Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730284/4/WEI/MZ

Linz, 04.01.2012

B E S C H L U S S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß über die Berufung des A U, geb. X, vormals Justizanstalt Wels, nunmehr unbekannten Aufenthalts, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wels vom 16. August 2010, Zl. 1-1000620/FP/10, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbots den Beschluss gefasst:

 

 

            Die Berufung wird als unzulässig zurückgewiesen.

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs 4 iVm § 63 Abs 3 bis 5 Allgemeines Verwal­tungs­verfahrensgesetz 1991 – AVG iVm § 9 Abs 3 und § 13 Abs 4 Zustellgesetz.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit dem bekämpften Bescheid der Bundespolizeidirektion Wels vom 16. August 2010 wurde über den Berufungswerber (in der Folge: Bw), einen türkischen Staatsangehörigen der kurdischen Volksgruppe, wie folgt abgesprochen:

 

"Gemäß § 60 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Zi. 1 des Fremdenpolizeigesetzes (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, wird gegen Sie, gemäß § 63 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz ein

 

unbefristetes

AUFENTHALTSVERBOT

erlassen.

 

Gemäß § 64 FPG wird die aufschiebende Wirkung einer Berufung gegen diesen Bescheid ausgeschlossen."

 

Begründend führt die belangte Behörde nach umfangreicher und detaillierter Darlegung des kriminellen Verhaltens des Bw nach dessen Einreise in das Bundesgebiet der Republik Österreich zusammengefasst aus, dass die Annahme, der weitere Aufenthalt des Bw im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit, gerechtfertigt und deshalb ein unbefristetes Aufenthaltsverbot zu erlassen sei.

 

1.2. Zur Vorgeschichte:

 

1.2.1. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wels vom 14. August 2003 wurde über den Bw gemäß § 36 Abs 1 iVm Abs 2 Z 1 iVm § 39 Abs 1 des Fremdengesetzes (FrG), BGBl I Nr. 75/1997 idgF, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen sowie die aufschiebende Wirkung einer Berufung gegen diesen Bescheid ausgeschlossen.

 

Gegen diesen Aufenthaltsverbotsbescheid erhob der Bw rechtzeitig Berufung.

 

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 19. Jänner 2004 wurde der Berufung keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt.

 

Gegen den Berufungsbescheid brachte der Bw beim Verwaltungsgerichtshof Bescheidbeschwerde ein.

 

Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichthofs vom 30. November 2005, Zl. 2004/18/0052-18, wurde der angefochtene Bescheid der Sicherheitsdirektion des Bundeslandes Oberösterreich wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

 

1.2.2. Mit Schreiben vom 9. Jänner 2006 hat die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich dem Oö. Verwaltungssenat unter Hinweis auf das ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichthofes die Verwaltungsakten zur wiederum ausständigen Berufungsentscheidung vorgelegt. Auf Grund des Urteils des EuGH vom 2. Juni 2005, Rs.C-136/03, und danach ergangener Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes ergebe sich, dass die Sicherheitsdirektion in derartigen Fällen nicht mehr Berufungsbehörde sei.

 

Mit näher begründetem Beschluss vom 1. Juni 2006, Zl. 720034/4/WEI/Mu/Ps, stellte der Oö. Verwaltungssenat fest, dass er zur Entscheidung über diese Berufung sachlich nicht zuständig ist und leitete die Berufung an die Sicherheitsdirektion für Oberösterreich weiter.

 

Dagegen erhob der Bw Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

 

Mit Erkenntnis vom 4. Juni 2009, Zl. 2006/18/0233-7, hat der Verwaltungsgerichtshof schließlich den h Ausspruch der Unzuständigkeit bzw den oben zitierten Bescheid des Oö. Verwaltungssenats wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben bzw die Zuständigkeit des Oö. Verwaltungssenats zur Entscheidung der Rechtssache festgestellt.

