Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730530/2/BP/Jo

Linz, 22.11.2011

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Bernhard Pree über die Berufung des X, StA von Nigeria, vertreten durch X, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes des Bezirks Vöcklabruck vom 2. August 2007, GZ.: Sich40-21769-2002, betreffend die Verhängung eines auf 7 Jahre befristeten Aufenthaltsverbotes gegen den Berufungswerber nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

 

Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

 

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG


 

 

 


Entscheidungsgründe

 

 

1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes des Bezirks Vöcklabruck vom
2. August 2007, GZ.: Sich40-21870-2002, wurde über den Berufungswerber (im Folgenden: Bw) auf Basis des § 60 Abs. 1 und 2 Z. 1 iVm. §§ 63 und 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, ein auf 7 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich verhängt.

 

Zunächst führt die belangte Behörde zum Sachverhalt aus, dass der Bw, ein  nigerianischer Staatsbürger, seit 13.12.2001 mit der österr. Staatsbürgerin Frau X verheiratet sei. Die kirchliche Trauung sei am 20.05.2002 in X erfolgt. Der Bw habe von der BH Vöcklabruck unter dem Titel Familiengemeinschaft mit einer Österreicherin eine quotenfreie Erstniederlassungsbewilligung mit Wirkung 01.06.2002 erhalten, die zuletzt in einen unbefristeten Niederlassungsnachweis mit Wirkung 23.07.2004 abgeändert worden sei.

 

Der Bw habe mit der Gattin 2 Kinder, den am X geborenen Sohn X sowie den am X geborenen X. Die Gattin sei als Allgemeinmedizinerin tätig. Der Bw studiere seit dem Jahr 2004 an der Universität Salzburg Anglistik und Amerikanistik.

Mit Urteil des LG Wels vom 22.03.2006, 11 Hv 137/05V, sei der Bw wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt worden, wobei ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 16 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen worden sei.

 

Gegen dieses Urteil habe der Bw Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung eingebracht. Der Oberste Gerichtshof habe mit Beschluss vom 24.01.2007 die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen und die Berufung dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Mit Urteil des OLG Linz vom 24.01.2007, 8 Bs 46/07G sei der Berufung insoweit Folge gegeben worden, als der bedingt nachgesehene Strafteil auf 20 Monate erhöht und der unbedingte Strafteil auf 4 Monate reduziert worden sei. Schuldspruch und Gesamtstrafausmaß seien jedoch in unverändertem Ausmaß aufrechterhalten worden, wobei ein Strafrahmen von 1 bis 10 Jahren Freiheitsstrafe gegeben sei.

 

Mit Beschluss des LG Wels sei dem Bw ein Strafaufschub bis 05.06.2007 gewährt worden, um ein an der Universität Salzburg begonnenes Semester zu beenden.

Seit 06.07.2007 befinde er sich in der X zur Verbüßung der Strafhaft.

In diesem Verfahren habe der Bw mit Wirkung 25.07.2007, bei der BH Vöcklabruck eingelangt am 30.07.2007, durch seinen ausgewiesenen Rechtsvertreter eine Stellungnahme abgegeben, wonach er seit Frühling 2002 mit seiner Ehefrau in Österreich in X lebe, 2 Kinder im Alter von 3 und 4 Jahren habe und seit 2004 an der Universität Anglistik und Amerikanistik mit einem Notendurchschnitt von 1,6 studiere. Er sei nicht nur familiär, sondern auch privat im Rahmen des Studiums insbesondere auch durch den positiven Studienerfolg vollkommen integriert. Die Erlassung eines unbefristeten oder auch etwaig befristeten Aufenthaltsverbotes habe zu unterbleiben, da die Auswirkungen auf die Lebenssituation und diejenige der Familie schwerer wiegen würden, als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes und einer Ausweisung. Es sei die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration sowie die Intensität der familiären und sonstigen Bindungen zu berücksichtigen.

