Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730495/6/BP/MZ/Wu

Linz, 28.11.2011

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Bernhard Pree über die Berufung des X, geb. am X, StA der Türkei, vertreten durch Herrn RA X, gegen den Bescheid des Polizeidirektors der Stadt Wels vom 19. August 2011, GZ.: 1-1027202/FP/11, betreffend die Verhängung eines auf 10 Jahre befristeten Aufenthaltsverbotes gegen den Berufungswerber sowie des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung einer Berufung gegen den Bescheid nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

 

 

İtirazın kabul edilmesine ve itiraz edilen kararın tazminsiz ortadan kaldırılmasına.

 

 

Rechtsgrundlage/Hukuki dayanak:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

§ 63 iVm. § 64 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG


Entscheidungsgründe

 

1.1.1. Mit Bescheid des Polizeidirektors der Stadt Wels vom 19. August 2011, GZ.: 1-1027202/FP/11, wurde über den Berufungswerber (im Folgenden: Bw) auf Basis der §§ 63 Abs. 1, 2 und 3 in Verbindung mit § 53 Abs. 1 Z 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Zugleich wurde gemäß § 68 Abs. 3 FPG 2005 die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung gegen den genannten Bescheid ausgeschlossen.

 

Begründend führt die belangte Behörde nach Anführung der relevanten Rechtsgrundlagen zunächst zum Sachverhalt aus, dass der Bw, ein Staatsangehöriger der Türkei, am 2. November 1989 im Alter von 10 Jahren ins Bundesgebiet eingereist und seither hier aufhältig sei. Er sei mit Urteil des Landesgerichtes Wels vom 20. Mai 2010 rechtskräftig schuldig gesprochen worden, fremde bewegliche Sachen in unbekanntem Wert nachstehend näher genannten Personen durch Einbruch in ein Gebäude sowie in Transportmittel mit dem Vorsatz weggenommen, teils wegzunehmen versucht zu haben, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern und sich durch wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen. Eine Freiheitsstrafe von 20 Monaten sei ausgesprochen worden.

 

Im Zuge der Einräumung der Möglichkeit, zur geplanten Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbots Stellung zu nehmen, habe der Bw mitgeteilt, dass eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten keineswegs die Erlassung eine Aufenthaltsverbots rechtfertige, da der Aufenthalt des Bw die öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht gefährde. Der Bw sei bis zur gegenständlichen Verurteilung unbescholten gewesen und hätte immer ordnungsgemäß gearbeitet und gelebt.

Weiters habe der Bw angegeben, zum ersten Mal in Haft zu sein, die Tat zu bereuen und mit Sicherheit keine weiteren strafbaren Handlungen zu begehen. Sämtliche Verwandte wie auch die beiden Kinder des Bw würden in Österreich leben, weshalb die Einstellung des Verfahrens beantragt werde.

In einer später eingelangten Stellungnahme habe der Bw ausgeführt, nach der Schule eine Tischlerlehre begonnen, diese jedoch nicht abgeschlossen und in Folge bis 2008 als Schlosserhelfer gearbeitet zu haben. Erst mit dem Kennenlernen seiner Ehefrau sei der Bw abgerutscht, wobei die Ehe mittlerweile geschieden sei.

 

1.1.2. In rechtlicher Hinsicht bzw im Zuge der Beweiswürdigung führt die belangte Behörde zusammengefasst aus, dass den Angaben des Bw nicht gefolgt werden könne. Der Bw sei bis dato neun Mal verurteilt worden und habe bereits eine Freiheitsstrafe verbüßt. Bereits zwei Monate danach sei der Bw wieder straffällig geworden und zur oben genannten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Eine Verurteilung vom 13. Jänner 2011 wegen des Verbrechens des Raubes und des gewerbsmäßigen Diebstahls am 20. August 2009 wäre noch nicht rechtskräftig (Anmerkung der erkennenden Behörde: die Verurteilung erwuchs am 1. August 2011 in Rechtskraft).

