Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-231081/15/Gf/Mu

Linz, 23.01.2012

 

 

E R K E N N T N I S

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mit­glied Dr. Grof über die Berufung der x gegen das (u.a. auch) aus Anlass einer Übertretung des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (Spruchpunkt 2.) erlassene Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Ried im Innkreis vom 14. Jänner 2010, Zl. Sich96-290-2009, zu Recht:

I. Die Berufung gegen Spruchpunkt 2. dieses Straferkenntnisses wird als unbegründet abgewiesen und das angefochtene Straferkenntnis (auch) insoweit bestätigt.

II. Die Berufungswerberin hat zusätzlich zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde in Höhe von insgesamt 7 Euro noch einen Kostenbeitrag für das Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat in Höhe von 14 Euro zu leisten, sodass der zu zahlende Gesamtbetrag nunmehr 91 Euro beträgt.

 

Rechtsgrundlage:

§ 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG; § 64 Abs. 1 und 2 VStG.

 

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

 

1.1. Mit Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Ried im Innkreis vom 14. Jänner 2009, Zl. Sich96-290-2009, wurde über die Rechtsmittelwerberin einerseits eine Geldstrafe in Höhe von 40 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe: 14 Stunden) sowie andererseits eine Geldstrafe in Höhe von 30 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe: 14 Stunden) verhängt, weil sie es nach ihrer Unterkunftnahme in einer Wohnung in B (H) am 11. Juni 2008 zumindest bis zum 5. Juli 2009 unterlassen habe, sich bei der zuständigen Behörde anzumelden, und sie sich nach diesem Zeitpunkt länger als drei Monate im Bundesgebiet aufgehalten habe, ohne dies der Behörde anzuzeigen; dadurch habe sie eine Übertretung des § 3 Abs. 1 des Meldegesetzes, BGBl.Nr. 9/1992, in der zum Tatzeitpunkt maßgeblichen Fassung BGBl.Nr. I  135/2009 (im Folgenden: MeldeG), bzw. eine Übertretung des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, in der zum Tatzeitpunkt maßgeblichen Fassung BGBl.Nr. 135/2009 (im Folgenden: NAG), begangen, weshalb sie nach § 22 Abs. 1 Z. 1 MeldeG sowie nach § 77 Abs. 1 Z. 4 NAG zu bestrafen gewesen sei.

 

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass der der Beschwerdeführerin angelastete Sachverhalt auf Grund entsprechender Wahrnehmungen der einschreitenden Sicherheitsorgane als erwiesen anzusehen sei.

 

Im Zuge der Strafbemessung sei die bisherige Unbescholtenheit der Rechts­mittelwerberin als mildernd zu werten gewesen, während Erschwerungsgründe nicht hervorgekommen seien; ihre Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse seien mangels entsprechender Mitwirkung von Amts wegen zu schätzen gewesen.

 

1.2. Gegen dieses ihr am 15. Jänner 2010 zugestellte Straferkenntnis richtet sich die vorliegende, am 18. Jänner 2010 – und damit rechtzeitig – zur Post gegebene Berufung.

 

Darin bringt die Rechtsmittelwerberin vor, dass sie in Österreich geboren worden und bereits vor eineinhalb Jahren die Verleihung der österreichischen Staats­bürgerschaft sowie die Ausstellung eines österreichischen Reisepasses beantragt habe. Außerdem habe sie sich bereits im Frühjahr 2009 beim Gemeindeamt in H angemeldet.

 

Daher wird – erschließbar – die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses und die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens beantragt.

 

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der BH Ried zu GZ Sich96-290-2009; da sich bereits aus diesem der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ, mit dem angefochtenen Straferkenntnis eine 500 Euro übersteigende Geldstrafe nicht verhängt wurde und auch die Verfahrensparteien einen entsprechenden Antrag nicht gestellt haben, konnte im Übrigen schon gemäß § 51e Abs. 3 Z. 4 VStG von der Durchführung einer
öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

2.2. Weil in dem diesem Verfahren zu Grunde liegenden Straferkenntnis auch keine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, war im Rechtsmittelverfahren ein Einzelmitglied zur Entscheidung zuständig (vgl. § 51c VStG).

