Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730202/5/BP/MZ/Wu

Linz, 17.11.2011

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Bernhard Pree über die Berufung des X, StA der Türkei, vertreten durch Herrn RA X, gegen den Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 11. Mai 2010, AZ: 1034046/FRB, betreffend eine Ausweisung des Berufungswerbers nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

 

Der Berufung wird stattgegeben und der bekämpfte Bescheid ersatzlos behoben.

 

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

§ 65b iVm. § 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG


Entscheidungsgründe:

 

1.1.1. Mit Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 11. Mai 2010, AZ: 1034046/FRB, wurde gegen den Berufungswerber (im Folgenden Bw) auf Basis der §§ 53 iVm. 31 Abs. 1, 31 Abs. 1a und 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung die Ausweisung angeordnet.

 

Begründend führt die belangte Behörde zunächst zum Sachverhalt aus, dass der Bw, ein Staatsangehöriger der Türkei, im Dezember 2002 illegal nach Österreich eingereist sei und einen Asylantrag gestellt habe, der mit 6. April 2010 rechtskräftig abgewiesen wurde. Seither halte sich der Bw ohne jegliche fremden- bzw asylrechtliche Bewilligung und somit nicht rechtmäßig in Österreich auf.

 

Es folgt eine Zitierung der §§ 53 Abs. 1, 31 Abs. 1 und 1a sowie des § 66 FPG in der im erstbehördlichen Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung.

 

Im Anschluss wird ein vom Rechtsvertreter des Bw eingebrachtes Schreiben vom 3. Mai 2010 zitiert, in welchem er – im Rahmen des Parteiengehörs – zur Erlassung eines geplanten Aufenthaltsverbots Stellung nimmt, welches hier nur verkürzt und nicht wörtlich wiedergegeben wird:

 

Richtig sei, dass sich der Bw nach Beendigung seines Asylverfahrens zwischenzeitig illegal in Österreich aufhalte und dieser vom LG Linz am 25. Jänner 2010 wegen der Vergehen der Körperverletzung, gefährlichen Drohung und Urkundenfälschung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt wurde. Im Rahmen der Strafbemessung habe das LG Linz dem Bw allerdings eine günstige Zukunftsprognose erstellt, da er bislang unbescholten war und von ihm keine massive Gefährdung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit zu erwarten, weshalb er lediglich zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden sei. Ein Aufenthaltsverbot sei daher nicht gerechtfertigt.

 

Der Bw würde Österreich ohnehin verlassen und in seinen Heimatstaat zurückkehren wollen, um bei der österreichischen Botschaft eine Niederlassungsbewilligung zu beantragen, was ein Aufenthaltsverbot verhindern würde.

 

Der Bw sei seit 7 ½ Jahren in Österreich aufhältig, habe hier seinen Lebensmittelpunkt, einen entsprechenden Wohnsitz, eine aufrechte Beschäftigung und sich, abgesehen von der Verurteilung, immer wohl verhalten. Der Bw beherrsche weiters die deutsche Sprache perfekt. Er sei im Besitz einer Beschäftigungsbewilligung, die bis 20. März 2011 Gültigkeit habe, sei als Bäckerhelfer bei der Firma X beschäftigt und aufrecht sozialversichert. (Anmerkung der erkennenden Behörde: Zu diesen Vorbringen werden verschiedene Beweismittel vorgelegt.)

 

Familiär sei der Bw ebenfalls in Österreich integriert. Er wäre Vater des österreichischen Staatsangehörigen X, geb. am X, welcher an der Adresse X, lebe. Für diesen leiste der Bw auch Unterhalt, er habe entsprechenden Kontakt mit seinem Sohn und sei daher berechtigt, sich auf Art. 8 EMRK zu berufen.

 

Nunmehr lebe der Bw im gemeinsamen Haushalt mit Frau X, welche ebenfalls ein eigenes Einkommen von EUR 1.000.- als Friseurin beziehe. Der Bw beabsichtige, seine Lebensgefährtin in absehbarer Zeit zu ehelichen. Auch deshalb würde die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes den tatsächlich vorliegenden Lebensverhältnissen und Integrationserrungenschaften des Bw widersprechen.

