Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-401130/9/SR/Jo

Linz, 21.11.2011

 

E R K E N N T N I S

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Beschwerde des X, geboren am X, russischer Staatsangehöriger, vertreten durch X, wegen Verhängung der Schubhaft und Anhaltung in Schubhaft vom 6. bis 7. Oktober 2011 durch den Polizeidirektor von Linz, zu Recht erkannt:

 

 

 

I.            Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen. 

 

II.        Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Verfahrenspartei: Polizeidirektor von Linz) den Verfahrensaufwand in Höhe von 426,20 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

 

 

 

Rechtsgrundlagen:

§§ 82 Abs. 1 und 83 Abs. 2 und 4 Fremdenpolizeigesetz – FPG (BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 38/2011) iVm §§ 67c und 79a Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG und der UVS-Aufwandsersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 456/2008.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

 

1. Der Unabhängige Verwaltungssenat geht auf Grund der Aktenlage in Verbindung mit der eingebrachten Beschwerde, der Gegenschrift, der dazu vorgelegten Stellungnahme und den ergänzend vorgelegten Aktenteilen vom nachstehenden Sachverhalt aus:

 

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf), ein Staatsangehöriger von Russland (tschetschenische Volksgruppe), geboren am X, ist laut eigenen Angaben über Polen kommend am 24. Mai 2005 illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Am 25. Mai 2005 stellte der Bf beim Bundesasylamt, Außenstelle Linz, seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz (im Folgenden: Asylantrag).

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 11. September 2006, Zl. 05 07.584-BAL, wurde der Asylantrag gemäß § 7 AsylG abgewiesen, seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Kamerun gemäß § 8 leg. cit. für zulässig erklärt und der Bf aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Russland ausgewiesen.

 

Die dagegen eingebrachte Berufung/Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 20. Mai 2011, Zl. D9 305947-1/2008/13E, zugestellt am 26. Mai 2011, den Asylantrag ab und verfügte die Ausweisung des Bf nach Russland.

Zum Gesundheitszustand führte der Asylgerichtshof in der Erkenntnisbegründung aus, dass der Bf an keiner Krankheit leide, die einer Rückführung in den Herkunftsstaat entgegenstehe. Im vorliegenden Fall stehe zweifellos fest, dass der Bf an einer bereits seit dem Kleinkindalter bestehenden körperlichen Behinderung und mentaler Retardation leide, insgesamt jedoch keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne des EGMR vorliegen würden, die eine Rückkehr in seinen Heimatstaat unzumutbar erscheinen ließen. So habe der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 6. März 2008, B 2400/07-9, ausgeführt, dass ein Fremder im Allgemeinen kein Recht habe, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leide oder selbstmordgefährdet sei. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwer zugänglich oder kostenintensiver sei, sei unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielland gebe. Aus den Länderfeststellungen ergebe sich, dass das russische bzw. tschetschenische Gesundheitssystem grundsätzlich funktionsfähig und medizinische (Grund-) Versorgung flächendeckend verfügbar sei. Zudem habe die ÖB Moskau mitgeteilt, dass im Heimatort des Bf ein neu errichtetes Krankenhaus existiere, in welchem dessen Leiden kostenlos behandelt würden und auch die Medikamente, die der Bf in Österreich erhalte, zumindest als Generika verfügbar seien. Insofern im Schriftsatz vom 15. Mai 2011 nochmals auf den schlechten Gesundheitszustand des Bf bzw. dessen Körperbehinderung und Pflege- sowie Therapiebedürftigkeit hingewiesen wurde, bleibe neutral festzustellen, dass dessen Krankheit bereits seit frühester Kindheit bestehe und er mit dieser bereits bis zu seinem 30. Lebensjahr in seiner Heimat zurecht gekommen sei. Das im Zuge von Kriegshandlungen zerstörte Krankenhaus, in dem der Bf bereits früher behandelt worden ist, sei kürzlich neu eröffnet worden und biete sowohl entsprechende Behandlungen für die beim Bf festgestellten Krankheitsbilder als auch den Bezug der von diesem benötigten entsprechenden Pharmaka an. Im Hinblick auf die vom Bf in Österreich durchgeführten physiotherapeutischen Behandlungen und Übungen bzw. dessen teilweiser Pflegebedürftigkeit sei nochmals hervorzuheben, dass noch drei Brüder, eine Schwester und die Mutter des Bf in dessen Heimat leben würden und diese ihm – falls notwendig – in diesbezüglicher Hinsicht zur Seite stehen könnten.

 

Mit Schriftsatz vom 28. Juni 2011 beantragte der Bf beim Verfassungsgerichtshof die Bewilligung der Verfahrenshilfe (die Bewilligung ist bis dato nicht erfolgt).

 

1.2. Auf Grund der Mitteilungen des Bundesasylamtes leitete die belangte Behörde das fremdenpolizeiliche Verfahren ein und erließ am 20. Juni 2011 gegen den Bf einen Ladungsbescheid (Klärung der Identität).

 

Mit Schreiben vom 29. Juni 2011 gab der Migrantinnenverein X bekannt, dass der Bf beim Verfassungsgerichtshof um Verfahrenshilfe angesucht habe und die belangte Behörde von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes absehen möge.

 

Am 6. Juli 2011 wies die belangte Behörde den Bf schriftlich und mündlich (Information wurde von einem Dolmetscher übersetzt) auf seine unverzügliche Ausreiseverpflichtung hin, forderte ihn gleichzeitig zur unverzüglichen Ausreise auf und brachte ihm die Folgen einer Weigerung (fremdenpolizeiliche Maßnahmen – Abschiebung) zur Kenntnis. Die Übernahme der Information wurde vom Bf eigenhändig bestätigt.

 

Mit Schreiben vom 14. Juli 2011 ersuchte die belangte Behörde das BMI um Erwirkung eines Heimreisezertifikates für den Bf bei der russischen Botschaft. Am 8. September 2011 übermittelte das BMI der belangten Behörde das von der russischen Botschaft am 8. September 2011 ausgestellte Heimreisezertifikat für den Bf.

