Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730085/7/Wg/Gru

Linz, 02.01.2012

 

E r k e n n t n i s

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Wolfgang Weigl über die Berufung des X, geb. X, vertreten durch X, X, X, gegen die mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 21. Juli 2010, Sich40-42300, verhängte Ausweisung zu Recht erkannt:

 

 

I.                   Der Berufung wird stattgegeben und der bekämpfte Bescheid ersatzlos behoben.

 

II.                Eine Rückkehrentscheidung ist auf Dauer unzulässig.

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.4 AVG und  § 61 Abs 3 FPG

 

 

Entscheidungsgründe:

 

 

Die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land hat den Berufungswerber (im Folgenden: Bw) mit Bescheid vom 21. Juli 2010, Sich40-42300, gem. § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes (FPG) aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich ausgewiesen. Es wurde festgestellt, dass seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich zulässig ist.

 

Dagegen richtet sich die Berufung vom 27. Juli 2010. Der Bw beantragt darin, den angefochtenen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 21. Juli 2010 ersatzlos hinsichtlich seiner Spruchpunkte I. und II. aufzuheben und das wider ihn zur Einleitung gebrachte  Ausweisungsverfahren zur Einstellung zu bringen; oder den hier angefochtenen Bescheid aufheben und zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an die Erstinstanz zurückzuverweisen und jedenfalls eine mündliche Berufungsverhandlung anzuberaumen und durchzuführen.

 

Nachdem mit 1. Juli 2011 wesentliche Bestandteile des Fremdenrechts­änderungsgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 in Kraft getreten sind, hat die Sicherheitsdirektion den Berufungsakt dem Verwaltungssenat zuständig­keitshalber übermittelt.

 

Der Verwaltungssenat stellt folgenden Sachverhalt fest:

 

Der Bw wurde am X geboren und ist Staatsangehöriger der Türkei.

 

Er reiste am X illegal per LKW in das Bundesgebiet ein und stellte noch am selben Tag beim Bundesasylamt, Außenstelle Linz, einen Asylantrag.

 

Das Asylverfahren wurde mit Bescheid des UBAS am 27. November 2008 rechtskräftig negativ abgeschlossen. Es wurde aber keine Ausweisung ausgesprochen.

 

Der Bw  ist in strafrechtlicher Hinsicht unbescholten.

 

Aus einem Versicherungsdatenauszug (Stand: 19. September 2011) geht hervor, dass der Bw von X bis X, vom X bis X und von X bis X als Arbeiter sozialversichert war. Seit 20. Februar 2008 bezieht er eine Unfallrente kleiner 50 %.

 

Der Antrag seines letzten Arbeitgebers, der X, auf Verlängerung der Beschäftigungsbewilligung wurde im Rechtsmittelverfahren mit Bescheid der Landesgeschäftsstelle OÖ. vom 23. Februar 2010 abgelehnt. Die Entscheidung der Landesgeschäftsstelle stützt sich im Wesentlichen auf den Umstand, dass dem Bw seit 27. November 2008 – nach rechtskräftig negativem Abschluss des Asylverfahrens – kein Aufenthaltsrecht mehr zukommt und daher keine Beschäftigungsbewilligung erteilt werden darf.

 

Der Bw legte mit Eingabe vom 2. November 2011 ein Sprachdiplom über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2 vom 4. Februar 2011 vor.

 

Ende Oktober 2010 lernte er in der X beim X, X, die österreichische Staatsbürgerin X kennen. Seit Ende November 2010 führen die beiden eine Beziehung. Seit Anfang 2011, jedenfalls aber seit Februar 2011, befinden sich die wichtigsten Gebrauchsgegenstände, die X jeden Tag benötigt, in der Wohnung des Bw an der Adresse X, X. Die beiden sehen sich zur Zeit jeden Tag. Sie übernachtet auch jeden Tag bei ihm. Nur ausnahmsweise hält sie sich bei ihrer Mutter am gemeldeten Hauptwohnsitz X, X auf. Sie hat noch keinen Wohnsitz bei ihrem Freund angemeldet, weil die beiden damit warten wollen, bis sie eine größere Wohnung gefunden haben und der Bw einen Aufenthaltstitel erhalten hat.

 

Laut der vorgelegten Bestätigung von X, X, X, könnte der Bw ab sofort bei ihm im Imbiss als Aushilfe für 40 Stunden pro Woche anfangen, sobald er seine Aufenthaltsgenehmigung bekomme. Sein Bruttogehalt werde ca. X € im Monat betragen.

 

Aus einer KSV-Abfrage vom 8. September 2011 geht hervor, dass bzgl. dem Bw keine Eintragungen aufscheinen.

