Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-401083/13/Gf/Mu

Linz, 24.11.2011

 

 

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mit­glied Dr. Grof aus Anlass der Beschwerde des x, vertreten durch die RAe x, wegen Anhaltung in Schubhaft durch den Bezirkshauptmann von Vöcklabruck vom 4. bis zum 20. August 2010 zu Recht:

 

I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

II. Der Beschwerdeführer hat dem Bund Kosten in einer Höhe von insgesamt 426,20 Euro binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

 

Rechtsgrundlage:

§ 67c Abs. 3 AVG; § 79a AVG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 4. August 2010, GZ Sich40-2417-2009, wurde über den Rechtsmittelwerber, einen Staatsangehörigen von Afghanistan, gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, in der hier maßgeblichen Fassung BGBl.Nr. I 135/2009 (im Folgenden: FPG), zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft verhängt und durch Überstellung in das Polizeianhaltezentrum (PAZ) Steyr sofort vollzogen.

 

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass der Beschwerdeführer am 21. Juni 2009 widerrechtlich in das Bundesgebiet eingereist sei und am selben Tag einen Asylantrag gestellt habe. Nachdem jedoch bekannt geworden sei, dass er zuvor auch bereits in Ungarn einen Asylantrag gestellt habe, sei sein neuerlicher Asylantrag mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15. Juli 2009 zurückgewiesen und unter einem seine Ausweisung verfügt worden. Demzufolge sei er am 6. August 2009 nach Ungarn abgeschoben worden. Zudem sei gegen ihn mit Bescheid vom 9. September 2009 ein rechtskräftiges, auf 3 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot verhängt worden. In der Folge habe er überwiegend in Pakistan gelebt. Am 29. Juli 2010 sei er jedoch wieder von Ungarn aus nach Österreich gekommen, wobei ihm am 4. August mitgeteilt worden sei, dass beabsichtigt ist, seinen Asylantrag zurückzuweisen und ihn nach Ungarn abzuschieben. Da er keine Dokumente zum Nachweis seiner Identität habe vorlegen können, sondern im Gegenteil mehrfach versucht habe, diese ebenso zu verschleiern wie den Familiennamen und den Wohnort seiner in Österreich lebenden Schwester; er zudem nachdrücklich seinen Willen bekundet habe, Österreich nicht freiwillig verlassen zu wollen; gegen ihn auch ein aufrechtes Aufenthaltsverbot bestehe; und er hinsichtlich seiner örtlichen Gebundenheit als besonders flexibel anzusehen sei, bestehe sohin eine akute Fluchtgefahr, sodass zur Verhinderung eines Abtauchens in die Anonymität gelindere Mittel nicht hingereicht hätten, sondern die Schubhaft zu verhängen gewesen sei. Im Zuge der Abwägung zwischen den öffentlichen Interessen und dem durch die Haftanordnung bewirkten Eingriff in die Privatsphäre des Fremden hätten Erstere angesichts des konsequenten Ignorierens der fremdenpolizeilichen Vorschriften, seiner mangelnden sozialen Bindung in Österreich, seiner Nichtintegration in den Arbeitsmarkt und des Fehlens der erforderlichen finanziellen Mittel sowie eines ordentlichen Wohnsitzes  zweifelsfrei überwogen.

 

1.2. Gegen seine Anhaltung in Schubhaft richtete sich die vorliegende, am
18. August 2010 nach dem Ende der h. Amtsstunden per Telefax an den Oö. Verwaltungssenat übermittelte und somit gemäß § 13 Abs. 5 AVG als am 19. August 2010 eingelangt zu wertende Beschwerde.

 

Darin wird der zuvor dargestellte entscheidungsrelevante Sachverhalt nur insoweit bestritten bzw. ergänzt, als vorgebracht wird, dass ihm der Aufenthaltsverbotsbescheid der belangten Behörde vom 9. September 2009 nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei. Außerdem sei er unmittelbar nach seiner Ankunft in Österreich am 29. Juli 2010 aus eigener Initiative zu einer Polizeiinspektion in Linz gegangen und habe dort einen Asylantrag gestellt. Darüber hinaus unterliege die belangte Behörde insofern einem Irrtum, als bloß sicherheitspolizeiliche Aspekte nur bezüglich der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, nicht jedoch auch für die Begründung eines Sicherungsbedarfes relevant seien. Insbesondere in sog. "Dublin-Fällen" könne selbst das kumulative Vorliegen einer illegalen Einreise, das Fehlen von Personal- und Reisedokumenten, finanzielle Mittellosigkeit, das Fehlen einer bestehenden Sozialversicherung sowie eine mangelnde berufliche Integration nicht generell zur Verhängung der Schubhaft als einer Standardmaßnahme gegen Asylwerber führen. Da sich der Beschwerdeführer seiner Ausweisung im Jahr 2009 nicht widersetzt und die belangte Behörde auch keine Tatsachen habe feststellen können, die darauf schließen lassen, dass er sich nunmehr dem fremdenpolizeilichen Verfahren zu entziehen versuchen würde; er außerdem stets wahrheitsgemäße Angaben über seine Fluchtroute und Aufenthaltsorte gemacht habe; er sich im Zuge der Asylantragstellung jeweils aus eigener Initiative zu den Sicherheitsbehörden begeben und sich auch tatsächlich in der ihm zugewiesenen bundesbetreuten Unterkunft aufgehalten habe; er stets betont habe, nicht in einem anderen Schengen-Staat, sondern bei seiner in Österreich wohnenden Schwester leben zu wollen; er selbst in Ungarn die Erledigung seines Asylantrages abgewartet habe und nicht untergetaucht, sondern auch dort seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen sei, würden sich die von der belangten Behörde für einen akuten Sicherungsbedarf ins Treffen geführten Argumente als reine Spekulation erweisen. Schließlich sei auch nicht erwiesen, dass der Rechtsmittelwerber nunmehr neuerlich von Ungarn aus nach Österreich gekommen sei - vielmehr habe er nur angegeben, sich 5 Monate in Pakistan aufgehalten zu haben. Sollte sich tatsächlich herausstellen, dass er nicht über Ungarn eingereist ist, dann wäre aber ohnehin eine Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung seines Asylantrages gegeben.