 

1.3. Mit Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 8. September 2011, Zl. 1070998/FRB, nachweislich zugestellt an den Vertreter (Migrantinnenverein X), wurde über den Bf – zur Sicherung seiner Abschiebung nach Russland – das gelindere Mittel (tägliche persönliche Meldung bei der PI X, in der Zeit von 06.00 bis 22.00 Uhr) angeordnet. Im Bescheid wurde angemerkt, dass die angeführten Anordnungen den Bf nicht an einer freiwilligen Ausreise hindern würden. Gegen den vorliegenden Bescheid wurde kein Rechtsmittel eingebracht und dieser ist nach Ablauf der Rechtsmittelfrist in Rechtskraft erwachsen.

 

Der Bf ist seiner Meldeverpflichtung bis zum 27. September 2011 (11.13 Uhr) nachgekommen.

 

1.4. Am 16. September 2011 ersuchte die belangte Behörde die SID Oberösterreich um Zustimmung zur Abschiebung des Bf nach Russland.

U.a. brachte die belangte Behörde vor, dass der Verfassungsgerichtshof einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung noch nicht zuerkannt habe. Der Bw melde sich seit dem 14. September 2011 im gelinderen Mittel. Er verwende dabei keinen Rollstuhl, die tägliche Meldung falle ihm laut Sozialberaterin aber sehr schwer. Der Bf besitze seit 2006 einen Behindertenausweis und der Grad der Behinderung sei mit 100 % festgestellt worden. Im Anschluss daran wurde die aktuelle Krankengeschichte dargestellt.

 

Mit Fax vom 16. September 2011 übermittelte das Bundesasylamt ein Schreiben der X vom 26. Juni 2006 samt Diagnosen. Demnach leide der Bf an Kinderlähmung, sei spastisch gelähmt und könne ohne Begleitperson nicht reisen. Diese Unterlagen wurden der SID Oberösterreich unverzüglich nachgereicht.

 

Die Sicherheitsdirektion Oberösterreich erteilte am 20. September 2011 vorerst fernmündlich die Zustimmung zur Abschiebung des Bf. Das BMI wurde von der Zustimmung am 26. September 2011 in Kenntnis gesetzt und die Flugabschiebung für den 4. Oktober 2011 in Begleitung von drei Beamten geplant. Per Fax vom 26. September 2011 übermittelte die Sicherheitsdirektion Oberösterreich die Zustimmung zur Abschiebung und nahm dabei auf die besonderen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und die medizinische Versorgungslage in Russland Bedacht.

 

Über Ersuchen der belangten Behörde folgte die PI X dem Bf am 27. September 2011 um 11.31 Uhr die Information über die bevorstehende Abschiebung am 4. Oktober 2011 von Wien Schwechat nach Moskau in Begleitung von drei Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes aus. Im Informationsschreiben (russisch/deutsch) wurde der Bf darauf hingewiesen, dass er im Falle der Versäumung des Abschiebetermins mit fremdenpolizeilichen Zwangsmaßnahmen (insbesondere Schubhaft) zu rechnen habe, wenn ihm die Terminversäumung zuzurechnen sei.

 

Am 27. September 2011 erklärte der Bf seine freiwillige Rückkehr (Formblatt "Freiwillige Rückkehr – Verständigungsformular", Anlage 11, versehen mit der Unterschrift des Bf und einem X Stempel ohne Unterschrift) und widerrief diese am 29. September 2011 (Formblatt "Freiwillige Rückkehr – Verständigungsformular", Widerruf/Abbruch der freiwilligen Rückkehr, Anlage 11, keine Unterschrift des Bf, jedoch versehen mit einem X Stempel ohne Unterschrift).

 

1.5. Mit E-Mail vom 29. September 2011, 22.06 Uhr, gab die PI X bekannt, dass der Bf weder am 28. noch am 29. September 2011 auf der PI erschienen und somit seiner Meldeverpflichtung nicht nachgekommen sei.

 

Auf Grund der Verletzung der Meldeverpflichtung erließt die belangte Behörde am 30. September 2011 einen Festnahmeauftrag und einen Durchsuchungsauftrag.

 

Die erfolgte Nachschau an der Wohnadresse verlief negativ. Persönliche Unterlagen wurden vorgefunden. Den einschreitenden Beamten teilte die Leiterin des Flüchtlingshauses mit, dass der Bf bereits seit dem 28. September 2011 nicht mehr anwesend und die Abmeldung bereits eingeleitet worden sei. Auch ein weiterer Vorführversuch am 3. Oktober 2011 scheiterte. Die Nachschau an der ursprünglichen Wohnadresse verlief wiederum negativ.   

 

1.6. Im Hinblick auf das Untertauchen des Bf und seinen unbekannten Aufenthaltsort brach die belangte Behörde den Abschiebevorgang ab (Storno der Flugtickets).

 

1.7. Am 6. Oktober 2011 nahmen Beamte der PI X den Bf im Zuge des Streifendienstes in 4020 Linz, Kärntnerstraße 14-16 vor dem Würstelstand X (gegenüber dem Hauptbahnhof), an einer Ampel wartend, wahr. Auf Grund des vorliegenden Festnahmeauftrages der belangten Behörde wurde der Bf nach umfassender Information um 16.30 Uhr festgenommen und in der Folge dem Journalbeamten vorgeführt.

In der Meldung des SPK Linz, PI X, vom 6. Oktober 2011, GZ E1/49193/2001-dorn, wurde festgehalten, dass der Bf jegliche Kooperation verweigert habe und mit seinem Rechtsanwalt X Kontakt aufnehmen wollte. Nach der Überstellung in das PAZ Linz habe der Journalbeamte die Vorführung vor den Polizeiarzt und nach der Feststellung der Haftfähigkeit die Abgabe in den Arrest angeordnet. Mit der Gattin des Rechtsvertreters (tätig in einer Betreuungsorganisation in Wien) sei telefonisch Kontakt aufgenommen und ihr der vorliegende Sachverhalt mitgeteilt worden. Diese habe ihren Unmut über die Festnahme eines sichtlich Beeinträchtigten durch eine "gewissenlose Polizei" geäußert.