 

3. Mit h. Erkenntnis vom 2. Februar 2010, Zl. VwSen-231081/2/Gf/Mu, hat der Oö. Verwaltungssenat der vorliegenden Berufung insoweit stattgegeben, als Spruchpunkt 2. des angefochtenen Straferkenntnisses aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren insoweit eingestellt wurde; im Übrigen wurde diese hingegen abgewiesen und das angefochtene Straferkenntnis bestätigt.

 

3.1. Begründend wurde dazu einerseits ausgeführt, dass nach § 22 Abs. 1 Z. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 MeldeG u.a. derjenige eine Verwaltungsübertretung begehe und mit einer Geldstrafe bis zu 726 Euro zu bestrafen sei, der in einer Wohnung Unterkunft nimmt und sich nicht innerhalb von drei Tagen danach  bei der Meldebehörde anmeldet.

 

Im gegenständlichen Fall gehe aus dem im Akt der belangten Behörde einliegenden Schreibens des Bürgermeisters der Gemeinde H vom 8. Oktober 2009, GZ Pol-110/2009-A/W, hervor, dass dort am 13. Mai 2009 lediglich ein unvollständig ausgefüllter Meldezettel der Beschwerdeführerin eingelangt ist, auf dem insbesondere die Unterschrift des Unterkunftgebers fehlte; Gleiches wiederholte sich am 15. Juli 2009.

 

Da auch die Rechtsmittelwerberin selbst weder in ihren im erstbehördlichen Strafverfahren eingebrachten Schriftsätzen noch mit ihrer Berufung an den
Oö. Verwaltungssenat das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Meldung dokumentiert habe, sie ihr diesbezügliches Vorbringen als eine bloße Schutzbehauptung zu qualifizieren gewesen.

 

Weil ihr in diesem Zusammenhang auch kein entschuldigender Rechtsirrtum zugebilligt werden könne und sie zumindest insofern fahrlässig gehandelt habe, als sie es trotz offenbar unmissverständlicher Hinweise ihrer Wohnsitzgemeinde unterlassen habe, sich zumindest über die maßgebliche Rechtslage zu informieren, habe sie insoweit tatbestandsmäßig und auch schuldhaft gehandelt, sodass daher ihre diesbezügliche Strafbarkeit gegeben sei.

 

3.2. Andererseits wurde jedoch darauf hingewiesen, dass gemäß § 77 Abs. 1 Z. 4 i.V.m. § 53 NAG u.a. derjenige eine Verwaltungsübertretung begehe und mit einer Geldstrafe von 50 Euro bis zu 250 Euro zu bestrafen sei, der sich als EWR-Bürger länger als drei Monate in Österreich aufhält, dies nicht binnen vier Monaten ab seiner Einreise der Behörde anzeigt und in diesem Zuge die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung beantragt.

 

Diese Sanktion stehe zwar im Einklang mit Art. 8 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 5 der EU-Richtlinie 2004/38/EG (= Freizügigkeitsrichtlinie i.S.d. § 2 Abs. 1 Z. 19 NAG); im Gesamtkontext des Fremdenrechts betrachtet stelle sie jedoch eine Spezialbestimmung zu § 22 Abs. 1 Z. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 MeldeG dar.

 

Insgesamt besehen würde daher nicht nur eine unzulässige Doppelbestrafung i.S.d. Art. 4 des 7.ZPEMRK, sondern auch eine Diskriminierung von EU-Bürgern resultieren, wenn diese zusätzlich zu einer Bestrafung nach § 22 Abs. 1 Z. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 MeldeG auch noch wegen einer Übertretung des § 77 Abs. 1 Z. 4 i.V.m. § 53 NAG belangt werden.