 

1.2.3. Vom Oö. Verwaltungssenat wurde in Folge im Ersatzbescheidverfahren mit Erkenntnis vom 28. Dezember 2009, Zl. VwSen-720034/15/WEI/La, der Berufung des Bw insoweit stattgegeben, als der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und allfälligen Er­lassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz zurück­ver­wiesen wurde.

 

2.1. Gegenwärtig verfahrensgegenständlich ist der im Anschluss an die Aufhebung und Zurückverweisung durch den Oö. Verwaltungssenat (siehe oben Punkt 1.2.3.) ergangene Bescheid der Bundespolizeidirektion Wels vom 16. August 2010, Zl. 1-1000620/FP/10, mit welchem über den Bw ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen wurde (siehe oben Punkt 1.1.).

 

2.2. Gegen diesen Aufenthaltsverbotsbescheid, der dem Bw nachweislich am 17. August 2010 in der Justizanstalt Wels persönlich zugestellt worden war, erhob dieser mit Schreiben vom 30. August 2010, zur Post gegeben am 31. August 2010, das Rechtsmittel der Berufung, welches von der belangten Behörde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Ober­österreich zur Entscheidung vorgelegt wurde. Zuständigkeitshalber erfolgte dann am 13. Juli 2011 eine Übermittlung des Rechtsmittels an den Oö. Verwaltungssenat.

 

3.1. Bezüglich der sachlichen Zuständigkeit des Oö. Verwaltungssenates ist festzuhalten:

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl Nr. I 38/2011, in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass die Unabhängigen Verwaltungssenate zur Entscheidung über Berufungen gegen Rückkehrentscheidungen zuständig sind. Darüber hinaus stellte der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 31. Mai 2011, Zl. 2011/22/097, zusammengefasst fest, dass nach den maßgeblichen innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sowohl über die Beendigung des Aufenthaltsrechts entschieden, als auch dem nicht mehr länger zum Aufenthalt berechtigten Drittstaatsangehörigen die Pflicht zum Verlassen des Bundesgebietes, sohin eine Rückkehrverpflichtung im Sinne der Rückführungsrichtlinie, auferlegt sowie der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet für einen bestimmten Zeitraum oder für unbefristete Zeit untersagt, sohin auch ein Einreiseverbot im Sinne der Rückführungsrichtlinie ausgesprochen werde. Diese Vorgangsweise, nämlich mit einer einzigen Entscheidung das Aufenthaltsrecht zu beenden sowie unter einem die Rückkehr des Drittstaatsangehörigen anzuordnen und ihm den künftigen Aufenthalt im Bundesgebiet zu verbieten, stelle sich im Hinblick auf Art 6 Abs 6 Rückführungsrichtlinie als zulässig dar. Ungeachtet dessen seien dabei nach dieser Bestimmung die Verfahrensgarantien des Kapitels III der Rückführungsrichtlinie einzuhalten. Der Verwaltungsgerichtshof erachtet es sohin als nicht zweifelhaft, dass es sich bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes – unabhängig von der Benennung des innerstaatlich festgelegten Rechtsinstituts – um eine Rückkehrentscheidung im Sinne des Art 3 Z 4 Rückführungsrichtlinie und ein Einreiseverbot im Sinne des Art 3 Z 6 dieser Richtlinie handle, bei deren Erlassung die in der Richtlinie festgelegten Verfahrensgarantien einzuhalten seien. Daraus folge aber, dass für Entscheidungen über eine dagegen gerichtete Berufung seit Ablauf der Frist zur Umsetzung der Rückführungsrichtlinie die Unabhängigen Verwaltungssenate zuständig seien.

 

3.2. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt, durch Einsichtnahme in das Elektronische Kriminalpolizeiliche Informationssystem und das Zentrale Melderegister sowie durch Kontaktaufnahme mit der belangten Behörde und einer (ehemaligen) rechtsfreundlichen Vertretung des Bw.

 

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, da im Sinne des § 67d Abs 4 AVG ein verfahrensrechtlicher Bescheid zu erlassen ist, die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Sache nicht erwarten lässt und dem Art 6 Abs 1 EMRK nicht entgegensteht.

