Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730136/4/Sr/ER/Wu

Linz, 12.12.2011

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des X, StA von Georgien, geboren am X, vertreten durch X; Rechtsanwalt in X, gegen den Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 7. Dezember 2010, AZ: 1058648/FRB, betreffend eine Ausweisung des Berufungswerbers nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

Der Berufung wird insoweit stattgegeben, als eine Rückkehrentscheidung unzulässig ist, solange X, StA von Georgien, geboren am X und X, StA von Georgien, geboren am X, der Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 idgF – AsylG, zukommt.

 

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 7. Dezember 2010, AZ: 1058648/FRB, zugestellt am 13. Dezember 2010, wurde gegen den Berufungswerber (im Folgenden Bw) auf Basis der §§ 53 iVm. 31 Abs. 1, 31 Abs. 1a und 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, die Ausweisung angeordnet.

 

Begründend führt die belangte Behörde zunächst zum Sachverhalt aus, dass der Bw am 5. Oktober 2006 legal nach Österreich eingereist sei und am 18. Oktober 2006 einen Asylantrag gestellt habe. Das Asylverfahren sei rückwirkend betrachtet seit 28. November 2007 rechtskräftig negativ entschieden. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 20. Oktober 2010 sei die Behandlung der dagegen gerichteten Beschwerde abgelehnt worden.

 

Mit Schreiben vom 12. November 2010 sei der Bw von der Bundespolizeidirektion Linz über die beabsichtigte Ausweisung informiert worden. In seiner dazu eingebrachten Stellungnahme vom 30. November 2010 habe der Bw im Wesentlichen angegeben, dass er in Österreich so gut integriert sei, dass eine Ausweisung auf Dauer einen unzulässigen Eingriff in sein Menschenrecht nach Art. 8 EMRK darstellen würde. Trotz seines – damals – erst vierjährigen Aufenthalts in Österreich würde der Bw sehr gut Deutsch sprechen und sich als Familienoberhaupt um die herzkranke Mutter und den zuckerkranken Bruder kümmern. In der Heimat habe der Bw keine Verwandten, er habe in Georgien die Schulausbildung absolviert. Der Bw sei selbstständig erwerbstätig, davor sei er bei seiner Mutter mitversichert gewesen bzw. einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen und würde mit seiner subsidiär schutzberechtigten Mutter und seinem Bruder gemeinsam in einer Mietwohnung leben. Der Vater sei verstorben, deshalb habe der Bw gegenüber seinem Bruder die Vaterrolle übernommen. Aufgrund einer Hepatitiserkrankung müsse sich der Bw halbjährlichen Kontrolluntersuchungen unterziehen.

 

Nach Wiedergabe der einschlägigen Rechtsvorschriften führt die belangte Behörde in rechtlicher Hinsicht aus, dass die Ausweisung des Bw nach seinem vierjährigen Aufenthalt, dem Erlernen der deutschen Sprache und aufgrund seiner Berufstätigkeit einen nicht unerheblichen Eingriff in sein Privatleben bedeuten würde, der allerdings dadurch zu relativieren sei, dass dieser Aufenthalt auf Rechtsgrundlage eines offensichtlich unbegründeten Asylantrags beruhe. Aus diesem Grund hätte dem Bw klar sein müssen, dass er sein Privatleben während eines Zeitraums geschaffen habe, in dem er einen unsicheren Aufenthaltsstatus hatte. Dieser Umstand hätte ihm spätestens seit der negativen erstinstanzlichen Entscheidung über einen Asylantrag vom 3. Juli 2007 bewusst sein müssen.

 

Die von ihm vorgebrachten integrationsbegründenden Tatsachen seien während seines nur vorläufig berechtigten Aufenthalts entstanden und daher nicht geeignet, seine Interessen am Verbleib in Österreich zu verstärken.

 

Die vorgelegten Krankenberichte der Mutter und des Bruders würden auf keine Hilfsbedürftigkeit der beiden hinweisen. Die Hilfsbedürftigkeit sei auch insofern in Frage zu stellen, als die Mutter als Lagerarbeiterin beschäftigt sei und für den Unterhalt aufkomme. Die belangte Behörde könne daher kein besonders Nahe- und Abhängigkeitsverhältnis erkennen, das eine Höherbewertung der familiären Interessen gegenüber den öffentlichen Interessen im Sinne der EMRK begründen würde.