 

Die geradezu beharrliche Begehung von Straftaten trotz rechtskräftiger Verurteilungen lasse auf eine völlig uneinsichtige Haltung schließen und stelle ein besonders starkes Indiz der Beeinträchtigung öffentlicher Interessen dar. Hinsichtlich der beruflichen Integration sei festzuhalten, dass der Bw am 16. Jänner 1995 angefangen habe zu arbeiten, die Tätigkeit aber immer wieder von Arbeitslosengeldbezug und Notstandshilfe unterbrochen wurde. Seit März 2008 habe der Bw nur 223 Tage gearbeitet, wohingegen er an 297 Tagen Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe bezogen habe. Von einer beruflichen Integration könne daher keinesfalls gesprochen werden.

 

Hinsichtlich der beiden Kinder des Bw und dessen geschiedener Frau sei aus den Vorakten bekannt, dass die Kinder bei einer Pflegefamilie leben würden und die geschiedene Gattin im Februar 2011 aus dem Bundesgebiet ausgereist sei.

 

Die belangte Behörde beschließt den angefochtenen Bescheid mit der Wiedergabe von Gesetzesstellen und stellt fest, dass die öffentlichen Interessen an der Erlassung des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes und die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme davon unverhältnismäßig schwerer wiegen würden als die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Bw, zumal dieser immer wieder unter Beweis gestellt habe, nicht gewillt zu sein, sich an die im Gastland geltenden Gesetze zu halten und eine familiäre Bindung zu den Kindern nicht gegeben zu sein scheint. Überdies bestehe nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf die Wahrung eines geordneten Fremdenwesens ein eminent hohes öffentliches Interesse.

 

Zur Bemessung der Dauer des erlassenen Aufenthaltsverbots sowie zum Ausschluss der aufschiebenden Wirkung bei Erhebung eines Rechtsmittels gegen den angefochtenen Bescheid finden sich in der Begründung keinerlei Ausführungen.

 

1.2. Gegen diesen Bescheid, der dem Bw am Dienstag den 23. August 2011 zugestellt wurde, erhob der Bw durch seine rechtsfreundliche Vertretung mit Fax vom 6. September 2011 rechtzeitig das Rechtsmittel der Berufung.

 

Im Wesentlichen wird im Rechtsmittel dem von der Behörde als maßgeblich herangezogenem Sachverhalt nicht entgegen getreten bzw die bereits vor der Erstinstanz abgegebene Stellungnahme wiederholt.

 

Der Bw stellt die Berufungsanträge, den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufzuheben und das eingeleitete Aufenthaltsverbotsverfahren einzustellen, in eventu den Bescheid zur Gänze aufzuheben und zur neuerlichen Entscheidung an die erstinstanzliche Behörde zurückzuverweisen, in eventu den Bescheid dahingehend abzuändern, dass die Dauer des Aufenthaltsverbotes herabgesetzt wird, jedenfalls aber der Berufung die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

 

Seinen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung begründet der Bw damit, dass keinesfalls die Gefahr der Vereitelung weiterer fremdenpolizeilicher Maßnahmen bestünde. Er sei mit sämtlichen gelinderen Mitteln einverstanden.

 

Wenn ein Aufenthaltsverbot zu erlassen sein sollte, dann wäre dies maximal für die Dauer von drei Jahren angemessen, da in diesem Zeitraum jedenfalls ein positiver Gesinnungswandel der Einstellung des Bw zu den österreichischen Rechtsvorschriften erwartet werden könne.

 

Weiters räumt der Bw ein, dass die im angefochtenen Bescheid erwähnten Straftaten richtig seien. Die diesbezüglich ergangenen Verurteilungen wären jedoch eine große Lehre gewesen. Der Bw bereue seine Taten und werde mit Sicherheit keine weiteren strafbaren Handlungen begehen.

 

Ergänzend wird schließlich vorgebracht, der Bw beabsichtige, die Obsorge für seine beiden Kinder zu erlangen. Die Eltern des Bw sowie seine Geschwister, vier Onkel und zwei Tanten würden – teils als österreichische Staatsbürger – in Österreich leben. Im Falle einer Ausweisung würde der Bw aus seinem Leben gerissen und in der Türkei auf der Straße stehen.