 

1.8. Mit Bescheid vom 6. Oktober 2011, AZ 1070998/FRB, ordnete die belangte Behörde auf der Rechtsgrundlage des § 76 Abs. 1 FPG iVm. § 57 AVG gegen den Bf die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung (§ 46 FPG) an.

 

Nach Wiedergabe der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen und des relevanten Sachverhalts stellte die belangte Behörde im Wesentlichen darauf ab, dass der Bf ab Kenntnisnahme des bevorstehenden Abschiebetermins seiner täglichen Meldeverpflichtung, der er bis zu diesem Zeitpunkt anordnungsgemäß nachgekommen war, nicht mehr Folge geleistet habe. Aus dem weiteren Verhalten (Anmeldung zur freiwilligen Rückkehr am 27. September 2011 und Widerruf dieser Anmeldung am 29. September 2011) in Verbindung mit dem dauerhaften Verstoß gegen das gelindere Mittel (Nichtmeldung, endgültiges Verlassen der Wohnsitzadresse) schloss die belangte Behörde, dass sich der Bf seiner Abschiebung nicht freiwillig zur Verfügung halten werde und verhängte gestützt auf § 77 Abs. 4 FPG die Schubhaft.

 

Der Originalbescheid wurde vom Bf am 6. Oktober 2011 um 18.45 Uhr persönlich übernommen, die Übernahmebestätigung jedoch verweigert.

 

Mit Fax vom 6. Oktober 2011 ersuchte der Migrantinnenverein X unter Hinweis auf die bekannte (und beigelegte) Vollmacht um Übermittlung des Schubhaftbescheides. Dem Ersuchen kam die belangte Behörde unverzüglich nach.

 

1.9. Im Zuge der niederschriftlichen Befragung am 7. Oktober 2011 ab 08.32 Uhr brachte der Bf vor, dass er nicht verstehe, warum er in Schubhaft genommen worden sei. Sein Anwalt X habe ihm am Mittwoch gesagt, dass er erreicht habe, dass die Abschiebung nicht stattfinde. Weiters habe er ihm gesagt, dass er heute (7. Oktober 2011) zu ihm kommen solle, um die weitere Vorgangsweise (eventuell die Stellung eines neuerlichen Asylantrages) zu besprechen. Er glaube auch, dass der Anwalt das Höchstgericht angerufen habe. Seit ein paar Tagen (möglicherweise einer Woche) wohne er bei seinem Cousin in Wien. Die Adresse wisse er nicht. Gestern sei er allein mit dem Zug von Wien nach Linz gereist um sich von seiner Wohnung die restlichen Sachen zu holen. Er sei bereits in der Wohnung gewesen und habe sich das Notwendigste mitgenommen. Auf dem Weg zum Bahnhof (er wollte wieder nach Wien reisen) sei er festgenommen worden. Bei der Polizei habe er sich im gelinderen Mittel deshalb nicht mehr gemeldet, weil er sich der Abschiebung entziehen wollte. Er hätte sich solange versteckt halten wollen, bis der Anwalt die Aufhebung der Abschiebung erreicht hat. Vor Verständigung der Botschaft möchte er sich mit seinem Anwalt beraten.

Abschließend wurde dem Bf mitgeteilt, dass er heute noch in ein anderes Polizeigefangenenhaus überstellt werde. Da Abschiebung beabsichtigt sei und das Heimreisezertifikat verlängert werden müsse, sei die Dauer der Anhaltung unbekannt.

 

1.10. Am 7. Oktober 2011 wurde der Bf um 11.30 Uhr aus der Schubhaft entlassen, da auch das PAZ X einen Haftplatz für Behinderte "mit Betreuung für die Körperpflege" nicht zur Verfügung stellen konnte (Aktenvermerk vom 7. Oktober 2011).

 

1.11. Laut weiterem Aktenvermerk vom 7. Oktober 2011 wurde der Bescheid vom 8. September 2011 (gelinderes Mittel) aufgehoben.

 

Mit Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 7. Oktober 2011, Zl. 1070998/FRB, nachweislich zugestellt an den Vertreter (Migrantinnenverein X), wurde neuerlich über den Bf – zur Sicherung seiner Abschiebung nach Russland – das gelindere Mittel (tägliche persönliche Meldung bei der PI X, in der Zeit von 06.00 bis 22.00 Uhr) angeordnet. Im Bescheid wurde angemerkt, dass die angeführten Anordnungen den Bf nicht an einer freiwilligen Ausreise hindern würden. Gegen den vorliegenden Bescheid wurde bis dato (laut Aktenlage) kein Rechtsmittel eingebracht.

 

2.1. Mit der am 7. Oktober 2011 per FAX übermittelten Eingabe (FAX-Kennung 07/10/2011 11:19), erhob der Bf durch seinen Rechtsvertreter X Beschwerde gegen die Verhängung der Schubhaft mit Bescheid 1070998/FRB vom 6. Oktober 2011, erachtete die Schubhaftverhängung, die Festnahme und die weitere Anhaltung für rechtswidrig und stellte die Anträge, der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich möge die Anordnung der verhängten Schubhaft, die Festnahme und die weitere Anhaltung in Schubhaft für rechtswidrig erklären, eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen sowie der belangten Behörde den Ersatz der Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang auferlegen.

 

Einleitend brachte der Rechtsvertreter vor, dass das Asylverfahren nicht abgeschlossen sei, (da) der Bf am 28. Juni 2011 beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe gestellt habe. Dieser Antrag sei beim Verfassungsgerichtshof zur Zahl U 1374/11 protokolliert und dies der belangten Behörde im Rahmen der Berufung vom 14. September 2011 gegen den Bescheid vom 8. September 2011, mit dem das gelindere Mittel angeordnet worden war, mitgeteilt worden. Obwohl diese Anordnung auf Grund des Gesundheitszustandes des Bf schikanös sei, habe dieser die tätlichen Meldungen vollzogen. Es wäre zu erwarten gewesen, dass die Polizeibehörde dem Höchstgericht ein Minimum an Respekt entgegenbringe und die Entscheidung des Höchstgerichtes nicht unterlaufe, indem es den Bf nach Tschetschenien abschiebe, bevor die Entscheidung des Höchstgerichtes vorliege. Offensichtlich seien die Schmerzen und eine schlechte Beratung ausgenutzt worden, um den Bf zu einer freiwilligen Rückkehr zu nötigen.