 

Diese Feststellungen stützen sich auf den Verfahrensakt der Erstbehörde sowie die vom Bw vorgelegten Dokumente (Zertifikat über Deutsch-Kenntnisse auf Niveau A2, Schreiben des X vom X, Versicherungsdatenauszug vom 19. September 2011, KSV-Abfrage vom 8. September 2011). Weiters erschienen der Bw und seine Freundin X am 14. November 2011 beim Verwaltungssenat. Obige Feststellung zur Beziehung der beiden stützen sich auf die am 14. November 2011 protokollierte zeugenschaftliche Aussage der X.

 

Da bereits nach der Aktenlage feststeht, dass der bekämpfte Bescheid zu beheben ist, konnte eine mündliche Verhandlung entfallen.

 

Der Verwaltungssenat hat dazu in rechtlicher Hinsicht erwogen:

 

Vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassene Ausweisungen gem. § 53 gelten dem. § 125 Abs. 14 FPG als Rückkehrentscheidungen gem. § 52 i.d.F. des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter, mit der Maßgabe, dass ein Einreiseverbot gem. § 53 i.d.F. des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 damit nicht verbunden ist.

 

Der Bw hält sich nach rechtkräftig negativem Abschluss seines Asylverfahrens nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Somit ist der Tatbestand für eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 1 FPG i.d.F. BGBl. I Nr. 38/2011 dem Grunde nach erfüllt.

 

Wird durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist gemäß § 61 Abs 1 FPG die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind gemäß § 61 Abs 2 FPG insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4. der Grad der Integration;

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung ist gemäß § 61 Abs 3 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

Jedermann hat gemäß Artikel 8 Abs 1 EMRK Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist gemäß Artikel 8 Abs 2 EMRK nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Die illegale Einreise des Bw sowie der unrechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet stellen zweifelsohne eine erhebliche Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens dar.

 

Dem gegenüber steht das persönliche Interesse des Bw an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet.

 

Der Bw verfügte während des Asylverfahrens lediglich über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz und musste sich daher seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein. Dessen ungeachtet begründet der seit dem 20. Februar 2002 aufrechte Aufenthalt im Bundesgebiet ein nicht unerhebliches persönliches Interesse des Bw an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet. Äußerst positiv zu werten ist der Umstand, dass er seit dem 11. Dezember 2002 bis 18. Jänner 2010 de facto durchgehend in sozialversicherungspflichtigen Verhältnissen stand. Der Bw bemühte sich auch  nach einem Berufsunfall und dem damit einhergehenden Bezug einer Unfallrente erneut um ein Beschäftigungsverhältnis. Von 6. August 2008 bis 18. Jänner 2010 war er bei seinem letzten Dienstgeber, der X beschäftigt. Aus dem Berufungsbescheid der Landesgeschäftsstelle vom 23. Februar 2010 geht dabei eindeutig hervor, dass sein Arbeitgeber um eine Verlängerung der Beschäftigungsbewilligung angesucht hat und eine weitere Beschäftigung lediglich am fehlenden Aufenthaltsrecht des Bw scheiterte. Die über lange Zeit aufrechten Beschäftigungsverhältnisse verstärken das persönliche Interesse des Bw an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet in einem sehr erheblichen Ausmaß. Es ist davon auszugehen, dass er jederzeit wieder einen Arbeitsplatz finden wird. Dies belegt auch die Einstellungszusage des X vom 1. September 2011.

 

Der Bw ist ledig und hat keine Kinder. In vergleichbaren Fällen hat der VwGH (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 20. Jänner 2011, GZ. 2010/22/0158) bei einer mehr als 10-jährigen Aufenthaltsdauer angenommen, dass das persönliche Interesse des Fremden an der Fortsetzung seines Privatlebens im Bundesgebiet die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung überwiegen.

 

Im vorliegenden Fall hält sich der Bw erst seit knapp über neuneinhalb Jahren im Bundesgebiet auf. Er hat mittlerweile eine österreichische Staatsbürgerin als Freundin. Ausdrücklich hervorzuheben ist, dass weder der Bw noch X von einer Lebensgemeinschaft sprechen. Der Bw bezeichnet X in seinem Mail vom 19. Oktober 2011 als Freundin. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass X und der Bw ein Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK führen, auch wenn sich X regelmäßig beim Bw aufhält und dort auch übernachtet. Die Beziehung stellt aber sehr wohl einen Umstand im Privatleben des Bw dar, der bei der Interessensabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK zu seinen Gunsten zu werten ist.

 

Bei einer Gesamtwertung des festgestellten Sachverhaltes überwiegen daher bereits schon jetzt die persönlichen Interessen des Bw an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung.

 

Aus diesem Grund war spruchgemäß zu entscheiden.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Stempelgebühren für die Beschwerde von 92,30 Euro angefallen.

 

 

 

Mag. Wolfgang Weigl

 

 

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