 

Aus verfahrensrechtlicher Sicht bringt der Bw vor, die Erstbehörde habe sich mit dem genauen Sachverhalt der seinen Verurteilungen zugrunde lag nicht auseinander gesetzt, weshalb eine erschöpfende rechtliche Beurteilung nicht möglich war.

 

Der Bw verfüge über einen unbefristeten Aufenthaltstitel und dürfe daher nur ausgewiesen werden, wenn sein weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde, was nicht der Fall sei.

 

2.1. Die belangte Behörde legte den in Rede stehenden Verwaltungsakt zuständigkeitshalber dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vor. Bezüglich der sachlichen Zuständigkeit der erkennenden Behörde gilt es festzuhalten:

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl I 2011/38 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG 2005 in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass die Unabhängigen Verwaltungssenate zur Entscheidung über Berufungen gegen Rückkehrentscheidungen zuständig sind. Darüber hinaus stellte der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 31. Mai 2011, 2011/22/097, zusammengefasst fest, dass nach den maßgeblichen innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Falle des rechtmäßigen Aufenthalts eines Fremden sowohl über die Beendigung des Aufenthaltsrechts entschieden als auch dem nicht mehr länger zum Aufenthalt berechtigten Drittstaatsangehörigen die Pflicht zum Verlassen des Bundesgebietes, sohin eine Rückkehrverpflichtung im Sinne der Rückführungsrichtlinie, auferlegt sowie der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet für einen bestimmten Zeitraum oder für unbefristete Zeit untersagt, sohin auch ein Einreiseverbot im Sinne der Rückführungsrichtlinie ausgesprochen werde. Diese Vorgangsweise, nämlich mit einer einzigen Entscheidung das Aufenthaltsrecht zu beenden sowie unter einem die Rückkehr des Drittstaatsangehörigen anzuordnen und ihm den künftigen Aufenthalt im Bundesgebiet zu verbieten, stelle sich im Hinblick auf Art. 6 Abs. 6 Rückführungsrichtlinie als zulässig dar. Ungeachtet dessen seien dabei nach dieser Bestimmung die Verfahrensgarantien des Kapitels III der Rückführungsrichtlinie einzuhalten. Der Verwaltungsgerichtshof erachtet es sohin als nicht zweifelhaft, dass es sich bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes – unabhängig von der Benennung des innerstaatlich festgelegten Rechtsinstituts – um eine Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 3 Z 4 Rückführungsrichtlinie und ein Einreiseverbot im Sinne des Art. 3 Z 6 dieser Richtlinie handelt, bei deren Erlassung die in der Richtlinie festgelegten Verfahrensgarantien einzuhalten seien. Daraus folge aber, dass für Entscheidungen über eine dagegen gerichtete Berufung seit Ablauf der Frist zur Umsetzung der Rückführungsrichtlinie die Unabhängigen Verwaltungssenate zuständig seien.

 

2.2.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt sowie durch Einsichtnahme in das Elektronische Kriminalpolizeiliche Informationssystem und das Zentrale Melderegister.

 

Aus dem über das Elektronische Kriminalpolizeiliche Informationssystem angefragten Strafregister der Republik Österreich geht hervor, dass der Bw erstmalig mit Strafverfügung des BG Grieskirchen vom 17. November 1998, 2 U 112/98K, rechtskräftig seit 15. Dezember 1998, wegen strafrechtlich – konkret: wegen Diebstahl – verurteilt wurde. Die Strafe betrug 50 Tagessätze zu je 50,00.- Schilling.

 

Mit Urteil des BG Linz-Land erfolgte am 28. April 2003 eine Verurteilung wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung.

Mit Urteil des BG Wels vom 3. Februar 2005, 16 U 489/2004B, wurde der Bw wegen unerlaubtem Erwerb und Besitz von Suchtgift verurteilt. Die verhängte Freiheitsstrafe von 3 Monaten wurde auf eine Probezeit von 3 Jahren bedingt und in Folge nachgesehen.