 

Unter Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze wäre zu erwarten gewesen, dass die Berufungsentscheidung abgewartet werde, bevor die nicht täglich erfolgte schmerzhafte Meldung des Bf zum Anlass für die Inhaftierung genommen wird. Zwischen Berufungserhebung und Festnahme seien mehr als drei Wochen vergangen. In diesem Zeitraum sei die belangte Behörde völlig untätig geblieben.

 

Die Vorgangsweise der belangten Behörde, die tägliche Meldung anzuordnen, um dann überfallsartig die Abschiebung durchführen zu können, widerspreche der Richtlinie 2008/115/EG vom 16. Dezember 2008. Nach dieser Richtlinie sei eine angemessene Frist für die freiwillige Ausreise einzuräumen. Dies sei im vorliegenden Fall nicht geschehen, ebenso wenig, die Belehrung, dass die Möglichkeit bestünde, einen solchen Antrag zu stellen. Im vorliegenden Fall könne von einer Verhältnismäßigkeit bei der Anwendung von Zwangsmaßnahmen nicht die Rede sein und sie würden über die Grenzen des Vertretbaren hinausgehen. Die Zwangsmaßnahmen müssten unter Berücksichtigung der Menschenwürde und körperlichen Unversehrtheit des betreffenden Drittstaatsangehörigen angewandt werden.

 

Der Bf sei haftunfähig. Er leide an einer schweren Tetraplegie und Spastizität der gesamten Muskulatur. Es sei zu 100 % körperbehindert und brauche auch Hilfe  bei der Körperpflege und den täglichen Verrichtungen. Wegen der starken Schmerzmittel Profenid und Oxicontin brauche er zusätzlich das Magenschutzmittel Pantoprazol. Akineton sei ein Anti-Parkinson-Mittel und Psychopharmakon, das Tremor verringern solle und das Lioresal solle krampflösend wirken. Da der Bf zusätzlich regelmäßig Physiotherapie brauche, um überhaupt kurze Strecken gehen zu können, sei die Haft völlig unzumutbar und qualvoll.

 

Im vorliegenden Fall sei es geradezu zwingend erforderlich, gelindere Mittel anzuwenden, wobei auf die bisher nicht bearbeitete Berufung vom 14. September 2011 verwiesen werde.

 

2.2. Mit Schreiben vom 10. Oktober 2011 übermittelte die belangte Behörde den Fremdenakt, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde. Der Fremdenakt langte am 12. Oktober 2011 beim Oö. Verwaltungssenat ein.

 

Einleitend verwies die belangte Behörde auf den Schubhaftbescheid vom 6. Oktober 2011, teilte mit, dass sich der Bf nicht in Schubhaft befinde und nahm zu den einzelnen Beschwerdepunkten Stellung.

 

Entgegen der Ansicht des Bf sei das Asylverfahren abgeschlossen, die Ausweisung rechtskräftig und durchsetzbar. Die Einbringung eines Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe beim Verfassungsgerichtshof bedeute keinesfalls, dass das Asylverfahren wieder offen wäre. Eine Antragsstellung hindere die belangte Behörde nicht an der Durchführung fremdenpolizeilicher Maßnahmen. 

 

Von der Berufung gegen den Bescheid vom 8. September 2011 (Anordnung gelinderer Mittel) habe die belangte Behörde keine Kenntnis. Mit Schreiben vom 29. Juni 2011 habe der Migrantinnenverein X mitgeteilt, dass der bezeichnete Antrag beim Verfassungsgerichtshof eingebracht worden sei.

 

In der Anordnung des gelinderen Mittels der täglichen Meldepflicht könne keine schikanöse Maßnahme erkannt werden. Die PI X sei von der Wohnung des Bf aus gesehen die nächstgelegene Polizeiinspektion. Der Bf habe die täglichen Meldungen vollzogen, ohne sich bis zur Missachtung darüber zu beschweren. Im Übrigen vermeine der Bf selbst, dass die Anwendung gelinderer Mittel geradezu zwingend erforderlich sei. Er lege jedoch nicht dar, was er darunter verstehe.

 

Wie der niederschriftlichen Einvernahme vom 7. Oktober 2011 zu entnehmen sei, habe der Bf gegen die tägliche Meldepflicht nicht verstoßen, weil diese für ihn zu schmerzhaft gewesen wäre sondern er habe sich der Abschiebung entziehen wollen. Der Bf wollte sich so lange versteckt halten, bis sein Anwalt die Aufhebung der Abschiebung erreicht hat.

 

Bereits am 6. Juli 2011 sei dem Bf unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers mitgeteilt worden, dass er auf Grund einer durchsetzbaren Ausweisung zur unverzüglichen Ausreise verpflichtet sei. Dabei sei er auch auf die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise hingewiesen worden. Nachdem der Bf davon keinen Gebrauch gemacht habe, sei die Abschiebung in die Wege geleitet worden. Am 27. September 2011 sei der Bf nachweislich in russischer Sprache vom bevorstehenden Abschiebetermin am 4. Oktober 2011 in Kenntnis gesetzt worden. Im Wissen um die bevorstehende Abschiebung habe sich der Bf noch am selben Tag via X zur freiwilligen Rückkehr angemeldet. Der Widerruf sei am 29. September 2011 erfolgt. Die letztmalige Meldung in der PI X habe der Bf am 27. September 2011 (Tag der Verständigung vom bevorstehenden Abschiebetermin) vorgenommen. Polizeiliche Überprüfungen hätten ergeben, dass der Bf untergetaucht war und sich nicht mehr an der Wohnadresse aufgehaben habe. Bei der niederschriftlichen Befragung am 7. Oktober 2011 habe der Bf selbst angeführt, dass er in Wien untergetaucht sei. Die belangte Behörde habe daher die organisierte Abschiebung abbrechen müssen.