Bezüglich der Erkrankung des Bw stellt die belangte Behörde fest, dass dieser laut einem Ambulanzbericht des AKH Linz vom März 2010 erst nach Anlauf eines Jahres zur nächsten Kontrolle erscheinen solle, weshalb die Behörde nicht davon ausgehe, dass es sich bei der Erkrankung des Bw um eine so schwerwiegende handle, die nur in Österreich behandelt werden könne.

 

Auch von einer gelungenen beruflichen Integration könne die belangte Behörde nicht ausgehen, da der Bw lediglich unlesbare Rechnungen vorgelegt habe und darüber hinaus aus einem Versicherungsdatenauszug hervorgehe, dass der Bw von 1. August 2009 bis 31. Dezember 2009 keine Versicherungsbeiträge gezahlt habe und zum Entscheidungszeitpunkt bei seiner Mutter mitversichert gewesen sei.

 

Nachdem der Bw im Alter von 22 Jahren nach Österreich eingereist sei, habe er den überwiegenden Teil seines bisherigen Lebens in seinem Herkunftsstaat verbracht, wo er auch seine Schulausbildung absolviert habe. Eine Reintegration scheine daher jedenfalls möglich, auch wenn der Bw angebe, in Georgien keine Verwandten mehr zu haben. Schwierigkeiten im Zusammenhang mit einem Neubeginn seien im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen.

 

Zusammenfassend könne daher nur festgestellt werden, dass die Ausweisung nicht nur zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und somit im Lichte des § 66 Abs. 1 FPG zulässig scheine, sondern auch unter Beachtung der Bestimmungen des § 66 Abs. 2 und 3 FPG zulässig sei.

 

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Bw rechtzeitig Berufung mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2010. In der Berufung stellt der Bw die Anträge, den angefochtenen Bescheid aufzuheben sowie festzustellen, dass die Ausweisung auf Dauer unzulässig ist.

 

Der Bw ersucht darin zu berücksichtigen, dass er sich zum Entscheidungszeitpunkt bereits vier Jahre in Österreich aufgehalten habe und sich um seine Mutter und seinen Bruder, die beide krank und subsidiär schutzberechtigt seien, kümmere. Ferner habe er sich in Österreich einen großen Freundeskreis aufgebaut und könne seine gelungene Integration durch zahlreiche Unterstützungsschreiben belegen. Bezüglich seiner beruflichen Integration könne er einen Rahmenvertrag mit der Firma X vorweisen und rügt die Feststellung der belangten Behörde, dass aufgrund der unlesbaren Rechnungen keine berufliche Integration festgestellt worden sei. Die Behörde widerspreche sich dabei insofern selbst, als sie festgestellt habe, die Ausweisung stelle auch aufgrund seiner Berufstätigkeit einen Eingriff in das Privatleben des Bw dar.

 

Der Bw verweist auf seine Unbescholtenheit und die bereits abgelegte Deutschprüfung auf Niveau A2 und weist erneut auf fehlende soziale Bindungen zu seinem Heimatstaat hin.

 

Die belangte Behörde hätte im Zuge einer Gesamtabwägung zum Ergebnis kommen müssen, dass die Ausweisung einen unzulässigen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Bw darstelle und sich nicht einzig auf den Umstand berufen dürfen, dass die integrationsbegründenden Maßnahmen während eines – aufgrund eines letztlich unbegründeten Asylantrags – temporär rechtmäßigen und unsicheren Aufenthalts entstanden seien. Auch hätte er sich aufgrund der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof dessen nicht bewusst sein müssen.

 

3. Die belangte Behörde legte zunächst den in Rede stehenden Verwaltungsakt der Sicherheitsdirektion Oberösterreich vor.

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 38/2011 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass der Unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist, weshalb der in Rede stehende Verwaltungsakt von der Sicherheitsdirektion – nach Inkrafttreten der Novelle am 1. Juli 2011 – dem Oö. Verwaltungssenat übermittelt wurde.

