die Bestimmung des § 44 Abs. 4 NAG falle. Offensichtlich aus diesem Grund habe er am 6. April 2010 einen Antrag auf Niederlassungsbewilligung–beschränkt gestellt.

 

In weiterer Prüfung der Voraussetzungen zum Erhalt dieses Niederlassungsrechtes sei jedoch festgestellt worden, dass diese Voraussetzungen aus mehreren Gründen nicht erfüllt werden. Zu dem hier geforderten gesicherten Lebensunterhalt führt die belangte Behörde aus, dass der Bw zwar früher einer Beschäftigung nachgegangen sei, den Angaben seines Rechtsanwaltes zufolge aber derzeit nicht über eine Beschäftigung verfüge. Es fehle ihm daher, für die Zukunft gesehen, an ausreichenden und regelmäßigen Einkommen zur Sicherung seines Lebensunterhaltes. Von der im Gesetz ermöglichten Ersatzlösung einer Patenschaftserklärung habe der Bw keinen Gebrauch gemacht. Über diesen Versagungsgrund hinaus gesehen, sei dem Bw vorzuhalten, dass er in Bezug auf die Frage "der bisherigen strafrechtlichen Verurteilungen" im angesprochenen Antrag zum Erhalt dieses Niederlassungsrechtes falsche Angaben gegenüber der Behörde gemacht habe. Der Bw stelle dar, dass er über keine strafrechtlichen Verurteilungen verfüge. Die behördliche Überprüfung habe jedoch ergeben, dass dies nicht stimme und der Bw am 23. Juni 2005 wegen des Vergehens gemäß §§ 15, 127 und 129 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt worden sei.

 

Schließlich müsse über dieses angeführte Vergehen hinaus in der Gesamtschau des Verhaltens des Bw seine mehrmalige und zum Teil schwerwiegende Zuwiderhandlung gegen Verwaltungsnormen in Betracht gezogen werden. So habe der Bw am 20.04.2005 wegen der Übertretung des § 20 Abs. 2 StVO, wegen der Übertretung des § 37 Abs. 1 FSG (2-malig), am 4. Oktober 2006 wegen der Übertretung des § 103 Abs. 2 KFG und am 20. Februar 2008 wegen der Übertretung des § 37a iVm. § 14 Abs. 8 FSG eine rechtskräftige Bestrafung erhalten.

 

Da aufgrund dieser Tatsachen die Voraussetzungen für den Erhalt der beantragten Niederlassungsbewilligung nicht gegeben seien, sei von der Behörde beabsichtigt, auch unter Berücksichtigung des vom Bw vorgetragenen Sachverhaltes, den Antrag auf Erteilung dieser Niederlassungsbewilligung abzulehnen.

 

Somit habe der Bw – auch für die Zukunft gesehen – keine Chance auf Legalisierung seines Aufenthaltes und es sei daher die Ausweisung auszusprechen.

 

Auch unter Beachtung des beim Bw bestehenden Privat- und Familienlebens und der damit verbundenen schutzwürdigen Interessen erweise sich die Ausweisung als zulässig. Dies sei in der Stellungnahme der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich festgehalten worden, indem in dieser Stellungnahme die Ausweisung unter Beachtung des Art 8 EMRK für zulässig erkannt wurde.

 

Diese Stellungnahme sei dem Bw am 7. Juni 2010 im Wege der rechtsanwaltlichen Vertretung zur Kenntnis gebracht worden und wurde vom Bw auch nicht widersprochen.

 

Die wesentlichen Aussagen in dieser Stellungnahme seien, dass sich der Bw seit 27. Juni 2002 seines unsicheren Aufenthaltes bewusst gewesen sein musste. Von einer beruflichen Integration sei nur mäßig auszugehen und dies dahingehend zu relativieren, dass der Bw bereits bei Aufnahme der Erwerbstätigkeiten wissen musste, dass er einen unsicheren Aufenthaltsstatus habe. Gleiches gelte auch für die Tatsache, dass der Bw in Österreich ein Privat- und erweitertes Familienleben geschaffen habe. Er durfte dahingehend nicht von Vornherein damit rechnen, dass nach einem allfällig negativen Ausgang des Asylverfahrens sein Verbleib in Österreich gesichert sei. Die familiäre Beziehung des Bw entstand daher auch im ungewissen Aufenthaltsstatus. Des weiteren vermindere das rechtswidrige Verhalten des Bw die soziale Komponente der Integration. Vermochte doch weder der Wunsch in Österreich ein dauerhaftes Leben zu führen, noch die Kenntnis über die Unsicherheit seines Aufenthaltes den Bw davon Abstand nehmen zu lassen, die österreichische Rechtsordnung zu missachten.