 

Dass der Bf haftunfähig sei, entspreche nicht den Tatsachen. Anlässlich der Einlieferung in das PAZ X sei der Bf vom Polizeiamtsarzt untersucht und für haftfähig befunden worden. Von der Aufrechterhaltung der Schubhaft habe abgesehen werden müssen, da die erforderliche Betreuung in einem behindertengerechten Arrestraum im PAZ X auch für die kurze zu erwartende Haftzeit nicht mit absoluter Sicherheit gewährleistet werden hätte können.

 

Abschließend erachtet die belangte Behörde die Verhängung der Schubhaft für verhältnismäßig. Die Organisation der Abschiebung hätte in relativ kurzer Zeit bewerkstelligt werden können, da die Identität des Bf festgestanden sei und ein abgelaufenes Heimreisezertifikat (zum Zeitpunkt der Schubhaftverhängung noch gültig) vorgelegen sei.

 

2.3. Mit Schreiben vom 24. Oktober 2011 wurde dem Rechtsvertreter des Bf die Gegenschrift der belangten Behörde in Kopie übermittelt und ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme binnen zwei Wochen eingeräumt.

 

Innerhalb offener Frist brachte der Migrantinnenverein X eine Stellungnahme ein.

 

Begründend führte der Vertreter aus, dass sich die belangte Behörde im Irrtum befinde, wenn sie meine, dass das Asylverfahren bereits abgeschlossen sei. Wie von der belangten Behörde anerkannt, habe der Bf nicht gegen die gelinderen Mittel verstoßen. Natürlich sei die Anwendung gelinderer Mittel die Alternative zur Schubhaft. Wie die blitzschnelle Entlassung aus der Schubhaft beweise, lasse der Gesundheitszustand des Bf offensichtlich eine Schubhaft unter keinen Umständen zu.

Verwunderlich sei, wenn die belangte Behörde meine, dass die rechtsstaatlichen Grundsätze im Falle der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Berufung beachtet würden. Wenn ein Beschwerdeführer abgeschoben wird, bevor über seine Berufung gegen die Abschiebung entschieden werden kann, sei dies vielleicht eine Arbeitserleichterung für die belangte Behörde.

Völlig entgegen den Tatsachen sei die Behauptung, der Bf habe untertauchen und sich der Abschiebung entziehen wollen. Der Bf sei jederzeit entweder direkt oder über seine Vertreter beim Migrantinnenverein X erreichbar gewesen. Nur die tägliche Meldung in Linz sei für den Bf mit seinen schweren Behinderungen unannehmbar, wenn er zum Beispiel in Wien etwas zu erledigen habe. Vor allen, da Entschuldigungen für kurze Entfernungen aus Linz nicht akzeptiert würden. Zu keinem Zeitpunkt habe der Bf untertauchen wollen. Dies zeige sich auch offensichtlich daran, dass die belangte Behörde keine Probleme gehabt habe, den Bf zu finden und rechtswidrig in Schubhaft zu nehmen.

 

Die belangte Behörde habe behauptet, dass der Bf am 6. Oktober 2011 haftfähig und am 7. Oktober 2011 nicht mehr haftfähig gewesen sei. Falls dies stimme, habe es die belangte Behörde zu erklären, was an diesen zwei Tagen passierte, dass der Bf plötzlich nicht mehr haftfähig war. Nach allgemeiner Lebenserfahrung sei der Bf überhaupt nie haftfähig gewesen. Seine hinlänglich bekannten Behinderungen seien ohnehin offensichtlich und hätten auch von der belangten Behörde erkannt werden müssen. Allein die Tatsache, dass der Bf nach so kurzer Zeit aus der Schubhaft entlassen wurde, beweise, dass er nicht in Schubhaft genommen werden hätte dürfen. Gelindere Mittel wären in seinem Fall angebracht gewesen, da der Bf große Mühen auf sich genommen hat, die "Anforderungen" der Behörden zu erfüllen und die Haft für seinen Gesundheitszustand schwer abträglich sei.

 

Die Anhaltung sei nicht verhältnismäßig gewesen, da der Bf noch immer in Österreich sei und der EMGR am 9. November 2011 der Republik Österreich auferlegt habe, die Abschiebung des Bf auf Grund seines Gesundheitszustandes bis zum 7. Dezember 2011 auszusetzen (Application no. 69055/11 X v Austria).

 

2.4. Am 16. November 2011 übermittelte die belangte Behörde folgende Aktenteile:

 

*       Mandatsbescheid des Bundesasylamtes vom 7. November 2011, Zl. 11 13291-EAST-West, mit dem dem weiteren Asylantrag des Bf der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 ASylG nicht zuerkannt wurde;

*       Amtsbescheinigung (BPD Wien, PAZ X, Amtsarzt) wonach die Tauglichkeit des Bf zum Transport in einem Luftfahrzeug für den Flug am 9. November 2011 gegeben sei;

*       Dokumentation über den Abbruch der Abschiebung des Bf (LPK Kärnten vom 9. November 2011); nach Kontaktaufnahme mit dem Flugkapitän und unmittelbar vor dem Einstieg in das Linienflugzeug wurde dem Kommandanten des Abschiebeteams telefonisch mitgeteilt, dass der EGMR eine vorläufige Maßnahme gemäß Art. 39 ausgesprochen habe und die Abschiebung sofort aufzuheben ist;

*       Aktenvermerk der belangten Behörde vom 9. November 2011 über den Abbruch des Abschiebung des Bf nach Kenntnisnahme der Mitteilung des EGMR und unverzügliche Aufhebung der Anhaltung und des Festnahmeauftrages;

*       Ersuchen des EGMR vom 9. November 2011, Application no. 69055/11 X v. Austria – vorläufige Maßnahme gemäß Art. 39.

 

2.5. Am 4. November 2011 stellte der Bf beim Bundesasylamt, EAST-West, einen weiteren Asylantrag. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 7. November 2011, AZ 11 13291-EAST-WEST, wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen des       § 12a Abs. 4 Z. 1 und 2 AsylG nicht vorliegen. Aus diesem Grund wurde dem Bf der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 AsylG nicht zuerkannt.