 

Zur Verurteilung gemäß § 206 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Höhe von 4 Monaten sowie einer bedingten Freiheitsstrafe von 20 Monaten auf eine Probezeit von 3 Jahren werde ausgeführt, dass die Tat bis heute bestritten werde. Der Bw habe sich jedoch dem Urteilsspruch beugen müssen. Es sei jedoch ein äußerst mildes Urteil in Bezug auf das Ausmaß des möglichen Strafrahmens ausgesprochen worden und seien auch die Strafgerichte von einer durchaus positiven Zukunftsprognose ausgegangen. Außerdem sei der Bw unbescholten, würde einen ordentlichen Lebenswandel führen und habe sich äußerst wohl verhalten, sodass keine sonstigen strafbaren Handlungen gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung gegeben seien. Der Bw vertrete daher die Meinung, dass er weder die öffentliche Ordnung, noch die Sicherheit gefährde, noch anderen öffentlichen Interessen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK zuwiderlaufe. Dies zeige sich auch aus dem Umstand, dass während der gesamten Dauer des abgeführten Strafverfahrens keine Untersuchungshaft verhängt worden sei.

 

1.2. In der rechtzeitig eingebrachten Berufungsschrift vom 21.08.2007 führte der Bw ua. aus, dass er ein intaktes Familienleben führen würde und voll integriert sei. Zum Beweis dafür beantragt er die Einholung eines familienpsychologischen Sachverständigengutachtens und die Einvernahme der Ehefrau.

 

Der Bw sei Vater zweier minderjähriger noch nicht schulpflichtiger Söhne, welche zurzeit in den Kindergarten gehen würden. Die Ehegattin sei Allgemeinmedizinerin.

 

Der Bw weist auf Art. 8 EMRK hin und führt aus, dass er bereits in Nigeria an der Universität Jos Anglistik und Amerikanistik studiert habe. Dieses Studium habe er mit einem „Bachelor“ abgeschlossen.

 

Er sei bis zu dem vermeintlichen Vorfall im Frühling 2003 unbescholten gewesen und habe sich äußerst ruhig und unauffällig verhalten.

 

1.3. Über diese Berufung entschied die Sicherheitsdirektion für Oberösterreich mit Bescheid vom 4. Februar 2008.

 

Darin führt sie in rechtlicher Hinsicht aus, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG schon insofern erfüllt sei, als der Bw vom LG Wels wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten teilbedingt verurteilt worden sei.

 

Auch sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG dringend erforderlich, da Verbrechen gegen Unmündige sehr schwer zu gewichten seien.

 

Hinsichtlich der persönlichen und familiären Situation sei zu beachten gewesen, dass dem Bw zweifelsohne eine der Dauer des Aufenthaltes entsprechende Integration zuzubilligen sei. Insbesondere sei zu beachten, dass er sich bereits jahrelang in Österreich aufhalte und mit einer österr. Staatsbürgerin, mit der er 2 Kinder habe, verheiratet sei.

 

Da - unter Abwägung aller oben angeführten Tatsachen - im Hinblick auf die für den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet zu stellende negative Zukunftsprognose die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes wesentlich schwerer zu wiegen schienen, als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf seine Lebenssituation, sei das Aufenthaltsverbot auch zulässig im Sinn des § 66 Abs. 2 FPG.

 

Die Dauer des von der Erstbehörde verhängten Aufenthaltsverbotes sei nicht als rechtswidrig zu erkennen, zumal nach Ablauf dieser Zeit erwartet werden könne, dass sich der Bw wiederum an die im Bundesgebiet geltenden Normen halten werde.

 

1.4. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshof vom 14. April 2011, Zl. 2008/21/0183-8, wurde der Bescheid der Sicherheitsdirektion für Oberösterreich wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

 

Begründend führt das Höchstgericht ua. aus, dass die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen weder zur konkreten Tatumschreibung noch zu den Begleitumständen in Bezug auf die Gefährlichkeitsprognose ausreichten. Ausgehend von der sich aus den Akten ergebenden Tatbegehung Anfang Juni 2003 hätte im Übrigen auch das vom Bw ins Treffen geführte Wohlverhalten einbezogen werden müssen.