 

1.1.2. Erwägend führt die belangte Behörde im Anschluss sinngemäß aus, dass, nachdem der Bw nun seit 7 Jahren in Österreich lebe, mit einer Österreicherin ein Kind habe, in Lebensgemeinschaft lebe und in einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis stehe, diesem eine entsprechende Integration zuzugestehen sei und somit durch die Ausweisung in das Privat- und Familienleben des Bw eingegriffen werde.

 

Es dürfe jedoch nicht übersehen werden, dass das Gewicht der aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren Integration maßgeblich dadurch gemindert werde, als der Aufenthalt des Bw auf der Rechtsgrundlage eines unbegründeten Asylantrages nur temporär legal beruht habe. Am 9. September 2003 sei dem Bw der erstinstanzliche abweisende Bescheid im Asylverfahren zugestellt worden. Dies habe für den Bw ein eindeutiges Indiz darstellen müssen, dass sein Aufenthalt in Österreich nach Abschluss des Asylverfahrens temporär begrenzt sein könne, weshalb er nicht mit Sicherheit habe darauf vertrauen dürfen, dauerhaft in Österreich verbleiben zu können.

 

Aus demselben Grund relativiere sich auch die berufliche Integration des Bw. Weiters falle die Geburt des Kindes des Bw sowie das Eingehen der nunmehrigen Lebensgemeinschaft in einen Zeitraum, in dem er sich des unsicheren Aufenthalts bewusst gewesen sein musste.

 

Bei seiner Einreise nach Österreich sei der Bw 22 Jahre alt gewesen und habe somit den überwiegenden Teil seines Lebens in seinem Heimatstaat verbracht. Aus der Asyleinvernahme des Bw gehe hervor, dass er von 1986 bis 1991 in X die Volksschule besucht und von 1991 bis 2002 in X als Hilfsarbeiter beschäftigt war. In der Türkei würden die Eltern des Bw und 2 Geschwister leben. Eine Bindung des Bw an den Heimatstaat könne dem Bw daher aus Sicht der belangten Behörde nicht abgesprochen werden, respektive scheine eine Reintegration zumutbar.

 

In der im Verfahren abgegebenen Stellungnahme habe der Bw ohnehin erwähnt zu beabsichtigen, in die Türkei zurückzukehren und von dort aus eine Niederlassungsbewilligung zu beantragen.

 

Dessen ungeachtet stelle nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung die Übertretung fremdenpolizeilicher Vorschriften einen gravierenden Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung dar, da den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung ein sehr hoher Stellenwert zukomme. Das nicht rechtzeitige Verlassen des Bundesgebietes nach Abschluss des Asylverfahrens beeinträchtige die öffentliche Ordnung schwerwiegend und könne nicht hingenommen werden.

 

Am 20. Jänner 2010 sei der Bw vom LG Linz, 33 Hv 22/09 w, wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 2 StGB, der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und 2 4. Fall StGB und des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt worden.

 

Auch wenn noch kein Aufenthaltsverbot erlassen werde, werde der Bw darauf hingewiesen, dass bei einer weiteren Verfehlung gegen die österreichische Rechtsordnung – worunter auch ein nicht rechtmäßiger Aufenthalt bzw die Fortsetzung eines solchen fallen – ein Aufenthaltsverbot erlassen werden würde.

 

Zusammenfassend könne daher nur festgestellt werden, dass die Ausweisung zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und somit nicht nur im Lichte des § 66 Abs. 1 FPG zulässig scheine, sondern auch unter Beachtung der Bestimmungen des § 66 Abs. 2 und 3 FPG zulässig sei.

 

1.2. Gegen diesen Bescheid, der am 11. Mai 2010 per Telefax zugestellt wurde, erhob der Bw durch seine Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 19. Mai 2010, übermittelt per E-Mail am gleichen Tage, rechtzeitig Berufung.

 

Zunächst werden darin die Anträge auf Abänderung des angefochtenen Bescheides dahingehend, dass das Ausweisungsverfahren eingestellt und die ausgesprochene Ausweisung aufgehoben werde, in eventu auf Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung an die belangte Behörde gestellt. Weiters wird beantragt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

 

Der Bw führt weiters begründend aus, er habe im Zuge des erstinstanzlichen Verfahrens umfassend dargelegt, dass er in Österreich vollständig integriert sei und auch entsprechende Unterlagen vorgelegt. Er habe nicht nur dargelegt, beruflich, sprachlich und sozial vollständig integriert zu sein, sondern auch Vater eines Sohnes, X, geb. am X, zu sein, der bei seiner vormaligen Lebensgefährtin an der Adresse X, lebe und zu welchem er einen intensiven und entsprechenden Kontakt habe. Er zahle auch Unterhalt für seinen Sohn.