 

Aus allen diesen Gründen wurde die kostenpflichtige Feststellung der Rechtswidrigkeit der Schubhaftverhängung beantragt.

 

1.3. Die belangte Behörde hat den Bezug habenden Verwaltungsakt vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet.

 

Darin wird ergänzend darauf hingewiesen, dass sich aus der entsprechenden Kontaktaufnahme ergeben habe, dass die Ungarische Republik insbesondere deshalb an ihrer Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens festhalte, weil sich die vom Rechtsmittelwerber vorgelegten Nachweise über einen Aufenthalt in dessen Heimatstaat als Fälschungen erwiesen hätten. Somit sei zu erwarten, dass die Abschiebung in Kürze durchgeführt werden könne.

 

Daher wird die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

 

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der BH Vöcklabruck zu GZ Sich40-2417-2009; da sich bereits aus diesem der entscheidungswesentliche Sachverhalt habe klären lassen und dieser zwischen den Verfahrensparteien - von der bereits zuvor unter 1.2. angesprochenen Divergenz bzw. Ergänzung abgesehen - auch nicht strittig sei, hätten die bereits von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen auch dem gegenständlichen Verfahren zu Grunde gelegt und im Übrigen gemäß § 83 Abs. 2 Z. 1 FPG von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden können.

 

Im Übrigen betreffe der Einwand des Beschwerdeführers, dass ihm der Aufenthaltsverbotsbescheid der belangten Behörde vom 9. September 2009 nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei, keine Sachverhalts-, sondern eine Rechtsfrage; und seinem Vorbringen, dass er unmittelbar nach seiner Ankunft in Österreich am 29. Juli 2010 aus eigener Initiative zu einer Polizeiinspektion in Linz gegangen sei und dort einen Asylantrag gestellt habe, sei die belangte Behörde nicht entgegengetreten, sodass es im vorliegenden Verfahren als zutreffend unterstellt werden könne.

 

2.2. Darüber hinaus sei in diesem Zusammenhang generell anzumerken, dass im Hinblick auf die durch (Art. 5 Abs. 4 EMRK i.V.m. und) Art. 6 Abs. 1 letzter Satz PersFrSchG i.V.m. § 83 Abs. 2 Z. 2 FPG für Schubhaftbeschwerden vorgegebene Entscheidungsfrist von 1 Woche in derartigen Verfahren der in § 39 Abs. 2 AVG normierte Amtswegigkeitsgrundsatz als entsprechend materienspezifisch relativiert angesehen werden müsse:

 

Während das zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Rechtschutzinstrumentariums der Schubhaftbeschwerde an die Unabhängigen Verwaltungssenate (1. Jänner 1991) maßgebliche Fremdenpolizeigesetz (BGBl.Nr. 75/1954 i.d.F. BGBl.Nr. 21/1991) lediglich 20 – zudem vergleichsweise relativ kurze – Paragraphen umfasst habe, eine Inschubhaftnahme von Asylwerbern damals in der Praxis fast nicht vorgekommen sei und auch kaum eine höchstgerichtliche Judikatur zu dieser Problematik existiert habe, hätten sich diese Rahmenbedingungen nunmehr drastisch geändert bzw. geradezu ins Gegenteil verkehrt: Der Umfang des Fremdenpolizeigesetzes sei paragraphenmäßig um mehr als das Sechsfache, inhaltlich hingegen zudem um ein Vielfaches angestiegen; Gleiches gelte für die Asylverfahren, in denen die Inschubhaftnahme von Antragstellern keinesfalls mehr einen seltenen Ausnahmefall bilde; und schließlich sei auch die höchstgerichtliche Judikatur schon dadurch, dass im Jahr 2008 ein eigenständiger Asylgerichtshof eingerichtet worden sei, aber auch dadurch, dass sie stets zeitlich nachhinke, unübersichtlich und schwer einschätzbar geworden.

 

Insgesamt resultiere daraus, dass sich das Fremdenrecht in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu einer hochkomplexen Materie entwickelt habe, ohne dass diesem Umstand im Bereich der Personal- und Sachausstattung – und zwar weder bei den Fremdenpolizeibehörden noch bei den Unabhängigen Verwaltungssenaten noch bei den Höchstgerichten – adäquat Rechnung getragen worden sei. Dazu komme schließlich, dass dessen ungeachtet das Zuständigkeitsfeld der Unabhängigen Verwaltungssenate durch entsprechende Verwaltungsreformgesetze kontinuierlich erweitert worden sei, sodass bei den UVS die Schubhaftangelegenheiten nur mehr einen relativ geringen Anteil des Gesamtanfalls bilde würden, deren Mitglieder also vorrangig mit anderen Materien ausgelastet seien.