 

Mit Urteil des BG Wels vom 11. Juli 2005, 16 U 218/2005A, wurde der Bw wegen Diebstahls und Betrugs zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 9,00.- Euro verurteilt.

 

Mit Urteil des BG Wels vom 18. April 2006, 16 U 108/2005Z, wurde der Bw wegen Diebstahl, Betrug und wegen unerlaubtem Umgang mit Suchtgift zu einer Freiheitsstrafe von 1 Monat, bedingt auf eine Probezeit von 3 Jahren, verurteilt.

 

Mit Urteil des BG Bludenz vom 13. März 2008, 10 U 15/2008Z, wurde der Bw wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 7,00.- Euro verurteilt.

 

Die (mehrfachen) weiteren Verurteilungen des Bw sind im gegenständlichen Verfahren nicht weiter von Relevanz.

 

2.2.2. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, da im Sinne des § 67d Abs. 1 AVG bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid zu beheben ist.

 

2.3. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1.1.1., 1.1.2. und 2.2.1. dieses Erkenntnisses dargestellten, im Wesentlichen unbestrittenen Sachverhalt aus.

 

2.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

3. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

3.1.1. Gemäß § 63 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011, kann gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt

1.      die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder

2.      anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen    zuwiderläuft.

 

Gemäß § 63 Abs. 2 FPG sind bestimmte Tatsachen im Sinne des Abs. 1 insbesondere jene des § 53 Abs. 2 Z 1, 2, 4, 5, 7 bis 9 und Abs. 3. § 53 Abs. 5 und 6 gelten.

 

Gemäß § 63 Abs. 3 FPG ist ein Aufenthaltsverbot gemäß Abs. 1 in den Fällen des § 53 Abs. 2 Z 1, 2, 4, 5, 7 bis 9 für die Dauer von mindestens 18 Monaten, höchstens jedoch für fünf Jahre, in den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 1 bis 4 für höchstens zehn Jahre und in den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 5 bis 8 auch unbefristet zu erlassen. Die Frist beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.

 

3.1.2. Laut dem unter der Überschrift "Aufenthaltsverfestigung" stehenden § 64 Abs. 1 Z 1 FPG darf ein Aufenthaltsverbot gemäß § 63 gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, nicht erlassen werden, wenn ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können.

 

3.2. Aus verfahrensökonomischer Sicht ist es aufgrund des mehr als 20-jährigen Aufenthalts des Bw im Bundesgebiet im gegenständlichen Fall zweckmäßig, nicht erst zu prüfen, ob ein Aufenthaltsverbot dem Grunde nach zu erlassen wäre, sondern erst die Frage zu klären, ob eine Aufenthaltsverfestigung im Sinne des § 64 Abs. 1 Z 1 FPG gegeben ist, weil der Bw vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts die österreichische Staatsbürgerschaft hätte erwerben können. Diesfalls darf ein Aufenthaltsverbot, mag es vor dem Hintergrund des § 63 auch berechtigt sein, ohnehin nicht erlassen werden.

 

3.2.1. Vorab ist bezüglich der hiebei heranzuziehenden Fassung des § 10 Abs. 1 StbG festzustellen:

 

Der unter der Überschrift "Verweisungen" stehende § 124 FPG normiert, dass, soweit in diesem Bundesgesetz auf Bestimmungen anderer Bundesgesetze verwiesen wird, diese in ihrer jeweils geltenden Fassung anzuwenden sind.

 

Die Kompetenzgrundlage für das Staatsbürgerschaftsgesetz stellt Art. 11 Abs. 1 Z 1 B-VG dar. Demnach obliegt die Gesetzgebung in Angelegenheiten der Staatsbürgerschaft dem Bund. § 124 FPG ist daher grundsätzlich bei Verweisungen auf das Staatsbürgerschaftsgesetz anzuwenden.