 

Vor dem Hintergrund all dieser Umstände, der langen Aufenthaltsdauer von 7 ½ Jahren und der nachgewiesenen gelungenen Integration in Österreich erweise sich die Erlassung einer Ausweisung als inhaltlich rechtswidrig. Der Bw verweist in diesem Zusammenhang auf sämtliche erstinstanzlich bereits in Vorlage gebrachten Integrationsnachweise, sowie die Tatsache, dass er hier in Österreich seinen Lebensmittelpunkt begründet habe und gemeinsam mit seinem Sohn und seiner nunmehrigen Lebensgefährtin ein selbstständig finanziertes Leben führe. Sein Lebensmittelpunkt sei hier in Österreich, immerhin habe er mehr als ein Viertel seines gesamten Lebens in Österreich verbracht.

 

Der Bw ersucht um entsprechende Berücksichtigung seiner Vorbringen bei der Entscheidungsfindung und beantragt entsprechende Erhebungen seine Person betreffend durchzuführen sowie dass ihm diese Ermittlungsergebnisse zuhanden seines ausgewiesenen Vertreters zur Kenntnisnahme unter Einräumung einer Stellungnahmefrist übermittelt werden.

 

1.3. Mit Schreiben vom 7. Juli 2010 wurde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich ein Auszug aus dem Heiratseintrag vom 30. Juni 2010 übermittelt, welchem zu entnehmen ist, dass der Bw am X in X X, geb. am X, geehelicht hat.

 

1.4. Mit Schreiben vom 10. Jänner 2011 gab der Bw eine Änderung hinsichtlich seiner rechtsfreundlichen Vertretung bekannt. In diesem Schreiben werden im Wesentlichen die unter Punkt 1.1.1. bereits angeführten Argumente gegen die fremdenpolizeiliche Entscheidung wiederholt.

 

Abschließend wird beantragt, den Berufungsanträgen Folge zu geben, in eventu gemäß § 66 Abs. 3 FPG festzustellen, dass die Ausweisung des Bw gemäß §§ 63 und 66 aus Gründen einer ansonsten drohenden Verletzung des Privatlebens auf Dauer unzulässig ist.

 

2.1. Die belangte Behörde legte zunächst den in Rede stehenden Verwaltungsakt der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vor.

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz BGBl I 2011/38 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass die Unabhängigen Verwaltungssenate zur Entscheidung über Berufungen gegen Rückkehrentscheidungen zuständig sind. Darüber hinaus stellte der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 31. Mai 2011, 2011/22/097, zusammengefasst fest, dass nach den maßgeblichen innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Falle des rechtmäßigen Aufenthalts eines Fremden sowohl über die Beendigung des Aufenthaltsrechts entschieden als auch dem nicht mehr länger zum Aufenthalt berechtigten Drittstaatsangehörigen die Pflicht zum Verlassen des Bundesgebietes, sohin eine Rückkehrverpflichtung im Sinne der Rückführungsrichtlinie, auferlegt sowie der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet für einen bestimmten Zeitraum oder für unbefristete Zeit untersagt, sohin auch ein Einreiseverbot im Sinne der Rückführungsrichtlinie ausgesprochen werde. Diese Vorgangsweise, nämlich mit einer einzigen Entscheidung das Aufenthaltsrecht zu beenden sowie unter einem die Rückkehr des Drittstaatsangehörigen anzuordnen und ihm den künftigen Aufenthalt im Bundesgebiet zu verbieten, stelle sich im Hinblick auf Art. 6 Abs. 6 Rückführungsrichtlinie als zulässig dar. Ungeachtet dessen seien dabei nach dieser Bestimmung die Verfahrensgarantien des Kapitels III der Rückführungsrichtlinie einzuhalten. Der Verwaltungsgerichtshof erachtet es sohin als nicht zweifelhaft, dass es sich bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes – unabhängig von der Benennung des innerstaatlich festgelegten Rechtsinstituts – um eine Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 3 Z 4 Rückführungsrichtlinie und ein Einreiseverbot im Sinne des Art. 3 Z 6 dieser Richtlinie handelt, bei deren Erlassung die in der Richtlinie festgelegten Verfahrensgarantien einzuhalten seien. Daraus folge aber, dass für Entscheidungen über eine dagegen gerichtete Berufung seit Ablauf der Frist zur Umsetzung der Rückführungsrichtlinie die Unabhängigen Verwaltungssenate zuständig seien.