 

Die belangte Behörde folgerte daraufhin daraus, dass der vom Bw verwirklichte Sachverhalt eine so schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstelle, dass eine Ausweisung des Bw zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art 8 Abs. 2 EMRK) geboten sei. Das im § 53 Abs. 1 FPG – in der damals geltenden Fassung – eingeräumte Ermessen sei daher im Sinne des Bescheidspruches zu handhaben und eine Ausweisung auszusprechen.

 

2. Mit Schriftstück vom 30. September 2010 erhob der Bw durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter unter einem mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand das Rechtsmittel der Berufung. Mit Bescheid vom 11. Oktober 2010 – zugestellt durch Übernahme am 18. Oktober 2010 – gab die belangte Behörde dem zuvor erwähnten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 30. September 2010 wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist gegen die Ausweisung des Bezirkshauptmannes des Bezirkes Perg vom 26. August 2010, Sich40-9840/2-2010, statt.

 

Im Rahmen der verbunden eingebrachten Berufung bringt der Bw weiters vor, dass die erstinstanzliche Behörde verpflichtet gewesen wäre, das anhängige Niederlassungsbewilligungsverfahren abzuwarten. Insoweit hier nicht die rechtliche erhebliche Vorfrage abgewartet worden sei, liege eine Verletzung von Verfahrensvorschriften vor.

 

Der Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Erkenntnis vom 14. September 2009, Zl. 2009/21/0149, entschieden, dass selbst bei Beschwerden gegen so genannte Bleiberechtsentscheidungen diese eine aufschiebende Wirkung haben und die Entscheidung über einen derartigen Antrag im Inland abgewartet werden dürfe.

 

Es sei daher überhaupt nicht ersichtlich, aus welchen Gründen die gegenständliche Ausweisungsentscheidung erging. Der angefochtene Bescheid sei daher aus Gründen der unrichtigen rechtlichen Beurteilung aufzuheben.

 

Hinzu komme, dass beim Bw jedenfalls von einem gesicherten Lebensunterhalt auszugehen sei, zumal er einer Beschäftigung als Facharbeiter nachgehe und ein entsprechendes, die Selbsterhaltungsfähigkeit begründendes, Einkommen erziele.

 

Zudem sei der Bw mit einer österreichischen Gattin verehelicht, habe sohin ein aufrechtes Familienleben und sei daher unter Beachtung des Art 8 EMRK eine Ausweisung schon aus diesem Grunde aus Österreich unzulässig. Der Bw habe überdies im gegenständlichen Antragsverfahren gem. § 44 Abs. 4 NAG ausgeführt, dass er mit seiner Gattin seit Jänner 2004 verehelicht sei und darüber hinaus 1.200,- Euro als Dachdecker verdiene. Seine Frau sei seit 20 Jahren in Österreich aufhältig und er habe eine in Österreich geborene Tochter (X, geb. X). Ein zweites Kind solle noch im Oktober 2010 zur Welt gebracht werden. Überdies besuche die Tochter des Bw den Kindergarten in Mauthausen.

 

Durch die Ausweisung werde in das Privat- und Familienleben des Bw eingegriffen. Die erstinstanzliche Behörde habe zu der familiären Situation des Bw überhaupt keine Feststellungen getroffen, sodass aus diesem Grund wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften und wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der angefochtene Bescheid aufgehoben werden müsse.