 

3.3. Der Oö. Verwaltungssenat geht von folgendem S a c h v e r h a l t aus:

 

Mit Bescheid des Polizeidirektors von Wels vom 14. August 2003, Zl. IV-1000620/FP/03, wurde gegen den Bw ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Dieser Bescheid wurde mit Erkenntnis des Unabhängigen Verwaltungssenats des Landes Oberösterreich vom 28. Dezember 2009, Zl. VwSen-720034/15/WEI/La, behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und allfälligen Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz zurückverwiesen.

 

Der im gegenständlichen Verfahren angefochtene Ersatzbescheid des Polizeidirektors von Wels vom 16. August 2010, Zl. 1-1000620/FP/10, mit dem über den Bw ein unbefristetes Aufenthaltsverbot verhängt wurde, wurde dem Bw am 17. August 2010 in der Justizanstalt Wels persönlich zugestellt. Gegen diesen Bescheid erhob der Bw mit Schreiben vom 30. August 2010, zur Post gegeben am 31. August 2010, das Rechtsmittel der Berufung.

 

Der von der belangten Behörde vorgelegte Verwaltungsakt enthält das Telefaxschreiben vom 24. Februar 2010, mit welchem Frau Rechtsanwältin Mag. S S mitteilt, "dass mich Herr U A mit seiner rechtsfreundlichen Vertretung im fremdenpolizeilichen Verfahren beauftragt und bevollmächtigt hat und ersuche ich höflich, Zustellungen zu meinen Handen vorzunehmen.". Im Betreff führt dieses Telefaxschreiben die erstbehördliche Geschäftszahl IV-1000620/FP/03 an.

 

Nach einer vom Oö. Verwaltungssenat am 16. Dezember 2011 eingeholten Auskunft (vgl Aktenvermerk vom 19.12.2011) der Kanzlei Mag. S sei die Abrechnung am 10. Juni 2010 erfolgt und das Vertretungsverhältnis damit erloschen. Der belangten Behörde wurde der Umstand des nicht mehr aufrechten Vertretungsverhältnisses weder vom Bw, noch von der Kanzlei der Rechtsanwältin Mag. S mitgeteilt.

 

Nach telefonischer Mitteilung der belangten Behörde (vgl Aktenvermerk vom 19.12.2011) reiste der Bw am 4. Dezember 2010 aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich freiwillig aus. Sein derzeitiger Aufenthalt ist unbekannt.

 

4. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

4.1. Bescheide müssen, um rechtliche Wirkungen zu entfalten, der Partei förmlich bekannt gegeben, dh erlassen werden. Solange ein Bescheid noch nicht erlassen wurde, kann er keine Rechtswirkungen nach außen entfalten. Erst mit seiner Erlassung erlangt ein Bescheid daher rechtliche Existenz (vgl VwGH 17.6.1993, Zl. 93/09/0183; VwGH 23.7.2009, Zl. 2007/05/0139). Oder anders gewendet: Die intendierten Bescheidwirkungen treten nur für jene Personen ein, denen gegenüber der Bescheid erlassen wurde (VwSlg 6289 A/1964).

 

Die Hauptform für die Erlassung schriftlicher Bescheide – welche von der belangten Behörde auch gewählt wurde – ist die physische Zustellung nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Zustellung behördlicher Dokumente (Zustellgesetz – ZustG), BGBl Nr. 200/1982, in der im Zeitpunkt der erstbehördlichen Zustellung relevanten Fassung BGBl Nr. I 5/2008. Als Erlassen und damit als rechtlich existent gilt ein Bescheid ab dem Zeitpunkt, ab dem eine rechtswirksame Zustellung vorliegt (vgl VwGH 26.6.2001, Zl. 2000/04/0190).

 

4.2. Es ist im vorliegenden Fall zunächst zu prüfen, ob der angefochtene Bescheid rechtswirksam zugestellt wurde und dadurch rechtliche Existenz erlangen konnte.