 

3. Der Oö. Verwaltungssenat hat nach Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt und die erstatteten Schriftsätze festgestellt, dass der Sachverhalt bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde hinreichend geklärt ist, weshalb von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung gemäß § 83 Abs. 2 FPG abgesehen werden konnte.

 

Der Oö. Verwaltungssenat geht von dem unter den Punkten 1.1. bis 2.5. dieses Erkenntnisses dargestellten entscheidungswesentlichem Sachverhalt aus.

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

4.1.  Gemäß § 83 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung des Bundesgesetzblattes BGBl. Nr. 38/2011, ist zur Entscheidung über eine Beschwerde gemäß § 82 Abs. 1 Z. 2 oder 3 der Unabhängige Verwaltungssenat zuständig, in dessen Sprengel die Behörde ihren Sitz hat, welche die Anhaltung oder die Schubhaft angeordnet hat. In den Fällen des § 82 Abs. 1 Z. 1 richtet sich die Zuständigkeit nach dem Ort der Festnahme.  

 

Gemäß § 82 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 17/2011, hat der Fremde das Recht, den Unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen,

1.     wenn er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist;

2.     wenn er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz oder das Asylgesetz 2005 angehalten wird oder wurde, oder

3.     wenn gegen ihn die Schubhaft angeordnet wurde.

 

Gemäß § 83 Abs. 4 FPG hat der Unabhängige Verwaltungssenat, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Im Übrigen hat er im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte zu entscheiden.

 

4.2. Es ist unbestritten, dass der Bf auf Grund des Bescheides des Polizeidirektors von Linz vom 6. Oktober 2011, 19.00 Uhr bis zum 7. Oktober 2011, 11.30 Uhr in Schubhaft angehalten wurde, weshalb der Oö. Verwaltungssenat zur Entscheidung berufen ist.

 

Nachdem sich der Bf zur Zeit der Entscheidung des Oö. Verwaltungssenates nicht mehr in Schubhaft befindet, war die Prüfung entsprechend der Beschwerdepunkte vorzunehmen.

 

4.3. Gemäß § 76 Abs. 1 FPG können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung, einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.

 

Die Schubhaft ist nach § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich mit Mandatsbescheid gemäß § 57 AVG anzuordnen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zur Erlassung des Bescheides aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Der Bescheid hat den Spruch und die Rechtsmittelbelehrung auch in einer dem Fremden verständlichen Sprache zu enthalten oder einer Sprache, bei der vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass er sie versteht. Eine unrichtige Übersetzung begründet lediglich das Recht, unter den Voraussetzungen des § 71 AVG wiedereingesetzt zu werden.

 

Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat die Behörde bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn sie Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres hat die Behörde gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn, bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z. 1.

 

Gemäß § 77 Abs. 3 FPG sind gelindere Mittel insbesondere die Anordnung,

1.      in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,

2.      sich in periodischen Abständen bei einem Polizeikommando zu melden      oder

3.      eine angemessene finanzielle Sicherheit bei der Behörde zu hinterlegen.

 

Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne vorausgegangener Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zur Behörde, in der auf diese Konsequenzen hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird. (§ 77 Abs. 4 FPG)

 

Gemäß § 80 Abs. 1 FPG ist die Behörde verpflichtet darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf solange aufrecht erhalten werden,  bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

 

4.4.1. Entgegen der Ansicht des Bf war er zum Zeitpunkt der Festnahme, der Verhängung der Schubhaft und der Anhaltung im zu beurteilenden Zeitraum nicht Asylwerber sondern Fremder im Sinne des FPG.

 

Der Bf vermeint ohne nähere Begründung, dass das Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist, weil er eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof anstrebt und bedingt durch seine Mittellosigkeit beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Gewährung von Verfahrenshilfe eingebracht hat.

 

Nach § 2 Abs. 1 Z. 14 AsylG ist ein Fremder ein Asylwerber ab Einbringung eines Antrages auf internationalen Schutz bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens. Unbestreitbar ist mit Zustellung des Erkenntnisses des Asylgerichtshofes am 26. Mai 2011 das Asylverfahren rechtskräftig abgeschlossen und somit die Asylwerbereigenschaft des Bf erloschen. Da der Bf im Beurteilungszeitraum auch keinen weiteren Asylantrag eingebracht hatte, kam ihm die behauptete Stellung nicht zu.

 

Die belangte Behörde ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass das Asylverfahren des Bf abgeschlossen ist und ihm die Stellung eines Asylwerbers nicht mehr zukommt. Der Bf ist somit Fremder im Sinne des FPG und die einschlägigen Bestimmungen (zB.: §§ 76 Abs. 1 und 77 Abs. 4 ) sind auf ihn anwendbar.

 

4.4.2. Unbestritten hat die belangte Behörde mit Bescheid vom 8. September 2011, Zl. 1070998/FRB, nachweislich zugestellt an den Vertreter (Migrantinnenverein X), über den Bf – zur Sicherung seiner Abschiebung nach Russland – das gelindere Mittel (tägliche persönliche Meldung bei der PI X, in der Zeit 06.00 bis 22.00 Uhr) angeordnet. Im Bescheid wurde angemerkt, dass die angeführten Anordnungen den Bf nicht an einer freiwilligen Ausreise hindern würden.

 

Entgegen der Ansicht des Bf langte weder bei der belangten Behörde noch bei der Berufungsbehörde (Sicherheitsdirektion Oberösterreich) eine Berufung gegen den bezeichneten Bescheid ein. Selbst wenn eine solche tatsächlich eingebracht worden wäre, hätte dies an der täglichen Meldeverpflichtung nichts geändert, da die belangte Behörde die aufschiebende Wirkung einer Berufung ausgeschlossen hatte.