 

§ 64 Abs. 1 Z 1 FPG verweist jedoch ausdrücklich auf § 10 Abs. 1 StbG, BGBl. Nr. 311. Es ist daher vom Vorliegen einer lex specialis auszugehen und § 10 Abs. 1 leg cit in der explizit verwiesenen Fassung anzuwenden. Dies insbesondere auch deshalb, weil der Wortlaut der beiden widersprüchlichen Bestimmungen seit der Stammfassung des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl Nr. 100/2005, unverändert geblieben ist und die Bestimmungen zeitgleich in Kraft getreten sind.

 

3.2.2. § 10 Abs. 1 StbG in der Fassung BGBl. Nr. 311 lautet:

 

"Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn

1. er seit mindestens zehn Jahren ununterbrochen seinen ordentlichen Wohnsitz im Gebiet der Republik hat;

2. er durch ein inländisches Gericht

a) weder wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlungen zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten

b) noch wegen eines Finanzvergehens zu einer Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden ist;

hiebei stehen der Verleihung der Staatsbürgerschaft auch Verurteilungen wegen einer strafbaren Handlung entgegen, die der Fremde vor der Vollendung des 18. Lebensjahres begangen hat; (BGBl. Nr. 170/1983, Art. I Z 8)

3. gegen ihn nicht

a) wegen des Verdachtes einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlungen, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten bedroht sind, noch

b) wegen des Verdachtes eines mit Freiheitsstrafe bedrohten Finanzvergehens bei einem inländischen Gericht ein Strafverfahren anhängig ist; (BGBl. Nr. 170/1983, Art. I Z 8)

4. er nicht von einem ausländischen Gericht wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlungen zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist, die strafbaren Handlungen auch nach inländischem Recht gerichtlich strafbar sind und die Verurteilung in einem den Grundsätzen des Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, entsprechenden Verfahren ergangen ist; (BGBl. Nr. 202/1985, Art. I Z 6)

5. gegen ihn kein Aufenthaltsverbot besteht; (BGBl. Nr. 703/1974, Art. I Z 1)

6. er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, daß er zur Republik Österreich bejahend eingestellt ist und keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit bildet;

7. sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist oder er sich ohne sein Verschulden in einer finanziellen Notlage befindet und

8. er nicht mit fremden Staaten in solchen Beziehungen steht, daß die Verleihung der Staatsbürgerschaft die Interessen oder das Ansehen der Republik schädigen würde."

 

3.2.3. Gemäß § 64 Abs. 1 Z 1 FPG darf gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn diesem vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG verliehen hätte werden können. Aufgrund der zahlreichen strafrechtlichen Verurteilungen des Bw scheint dies im gegenständlichen Fall prima vista nicht möglich zu sein. Eine eingehende chronologische Analyse des zu beurteilenden Sachverhaltes führt jedoch zu einem anderen Resultat.

 

3.2.3.1. Wie unter Punkt 2.2.1. dargelegt, wurde der Bw mit Strafverfügung des BG Grieskirchen vom 17. November 1998, 2 U 112/98K, wegen der Vorsatztat des Diebstahls verurteilt.

 

Da § 10 Abs. 1 Z 2 lit a StbG auf eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als 6 Monaten abstellt, der Bw jedoch lediglich zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, ist der zitierte Versagungstatbestand zu diesem Zeitpunkt nicht erfüllt. Auch § 10 Abs. 1 Z 3 lit a StbG, der auf ein anhängiges Verfahren wegen des Verdachtes einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlungen, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als 6 Monaten bedroht sind, abstellt, ist aufgrund der in § 127 StGB enthaltenen maximalen Strafdrohung von 6 Monaten nicht einschlägig.

 

3.2.3.2. Die zweite Verurteilung des Bw erfolgte am 28. April 2003 wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung und damit nicht wegen einer Vorsatztat. Schon deshalb sind die auf gerichtliche Verurteilungen und Verfahren abstellenden Versagungstatbestände des § 10 Abs. 1 StbG nicht anwendbar.