 

Daher stelle der Bw folgende Anträge:

1. Die Berufungsbehörde möge den angefochtenen Bescheid des Bezirkshauptmannes des Bezirkes Perg vom 26.08.2010 wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufheben und der erstinstanzlichen Behörde zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidungsfindung zurückverweisen;

in eventu

2. den angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung aufheben und feststellen, dass eine Ausweisung aus dem Grunde des § 53 Abs. 1 FPG aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich nicht zulässig sei;

in eventu

3. das gegenständliche Verfahren zu unterbrechen bis zur Abklärung der wesentlichen Vorfrage, inwieweit nach § 44 Abs. 4 NAG dem Bw eine Niederlassungsbewilligung zustehe.

 

3. Die belangte Behörde legte zunächst den in Rede stehenden Verwaltungsakt der Sicherheitsdirektion für Oberösterreich vor.

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 38/2011 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass der Unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist, weshalb der in Rede stehende Verwaltungsakt von der Sicherheitsdirektion – nach In-Krafttreten der Novelle am 1. Juli 2011 – dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich übermittelt wurde.

 

3.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde, durch Abfrage des Zentralen Melderegisters, sowie durch Abfrage der EKIS-Datenbank. Überdies wurde ein aktueller Sozialversicherungsdatenauszug angefordert. Auf Anfrage bei der belangten Behörde bringt diese dem Unabhängigen Verwaltungssenat überdies zur Kenntnis, dass Frau X am 16. Oktober 2000 die unbefristete Niederlassungsbewilligung erhalten hat. Sie ist nach wie vor als türkische Staatsbürgerin anzusehen, eine Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft ist der belangten Behörde nicht bekannt. Frau X sei mit Herrn X verheiratet und eine konkrete Heiratsurkunde liege aber nicht im Akt der belangten Behörde auf. Auch in der Geburtsurkunde von der Tochter X werde die Mutter mit dem Familiennamen X bezeichnet.

 

Am 5. Oktober 2010 wurde in Linz das 2. Kind von Frau X geboren. Dieses Kind trägt den Namen X (weiblich). In der Geburtsurkunde vom 14. Oktober 2010 ist Herr X als Vater angeführt.

 

Hinsichtlich der Deutschkenntnisse von Herrn X führt die belangte Behörde aus, dass der Bw im Zeitraum von Jänner 2002 bis April 2002 einen Deutschkurs bei der Volksschule X besucht hat. Überdies seien keine Verständigungsschwierigkeiten im Rahmen der deutschen Sprache im Zuge des Behördenverkehrs mit dem Bw erinnerlich.

 

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte daher abgesehen werden, weil eine solche nicht erforderlich war, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lässt (§ 67d AVG).

 

3.2. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1. und 2. dieses Erkenntnisses dargestellten, völlig unbestrittenen Sachverhalt aus.

 

Darüber hinaus stellt der Unabhängige Verwaltungssenat fest, dass der Bw der deutschen Sprache ausreichend mächtig ist. Entgegen dem Vorbringen in der Berufung des Bw geht der Verwaltungssenat davon aus, dass der Bw mit einer türkischen Staatsangehörigen verheiratet ist und aus dieser Beziehung ein am 5. Oktober 2010 geborenes, zweites Kind entsprungen ist.

 

Weiters ist davon auszugehen, dass der Bw bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen unmittelbar wieder bei der Fa. X zu arbeiten beginnen kann (siehe dazu Bescheid der belangten Behörde zum NAG-Verfahren vom 26. August 2010 zu GZ: Sich40-98401-2010KG).

 

3.3. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

4. In der Sache hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erwogen:

 

4.1.1. Gemäß § 125 Abs. 14 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, gelten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassene Ausweisungen gemäß § 53 als Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter, mit der Maßgabe, dass ein Einreiseverbot gemäß § 53 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 damit nicht verbunden ist.

 

4.1.2. Die bekämpfte Ausweisung wurde auf Basis des § 53 FPG in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011, erlassen, weshalb diese Ausweisung als Rückkehrentscheidung im Sinne des § 52 FPG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 anzusehen und zu beurteilen ist.