 

Die hiefür relevanten Bestimmungen im Zustellgesetz lauten:

 

"§ 2. Im Sinne dieses Bundesgesetzes bedeuten die Begriffe:

1. “Empfänger”: die von der Behörde in der Zustellverfügung (§ 5) namentlich bezeichnete Person, in deren Verfügungsgewalt das zuzustellende Dokument gelangen soll; […]

 

§ 5. Die Zustellung ist von der Behörde zu verfügen, deren Dokument zugestellt werden soll. Die Zustellverfügung hat den Empfänger möglichst eindeutig zu bezeichnen und die für die Zustellung erforderlichen sonstigen Angaben zu enthalten.

 

§ 7. Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt dennoch bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist.

 

§ 9. (1) Soweit in den Verfahrensvorschriften nicht anderes bestimmt ist, können die Parteien und Beteiligten andere natürliche oder juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften gegenüber der Behörde zur Empfangnahme von Dokumenten bevollmächtigen (Zustellungsvollmacht).

(2) […]

(3) Ist ein Zustellungsbevollmächtigter bestellt, so hat die Behörde, soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, diesen als Empfänger zu bezeichnen. Geschieht dies nicht, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt bewirkt, in dem das Dokument dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist.

(4) […]

 

§ 13. (1) […]

(4) Ist der Empfänger eine zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Person, so ist das Dokument in deren Kanzlei zuzustellen und darf an jeden dort anwesenden Angestellten des Parteienvertreters zugestellt werden […]"

 

4.3. Gemäß § 9 Abs 1 ZustG können Parteien andere natürliche oder juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften gegenüber der Behörde zur Empfangnahme von Dokumenten bevollmächtigen (Zustellungsvollmacht). Nach § 9 Abs 3 leg.cit. hat die Behörde den bestellten Zustellbevollmächtigen als Empfänger zu bezeichnen, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Geschieht das nicht, so gilt die Zustellung erst in dem Zeitpunkt als bewirkt, in dem das Dokument dem Zustellbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist.

 

4.3.1. Zunächst ist vor dem Hintergrund des § 9 Abs 1 ZustG zu klären, ob der Bw jemandem eine Zustellungsvollmacht erteilt hat.

 

Dem § 10 Abs 1 AVG zufolge können sich Beteiligte, sofern nicht ihr persönliches Erscheinen ausdrücklich gefordert wird, durch eigenberechtigte natürliche Personen, juristische Personen, Personengesellschaften des Handelsrechts oder eingetragene Erwerbsgesellschaften vertreten lassen. Schreitet eine zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Person ein, so ersetzt die Berufung auf die ihr erteilte Vollmacht deren urkundlichen Nachweis.

 

Der von der belangten Behörde vorgelegte Verwaltungsakt enthält ein mit 24. Februar 2010 datiertes Telefaxschreiben, mit welchem Frau Rechtsanwältin Mag. S S der belangten Behörde bekannt gab, dass sie Herr U A mit seiner rechtsfreundlichen Vertretung im fremdenpolizeilichen Verfahren beauftragt und bevollmächtigt habe. Sie ersuchte ferner, Zustellungen zu ihren Handen vorzunehmen. Im Betreff führt das Telefaxschreiben auch die zutreffende Geschäftszahl IV-1000620/FP/03 der belangten Behörde an.

 

Da das fremdenpolizeiliche Verfahren gegen den Bw von der belangten Behörde bereits zu diesem Zeitpunkt nicht mehr wie ursprünglich unter der Geschäftszahl IV-1000620/FP, sondern unter der Zahl 1-1000620/FP, geführt wurde, war im Grunde des Telefaxschreibens vom 24. Februar 2010 unzweifelhaft von der Bekanntgabe der rechtsfreundlichen Vertretung des Bw durch Frau Rechtsanwältin Mag. S im erstbehördlichen Verfahren auszugehen.