 

Da die belangte Behörde die Rechtsmittelwerberin aber bereits wegen einer Begehung  des Allgemeindelikts nach dem Meldegesetz in Anspruch genommen habe, wäre das unter einem wegen einer Verletzung des Spezialdelikts nach dem NAG geführte Strafverfahren einzustellen gewesen.

 

Daher sei der gegenständlichen Berufung gemäß § 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG insoweit stattzugeben gewesen, als Spruchpunkt 2. aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs. 1 Z. 3 VStG insoweit einzustellen, im Übrigen diese jedoch abzuweisen und das angefochtene Straferkenntnis zu bestätigen gewesen sei.

 

3.3. Bei einem solchen Verfahrensergebnis ermäßige sich der Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde gemäß § 64 Abs. 1 und 2 VStG auf 4 Euro, während für das Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat nach § 65 VStG kein Kostenbeitrag vorzuschreiben gewesen sei.

 

4.1. Gegen Spruchpunkt 2. dieser Entscheidung hat die Bundesministerin für Inneres eine Amtsbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) erhoben.

 

4.2. Mit Erkenntnis vom 15. Dezember 2011, Zl. 2010/21/0098, hat der VwGH dieser Beschwerde stattgegeben und Spruchpunkt 2. des h. Erkenntnisses vom 2. Februar 2010, Zl. VwSen-231081/2/Gf/Mu, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

 

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass der Verfassungsgerichtshof (VfGH) in seiner Entscheidung vom 16. Dezember 2010, B 343/10, ausgesprochen habe, dass die Verfolgung wegen ein und desselben tatsächlichen Verhaltens nach zwei verschiedenen Straftatbeständen grundsätzlich zulässig sei, sofern diese sich in ihren wesentlichen Elementen unterscheiden; dadurch werde die frühere Rechtsprechung, wonach es darauf ankomme, ob der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpfe, sodass kein weiteres Strafbedürfnis gegeben sei, fortgeführt.

 

Da mit § 22 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 MeldeG einerseits und § 77 Abs. 1 Z. 4 i.V.m. § 53 Abs. 1 NAG andererseits jeweils nicht dasselbe Verhalten geahndet werde – weil die erstgenannte Bestimmung unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Person auch andere Regelungsbereiche (wie insbesondere die Gewährleistung der Erreichbarkeit von Personen oder die Schaffung von Anknüpfungspunkten für andere, nur zum Teil verwaltungsrechtliche Agenden) abdecken würde, während durch die zweitgenannte Regelung speziell den Niederlassungs- und Fremdenbehörden Anlass und Möglichkeit zur Wahrnehmung der ihnen übertragenen Aufgaben eröffnet werden solle –, hätten sohin gemäß § 22 Abs. 1 VStG Strafen für beide Delikte nebeneinander verhängt werden dürfen.

 

4.3. Obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) seit seinem richtungsweisenden Urteil im Fall "X" vom 10. Februar 2009, 14393/03, (anders als vom VfGH in dessen Erkenntnis vom 16. Dezember 2010, B 343/10, dargestellt) gerade die rechtliche Qualifikation der Taten ("essential elements") als irrelevant ansieht, sondern nunmehr strikt auf die Identität des materiellen Geschehens abstellt, indem er im Interesse einer weitest möglichen Grundrechtseffektivität bzw. Rechts­schutzgarantie ausdrücklich betont, dass Art. 4 Abs. 1 des 7.ZPMRK so verstanden werden muss, dass eine Verfolgung oder ein Strafverfahren wegen einer zweiten "strafbaren Handlung" stets insoweit ausgeschlossen ist, als sich diese entweder überhaupt auf "denselben Sachverhalt" ("identical facts") oder zumindest auf einen "substantiell gleichen Sachver­halt" ("facts which are substantially the same") gründet, ist der Oö. Verwaltungssenat (jedenfalls) im vorliegenden Fall gemäß § 63 Abs. 1 VwGG an die die Entscheidung des VwGH vom 15. Dezember 2011, Zl. 2010/21/0098, tragenden Gründe, mit denen die vom VfGH in dessen Erkenntnis vom 16. Dezember 2010, B 343/10, geäußerte Rechtsmeinung übernommen wurde, gebunden, sodass im gegenständlichen Fall Art. 4 des 7. ZPMRK und § 22 Abs. 1 VStG einer kumulativen Bestrafung nach § 22 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 MeldeG einerseits und gemäß § 77 Abs. 1 Z. 4 i.V.m. § 53 Abs. 1 NAG andererseits nicht entgegenstehen.