 

4.2.1. Gemäß § 52 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, ist gegen einen Drittstaatsangehörigen, sofern nicht anderes bestimmt ist, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Berufung gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 66 Abs. 4 AVG auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

 

4.2.2. Im vorliegenden Fall ist zunächst auch vom Bw selbst unbestritten, dass er über keinerlei Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügt und somit grundsätzlich unrechtmäßig aufhältig ist. Dem steht auch nicht die vom Bw in seiner Berufung zitierte Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Zl. 2009/21/0149 vom 14. September 2009 entgegen, da auch nach dieser Rechtssprechung alleine aus der Antragstellung bzw. dem Anhängigsein eines Verfahrens nach § 44 Abs. 4 NAG (alt) kein Aufenthaltsrecht abzuleiten ist. Folglich besteht auch für die Fremdenpolizeibehörde kein Hindernis für die Verhängung einer Ausweisung. Vielmehr besteht nach der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine Verpflichtung des Drittstaatsangehörigen in dieser Verfahrensphase das Bundesgebiet zu verlassen bzw. ist der Drittstaatsangehörige davor geschützt abgeschoben zu werden.

 

4.3.1. Gemäß Art 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

Nach Art 8 Abs. 2 EMRK ist allerdings ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs. 1 (nur) statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

4.3.2. Gemäß § 61 Abs. 1 FPG ist, sofern durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Nach § 61 Abs. 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.      die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der        bisherige          Aufenthalt des Fremden rechtmäßig war;

2.      das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.      die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.      der Grad der Integration;

5.      die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.      die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.      Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des      Asyl-          Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.      die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem   Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren   Aufenthaltstatus bewusst waren;

9.      die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden       zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 3 FPG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein aufgrund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51ff. NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

Nach § 125 Abs. 20 FPG, gelten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 38/2011 vorgenommene Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 66 als Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 61 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter.

 

4.4.1. Im Sinne der zitierten Normen ist eine Interessenabwägung – basierend auf einer einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung – vorzunehmen.

 

Gestützt auf die ständige Rechtsprechung der Höchstgerichte ist es grundsätzlich zulässig und erforderlich, Maßnahmen zu ergreifen, um den unrechtmäßigen Aufenthalt einer Person zu beenden, da ein solcher rechtswidriger Status fraglos dazu geeignet ist, die öffentliche Ordnung eines Staates massiv zu beeinträchtigen. Daraus folgt, dass das diesbezügliche öffentliche Interesse hoch anzusetzen ist und eine Rückkehrentscheidung grundsätzlich ein nicht inadäquates Mittel darstellt, um einen rechtskonformen Zustand wiederherzustellen. Dies gilt jedoch nur insofern, als die privaten bzw. familiären Interessen im jeweils konkreten Einzelfall nicht als höherrangig anzusehen sind.

 

4.4.2. Der belangten Behörde folgend, ist durch die Verhängung der Ausweisung ein Eingriff in das bestehende Privat- und Familienleben des Bw zu erkennen. Es hat daher die Interessensabwägung gem. § 61 Abs. 2 FPG hinsichtlich des Privat- und Familienlebens des Bw stattzufinden, wobei insbesondere auf die Ehe des Bw mit der türkischen Staatsbürgerin, X, Bezug zu nehmen ist. Dahingehend gilt es zu beachten, dass die angesprochene Ehefrau zwar nicht österreichische Staatsbürgerin ist, aber mit 16. Oktober 2000 eine unbefristete Niederlassungsbewilligung erhalten hat. Weiters gilt es, die berufliche und soziale Integration, das Asylverfahren und die lange Aufenthaltsdauer sowie das Vorhandensein zweier Kinder, welche in Österreich aufhältig sind und bei der Mutter leben, mit zu beachten.

 