  

Unter derartig geänderten Rahmenbedingungen könne daher dem (nach wie vor unveränderten) Verfassungsauftrag des Art. 6 Abs. 1 letzter Satz PersFrSchG nur mehr dann Rechnung getragen werden, wenn damit eine entsprechende materienspezifische Modifikation des Amtswegigkeitsprinzips einhergehe.

 

Konkret bedeute dies - v.a. auch im schutzwürdigen Interesse des Fremden selbst, der regelmäßig daran interessiert sei, dass sich die lediglich eine Maximalperiode verkörpernde Wochenfrist des Art. 6 Abs. 1 letzter Satz PersFrSchG in seinem Fall weitestmöglich verkürze – beispielsweise, dass es primär den Verfahrensparteien – d.h. dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde – obliege, die von ihnen aufgestellten Behauptungen auch im Wege entsprechender Beweismittel konkret zu belegen, sodass ein bloßer Hinweis auf einen "beizuschaffenden Akt", ein "einzuholendes Gutachten", eine "auszuforschende Meldeadresse", einen "ausfindig zu machenden Zeugen" etc. nicht hinreiche; da eine öffentliche Verhandlung im Zuge eines Schubhaftbeschwerdeverfahrens schon nach der Textierung des § 83 Abs. 2 Z. 1 FPG ersichtlich bloß die Ausnahme bilden solle, reiche es somit auch nicht hin, diese bloß standardmäßig zu beantragen, ohne hierfür gleichzeitig auch eine tragfähige Begründung anzugeben; weiters halte es der Oö. Verwaltungssenat auch nicht für geboten, sich mit von ein und demselben Beschwerdevertreter in unterschiedlichen Beschwerden verwendeten, insgesamt sohin ständig wiederkehrenden, sowohl weitwendigen als auch quantitativ unangemessen zahlreichen sog. Textbausteinen oder Rechtssatz- bzw. Fundstellenzitaten, hinsichtlich der der Rechtsmittelwerber nicht gleichzeitig auch jeweils einen unmittelbaren Bezug zu seinem konkreten Fall explizit aufgezeigt hat, im Detail auseinanderzusetzen; etc.

Äußerst zweckdienlich wäre zudem, wenn sich sowohl der Beschwerdeführer als auch die belangte Behörde einerseits in ihren Schriftsätzen jeweils bloß auf das konkret-sachverhaltsbezogen Wesentliche konzentrieren und andererseits ihren Eingaben auch die zum Beweis der ihnen jeweils relevant erscheinenden Tatsachen erforderlichen Belege oder Akten(teile) bereits unmittelbar anschließen bzw. raschestmöglich vorlegen würde.

 

2.3. Im gegenständlichen Fall sei der Beschwerdeführer auf Grund eines auf § 76 FPG gestützten Bescheides einer Behörde, die ihren Sitz im Sprengel des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich hat, angehalten worden; nach § 83 Abs. 1 FPG sei damit die örtliche Zuständigkeit des Oö. Verwaltungssenates zur Behandlung der vorliegenden Beschwerde gegeben gewesen.

 

Dieser habe gemäß § 83 Abs. 2 FPG i.V.m. § 67a AVG durch ein Einzelmitglied zu entscheiden gehabt.

 

3. Mit Erkenntnis vom 20. August 2010, Zl. VwSen-401083/4/Gf/Mu, wurde die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft als rechtswidrig sowie unter einem festgestellt, dass die für eine Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen würden.

 

Begründend wurde dazu ausgeführt:

 

3.1. Gemäß § 82 Abs. 1 FPG habe ein Fremder, gegen den die Schubhaft ange­ordnet wurde, das Recht, den Unabhängigen Verwaltungssenat u.a. mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit seiner Anhaltung in Schubhaft anzurufen.

 

Nach § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG könne die Fremdenpolizeibehörde gegen einen Asylwerber u.a. dann zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 des Asylgesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 135/2009 (im Folgenden: AsylG), oder zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft zu verhängen, wenn gegen ihn ein Ausweisungsverfahren bereits eingeleitet wurde; ein Ausweisungsverfahren gelte nach § 27 Abs. 1 AsylG ex lege als eingeleitet, wenn im Zulassungsverfahren eine Bekanntgabe dahin erfolgt, dass beabsichtigt ist, den Asylantrag zurückzuweisen oder abzuweisen (§ 29 Abs. 3 Z. 4 und 5 AsylG).

 

Nach § 77 Abs. 1 FPG habe die Behörde jedoch von der Anordnung der Schubhaft Abstand zu nehmen, wenn sie Grund zu der Annahme habe, dass deren Zweck durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann. Als in
diesem Sinne gelinderes Mittel komme gemäß § 77 Abs. 3 FPG insbesondere die Anordnung in Betracht, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen oder sich in perio­dischen Abständen bei einem bestimmten dem Fremden zuvor bekannt gegebenen Polizei­kommando zu melden.

 

3.2. Die mit der gegenständlichen Beschwerde relevierte Frage, ob die Schubhaftverhängung in inhaltlicher Hinsicht rechtmäßig gewesen sei, könne – nur –   dann bejaht werden, wenn a) ein Schubhafttatbestand gemäß § 76 Abs. 2 FPG vorliege, b) eine dem Zweck dieses Tatbestandes entsprechende Sicherungsnotwendigkeit bestehe und zudem c) durch eine derartige Maßnahme insgesamt auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibe.

 

3.2.1. Im vorliegenden Verfahren habe die belangte Behörde die Schubhaftverhängung auf § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG gestützt. Dies setze voraus, dass gegen den Beschwerdeführer entweder ein Ausweisungsverfahren eingeleitet oder eine durchsetzbare Ausweisung verhängt worden sei.