 

4.3.2. § 10 Abs 2 AVG bestimmt, dass sich Inhalt und Umfang der Vertretungsbefugnis nach den Bestimmungen der Vollmacht richten; hierüber auftauchende Zweifel sind nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Die Behörde hat die Behebung etwaiger Mängel unter sinngemäßer Anwendung des § 13 Abs 3 AVG von Amts wegen zu veranlassen.

 

Eine allgemeine Vollmacht zur Vertretung beinhaltet grundsätzlich, dh wenn nicht der Empfang von Schriftstücken ausdrücklich ausgeschlossen ist (vgl VwGH 20.6.2001, Zl. 99/06/0182), auch die Befugnis zur Empfangnahme von Schriftstücken im Sinne des § 9 ZustG (VwGH 3.7.2001, Zl. 2000/05/0115). Daher ist bei Berufung eines Rechtsanwalts auf die ihm erteilte Vollmacht, sofern kein gegenteiliger Anhaltspunkt vorliegt, von der Behörde davon auszugehen, dass jedenfalls auch eine Zustellungsbevollmächtigung vorliegt (vgl VwGH 17.6.2003, Zl. 2003/05/0010).

 

Im vorliegenden Fall liegt im Sinne des letzten Satzes nicht nur kein gegenteiliger Anhaltspunkt vor, sondern hat die Rechtsanwältin des Bw mit Telefaxeingabe vom 24. Februar 2010 der belangten Behörde ausdrücklich mitgeteilt hat, dass "Zustellungen zu meinen Handen vorzunehmen" sind. Eine Zustellungsvollmacht im Sinne des § 9 ZustG war daher unzweifelhaft gegeben. Dass auch die belangte Behörde diesbezüglich keine Zweifel hatte, geht schon daraus hervor, dass eine Mängelbehebung gemäß § 10 Abs 2 letzter Satz iVm § 13 Abs 3 AVG nicht aufgetragen wurde.

 

4.4.1. § 9 Abs 3 ZustG normiert die behördliche Verpflichtung, einen bestellten Zustellungsbevollmächtigten als Empfänger zu bezeichnen, soweit gesetzlich – was gegenständlich nicht ersichtlich ist – nicht anderes bestimmt ist. Geschieht dies nicht, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt bewirkt, in dem das Dokument dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist. Eine Zustellung des Dokuments an den Vertretenen selbst ist daher unwirksam (vgl Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts9 [2011] Rz 203).

 

§ 13 Abs 4 ZustG ordnet schließlich an, dass, wenn der Empfänger eine zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Person ist, das Dokument in deren Kanzlei zuzustellen ist und grundsätzlich an jeden dort anwesenden Angestellten des Parteienvertreters zugestellt werden darf.

 

Entgegen der Anordnung in § 9 Abs 3 ZustG wird im angefochtenen Bescheid von der belangten Behörde nicht die zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte, den Bw im fremdenpolizeilichen Verfahren vertretende und daher zustellungsbevollmächtigte Rechtsanwältin Mag. S bzw im Sinne des § 13 Abs 4 deren Kanzlei als Empfänger genannt, sondern die Zustellung unmittelbar an den Bw verfügt. Der Bescheid wurde demgemäß dem – damals in der Justizanstalt Wels aufhältigen – Bw persönlich durch Übergabe am 17. August 2010 um 14.10 Uhr zugestellt, was dieser mit seiner Unterschrift bestätigte.

 

4.4.2. Eine förmliche Bekanntgabe des Aufenthaltsverbotsbescheides im Sinne der Zustellvorschriften ist daher am 17. August 2010 nicht erfolgt. Die Zustellung wäre in dem Zeitpunkt als bewirkt anzusehen, in dem das Dokument dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist. Wie aus dem Verwaltungsakt sowie der Kontaktaufnahme mit der belangten Behörde und der Kanzlei Mag. S hervorgeht, ist der in Rede stehende Bescheid der Zustellungsbevollmächtigen tatsächlich jedoch nie zugekommen. Der angefochtene Bescheid wurde daher auch nie erlassen und vermag deshalb auch keine Rechtswirkungen zu zeitigen (siehe Punkt 4.1.).