 

Gleiches hat im gegenständlichen Fall zu gelten, da sich die vom Bw bekämpfte Ausweisung von der Wirkung her von einem Aufenthaltsverbot im Hinblick auf die behördliche Zuständigkeit nicht wesentlich unterscheidet, weshalb der in Rede stehende Verwaltungsakt zuständigkeitshalber von der Sicherheitsdirektion des Bundeslandes Oberösterreich dem Oö. Verwaltungssenat übermittelt wurde.

 

2.2.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde, durch Einsicht in das Zentrale Melderegister sowie die Einholung eines Versicherungsdatenauszuges.

 

Am 29. August 2011 langte beim Oö. Verwaltungssenat eine E-Mail des Jugendwohlfahrtsträgers als Unterhaltsvertreter des Sohnes des Bw ein. Dem Schreiben ist zu entnehmen, dass der Bw derzeit seiner Unterhaltsverpflichtung nicht nachkommen könne, da das AMS Linz seinen Antrag auf Verlängerung der Beschäftigungsbewilligung abgelehnt habe und der Bw über kein eigenes Einkommen verfüge. Der Bw dürfe nicht arbeiten, obwohl ihn sein ehemaliger Dienstgeber sofort wieder anstellen würde. Gegen den Bescheid des AMS habe der Bw rechtzeitig Berufung eingelegt. Bis zum Zeitpunkt der "Arbeitslosigkeit" sei der Bw immer regelmäßig seiner Unterhaltsverpflichtung nachgekommen.

 

Ebenfalls am 29. August 2011 langte bei der erkennenden Behörde eine E-Mail von Frau X, X, ein. Frau X gibt an, vom Jugendamt gehört zu haben, dass der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich die Entscheidung zu treffen habe, ob der Bw abgeschoben werde. Der Bw sei der Vater ihres Sohnes und es würden mehrere Anzeigen gegen diesen, unter anderem wegen Körperverletzung, gefährlicher Drohung und Urkundenfälschung laufen. Falls der Bw in Österreich bleiben könne, habe sie große Angst, dass er ihrem Sohn etwas antue. Es könne nicht sein, dass ein Mensch mit so einer Strafakte in Österreich bleiben dürfe bzw könne.

 

Aus dem aktuellen Versicherungsdatenauszug bezüglich des Bw geht hervor, dass dieser von 4. August 2003 bis 28. Februar 2006 als Arbeiter beschäftigt war. Von 1. Februar 2006 bis 30. November 2007 war der Bw gewerblich selbstständig Erwerbstätiger. Von 7. November bis 5. Dezember 2007 sowie von 7. Jänner bis 20. März 2008 bezog der Bw Arbeitslosengeld. Von 21. März 2008 bis 22. April 2011 war der Bw als Arbeiter beschäftigt.

 

2.2.2. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, da im Sinne des § 67d Abs. 1 AVG bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid zu beheben ist.

 

2.3. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1.1.1., 1.1.2., 1.3. und 2.2.1. dieses Erkenntnisses dargestellten, an sich völlig unbestrittenem Sachverhalt aus.

 

Aus dem Zentralen Melderegister geht hervor, dass Frau X, die Gattin des Bw, die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt.

 

2.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

3. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

3.1. § 2 Abs. 4 Z 1 FPG zufolge ist Fremder im Sinn dieses Bundesgesetzes, wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt.

 

Im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Ausweisungsbescheides traf ausschließlich die zitierte Legaldefinition auf den Bw, der türkischer Staatsangehöriger ist, zu.

 

Zwischenzeitlich wurde vom Bw allerdings am X die österreichische Staatsbürgerin Frau X geehelicht. Die Verehelichung ändert zwar nichts daran, dass der Bw nach wie vor die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und daher im Sinne des Fremdenpolizeigesetzes als Fremder anzusehen ist. Jedoch ist er nunmehr auch im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 12 FPG als Familienangehöriger zu betrachten. Aufgrund dessen ist im gegenständlichen Verfahren nunmehr der 4. Abschnitt des 8. Hauptstückes des Fremdenpolizeigesetzes anzuwenden.