 

Hier sei dem Beschwerdeführer am 4. August 2010 im Wege einer Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs. 3 Z. 4 AsylG mitgeteilt worden, dass beabsichtigt ist, seinen Asylantrag zurückzuweisen, sowie, dass seit dem 2. August 2010 hinsichtlich der Zuständigkeit zur Entscheidung über seinen Asylantrag entsprechende Konsultationen mit Ungarn geführt werden.

 

Da eine derartige Mitteilung schon ex lege als Einleitung eines Ausweisungsverfahrens gelte (vgl. § 27 Abs. 1 AsylG), seien somit auch die Voraussetzungen eines Schubhafttatbestandes - nämlich des § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG – erfüllt gewesen.

 

3.2.2. Hinsichtlich der Beurteilung der Sicherungsnotwendigkeit (nicht: Sicherungsbedürfnis, weil durch diesen Terminus suggeriert werden würde, dass es diesbezüglich nicht auf eine objektivierbare, sondern auf die subjektive Einschätzung der Organwalter der Fremdenpolizeibehörde ankäme) sei anhand objektiver Kriterien zu prüfen gewesen, ob mit Blick auf das Ziel der beabsichtigten fremdenpolizeilichen Maßnahme eine Beschränkung der persönlichen Freiheit unabdingbar gewesen sei. Es sei also zunächst (und zwar nicht mit der vorgefassten Tendenz: "im Zweifel pro Haft", sondern im Gegenteil: mit der Einstellung, dass grundsätzlich gelindere Mittel anzuordnen seien, sodass derartige Verfügung stets nur eine äußerste Notmaßnahme darstellen könne) zu untersuchen gewesen, ob anhand der Umstände des konkreten Falles tatsächlich nur im Wege einer Haft zuverlässig erreicht habe werden können, dass die intendierte fremdenpolizeiliche Maßnahme auch effektiv umgesetzt werden könne.

 

Solche generell für eine derartige Sicherungsnotwendigkeit sprechenden Kriterien hätten beispielsweise die fehlende Wahrscheinlichkeit einer freiwilligen Ausreise, die für eine Rückkehr in den Abschiebe- bzw. Heimatstaat fehlenden finanziellen Mittel, die im Heimatstaat fehlende soziale Bindung, die angesichts fehlender Sanktionen gegebene Wahrscheinlichkeit einer illegalen Rückkehr des Fremden nach Österreich o.Ä; nicht jedoch eine allgemeine, d.h. nicht im Zusammenhang mit dem Zweck der Sicherungsnotwendigkeit stehende Gleichgültigkeit gegenüber generellen Ordnungsvorschriften oder strafrechtliche Verbote, ein allgemein unkooperatives Verhalten, eine allgemein mangelnde soziale, insbesondere berufliche Integration, etc. sein können.

 

Hätte daher der Fremde beispielsweise seine persönliche Identität zu verschleiern versucht und sei dieser weder polizeilich gemeldet noch tatsächlich durch längere Zeit hindurch an einer bestimmten Unterkunft aufhältig gewesen, so bestehe eine hohe Gefahr des Untertauchens, die umgekehrt prinzipiell eine entsprechende Sicherungsnotwendigkeit begründe. Hingegen wäre diese von vornherein entfallen, wenn der Fremde bloß gegen melderechtliche Vorschriften verstoßen habe und/oder wegen eines Suchtgiftdeliktes zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sei, sich seither aber tatsächlich durchgehend an einer der Fremdenpolizeibehörde bekannten Unterkunft aufgehalten habe.

 

3.2.2.1. Im gegenständlichen Fall habe die Schubhaftverhängung bezweckt, dass der Beschwerdeführer der belangten Behörde für seine in naher Zukunft durchzuführende Abschiebung nach Ungarn auch tatsächlich zur Verfügung stehe und diese nicht dadurch, dass er zum maßgeblichen Zeitpunkt an seinem bisherigen Aufenthaltsort faktisch nicht greifbar wäre, erschweren oder gar verunmöglichen können solle.

 

Dass der Beschwerdeführer, dessen Identität mangels entsprechender Reise- und Personaldokumente nach wie vor nicht restlos geklärt sei, bis zu seiner Asylantragstellung am 29. Juli 2010 über einen ordnungsgemäßen Wohnsitz in Österreich verfügt hätte, sei auch von ihm selbst nicht behauptet worden. Allerdings habe er sich danach bis zu seiner Inschubhaftnahme am 4. August 2010 in der ihm zugewiesenen Betreuungsstelle aufgehalten.

 

Von einer sozialen oder beruflichen Integration des Rechtsmittelwerbers könne keine Rede sein. Denn in Österreich lebe lediglich seine Schwester, deren Familienname und Wohnort ihm jedoch unbekannt sei. Eine – zudem glaubwürdige – Erklärung seiner Schwester, dass der Beschwerdeführer für den Fall seiner Freilassung bei ihr Unterkunft nehmen könnte, liege nicht vor.