 

Der Bf ist seiner Meldeverpflichtung bis zum 27. September 2011 (11.13 Uhr) nachgekommen. Im Zuge der Vornahme der Meldung wurde der Bf über die bevorstehende Abschiebung am 4. Oktober 2011 informiert, ihm die Information in russischer Sprache zur Kenntnis gebracht und das Informationsblatt von ihm unterfertigt. Ab Kenntnisnahme des Abschiebungstermins unterließ der Bf die tägliche Meldung. Wie sich aus den Erhebungen der einschreitenden Beamten und der niederschriftlichen Befragung des Bf ergibt, scheint der Bf im Anschluss an die Bekanntgabe des Abschiebetermins seine Unterkunft überstürzt verlassen und sich nach Wien zu seinem Verwandten begeben zu haben. Zum Zeitpunkt der Nachschau in der Wohnung des Bf konnten die Beamten noch persönliche Utensilien wahrnehmen. Dass kein wohl überlegter und geplanter Auszug aus der Wohnung stattgefunden hat, lässt sich auch daraus ableiten, dass der Bf am 6. Oktober 2011 noch einmal von Wien angereist ist, um die restlichen Sachen abzuholen.

 

In der Beschwerdeschrift führt der Rechtsvertreter des Bf aus, dass die tägliche Meldeverpflichtung bei der PI eine schikanöse Maßnahme dargestellt habe, die dem Bf völlig unnötige Qualen zugefügt hätte. Darauf aufbauend deutet der Rechtsvertreter an, dass die Meldung nicht täglich erfolgt sei, weil diese mit Schmerzen und Qualen verbunden gewesen sei und unterstellt der belangten Behörde, dass sie die schmerzbedingte Nichtmeldung zum Anlass für die Inhaftierung genommen habe. Diese Argumentation zeigt deutlich auf, dass der Rechtsvertreter zum Zeitpunkt der Beschwerdeeinbringung nicht in Kenntnis der Verantwortung des Bf gegenüber der belangten Behörde gewesen sein kann. Bei der niederschriftlichen Befragung am 7. Oktober 2011 hat der Bf ausgesagt, dass er sich der bevorstehenden Abschiebung entziehen wollte und daher dem gelinderen Mittel nicht mehr nachgekommen sei (siehe Seite 2 der Niederschrift vom 7. Oktober 2011, aufgenommen bei der belangten Behörde in der Zeit von 08.32 bis 09.10 Uhr [Dolmetscher wurde beigezogen]: "Ich habe mich deshalb nicht mehr im gelinderen Mittel bei der Polizei gemeldet, weil ich mich der Abschiebung entziehen wollte. Ich wollte mich solange verstecken, bis der Anwalt erreicht hätte, dass die Abschiebung aufgehoben ist."). Nicht einmal ansatzweise hat der Bf auf seine körperlichen Gebrechen hingewiesen und diese als Grund für die Nichtmeldung angegeben. Ebenso wenig brachte der Bf im Verfahren vor, dass ihm "kurze Entfernungen aus Linz" nicht bewilligt worden wären. Die nunmehrigen Ausführungen des Vertreters in der Stellungnahme zur Gegenschrift der belangten Behörde, wonach der Bf "zu keinem Zeitpunkt untertauchen wollte" und der Bf jederzeit entweder direkt oder über seine Vertreter beim Migrantinnenverein erreichbar gewesen wäre, widersprechen eindeutig den niederschriftlichen Angaben des Bf. Die Aussagen des Bf in der angesprochenen Niederschrift sind in sich schlüssig und diesen kommt eine erhöhte Beweiskraft zu (unmittelbare und persönliche Aussage, Erstaussage).

 

4.4.3. Aus der Tatsache, dass die belangte Behörde den Bf festnehmen und die Schubhaft verhängen konnte, schließt der Vertreter, dass der Bf nicht untergetaucht war und die belangte Behörde offensichtlich keine Probleme hatte, den Bf zu finden. Ein Blick in den Vorlageakt zeigt, dass der Bf während des Streifendienstes zufällig in Bahnhofsnähe von einer Funkwagenbesatzung der PI X ("X 1") wahrgenommen worden ist. Wären die mit der Sachlage vertrauten Beamten nicht zufällig am Standort des Bf vorbeigefahren, hätte die belangte Behörde keine fremdenpolizeilichen Maßnahmen ergreifen können, da eine auf den Linzer Raum beschränkte "Fahndung" (der Bf hielt sich unangemeldet bei einem Verwandten in Wien auf) ergebnislos verlaufen musste.

 

4.4.4. Auch wenn die Fortbewegung des Bf mit Schmerzen verbunden ist, zeigt das Verhalten des Bf auf, dass diese nicht das Ausmaß erreichen, wie in der Beschwerdebegründung und der Stellungnahme beschrieben. Bestätigung erlangt diese Annahme darin, dass der Bf ohne gröbere Beschwerden unbegleitet nach Wien und zurückreisen konnte.

 

4.4.5. Unmittelbar nach der Festnahme wurde der Bf einer amtsärztlichen Untersuchung zugeführt und die Haftfähigkeit festgestellt. Diese war bis zum Entlassungszeitpunkt gegeben (Festnahme am 6. Oktober 2011 um 16.30 Uhr, Schubhaft ab 18.45 Uhr und Entlassung am 7. Oktober 2011 um 11.30 Uhr).

 

4.4.6. Entgegen den Beschwerdeausführungen wurde der Bf bereits am 6. Juli 2011 auf die durchsetzbare Ausweisung hingewiesen und nachweislich aufgefordert (Übersetzung durch Dolmetscher), unverzüglich auszureisen. In diesem Zusammenhang wurde ihm eingeräumt, freiwillig in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren. Für den Fall der Inanspruchnahme dieser Möglichkeit könne er sich von bekanntgegebenen Organisationen beraten lassen. Gleichzeitig wurde er auch in Kenntnis gesetzt, dass er damit rechnen müsse, abgeschoben zu werden, wenn er von der freiwilligen Ausreise keinen Gebrauch mache.

 

4.5. Im vorliegenden Fall war der Bf im Beurteilungszeitraum Fremder und seit Rechtskraft und Durchsetzbarkeit des Ausweisungsbescheides unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.

 

Es lagen somit grundsätzlich die Voraussetzungen des § 76 Abs. 1 FPG vor. Wie unter Punkt 1.3. dargestellt, nahm die belangte Behörde vorerst von der Anordnung der Schubhaft Abstand und ordnete bescheidmäßig ein gelinderes Mittel an.

 

Über die Folgen der Nichtbeachtung der Anordnungen wurde der Bf in russischer Sprache aufgeklärt.