 

3.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde, in aktuelle Auszüge aus dem Zentralen Melderegister und in einen aktuellen Versicherungsdatenauszug.

 

3.2. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil eine solche nicht erforderlich war, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lässt (§ 67d AVG).

 

Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1. und 2. dieses Erkenntnisses dargestellten völlig unbestrittenen Sachverhalt aus. Ferner steht fest, dass Mutter und der Bruder des Bw aufgrund der Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 8 AsylG bis 24. September 2012 befristet aufenthaltsberechtigt sind.

 

3.3. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

4. In der Sache hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oö. erwogen:

 

4.1.1. Gemäß § 125 Abs. 14 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, gelten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassene Ausweisungen gemäß § 53 als Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter, mit der Maßgabe, dass ein Einreiseverbot gemäß § 53 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 damit nicht verbunden ist.

 

4.1.2 Im vorliegenden Fall wurde die Ausweisung auf Basis des § 53 FPG (in der Fassung vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011) erlassen, weshalb diese Ausweisung als Rückkehrentscheidung im Sinne des § 52 FPG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 anzusehen und zu beurteilen ist.

 

4.2.1. Gemäß § 52 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, ist gegen einen Drittstaatsangehörigen, sofern nicht anderes bestimmt ist, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Berufung gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 66 Abs. 4 AVG auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

 

4.2.2. Im vorliegenden Fall ist auch vom Bw selbst unbestritten, dass er über keinerlei Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügt und somit grundsätzlich unrechtmäßig aufhältig ist.

 

Allerdings ist bei der Beurteilung der Ausweisung bzw. der Rückkehrentscheidung auch auf Art. 8 EMRK sowie § 61 FPG Bedacht zu nehmen. 

 

4.3. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist allerdings ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs. 1 (nur) statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 1 FPG ist, sofern durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.         die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der       bisherige         Aufenthalt des Fremden rechtmäßig war;

2.         das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.         die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.         der Grad der Integration;

5.         die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.         die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.         Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des     Asyl-   Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.         die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem            Zeitpunkt        entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren         Aufenthaltstatus         bewusst waren;

9.         die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden       zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 3 FPG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein aufgrund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51ff. NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

Gemäß § 125 Abs. 20 FPG  gelten, vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 38/2011 vorgenommene Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 66 als Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 61 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter.

 

4.4. Im Sinne der zitierten Normen ist eine Interessensabwägung – basierend auf einer einzelfallbezogenen  Gesamtbetrachtung – vorzunehmen.

Gestützt auf die ständige Rechtsprechung der Höchstgerichte ist es grundsätzlich zulässig und erforderlich ist, Maßnahmen zu ergreifen, um den unrechtmäßigen Aufenthalt einer Person zu beenden, da ein solcher rechtswidriger Status fraglos dazu geeignet ist, die öffentliche Ordnung eines Staates massiv zu beeinträchtigen. Daraus folgt, dass das diesbezügliche öffentliche Interesse hoch anzusetzen ist und eine Rückkehrentscheidung grundsätzlich ein nicht inadäquates Mittel darstellt, um einen rechtskonformen Zustand wiederherzustellen. Dies gilt jedoch nur insofern, als die privaten bzw. familiären Interessen im jeweils konkreten Einzelfall nicht als höherrangig anzusehen sind.

 

4.4.1. Im vorliegenden Fall ist aufgrund der glaubwürdigen Angaben des Bw und des aufgrund der aktuellen Auszüge aus dem Zentralen Melderegister evidenten gemeinsamen Wohnsitzes des Bw mit seiner Mutter und seinem Bruder zweifelsfrei von einem aufrechten Familienleben auszugehen, weshalb gemäß § 61 Abs. 2 FPG eine Interessenabwägung hinsichtlich des Privat- und Familienlebens vorzunehmen ist, wobei insbesondere auch auf die berufliche und soziale Integration, das Asylverfahren und die Aufenthaltsdauer Bedacht zu nehmen ist.

 

In Anbetracht seines mittlerweile fünfjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet ist dem Bw eine der Dauer seines Aufenthalts entsprechende Integration zuzugestehen.