 

3.2. Unter der Überschrift "Familienangehörige von nicht unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und Österreichern" stehend normiert § 65b FPG, dass für Familienangehörige im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 12 die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach den §§ 41a, 65a Abs. 2, 66, 67 und 70 Abs. 3 gelten.

 

Im Ausweisungsverfahren gegen den Bw findet daher § 66 FPG Anwendung. Die Bestimmung lautet:

"Ausweisung

 

§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

 

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat die Behörde insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

 

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

 

(4) § 59 Abs. 1 gilt sinngemäß."

 

3.2.1. § 66 Abs. 1 FPG lassen sich die Voraussetzungen für die Erlassung einer Ausweisung gegen begünstigte Drittstaatsangehörige und aufgrund des § 65b FPG auch gegen Familienangehörige von Österreichern entnehmen. Da der Bw an sich dem Adressatenkreis des § 66 FPG nicht angehört weil er von vornherein keine unionsrechtliche Aufenthaltsberechtigung haben kann, lässt sich aus Abs. 1 leg cit für den konkreten Fall lediglich ableiten, dass eine Ausweisung des Bw dessen unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet der Republik Österreich voraussetzt.

 

Dass der Bw, dessen Asylverfahren rechtskräftig negativ abgeschlossen wurde, nicht rechtmäßig im Bundesgebiet der Republik Österreich aufhältig ist, ist im gesamten Verfahren nicht als strittig angesehen bzw vom Bw sogar ausdrücklich zugestanden worden. Eine Ausweisung des Bw ist daher dem Grunde nach möglich.

 

3.2.2. Im Anschluss an § 66 Abs. 1 FPG trifft dessen Abs. 2 jedoch die Anordnung, dass nicht schon allein die Tatsache des nicht rechtmäßigen Aufenthaltes des Familienangehörigen eines Österreichers dessen Ausweisung rechtfertigt, sondern dass die Behörde im Ausweisungsverfahren insbesondere auch die Dauer des Aufenthalts der Person im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung an den Herkunftsstaat zu berücksichtigen hat.

 

3.2.3. Auf den Bw bezogen bedeutet dies:

 

Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet: Der Bw ist seit Dezember 2002 und damit seit nunmehr nahezu 8 Jahren im Bundesgebiet aufhältig.

 

Alter: Der Bw wurde am X geboren; er ist damit 31 Jahre alt.

 

Gesundheitszustand: Mangels gegenteiliger Angaben ist von einem guten gesundheitlichen Zustand auszugehen.

 

Familiäre und wirtschaftliche Lage: Der Bw ist (nunmehr) mit der österreichischen Staatsbürgerin X verheiratet. Er lebt mit seiner Gattin am gemeinsamen Wohnsitz in X. Der Bw ist Vater des österreichischen Staatsangehörigen X, geb. am X, der (mittlerweile) in X lebt und ist für diesen zur Leistung von Unterhaltszahlungen verpflichtet. Der Bw leistete die Zahlungen regelmäßig, solange er einer Beschäftigung nachging bzw nachgehen durfte.

 

Der Bw war von 4. August 2003 bis 28. Februar 2006 als Arbeiter beschäftigt. Von 1. Februar 2006 bis 30. November 2007 war der Bw gewerblich selbstständig Erwerbstätiger. Von 7. November bis 5. Dezember 2007 sowie von 7. Jänner bis 20. März 2008 bezog der Bw Arbeitslosengeld. Von 21. März 2008 bis 22. April 2011 war der Bw als Arbeiter beschäftigt.

Die Ehegattin des Bw ist als Friseurin tätig und bezieht ein Einkommen von EUR 1.000.-.

 

Soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet: Neben den für eine soziale Integration maßgeblichen Punkten wie dem langjährigen Aufenthalt des Bw im Inland sowie dessen langjähriger erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit spricht der Bw sehr gut deutsch.

Stark relativiert wird die Integration des Bw durch dessen rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten wegen der Vergehen der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 2 StGB, der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und 2 4. Fall StGB und der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 1 StGB.

 

Ausmaß der Bindung an den Herkunftsstaat: Bei seiner Einreise nach Österreich im Jahr 2002 war der Bw 22 Jahre alt. Er hat daher den überwiegenden Teil seines Lebens in seinem Heimatstaat verbracht. In der Türkei leben die Eltern des Bw und 2 Geschwister.