 

Vor allem habe die belangte Behörde – wie auch schon die Erstbehörde – außer Acht gelassen, dass für ein Aufenthaltsverbot gegen den Bw als Ehemann und somit Familienangehöriger (§ 2 Abs. 4 Z. 12 FPG) einer österreichischen Staatsangehörigen gemäß § 87 zweiter Satz FPG hinsichtlich der Gefährdungsprognose die Voraussetzungen nach § 86 Abs. 1 FPG erfüllt sein müssten. 

 

 

2.1. Die belangte Behörde legte zunächst den in Rede stehenden Verwaltungsakt der Sicherheitsdirektion für Oberösterreich vor.

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 38/2011 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass der Unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist, weshalb der in Rede stehende Verwaltungsakt von der Sicherheitsdirektion – nach In-Krafttreten der Novelle am 1. Juli 2011 – dem Oö. Verwaltungssenat übermittelt wurde.

 

2.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde.

 

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil eine solche nicht erforderlich war, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lässt (§ 67d AVG).

 

2.3. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1.1. bis 1.4. dieses Erkenntnisses dargestellten völlig Sachverhalt aus.

 

2.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

 

3. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

3.1.1. Gemäß § 65b des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG idgF. BGBl. I Nr. 38/2011 unterliegen Familienangehörige (§ 2 Abs. 4 Z. 12) der Visumpflicht. Für sie gelten die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach den §§ 41a, 65a Abs. 2, 66, 67 und 70 Abs. 3.

 

Gemäß § 2 Abs. 4 Z. 12 FPG ist Familienangehöriger: wer Drittstaatsangehöriger und Ehegatte oder minderjähriges lediges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind ist (Kernfamilie); dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, die Drittstaatsangehörige sind.

 

3.1.2. Im vorliegenden Fall ist § 65b FPG einschlägig, da der Bw seit rund 10 Jahren Ehegatte einer österreichischen Staatsangehörigen ist.

 

Die Verhängung von Aufenthaltsverboten für EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige ist in § 67 FPG geregelt, der durch § 65b FPG als anwendbar erklärt wird. Daher erfährt die Beurteilung des in Rede stehenden Aufenthaltsverbotes einen Regimewechsel von bloß aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (wie von der belangten Behörde fälschlich vorgenommen) zu § 67 FPG.

 

3.2.1. Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

 

Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens 10 Jahren erlassen werden.

 

3.2.2. Es ist – im Hinblick auf die oa Bestimmung - nun zu prüfen, ob das Verhalten des Bw auch aus derzeitiger Sicht geeignet erscheint, die öffentliche Ordnung oder Sicherheit nachhaltig und schwerwiegend zu gefährden.

 

Grundsätzlich ist eine rechtskräftige Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen (§ 206 StGB) durchaus geeignet, um eine schwerwiegende Gefährdung öffentlicher Interessen zu bejahen, da durch eine solche Tat massivst ein Grundinteresse der Gesellschaft am Schutz der physischen und psychischen Integrität (und damit umfassend die Gesundheit) von Minderjährigen bedroht ist. Ebenso ist auf den hohen Grad der Verwerflichkeit einer derartigen Straftat zu verweisen, die einer besonders rigorosen Ahndung bedarf.

 

Nun ist aber auch darauf Bedacht zu nehmen, dass die in Rede stehende Tat im Jahr 2003 (also vor rund 8 Jahren) begangen wurde. Weitere Verurteilungen oder schädliches In-Erscheinung-Treten des Bw ist den Akten nicht zu entnehmen. Deshalb mangelt es im vorliegenden Fall bereits an der Gegenwärtigkeit des Gefährdungspotentials im Sinne des § 67 Abs. 1 FPG, weshalb – korrespondierend zu den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs – der Tatbestand dieser Bestimmung nicht als gegeben anzusehen ist.

 

3.3.1. Es war daher im Ergebnis der Berufung stattzugeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufzuheben.

 

3.3.2. Nachdem der Bw offenkundig der deutschen Sprache ausreichend mächtig ist, konnte gemäß § 67 Abs. 5 iVm. § 59 Abs. 1 FPG auf die Übersetzung des Spruchs und der Rechtsmittelbelehrung verzichtet werden. 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

 

 

Bernhard Pree

 

 

 

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