 

Dass er keinesfalls wieder nach Ungarn abgeschoben werden wolle, weil er in diesem Fall eine weitere Abschiebung nach Pakistan fürchte, habe der Rechtsmittelwerber im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme am 29. Juli 2010 durch das Stadtpolizeikommando Linz explizit bekräftigt (vgl. die Niederschrift vom selben Tag, GZ E1/40109/2010-may). Angesichts der Mitteilung vom 4. August 2010, dass beabsichtigt sei, seinen Asylantrag zurückzuweisen und bezüglich der Klärung der internationalen Zuständigkeit entsprechende Konsultationen mit Ungarn geführt würden, sowie des Umstandes, dass der Beschwerdeführer bereits zuvor nach Ungarn abgeschoben worden sei und er gerade deshalb – ungeachtet eines Aufenthaltsverbotes – wieder nach Österreich zurückgekehrt sei, liege es auf der Hand, dass er eine neuerliche Abschiebung nicht widerstandslos über sich ergehen lassen, sondern – wäre er in Freiheit – von der einfachsten und deshalb am nächsten liegenden Möglichkeit, nämlich: Verschleierung seines jeweiligen aktuellen Aufenthaltsortes, Gebrauch machen würde, um sich dieser zu entziehen.

 

Da die Republik Ungarn am 4. August 2010 ihre Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens und ihre Bereitschaft zur Übernahme des Beschwerdeführers erklärt habe und zudem auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich gewesen seien, dass sonstige Hindernisse entgegenstehen könnten, sei sohin objektiv besehen mit einer baldigen faktischen Durchführung der Abschiebung zu rechnen gewesen.

 

3.2.2.2. Alle diese Gründe hätten im vorliegenden Fall für eine dementsprechende Sicherungsnotwendigkeit gesprochen; sie hätten insgesamt betrachtet deutlich jene – nämlich: dass sich der Beschwerdeführer freiwillig zur Fremdenpolizeibehörde begeben und bis zu seiner Inschubhaftnahme in der Bundesbetreuung aufgehalten habe; in diesem Zusammenhang sei jedoch zu beachten, dass ihm bis dahin die Aussichtslosigkeit seines Asylverfahrens noch in keiner Weise bewusst gewesen sei, sodass ein insoweit kooperatives Verhalten gleichsam selbstverständlich sei – dagegen sprechenden Argumente, und zwar insbesondere auch deshalb, weil das Bestehen einer derartigen Sicherungsnotwendigkeit im sog. Spätstadium des Asylverfahrens umso mehr anzunehmen sei (vgl. VwGH v. 25. März 2010, 2008/21/0617).

 

3.2.3. Vom Bestehen einer Sicherungsnotwendigkeit ausgehend sei schließlich noch zu untersuchen gewesen, ob der mit der fremdenpolizeilichen Maßnahme konkret verfolgte Zweck nicht auch durch normale (diese Bezeichnung sei deshalb angebracht, weil dadurch umgekehrt die Haft als das "Ausnahmemittel" besser gekennzeichnet werde), d.h. im Verhältnis zum Entzug der persönlichen Freiheit im Wege der Haft gelindere Sicherungsmittel zu erreichen gewesen wäre.

 

Die Anordnung gelinderer Mittel bedinge das grundsätzliche, durch entsprechende konkrete Kriterien objektivierbare Vertrauen, dass sich der Fremde zum Zeitpunkt der Durchführung der Abschiebung der Behörde zur Verfügung halten werde, d.h. für diese auch faktisch greifbar sei. In diesem Zusammenhang gehe die Rechtsordnung davon aus, dass ein derartiges Vertrauen a priori zunächst vorauszusetzen sei – sonst wäre nicht die Schubhaftverhängung als ein bloßes ultima-ratio-Mittel, sondern im Gegenteil als Standardmaßnahme zugunsten der Fremdenpolizeibehörden gesetzlich vorgesehen worden. Daraus folge, dass es dann, wenn die Schubhaft angeordnet wird, der Behörde obliege, jene Gründe vorzubringen und entsprechend zu belegen, die im konkreten Fall für ein Nichtbestehen eines derartigen Vertrauensverhältnisses sprechen.

 

Einer derartigen Prognoseentscheidung seien somit v.a. jene Hinweise in Bezug auf das bisherige Verhalten zu Grunde zu legen, die gegen bzw. für eine Freiheitsentziehung sprechen (wie z.B. ob gelindere Mittel bisher schon angewendet wurden und wenn ja, ob diese erfolgreich waren oder nicht; ob sich auch die näheren Familienangehörigen [legal] in Österreich befinden; ob der Fremde in Österreich sozial integriert ist; ob sich der Fremde grundsätzlich den österreichischen Rechtsvorschriften verbunden fühlt, etc.), wobei insoweit unter dem Aspekt, dass eine Haftanordnung nur eine ultima-ratio-Maßnahme darstellen könne, eben eine formelhafte oder bloß auf allgemeine Erfahrungssätze abstellende Begründung des Schubhaftbescheides nicht hinreiche, sondern diese vielmehr eine konkrete, individuell-fallbezogene Subsumtion mit entsprechender pro- und contra-Abwägung aufweisen müsse, damit gewährleistet sei, dass durch diese keine antizipatorische "pro-Haft-Tendenz" zum Ausdruck komme, d.h. eine haft"begünstigende" Begründungsargumentation objektiv betrachtet verlässlich ausgeschlossen sei. Nur wenn danach mit zwingenden Gründen davon ausgegangen werden könne, dass die effektive Umsetzung (eine bloße "Erschwerung" reiche hingegen nach § 76 FPG – und erst recht nach Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG – nicht hin) der beabsichtigten fremdenpolizeilichen Maßnahme nicht anders als durch einen Entzug der persönlichen Freiheit gewährleistet werden kann, erweise sich die Anordnung der Schubhaft auch unter dem Aspekt des Verhältnismäßigkeitsprinzips als gerechtfertigt.