 

4.4. Davon ausgehend war daher die vorliegende Berufung auch in Bezug auf Spruchpunkt 2. des angefochtenen Straferkenntnisses des Bezirkshauptmannes von Ried im Innkreis vom 14. Jänner 2010, Zl. Sich96-290-2009, gemäß § 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet abzuweisen.

 

5. Bei diesem Verfahrensergebnis war der Berufungswerberin zusätzlich zum Kostenbeitrag zum Strafverfahren vor der belangten Behörde nach § 64 Abs. 1 und 2 VStG auch noch ein Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor dem Oö. Verwaltungssenat in Höhe von 20% der verhängten Geldstrafe, d.s. 14 Euro, vorzuschreiben, sodass sich dadurch der von der Rechtsmittelwerberin zu zahlende Gesamtbetrag (Strafen und Verfahrenskostenbeiträge) auf 91 Euro erhöht.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

Dr.  G r o f

 

 

VwSen-231081/15/Gf/Mu vom 23. Jänner 2012

 

Erkenntnis

 

Rechtssatz

 

EMRK (Protokoll Nr. 7) Art4;

VStG §22 Abs1;

MeldeG §3 Abs;

MeldeG §22 Abs1;

NAG §53 Abs1;

NAG §77 Abs1 Z4;

VwGG §63 Abs1

 

Obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) seit seinem richtungsweisenden Urteil im Fall "Zolotukhin" vom 10. Februar 2009, 14393/03, (anders als vom VfGH in dessen Erkenntnis vom 16. Dezember 2010, B 343/10, dargestellt) gerade nicht die rechtliche Qualifikation der Taten ("essential elements") als relevant ansieht, sondern nunmehr strikt auf die Identität des materiellen Geschehens abstellt, indem er im Interesse einer weitest möglichen Grundrechtseffektivität bzw Rechtsschutzgarantie ausdrücklich betont, dass Art 4 Abs 1 des 7. ZPzEMRK so verstanden werden muss, dass eine Verfolgung oder ein Strafverfahren wegen einer zweiten "strafbaren Handlung" stets insoweit ausgeschlossen ist, als sich diese entweder überhaupt auf "denselben Sachverhalt" ("identical facts") oder zumindest auf einen "substantiell gleichen Sachverhalt" ("facts which are substantially the same") gründet, ist der Oö. Verwaltungssenat (jedenfalls) im vorliegenden Fall gemäß § 63 Abs 1 VwGG an die die Entscheidung des VwGH vom 15. Dezember 2011, 2010/21/0098, tragenden Gründe, mit denen die vom VfGH in dessen Erkenntnis vom 16. Dezember 2010, B 343/10, geäußerte Rechtsmeinung übernommen wurde, gebunden, sodass im gegenständlichen Fall Art 4 des 7. ZPzEMRK und § 22 Abs 1 VStG einer kumulativen Bestrafung nach § 22 Abs 1 iVm § 3 Abs 1 MeldeG einerseits und nach § 77 Abs 1 Z 4 iVm § 53 Abs 1 NAG andererseits nicht entgegenstehen.

 

 

 

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