Gemäß § 61 Abs. 2 Z 6 ist bei der Interessensabwägung im Rahmen des Art. 8 EMRK die strafrechtliche Unbescholtenheit des Bw mit zu berücksichtigen. Gemäß § 1 Tilgungsgesetz, BGBl. Nr. 68/1972 idF. BGBl. 1 Nr. 122/2009, tritt die Tilgung gerichtlicher Verurteilungen, sofern sie nicht ausgeschlossen ist (§ 5 Tilgungsgesetz), mit Ablauf der Tilgungsfrist kraft Gesetzes ein. Gemäß § 1 Abs. 2 Tilgungsgesetz erlöschen mit der Tilgung einer Verurteilung alle nachteiligen Folgen, die kraft Gesetzes mit der Verurteilung verbunden sind, soweit sie nicht in dem Verlust besonderer auf Wahl, Verleihung oder Ernennung beruhender Rechte bestehen. Mit Strafregisterauszug vom 20. Oktober 2011 scheinen für den Bw keine Verurteilungen im Strafregister der Republik Österreich auf. Insofern ist davon auszugehen, dass die gem. § 3 Tilgungsgesetz vorgesehen Frist abgelaufen ist und die Rechtswirkungen gem. § 1 Abs. 2 Tilgungsgesetz für den Bw eingetreten sind. Es ist daher zu Gunsten des Bw, entgegen der Annahmen der belangten Behörde, von der strafgerichtlichen Unbescholtenheit auszugehen.

 

Im Hinblick auf den über 10 Jahre währenden Aufenthalt in Österreich ist im Besonderen auf die jüngste Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abzustellen. Wie folgt wiedergegeben hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, GZ: 2009/21/0348, einer sozialen Integration, obwohl sie in einem Zeitraum entstanden ist, während dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war, zumindest ein geringes Gewicht beigemessen und diese nicht als unbeachtlich angesehen.

 

Das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich ist in seinem Gewicht gemindert, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen (E. vom 22. Oktober 2009, Zl. 2009/21/0293; E. vom 29. September 2009, Zl. 2009/21/0253; E. des VfGH vom 3. März 2008, B 825/07 mit Bezug auf die Urteile des EGMR vom 31. Jänner 2006, Rodrigues da Silva und Hoogkaamer gegen die Niederlande [Beschwerde Nr. 50435/99] und vom 31. Juli 2008, Darren Omoregie u.a. gegen Norwegen [Beschwerde Nr. 265/07]). Der EGMR stellt in den angesprochenen Urteilen darauf ab, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die betroffenen Personen bewusst waren, der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes sei derart, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland von vornherein unsicher ist. Sei das der Fall, bewirke eine Ausweisung des ausländischen Familienangehörigen nur unter ganz speziellen bzw. außergewöhnlichen Umständen ("in exceptional circumstances") eine Verletzung von Art 8 EMRK (vgl.: E vom 19. Februar 2009, Zl. 2008/18/0721, E. vom 30. April 2009, Zl. 2009/21/0086). In diesem Sinn ist nach der Z. 8 des § 66 Abs. 2 FPG [in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011] aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Annordnung bei der Interessensabwägung darauf Bedacht zu nehmen, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war. Freilich hat die genannte Bestimmung schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte.

 

Im Erkenntnis vom 20. Jänner 2011, Zl. 2010/22/0158, hat der Verwaltungsgerichtshof bei einer im Wesentlichen vergleichbaren Sachlage, jedoch eines über 10 Jahre bestehenden Aufenthaltes, dem persönlichen Interesse des Fremden am Verbleib in Österreich ein solches Gewicht beigemessen, dass eine Ausweisung unzulässig ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat dabei wie folgt ausgeführt: Der Beschwerdeführer verweist auf seine Erwerbstätigkeit und darauf, dass er sich während seines Aufenthaltes in Österreich "in privater Hinsicht sehr gut integriert" habe. Die belangte Behörde hob zwar zu Recht hervor, dass dem Beschwerdeführer bereits nach erstinstanzlicher Abweisung seines Asylantrages die Unsicherheit seines Aufenthaltsstatus bewusst war, er somit nicht mit einem legalen Aufenthalt in Österreich rechnen durfte. Sie ist auch darin im Recht, dass dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. für viele etwa das Erkenntnis vom 6. Juli 2010, 2008/22/0688). Dementsprechend haben Fremde nach Abweisung ihres Asylantrages grundsätzlich den rechtmäßigen Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet herzustellen. Demgegenüber vermag der Beschwerdeführer jedoch einen bereits über zehnjährigen Aufenthalt in Österreich für sich ins Treffen zu führen und es stellte die belangte Behörde auch fest, dass er erwerbstätig ist. Diese Umstände verleihen dem persönlichen Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich ein solches Gewicht, dass die Ausweisung – auch bei einem Eingriff nur in sein Privatleben – unverhältnismäßig erscheint (vgl. zu ähnlichen Fällen etwa die E. vom 26. August 2010, 2010/21/0206 und 2010/21/0009).