 

3.2.3.3. Die dritte Verurteilung des Bw erfolgte am 3. Februar 2005 wegen unerlaubtem Erwerb und Besitz von Suchtgift gemäß § 27 Abs. 1 SMG. Der Bestimmung zufolge sind Übertretungen derselben mit Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen. Auch diese Verurteilung ist daher im Hinblick auf § 10 Abs. 1 Z 2 lit a und Z 3 lit a StbG nicht weiter von Relevanz.

 

3.2.3.4. Die vierte Verurteilung des Bw erfolgte am 11. Juli 2005 wegen Diebstahls und wegen Betrugs zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 9,00.- Euro.

 

In jenen Fällen, in denen jemand durch eine Tat oder durch mehrere selbständige Taten mehrere strafbare Handlungen derselben oder verschiedener Art begangen hat und über diese strafbaren Handlungen gleichzeitig erkannt wird, sieht § 28 StGB ("Zusammentreffen strafbarer Handlungen") vor, dass die Strafe nach dem Gesetz zu beurteilen ist, das die höchste Strafe androht.

 

Als maximale Strafdrohung ist sowohl bei Diebstahl als auch bei Betrug eine Freiheitsstrafe von bis zu 6 Monaten vorgesehen. Aufgrund des § 28 StGB hätte daher eine allfällige Freiheitsstrafe 6 Monate nicht übersteigen können. Hinsichtlich § 10 Abs. 1 Z 2 lit a und Z 3 lit a StbG ist daher auch diese Verurteilung irrelevant.

 

3.2.3.5. Die fünfte Verurteilung des Bw erfolgte am 18. April 2006 wegen Diebstahl, Betrug und wegen unerlaubtem Umgang mit Suchtgift gemäß § 27 Abs. 1 SMG. Bezüglich der mangelnden Relevanz in Bezug auf die allfällig deshalb in Betracht kommenden Versagungstatbestände kann auf die Punkte 3.2.3.3. und 3.2.3.4. verwiesen werden.

 

3.2.3.6. Die sechste Verurteilung des Bw erfolgte am 13. März 2008 wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 7,00.- Euro.

 

Diese Verurteilung erfüllt zwar aufgrund der verhängten geringen Strafe nach wie vor nicht den Tatbestand des § 10 Abs. 1 Z 2 lit a StbG. Jedoch bedroht § 83 Abs. 1 StGB das Vergehen der Körperverletzung mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr. Ab dem Zeitpunkt, ab dem das diesbezügliche Strafverfahren gegen den Bw anhängig war, ist damit der Versagungstatbestand des § 10 Abs. 1 Z 3 lit a StbG erfüllt.

 

Wenn auch aus den dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vorliegenden Akten nicht hervorgeht, wann das Strafverfahren wegen Körperverletzung gegen den Bw eingeleitet wurde, so ist dem Strafregisterauszug doch zu entnehmen, dass die Tat am 4. Dezember 2007 verübt wurde. Den Denkgesetzen entsprechend stellt der Tatzeitpunkt auch den frühest möglichen Zeitpunkt zur Einleitung eines diese Tat zum Gegenstand habenden Verfahrens dar.

 

3.3.1. Vor dem Hintergrund des im vorigen Punkt erlangten Ergebnisses ist in weiterer Folge die Frage zu stellen, ob dem Bw bis zum 3. Dezember 2007 die österreichische Staatsbürgerschaft hätte verliehen werden können.

 

3.3.1.1. Die belangte Behörde führt im angefochtenen Bescheid aus, dass der Bw am 2. November 1989 im Alter von 10 Jahren ins Bundesgebiet eingereist und seither hier rechtmäßig aufhältig sei. Die Anforderung des § 10 Abs. 1 Z 1 StbG für eine Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft ist daher ab dem 2. November 1999 als erfüllt anzusehen.

 

3.3.1.2. Dass der Bw im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 4 StbG von einem ausländischen Gericht wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlungen zu einer Freiheitsstrafe von mehr als 6 Monaten rechtskräftig verurteilt worden wäre oder gemäß Z 5 leg cit ein Aufenthaltsverbot bestanden hätte, ist im Verfahren nicht hervorgekommen.