 

3.2.3.1. Im gegenständlichen Fall sei der Beschwerdeführer einem aufrechten Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet eingereist. (Abgesehen vom bloß marginalen Einfluss dieses Aspektes auf die gegenständliche Entscheidung gehe sein diesbezüglicher Einwand, dass dieses Aufenthaltsverbot deshalb nicht in Rechtskraft erwachsen sei, weil eine Zustellung gemäß § 25 ZustG nicht zulässig gewesen sei, schon aus dem Grund ins Leere, weil die belangte Behörde entgegen seiner Rechtsauffassung mangels entsprechender Rechtsgrundlagen nicht dazu verpflichtet gewesen sei, damals auch Nachforschungen darüber anzustellen, in welchem ausländischen Staat und an welcher Adresse sich der Beschwerdeführer dort aufgehalten habe.)

 

Weiters sei sein früherer Asylantrag bereits rechtskräftig abgewiesen und damit im Ergebnis festgestellt worden, dass die von ihm behauptete Verfolgungs- und Gefährdungssituation in seinem Heimatstaat nicht bestehe. Mit seinem nunmehrigen Asylantrag habe er – trotz ausdrücklichen Hinweises im Zuge seiner persönlichen Einvernahme darauf, dass über ein und dasselbe Asylbegehren lediglich einmal entschieden werden könne – keine neuen Asylgründe vorgebracht. Daraus ergebe sich aber insgesamt, dass die Stellung der Asylanträge offensichtlich primär dazu gedient habe, das Asylverfahren insgesamt in die Länge zu ziehen und auf diese Art seinen faktischen Aufenthalt in Österreich zu verlängern.

 

In die gleiche Richtung ziele die – beleglose – Verwendung wechselnder Namen, die eine Klärung seiner Identität erheblich erschwere, die Vorlage von (zumindest zweifelhaften) Dokumenten, die – weil sie nach ihrem ersten Eindruck auch von jedermann selbst erstellt worden sein könnten – einer weitergehenden Überprüfung auf Echtheit und inhaltliche Richtigkeit bedürften, etc.

 

Insgesamt folge daraus, dass der Beschwerdeführer durch diese Handlungen das ihm grundsätzlich entgegen zu bringende Vertrauen in einem solchen Grad erschüttert habe, der es nicht mehr zulasse, mit gutem Grund annehmen zu können, dass sich der Rechtsmittelwerber zum Zeitpunkt der Abschiebung jedenfalls freiwillig und auch tatsächlich zur Verfügung der Fremdenpolizeibehörde halten würde; Letzterer könne daher vor dem Hintergrund des hier konkret zu beurteilenden Sachverhalts nicht entgegengetreten werden, wenn diese davon ausgegangen ist, dass es zweckentsprechender Sicherungsmaßnahmen bedürfe.

 

3.2.3.2. Nach § 77 Abs. 3 FPG kämen als – im Vergleich zur Schubhaftverhängung – gelindere Mittel auch die Anordnung, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen oder sich in periodischen Abständen bei einem Polizeikommando zu melden in Betracht. Wie sich aus der Textierung dieser Bestimmung, speziell aus der Verwendung des Wortes "insbesondere" ergebe, sei die Behörde hinsichtlich der Auswahl zwischen den unterschiedlichen Arten von Sicherungsmaßnahmen grundsätzlich nicht, durch das in § 77 Abs. 1 FPG normierte Verhältnismäßigkeitsprinzip im Ergebnis jedoch insoweit beschränkt, als letztlich nur eine solche Maßnahme gewählt werden dürfe, die sowohl zur Zielerreichung geeignet sei als auch den vergleichsweise geringstmöglichen Eingriff in die Persönlichkeitssphäre des Fremden nach sich ziehe.

 

Im gegenständlichen Fall sei offensichtlich, dass angesichts des Zweckes der Sicherungsmaßnahme – Gewährleistung der Möglichkeit der faktischen Durchführung der Abschiebung des Beschwerdeführers zu einem noch konkret festzusetzenden, jedoch in naher Zukunft liegenden Zeitpunkt – die alleinige Anordnung zur Unterkunftnahme in von der Behörde bestimmten Räumen (oder eine Verpflichtung zur periodischen Meldung bei einer Sicherheitsdienststelle) keine zur effektiven Zielerreichung geeigneten Maßnahmen darstellen könnten, weil in beiden Fällen für den Rechtsmittelwerber eine nicht nur einfache, sondern geradezu verlockende Gelegenheit bestehen würde, sich zum maßgeblichen Zeitpunkt dem behördlichen Zugriff durch Verschleierung seines Aufenthaltsortes zu entziehen.

 

3.2.3.3. Mit der jüngsten Novelle (BGBl.Nr. I 64/2010) zum Strafvollzugsgesetz (BGBl.Nr. 144/1969, im Folgenden: StVG) sei jedoch – nach längerer Test- und Vorbereitungszeit – die Möglichkeit eines "Strafvollzuges durch elektronisch überwachten Hausarrest" (vgl. §§ 156b ff StVG) eingeführt worden. Im Wege einer derartigen sog. "elektronischen Fußfessel" könne der Aufenthaltsort seines Trägers bzw. der Umstand, dass dieser den ihm zugewiesenen Bereich verlässt, ohne Schwierigkeiten festgestellt werden.