Diese Aufenthalt war nachweislich von 5. Oktober 2006 bis zur Beendigung des Asylverfahrens durch Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 20. Oktober 2010 – also 4 Jahre – rechtmäßig.

 

Das Gewicht der aus der (rechtmäßigen) Aufenthaltsdauer ableitbaren Integration wird jedoch angesichts der ständigen Judikatur des VwGH dadurch gemindert, als der Aufenthalt des Bw während des Asylverfahrens nur aufgrund eines Antrages, welcher sich letztendlich als unberechtigt erwiesen hat, temporär berechtigt war. Das Familienleben hat bereits vor seiner Einreise nach Österreich in seinem Heimatstaat Georgien bestanden, dem Bw musste aber bewusst sein, dass er ein Privatleben während eines Zeitraumes, in dem er einen "unsicheren" Aufenthaltsstatus hatte, geschaffen hat, (vgl. etwa Erkenntnis vom 08.11.2006, Zahl 2006/18/0344 sowie Zahl 2006/18/0226 ua.). Er durfte nicht von vornherein damit rechnen, nach einem allfälligen negativen Ausgang des Asylverfahrens weiterhin in Österreich bleiben zu dürfen.

 

Im Hinblick auf den fünf Jahre währenden Aufenthalt in Österreich ist im Besonderen auf die die jüngste Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abzustellen. Wie folgt wiedergegeben, hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, GZ 2009/21/0348, einer sozialen Integration, obwohl sie in einem Zeitraum entstanden ist, während dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war, ein nicht unbeachtliches Gewicht beigemessen:

Das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich ist in seinem Gewicht gemindert, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen (E. vom 22. Oktober 2009, Zl. 2009/21/0293; E. vom 29. September 2009, Zl. 2009/21/0253; E. des VfGH vom 3. März 2008, B 825/07 mit Bezug auf die Urteile des EGMR vom 31. Jänner 2006, Rodrigues da Silva und Hoogkaamer gegen die Niederlande [Beschwerde Nr. 50435/99] und vom 31. Juli 2008, Darren Omoregie u.a. gegen Norwegen [Beschwerde Nr. 265/07]). Der EGMR stellt in den angesprochenen Urteilen darauf ab, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die betroffenen Personen bewusst waren, der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes sei derart, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland von vornherein unsicher ist. Sei das der Fall, bewirke eine Ausweisung des ausländischen Familienangehörigen nur unter ganz speziellen bzw. außergewöhnlichen Umständen ("in exceptional circumstances") eine Verletzung von Art 8 EMRK (vgl.: E vom 19. Februar 2009, Zl. 2008/18/0721, E. vom 30. April 2009, Zl. 2009/21/0086). In diesem Sinn ist nach der Z. 8 des § 66 Abs. 2 FPG [in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011] aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Annordnung bei der Interessensabwägung darauf Bedacht zu nehmen, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war. Freilich hat die genannte Bestimmung schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte.

 

Im Erkenntnis vom 20. Jänner 2011, Zl. 2010/22/0158, hat der Verwaltungsgerichtshof bei einer im Wesentlichen vergleichbaren Sachlage, jedoch eines knapp über 10 Jahre bestehenden Aufenthaltes, dem persönlichen Interesse des Fremden am Verbleib in Österreich ein solches Gewicht beigemessen, dass eine Ausweisung unzulässig ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat dabei wie folgt ausgeführt:

 

Der Beschwerdeführer verweist auf seine Erwerbstätigkeit und darauf, dass er sich während seines Aufenthaltes in Österreich "in privater Hinsicht sehr gut integriert" habe. Die belangte Behörde hob zwar zu Recht hervor, dass dem Beschwerdeführer bereits nach erstinstanzlicher Abweisung seines Asylantrages die Unsicherheit seines Aufenthaltsstatus bewusst war, er somit nicht mit einem legalen Aufenthalt in Österreich rechnen durfte. Sie ist auch darin im Recht, dass dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. für viele etwa das Erkenntnis vom 6. Juli 2010, 2008/22/0688). Dementsprechend haben Fremde nach Abweisung ihres Asylantrages grundsätzlich den rechtmäßigen Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet herzustellen. Demgegenüber vermag der Beschwerdeführer jedoch einen bereits über zehnjährigen Aufenthalt in Österreich für sich ins Treffen zu führen und es stellte die belangte Behörde auch fest, dass er erwerbstätig ist. Diese Umstände verleihen dem persönlichen Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich ein solches Gewicht, dass die Ausweisung unverhältnismäßig erscheint (vgl. zu ähnlichen Fällen etwa die E. vom 26. August 2010, 2010/21/0206 und 2010/21/0009).