 

3.2.4. Bei einer Gesamtbetrachtung des in Punkt 3.2.3. dargelegten Sachverhaltes spricht im Wesentlichen gegen den Bw und damit für seine Ausweisung, dass dieser durch sein strafrechtswidriges Verhalten eine nicht unbeträchtliche kriminelle Energie an den Tag gelegt hat. Unzweifelhaft ist aufgrund der im Herkunftsstaat lebenden Eltern und Geschwister sowie der Tatsache, dass der Bw den Großteil seines Lebens in der Türkei verbracht hat, auch nach wie vor eine Bindung an den Herkunftsstaat gegeben. Der Bw ist relativ jung und gesund. Eine Reintegration in der Türkei wäre ihm daher durchaus zuzumuten. Schließlich ist dem Bw das nicht rechtzeitige Verlassen des Bundesgebietes nach Abschluss des Asylverfahrens negativ anzulasten.

 

Maßgeblich für eine aufenthaltsbeendende Maßnahme ist aber nicht primär, dass eine strafgerichtliche Verurteilung ausgesprochen wurde, sondern dass im Sinne einer Prognoseentscheidung das gegenwärtige und zukünftige Verhalten der Person im Lichte ihrer strafgerichtlichen Verurteilung rechtlich zu würdigen ist. Es ist also im konkreten Einzelfall zu analysieren, ob davon ausgegangen werden kann, dass sich der Bw hinkünftig rechtskonform verhalten wird.

 

Da die Kernfamilie des seit 8 Jahren im Inland aufhältigen Bw, der in der Zwischenzeit eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet hat, in Österreich lebt, davon auszugehen ist, dass der Bw bei Wegfall der gegen ihn erlassenen Ausweisung wieder eine Arbeitsbewilligung erhalten und daraufhin auch wieder die Beschäftigung bei seinem ehemaligen Arbeitgeber aufnehmen wird, der Bw bis zum Zeitpunkt des Ablaufes der Beschäftigungsbewilligung regelmäßig Unterhalt für seinen Sohn geleistet hat und der Bw sehr gut deutsch spricht, ist dem Bw ein hohes Maß an Integration zuzubilligen. Die wirtschaftliche Existenz scheint auch durch das Einkommen der Ehegattin gesichert. Es kann nach Ansicht des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vor diesem Hintergrund nicht davon ausgegangen werden, dass der Bw wiederum straffällig wird und damit eine Gefahr für die öffentlich Ordnung, Ruhe und Sicherheit darstellt. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, der davon ausgeht, dass ab einer Aufenthaltsdauer von etwa 10 Jahren und einer Erwerbstätigkeit von 9 Jahren sowie dem Vorliegen weiterer Integrationsmerkmale das persönliche Interesse eines Fremden am Verbleib im Bundesgebiet ein derart großes Gewicht erlangt, dass eine Ausweisung unverhältnismäßig erscheint (vgl etwa VwGH 20.1.2011, 2010/22/0158). Wenn der Bw auch noch nicht ganz so lange im Bundesgebiet aufhältig bzw nicht ganz so lange erwerbstätig ist, kann die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, die sich auch auf nicht unter die Rechtswohltat des § 66 Abs. 2 FPG fallende Personen bezieht, zugunsten des Bw durchschlagen.

 

3.2.5. Hinsichtlich des von der Mutter des Sohnes in ihrer E-Mail gemachten Hinweises, gegen den Bw würden Anzeigen wegen Körperverletzung, gefährlicher Drohung und Urkundenfälschung laufen, ist anzumerken, dass der Bw genau wegen dieser Delikte bereits verurteilt wurde und die Verurteilung entsprechend gewürdigt wurde.

 

3.3. Im Grunde des § 66 Abs. 2 FPG erweist sich damit die Ausweisung des Bw als nicht rechtmäßig. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

4. Auf eine Übersetzung des Spruches und der Rechtsmittelbelehrung in eine andere Sprache (vgl § 59 Abs. 1 FPG) kann aufgrund der geltend gemachten perfekten Deutschkenntnisse des Bw verzichtet werden.

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 14,30 Euro (Eingabegebühr), 7,80 Euro (Beilagen), insgesamt 22,10 Euro angefallen.

 

Bernhard Pree

Beschlagwortung:

Ausweisung, § 65 b FPG

 

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