 

Eine Kombination der in § 77 Abs. 3 FPG vorgesehenen Anordnung zum Aufenthalt in von der Behörde bestimmten Räumen mit der Verpflichtung zum Tragen einer Fußfessel sei im vorliegenden Fall aber offenkundig in gleicher Weise zur Zweckerreichung geeignet gewesen und hätte für den Fremden jedenfalls einen weniger gravierenden Eingriff in dessen Persönlichkeitssphäre als dessen Inschubhaftnahme bedeutet.

 

Daher und insoweit habe sich gegenständlich die Schubhaftanordnung als unverhältnismäßig erwiesen.

 

3.2.3.4. Dagegen könne seitens der belangten Behörde auch nicht eingewendet werden, dass eine den §§ 156b ff StVG vergleichbare Regelung im Bereich des FPG derzeit (noch ?) nicht existiere und/oder die technischen Voraussetzungen hierfür bei den Fremdenpolizeibehörden faktisch nicht existieren würden.

 

Denn § 77 Abs. 3 FPG sei – worauf bereits zuvor hingewiesen worden sei – hinsichtlich der Wahl der Methoden von vornherein "offen", d.h. dass die belangte Behörde durch diese Bestimmung nicht nur nicht gehindert, sondern auch dazu ermächtigt sei, selbst solche Methoden, die darin nicht explizit angesprochen sind, zum Einsatz zu bringen, wenn und soweit sie im Ergebnis dazu dienen, dem Verfassungsauftrag des Art. 1 Abs. 3 und 4 B-VG gerecht zu werden.

 

Und zum anderen könne ein (gesetzgeberisches und/oder ministerielles) Unterlassen von notwendigen, unter verfassungsrechtlichen Aspekten offensichtlich gebotenen Vorkehrungen einem Fremden allgemein und somit auch dem h. Beschwerdeführer im Besonderen nicht zum Nachteil gereichen.

    

3.3. Der gegenständlichen Beschwerde sei daher gemäß § 83 Abs. 4 FPG iVm § 67c Abs. 3 AVG stattzugeben und davon ausgehend auch die weitere Anhaltung des Rechtsmittelwerbers in Schubhaft als rechtswidrig festzustellen gewesen.

 

4. Gegen diese Entscheidung hat die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich eine Amtsbeschwerde erhoben, der der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 20. Oktober 2011, Zl. 2010/21/0410 (ho. eingelangt am 23. November 2011), stattgegeben und das h. Erkenntnis vom 20. August 2010, Zl. VwSen-401083/4/Gf/Mu, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben hat.

 

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass der Unabhängige Verwaltungssenat – nach der (hier zu Recht erfolgten) Bejahung eines Sicherungsbedarfes – bei seiner Entscheidung die Möglichkeit der Anwendung gelinderer Mittel gemäß § 77 FPG (in der hier noch maßgeblichen Fassung vor dem FrÄG 2011) an Stelle der Schubhaft im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen habe. Er sei allerdings nicht zur Entscheidung darüber zuständig, welches der im § 77 Abs. 3 FPG demonstrativ aufgezählten gelinderen Mittel anzuwenden wäre. Deren Auswahl bleibe vielmehr der Fremdenpolizeibehörde vorbehalten.

 

Die Einbeziehung des Strafvollzuges durch elektronisch überwachten Hausarrest gemäß § 156b StVG idF BGBl. I Nr. 64/2010 in die zur genannten Ermessensübung angestellten Erwägungen der belangten Behörde würde sich aus mehreren Gründen als verfehlt erweisen.

 

Zunächst seien die durch Art. 1 des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 64/2010 unter der Überschrift "Strafvollzug durch elektronisch überwachten Hausarrest" eingefügten §§ 156b bis 156d StVG gemäß § 181 Abs. 20 StVG erst mit 1. September 2010 in Kraft getreten. Dasselbe gelte (gemäß deren § 7) für die auf Grund der Ermächtigung des § 156b Abs. 2 StVG erlassene "Hausarrestverordnung" der Bundesministerin für Justiz vom 31. August 2010, BGBl. II Nr. 279. Der Vollzug der hier verfahrensgegenständlichen Schubhaft sowie die hierüber ergangene Entscheidung der belangten Behörde vom 20. August 2010 lägen daher außerhalb des zeitlichen Anwendungsbereiches der eben genannten Bestimmungen.

 

Dazu komme, dass § 156b StVG und der mit Art. 2 Z. 4 derselben Novelle eingeführte Hausarrest nach § 173a StPO nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers eine besondere Form des Vollzuges der Straf- bzw. Untersuchungshaft darstellen würde (vgl. die E zur RV, 722 BlgNR, 24. GP, insbes. S. 1, 3 und 5). Die Bewilligung der elektronischen Überwachung könne daher nicht – vergleichbar mit einer Anordnung gelinderer Mittel (etwa durch die Weisung, an einem bestimmten Ort zu wohnen) – als Alternative zur Haft gewertet werden (vgl. in diesem Sinne die Entscheidung des OGH vom 23. Dezember 2010, 15 Os 165/10v = JBl 2011, 472). Einer solchen Maßnahme fehle daher auch die Eignung dafür, als weiteres, in der demonstrativen Aufzählung des § 77 Abs. 3 FPG nicht explizit genanntes gelinderes Mittel zur Anwendung zu kommen.