 

4.4.2. Wie sich aus dem Sachverhalt ergibt, befindet sich der Bw erst seit fünf Jahren im Bundesgebiet, wobei sein Aufenthalt 4 Jahre rechtmäßig war.

 

Der Bw gibt an, nach dem Tod seines Vaters die Rolle des Familienhaupts übernommen zu haben und seine Mutter und seinen Bruder, die beide nachweislich krank sind, zu unterstützen. Untermauert wird diese Angabe durch den immer noch bestehenden gemeinsamen Haushalt des Bw mit seiner Mutter und seinem Bruder. Zwar fällt diese Familienkonstellation im Sinne der Legaldefinition des § 2 Abs. 4 Z. 12 FPG nicht unter den Begriff der "Kernfamilie", aufgrund der Meldedaten und der glaubhaften Angaben des Bw ist aber evident, dass diese familiäre Beziehung während des gesamten Aufenthalts des Bw im Bundesgebiet bestanden hat, immer noch besteht und der Bw gegenüber seiner kranken Mutter und seinem kranken Bruder eine bedeutende Rolle im familiären Gefüge einnimmt. Das Familienleben ist auch nicht erst während eines Zeitraums entstanden, in dem sich der Bw seines unsicheren Aufenthalts bewusst sein hätte müssen, sondern hat bereits im Heimatstaat des Bw bestanden. Eine unmittelbare Außerlandesbringung des Bw würde daher zweifelsfrei in dessen Familienleben eingreifen, zumal seine Mutter und sein Bruder aufgrund der Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 8 AsylG vorerst bis 24. September 2012 befristet im Bundesgebiet aufenthaltsberechtigt sind.

 

Weiters ergibt sich aus dem Akt unstrittig, dass der Bw während seines Aufenthalts nur zeitweise unselbstständig oder selbstständig erwerbstätig war. Derzeit ist der Bw – befristet bis 18. Februar 2012 – bei seiner Mutter mitversichert. Eine gelungene berufliche Integration kann somit selbst unter Berücksichtigung der unlesbaren Rechnungen des Bw nicht festgestellt werden, da der Bw laut aktuellem Versicherungsdatenauszug nur im Zeitraum von 1. August 2009 bis 31. Dezember 2009 versicherungspflichtig selbstständig tätig war. Ansonsten war der Bw laut Versicherungsdatenauszug mehrfach, jeweils bloß kurzfristig unselbstständig geringfügig beschäftigt. Derzeit kann eine versicherungspflichtige Erwerbstätigkeit nicht festgestellt werden.

 

Bei der Beurteilung der sozialen Integration wird in besonderem Maß auf die strafrechtliche Unbescholtenheit, die Sprachkenntnisse sowie die gesellschaftliche Integration Bedacht genommen.

Der Bw ist strafrechtlich unbescholten, zudem wird nicht angezweifelt, dass er über Deutsch-Sprachkenntnisse verfügt, die er durch Vorlage eines A2-Zertifikats belegt hat. Auch durch die Vorlage von zahlreichen Unterstützungserklärungen gelingt es dem Bw, seine soziale Integration glaubhaft zu belegen.

 

Verglichen mit dem oa. Erkenntnis des VwGH ist aber im vorliegenden Fall nicht nur die dort beschriebene – zwar exemplarisch angeführte – Aufenthaltsdauer um mehr als die Hälfte unterschritten. Der Bw kann zwar eine seiner relativ kurzen Aufenthaltsdauer entsprechend hohe soziale Integration vorweisen, § 61 Abs. 2 FPG nimmt aber betreffend die Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK gleich in Ziffer 1 auf die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, Bezug.