 

4.5.1. Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach § 77 Abs. 3 FPG nicht nach, ist gemäß § 77 Abs. 4 FPG die Schubhaft anzuordnen.

 

Die Anordnung der Schubhaft setzt einen akuten Sicherungsbedarf voraus und die Anhaltung in Schubhaft muss auch verhältnismäßig sein.

 

4.5.2. Bei der Erlassung des Bescheides, mit dem die belangte Behörde gelindere Mittel angeordnet hat, hat sie vorweg eine Prüfung des Sicherungsbedarfes vorgenommen und ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, dass der Zweck der Schubhaft auch durch Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann. Bestätigung hat diese Annahme darin erlangt, dass der Bf bis zur Bekanntgabe des Abschiebetermins der Anordnung lückenlos nachgekommen ist.

 

Auch wenn bei jeder Anordnung der Schubhaft das Sicherungsbedürfnis und die Verhältnismäßigkeit individuell zu prüfen ist, brachte der Gesetzgeber in § 77 Abs. 4 FPG eindeutig zum Ausdruck, dass bei einem (relevanten) Verstoß gegen die auferlegten Verpflichtungen nach § 77 Abs. 3 FPG grundsätzlich die Schubhaft anzuordnen ist.

 

Nach Kenntnis der bevorstehenden Abschiebung hat der Bf seine bisherige Unterkunft verlassen und sich nach Wien zu einem Verwandten begeben. Den Nachschau haltenden Beamten vermittelte das Zimmer des Bf ein Bild des überstürzten Aufbruches. Der Bf hatte weder der Unterkunftsgeberin die Aufgabe der Wohnung noch der belangten Behörde den neuen Aufenthaltsort bekannt gegeben. Aus dem überstürzten Aufbruch und den unterlassenen täglichen Meldungen schloss die belangte Behörde, dass der Bf wegen der unmittelbar bevorstehenden Abschiebung untergetaucht sei. Die behördliche Annahme bestätigte der Bf bei seiner niederschriftlichen Befragung am 7. Oktober 2011. Demnach wollte der Bf bei seinem Verwandten in Wien unangemeldet Unterkunft nehmen, um seiner Abschiebung zu entgehen. Nach Linz habe er sich nur begeben, um seine restlichen Sachen abzuholen.

 

Die belangte Behörde ist daher zu Recht von einem relevanten Verstoß gegen    § 77 Abs. 4 FPG und einem akuten und konkreten Sicherungsbedürfnis ausgegangen. Im Hinblick darauf, dass zum Festnahmezeitpunkt und der Verhängung der Schubhaft das Heimreisezertifikat noch nicht abgelaufen war (gültig bis 8. Oktober 2011) und eine Verlängerung (samt Planung einer neuerlichen Abschiebung) in absehbarer Zeit für möglich erachtet wurde (der neuerliche Abschiebeversuch wurde am 9. November 2011 unmittelbar vor dem Abflug von Wien Schwechat nach Moskau nach dem Ersuchen des EGMR [vorläufige Maßnahme nach Art. 39] abgebrochen), hätte auch das Ziel in naher Zukunft erreicht werden können.

 

4.5.3. Trotz der körperlichen Beeinträchtigungen konnte die belangte Behörde die Schubhaft anordnen und diesen in der Zeit vom 6. Oktober 2011, 19.00 Uhr bis 7. Oktober 2011, 11.30 Uhr in Schubhaft anhalten, da der zuständige Amtsarzt den Bf vor der Anhaltung im PAZ im Hinblick auf die Haftfähigkeit untersucht und diese festgestellt hat.

 

Ausgehend davon, dass für die weitere Anhaltung des Bf ein behindertengerechter Haftraum zur Verfügung gestellt werden kann, hat die belangte Behörde die weitere Anhaltung in Schubhaft beabsichtigt und dies dem Bf bei der niederschriftlichen Befragung am 7. Oktober 2011 zur Kenntnis gebracht. Nachdem der Behörde, die den Haftraum zur Verfügung gestellt hätte, der zusätzliche besondere Pflegeaufwand des Bf (Haftplatz mit Betreuung für die Körperpflege) mitgeteilt worden war, sah sich diese außerstande, diesen umfassend gewährleisten zu können, und gab bekannt, dass eine derart umfassende Betreuung in ihren Hafträumlichkeiten nicht möglich sei.

 

Auf Grund dieser Mitteilung hat die belangte Behörde die Schubhaft unverzüglich aufgehoben (11.30 Uhr) und neuerlich gegen den Bf mit Bescheid vom 7. Oktober 2011, AZ 1070998/FRB, ein gelinderes Mittel verhängt.

 

4.6. Die Verhängung der Schubhaft war demnach zweifellos auch verhältnismäßig, denn dem Recht des Bf auf Schutz der persönlichen Freiheit steht das dieses im vorliegenden Fall fraglos überwiegende Interesse des Staates an einem geordneten Fremdenwesen und damit am Schutz und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gegenüber. Um diese Ziele zu gewährleisten, war der Eingriff in das Recht des Bf auf den Schutz der persönlichen Freiheit notwendig.

 

Das Ziel der Schubhaft, die Abschiebung des Bf, war zum Entscheidungszeitpunkt absolut zeitnah erreichbar, da keine Umstände bekannt sind, die gegen die Durchführbarkeit der Außerlandesschaffung gesprochen hätten. Die Identität des Bf war hinreichend geklärt.

 

5. Bei diesem Verfahrensergebnis war dem Bund als Rechtsträger, für den die belangte Behörde eingeschritten ist, nach § 79a Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 4 Z 3 AVG iVm § 1 Z 3 und 4 der UVS-Aufwandersatzverordnung (BGBl. II Nr. 456/2008) ein Aufwandersatz in Höhe von insgesamt 426,20 Euro (Vorlageaufwand: 57,40 Euro, Schriftsatzaufwand: 368,80 Euro) zuzusprechen.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweise:

1) Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2) Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in Höhe von insgesamt 32,50 Euro (2 x 14,30 und 1 x 3,90) angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

 

Mag. Stierschneider

 

 

 

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