 

4.4.3. Wie sich aus dem Sachverhalt ergibt, befindet sich der Bw schon mehr als 10 Jahre im Bundesgebiet, verfügte für den überwiegenden Teil seines Aufenthaltes über eine Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber, ging mit Unterbrechungen von 3. April 2002 bis zum 12. November 2010 einer Erwerbstätigkeit nach, war somit den Großteil dieser Zeit seines Aufenthaltes selbsterhaltungsfähig und sozialversichert, lebt in Ehe mit einer türkischen Staatsangehörigen, die in Österreich eine unbefristete Niederlassungsbewilligung besitzt und hat mit dieser bereits 2 Kinder.

 

In Ansehung des bereits über 10-jährigen Aufenthalts des Bw im Bundesgebiet der Republik Österreich kann diesem somit im Sinne der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hohes Maß an Integration zugemessen werden.

 

Dafür spricht auch das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens mit einer in Österreich zum Aufenthalt berechtigten türkischen Staatsangehörigen. Auch kann der Bw – wenn auch nicht gänzlich durchgehend – auf eine langjährige berufliche Tätigkeit verweisen.

 

Darüber hinaus ist das private Interesse am Erhalt des Familienlebens mit der Gattin des Bw als hoch zu veranschlagen, zumal diese Ehe bereits im Jänner des Jahres 2004 geschlossen wurde. Da die Ehegattin des Bw bereits langjährig in Österreich aufhältig ist (im Zeitpunkt der Berufung sind dies als 20 Jahre zu veranschlagen), kann auch davon ausgegangen werden, dass dem Bw ein entsprechendes soziales, integratives Netzwerk zur Verfügung steht, zu welchem er über seine Frau Zugang erhalten hat. Auch der Besuch des Kindergartens durch seine Tochter legt nahe, dass der Bw in das gesellschaftliche und soziale Leben – zumindest in Mauthausen – integriert ist. Da der Bw im Alter von ca. 19 Jahren (im Jahr 2002) bereits nach Österreich gekommen ist und hier wesentliche private wie familiäre Lebensabschnitte beschritten hat (Ehe, Kinder), kann davon ausgegangen werden, dass seine Bindung zur Republik Österreich die Bindung zum Heimatstaat überwiegt.

 

Im Lichte der jüngsten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist somit im vorliegenden Fall nicht mehr die Frage des unsicheren Aufenthaltes nach § 61 Abs. 2 Z 8 FPG näher zu erörtern, sondern bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände festzustellen, dass die für die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung sprechenden, privaten Elemente, die des öffentlichen Interesses gem. Art 8 Abs. 2 EMRK überwiegen.

 

Nicht zuletzt ist eher davon auszugehen, dass gemäß § 61 Abs. 2 Z 9 FPG von einer eher in die Sphäre der Behörden fallenden langen Verfahrensdauer gesprochen werden muss.

 

Die dargelegten Umstände verleihen daher dem persönlichen Interesse des Bw am Verbleib in Österreich ein solches Gewicht, dass die Ausweisung unverhältnismäßig ist (vgl. zu ähnlichen Konstellationen VwGH vom 26.August 2010, Zlen. 2010/21/0206 und 2010/21/0009).

 

4.4.4. Im Ergebnis ist daher auch eine Rückkehrentscheidung im Hinblick auf das Privatleben des Bw gem. § 61 Abs. 3 FPG auf Dauer unzulässig.

 

4.5. Es war daher der Berufung stattzugeben, der angefochtene Bescheid aufzuheben und es war spruchgemäß zu entscheiden.

 

4.6. Im Hinblick darauf, dass der Bw ausreichend der deutschen Sprache mächtig ist, konnte gemäß § 59 Abs. 1 FPG von der Übersetzung des Spruches und der Rechtsmittelbelehrung Abstand genommen werden.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von insgesamt 14,30 Euro (Stempelgebühren) angefallen.

 

 

 

 

Christian Stierschneider

 

 

 

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