 

Auch aus der oben zitierten Judikatur ergibt sich die besondere Bedeutung der Aufenthaltsdauer. Erst nach einem etwa zehnjährigen Aufenthalt misst der Verwaltungsgerichtshof der bestehenden Integration eines Fremden mehr Bedeutung bei als der Tatsache, dass diese Integration während eines unsicheren Aufenthaltsstatus entstanden ist. Da der Bw sich erst fünf Jahre im Bundesgebiet aufhält und nur vier Jahre davon – aufgrund eines letztlich unbegründeten Asylantrags – rechtmäßig waren, können weder die Art noch die Dauer des Aufenthalts bei der Abwägung der öffentlichen Interessen mit den Interessen des Bw im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK zugunsten des Bw gewichtet werden.

 

Nach einem fünfjährigen Zeitraum ist dennoch nachvollziehbar, dass die Bindung an den Heimatstaat nicht mehr allzu intensiv sein dürfte, insbesondere da der Bw angibt, über keine sozialen Kontakte in seinem Heimatstaat mehr zu verfügen.

Hier ist allerdings bei einer Abwägung festzustellen, dass der Bw 22 Jahre in seinem Herkunftsstaat gelebt und dort eine Ausbildung absolviert hat und die Sprache beherrscht, weshalb eine Reintegration nicht undenkbar und bei einer Gesamtbeurteilung wohl als jedenfalls zumutbar anzusehen ist. Wie die belangte Behörde zutreffend feststellt, sind die bei einem wirtschaftlichen Neubeginn in Georgien zu erwartenden Schwierigkeiten im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen und ist es nicht unmöglich, zwischenzeitig unterbrochenen Kontakte zu Bekannten im Heimatland wieder herzustellen.

 

Ergänzend wird angemerkt, dass der Bw in seinem Asylverfahren als Fluchtgrund vorrangig die Verfolgung durch Verwandte und Bekannte seines verstorbenen Vaters angegeben hat. Das Fehlen von Verwandten im Heimatstaat dürfte dem Bw seiner eigenen Argumentation folgend also nicht per se zum Nachteil gereichen.

 

4.4.3. Gemäß § 61 Abs. 3 FPG ist über die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, begründet abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind.

 

Der Verwaltungsgerichtshof stellt dazu fest, dass "nicht über die Dauer der Zulässigkeit, sondern allenfalls über die Dauer der Unzulässigkeit einer Ausweisung abzusprechen ist" (E vom 22. Februar 2011, 2010/18/0073 und E vom 3. November 2010, 2010/18/0348).

 

Unter Bedachtnahme des Wortlauts des Gesetzestextes und der diesbezüglichen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs erscheint also im Fall einer bloß vorübergehenden Verletzung des Privat- und Familienlebens die Bindung der Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung an eine auflösende Bedingung – im vorliegenden Fall der tatsächliche Wegfall des subsidiären Schutzes der Mutter und des Bruders des Bw – geboten.

 

Bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände ist festzustellen, dass – ungeachtet der familiären Interessen – die für die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung sprechenden Elemente des öffentlichen Interesses gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK die persönlichen Interessen des Bw an einem Verbleib im Bundesgebiet grundsätzlich überwiegen. Die durch die Rückkehrentscheidung drohende Verletzung des Familienlebens des Bw ist aber aufgrund des mit 24. September 2012 befristeten Status als subsidiär Schutzberechtigte der restlichen in Österreich lebenden Familienmitglieder des Bw als bloß vorübergehend zu betrachten. Aus diesem Grund ist die Rückkehrentscheidung bis zum Wegfall des subsidiären Schutzes der bezeichneten Personen – und nicht auf Dauer – unzulässig.

 

4.5. Es war daher der Berufung mit der Maßgabe einer bloß auf bestimmte Dauer unzulässigen Rückkehrentscheidung stattzugeben.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 14,30 Euro (Eingabegebühr) angefallen.

 

 

Mag Stierschneider

Beachte:

 

vorstehende Entscheidung wurde aufgehoben;

 

VwGH vom 25. Oktober 2012, Zl.: 2012/21/0030-5

 

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