 

Wie aus § 63 Abs 3 bis 5 AVG hervorgeht, kann sich eine Berufung nur gegen Entscheidungen richten, die in Form von Bescheiden ergangen sind, dh Anfechtungsgegenstand der Berufung ist ausschließlich der (bereits erlassene) Bescheid (vgl VwGH 20.1.2005, Zl. 2002/07/0011). Mit anderen Worten: Die Erhebung einer (zulässigen) Berufung setzt die bereits erfolgte Erlassung der mit der Berufung bekämpften behördlichen Entscheidung – als Anfechtungsgegenstand – voraus (VwGH 23. 6. 1992, Zl. 92/07/0100). Richtet sich eine Berufung gegen eine Erledigung, die (wie hier etwa wegen eines Zustellmangels [noch]) keine Bescheidqualität hat, so ist die Berufung mangels tauglichen Anfechtungsgegenstandes wegen Unzulässigkeit zurückzuweisen (vgl Hengstschläger/Leeb, Kommentar zum Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz, Band IV [2007] § 63 Rz 46).

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

4.5. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass der Oö. Verwaltungssenat bei seiner Entscheidung nicht verkennt, dass – wie die Recherchen im Berufungsverfahren ergeben haben – im Zeitpunkt der erstbehördlichen Zustellung der in Rede stehenden Erledigung an den Bw die auf Frau Rechtsanwältin Mag. S lautende Vollmacht wahrscheinlich bereits erloschen und der Bw daher von dieser nicht mehr rechtsfreundlich vertreten war. Im Einzelnen ist dazu auszuführen:

 

4.5.1. Durch das Rechtsgeschäft der Bevollmächtigung wird mit der Vollmacht die Befugnis, Willenserklärungen mit unmittelbarer Wirksamkeit für den Vertretenen abzugeben oder entgegenzunehmen eingeräumt (VwGH 9.7.1992, 92/06/0097). Sie begründet ein rechtliches "Können" im Außenverhältnis (vgl VwGH 24.6.1999, 97/15/0131). Das Bestehen eines entsprechenden Vollmachtsverhältnisses ist unabdingbare (VwSlg 6482 A/1964), wenn auch nicht hinreichende Voraussetzung für eine rechtsgültige Vertretung vor den Behörden. Es wird nämlich erst dann nach außen wirksam, wenn es in der im § 10 AVG festgelegten Form zum Ausdruck gebracht wird (vgl VwGH 24.6.1999, Zl. 97/15/0131).

 

Wie oben dargelegt, hatte Frau Rechtsanwältin Mag. S durch das Telefax vom 24. Februar 2010 ihre Vertretungsbefugnis "im fremdenpolizeilichen Verfahren" der belangten Behörde im Sinne des § 10 AVG mitgeteilt.

 

4.5.2. Nach herrschender Auffassung ist nicht nur die Begründung der Vollmacht im Innenverhältnis, sondern auch die Frage des Erlöschens der Vertretungsbefugnis (als contrarius actus zur Begründung) nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts zu beurteilen (vgl Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts9 [2011] Rz 142 mwN).

 

Sowohl der Beteiligte als auch sein Vertreter können das Vollmachtsverhältnis durch Widerruf des Machtgebers (§ 1020 ABGB) bzw durch Kündigung des Machthabers beenden (§ 1021 ABGB). Auch diese Akte sind aber nur und erst dann außenwirksam, wenn auch der Behörde die Beendigung des Vollmachtsverhältnisses mitgeteilt wird (vgl VwGH 27.6.2002, Zl. 2001/07/0164; VwGH 26.6.2003, Zl. 99/18/0411), wenn also eine entsprechende Erklärung bei der Behörde einlangt (VwGH 25.6.1991, Zl. 91/04/0045). Andernfalls ist die Behörde weiterhin berechtigt und verpflichtet, an den Vertreter zuzustellen (VwSlg 2027 A/1951).