 

Schließlich sei auch unbestritten geblieben, dass im August 2010 sowohl die technisch erforderlichen Voraussetzungen für eine elektronische Überwachung bei der Vollzugsbehörde als auch die notwendigen Gegebenheiten beim Mitbeteiligten (die nunmehr in Kraft stehenden §§ 156b und 156c Abs. 1 StVG führen dazu etwa eine eigene Unterkunft und Erwerbstätigkeit bzw. eine dieser gleichzuhaltende nicht entlohnte Beschäftigung, § 156b Abs. 3 StVG weiters regelmässig eine Abdeckung der aus dem Vollzug entstehenden Kosten durch den Betroffenen an) gefehlt hätten.

 

5. Diese Rechtsansicht vermag zum einen deshalb nicht zu überzeugen, weil die dieser vorgelagerten verfassungsrechtlichen Grundfragen – so insbesondere jene, ob aus dem PersFrBVG ein Gebot zur analogen Übernahme von zwar nicht im FPG selbst, wohl aber in anderen Gesetzen geregelten Maßnahmen als gelindere Mittel i.S.d. § 77 Abs. 3 FPG resultiert – nicht angesprochen werden (obwohl Art. 133 Z. 1 B-VG dem schon deshalb nicht entgegen gestanden wäre, weil für den Bereich der Amtsbeschwerden eine exklusive und somit auch Verfassungsrecht als Prüfungsmaßstab einschließende Zuständigkeit des VwGH besteht); zum anderen scheint auch nicht beachtet worden zu sein, dass der Oö. Verwaltungssenat im gegenständlichen Fall nicht bloß die Rechtmäßigkeit der Schubhaft bis zum Entscheidungszeitpunkt, sondern darüber hinaus auch deren weitere Zulässigkeit zu beurteilen hatte, sodass der gegenständliche Sachverhalt (zumindest teilweise) auch sogar formal in den "zeitlichen Anwendungsbereich" der ohnehin wenige Tage nach der Erlassung des angefochtenen Bescheides in Kraft getretenen StPO- und StVG-Novelle BGBl.Nr. I 64/2010 gefallen wäre.

 

Ungeachtet dessen ist der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich im gegenständlichen Fall jedoch gemäß § 63 Abs. 1 VwGG an die Meinung des VwGH gebunden.

 

6. Davon ausgehend war die gegenständliche Beschwerde sohin aus den oben unter Pkt. 3 (S. 6 bis 13) genannten Gründen gemäß § 83 Abs. 2 FPG i.V.m. § 67c Abs. 3 AVG abzuweisen und festzustellen, dass die Anhaltung des Rechtsmittelwerbers in Schubhaft vom 4. bis zum 20. August 2010 rechtmäßig war.

 

7. Bei diesem Verfahrensergebnis war der Beschwerdeführer dazu zu verpflichten, dem Bund nach § 79a Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 Z. 1 und 3 AVG i.V.m. § 1 Z. 1 der UVS-Aufwandersatzverordnung, BGBl.Nr. II 456/2008, Kosten in Höhe von insgesamt 426,20 Euro (Vorlageaufwand: 57,40 Euro; Schriftsatzaufwand: 368,80 Euro) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.


Hinweise:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

 

Dr.  G r o f

 

 

 

 

VwSen-401083/13/Gf/Mu vom 24. November 2011

 

Erkenntnis

 

 

Rechtssatz 1:

 

B-VG Art133 Z1;

FPG §77 Abs3;

StPO §173a;

StVG §156b

 

Der elektronisch überwachte Hausarrest (sog "Fußfessel") stellt – so, wie er in § 173a StPO und in den §§ 156b ff StVG geregelt ist – keine Alternative zur Untersuchungshaft, sondern vielmehr eine besondere Form des Vollzuges derselben dar (vgl OGH 23.12.2010, 15 Os 165/10v).

Deshalb kommt der elektronisch überwachte Hausarrest auch nicht als ein weiteres, in der demonstrativen Aufzählung des § 77 Abs 3 FPG nicht explizit genanntes, gelinderes Mittel in Betracht (VwGH 20.10.2011, 2010/21/0410).

 

 

 

Rechtssatz 2:

 

VwGG §63 Abs1;

B-VG Art133 Z1;

FPG §77 Abs3

 

Bindung an die Rechtsansicht des VwGH im fortgesetzten Verfahren gemäß § 63 Abs 1 VwGG, auch wenn diese – aufgrund folgender Erwägungen – nicht zu überzeugen vermag:

Zum einen wurden die dieser Rechtsansicht vorgelagerten verfassungsrechtlichen Grundfragen – so insbesondere jene, ob aus dem Bundesverfassungsgesetz vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit ein Gebot zur analogen Übernahme von zwar nicht im FPG, wohl aber in anderen Gesetzen geregelten effektiven Maßnahmen als gelindere Mittel iSd § 77 Abs 3 FPG resultiert – nicht angesprochen. Dies obwohl Art 133 Z 1 B-VG dem nicht entgegengestanden wäre, weil für den Bereich der Amtsbeschwerden eine exklusive und somit auch das Verfassungsrecht als Prüfungsmaßstab einschließende Zuständigkeit des VwGH besteht.

Zum anderen dürfte auch nicht beachtet worden sein, dass im gegenständlichen Fall nicht bloß die Rechtmäßigkeit der Schubhaft bis zum Entscheidungszeitpunkt, sondern darüber hinaus auch deren weitere Zulässigkeit zu beurteilen war, sodass der gegenständliche Sachverhalt (zumindest teilweise) auch sogar formal in den "zeitlichen Anwendungsbereich" der wenige Tage nach der Erlassung des angefochtenen Bescheides in Kraft getretenen Novelle der StPO und des StVG, BGBl Nr I 64/2010, gefallen wäre.

 

 

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