 

3.3.1.3. Im relevanten Beurteilungszeitpunkt scheidet auch der in § 10 Abs. 1 Z und 8 StbG enthaltene Tatbestand offensichtlich aus.

 

3.3.1.4. Da der am X geborene Bw am 16. Jänner 1995 mit Beginn des erwerbsfähigen Alters eine Beschäftigung angenommen hat und er einer erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit zumindest bis zum 2. November 1999 auch überwiegend nachgegangen ist, war zu diesem Zeitpunkt sein Lebensunterhalt hinreichend im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 7 StbG gesichert.

 

3.3.1.5. Wie schon mehrfach dargelegt, wurde der Bw erstmals mit Strafverfügung des BG Grieskirchen vom 17. November 1998, 2 U 112/98K, wegen der Vorsatztat des Diebstahls verurteilt. Die Tat wurde damit innerhalb des relevanten Beurteilungszeitraumes (2. November 1989 bis 2. November 1999) verwirklicht.

 

Schon daraus, dass vom entscheidenden Richter des BG Grieskirchen die Form der Strafverfügung gewählt wurde, geht hervor, dass der Unwertgehalt der Tat des Bw kein allzu hoher war. Der Strafverfügung liegt folgender Sachverhalt zugrunde: X wurde von X seine Bankservicekarte (ohne Bankomatfunktion) sowie ein Zettel mit dazugehörigem Code entwendet. X übergab in Folge Karte und Code an den Bw mit der Erklärung, der Bw könne vom Konto des X Behebungen durchführen, was der Bw in Folge auch tat. Vom Bw wurde dadurch das Vergehen des Diebstahls gemäß § 127 StGB verwirklicht.

 

Nach Ansicht des erkennenden Mitglieds des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich reicht alleine diese Verurteilung, der keine hohe kriminelle Energie des Bw zugrunde liegt, nicht aus, um im Sinne von § 10 Abs. 1 Z 6 StbG davon auszugehen, dass der Bw nach seinem bisherigen (langjährigen Wohl-)Verhalten nicht Gewähr dafür bieten würde, zur Republik Österreich bejahend eingestellt zu sein und keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit zu bilden. Von einer kriminellen Karriere des Bw und damit von der Erfüllung des Tatbestandes des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG wird frühestens ab der Verurteilung des Bw vom 3. Februar 2005 wegen unerlaubtem Erwerb und Besitz von Suchtgift gemäß § 27 Abs. 1 SMG auszugehen sein.

 

3.4. Es ist nach Ansicht des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich daher davon auszugehen, dass mangels Erfüllung eines der Versagungstatbestände des § 10 Abs. 1 StbG dem Bw vor Verwirklichung des für das gegenständliche Aufenthaltsverbot maßgeblichen Sachverhalts im Sinne des § 64 Abs. 1 Z 1 FPG die österreichische Staatsbürgerschaft hätte verliehen werden können. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den Bw erweist sich aus diesem Grund als unzulässig.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

3.5. Vor Hintergrund des in Punkt 3.4. erlangten Ergebnisses erübrigt sich ein Eingehen auf die Frage, ob die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung im Falle einer Berufung gegen den angefochtenen Bescheid zu Recht erfolgt ist.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von € 29,90 (Eingabe- + Beilagenbühr) angefallen.

 

Hukuki itiraz yolu bilgilendirilmesi

İşbu karar karşı olağan kanun yolu açık değildir.

 

Talimat

Verilen karara karşı kararın tebliğ gününden itibaren altı hafta içinde Anayasa Mahkemesi’nde ve/veya Danıştay‘da itiraz edilebilinir. Yasal istisnalar hariç, şikayetin vekil tayin edilmiş bir avukat tarafından yapılması gerekmektedir. Her itiraz için 220.- Euro dilekçe harcı ödenilir.

 

 

 

Bernhard Pree

 

Beschlagwortung:

Aufenthaltsverbot, Aufenthaltsverfestigung, Erlangung der Staatsbürgerschaft, § 64 Abs. 1 Z1 FPG

 

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