 

4.5.3. Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen brauchte der Oö. Verwaltungssenat in diesem Verfahren nicht weiter auf die Frage eingehen, ob im Zeitpunkt der Übernahme des angefochtenen Bescheides durch den Bw im Innenverhältnis die Vollmacht der Rechtsanwältin Mag. S noch aufrecht war oder nicht. Der Behörde wurde eine Auflösung des Vollmachtsverhältnisses nämlich – weder findet sich diesbezüglich im Akt ein Hinweis, noch konnte die zuständige Bearbeiterin diesbezüglich anderweitige Auskünfte erteilen – weder vom Bw noch von dessen (ehemaliger) Rechtsvertreterin mitgeteilt. Erst durch die vom Oö. Verwaltungssenat im Berufungsverfahren vorgenommene Recherchen im Dezember 2011 (vgl Aktenvermerk vom 19.12.2011) kam hervor, dass der Bw aus Sicht seiner Rechtsvertreterin seit 10. Juni 2010 nicht mehr im fremdenpolizeilichen Verfahren vertreten wurde. Die Zustellung des angefochtenen Bescheides vom 16. August 2010 hätte nach dem damaligen Wissensstand der belangten Behörde nicht persönlich an den Bw, sondern nach wie vor auch an dessen bekannt gegebene rechtsfreundliche Vertretung erfolgen müssen.

 

Der Widerruf der Vollmacht kann zwar nicht nur im Innenverhältnis, sondern auch der Behörde gegenüber schlüssig erfolgen. Dafür reicht es aber im Hinblick auf § 10 Abs 6 AVG nicht hin, dass die Partei selbst Erklärungen abgibt (zB eine Berufung einbringt [VwGH 21.4.1994, 93/09/0309]) oder Zustellungen an sie nicht rügt (Hengstschläger/Leeb, Kommentar zum Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz, Band I [2004] § 10 Rz 26). Dass der Bw selbst handschriftlich das hier in Rede stehende Schreiben verfasst hat, vermag daher keinen Einfluss auf die Entscheidung zu haben.

 

5. Aufgrund der sehr guten Kenntnisse der deutschen Sprache durch den Bw kann auf eine Übersetzung von Spruch und Rechtsmittelbelehrung dieses Bescheides (vgl § 59 Abs 1 FPG) verzichtet werden.

 

6. Gemäß § 8 Abs 1 ZustG hat eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen. Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist gemäß § 8 Abs 2 leg. cit., soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung (siehe diesbezüglich § 23 ZustG) ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann.

 

Dass der Bw im Zeitpunkt der Einbringung der Berufung in Kenntnis des fremdenpolizeilichen Verfahrens war, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Entgegen dem § 8 Abs 1 ZustG hatte es der Bw, welcher am 4. Dezember 2010 aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich selbständig ausreiste, es jedoch unterlassen, dem Oö. Verwaltungssenat oder der belangten Behörde eine neue Abgabestelle zu nennen. Eine solche konnte auch nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden, zumal die Abfrage des Zentralen Melderegisters vom 4. Jänner 2012 ergab, dass der Bw zuletzt noch bis zum 6. Dezember 2010 in der Justizanstalt Wels mit Hauptwohnsitz gemeldet war und dann nach unbekannt verzogen sei.

 

Der gegenständliche Bescheid wird daher im Grunde des § 8 Abs 2 iVm § 23 ZustG (Hinterlegung ohne Zustellversuch) ohne vorherigen Zustellversuch im gegenständlichen Akt des Oö. Verwaltungssenats hinterlegt und für den Bw zur Abholung bereitgehalten.

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweise:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

2. Im Berufungsverfahren ist eine Eingabengebühr von 14,30 Euro für die Berufung angefallen.

 

 

Dr. W e i ß

 

 

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