Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-166327/9/Fra/Sta

Linz, 02.01.2012

E r k e n n t n i s

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mit­glied Hofrat Dr. Johann Fragner über die Berufung der Frau X, vertreten durch Herrn Mag. X, Rechtsanwalt und Verteidiger, X, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen vom 10. August 2011, VerkR96-8777-2009, betreffend Übertretungen der StVO 1960, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung am 12. Dezember 2011, zu Recht erkannt.

 

 

I.                 Der Berufung wird hinsichtlich der Fakten 1 (§ 4 Abs.1 lit.a StVO 1960) und 2 (§ 4 Abs.5 StVO 1960) stattgegeben. Das Straferkenntnis wird in diesen Punkten behoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

 

Der Berufung wird hinsichtlich der Fakten 3 (§ 16 Abs.2 lit.b StVO 1960) und 4 (§ 11 Abs.1 StVO 1960) insofern stattgegeben, als die verhängten Geldstrafen auf jeweils 40 Euro und die Ersatzfreiheitsstrafen auf jeweils 18 Stunden herabgesetzt werden.

 

II.             Die Berufungswerberin hat zu den Verfahren hinsichtlich der Fakten 1 (§ 4 Abs.1 lit.a StVO 1960) und 2 (§ 4 Abs.5 StVO 1960) keine Kostenbeiträge zu entrichten.

 

Die Berufungswerberin hat hinsichtlich des Faktums 3 (§ 16 Abs.2 lit.b StVO 1960) und 4 (§ 11 Abs.1 StVO 1960) keine Verfahrenskostenbeiträeg zum Berufungsverfahren zu entrichten. Zu dem Verfahren I. Instanz ermäßigen sich die Kostenbeiträge auf jeweils 10 % der neubemessenen Strafen (insgesamt 8 Euro).

 

 

Rechtsgrundlagen:

zu I: § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwal­tungsverfahrens­gesetz 1991 – AVG iVm §§ 24 und 45 Abs.1 Z1 VStG; §§ 16 und 19 VStG.

zu II:  §§ 64, 65 und 66 Abs.1 VStG.

Entscheidungsgründe:

I.1. Die Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen hat mit dem in der Präambel angeführten Straferkenntnis über die Berufungswerberin (Bw)

1. wegen Übertretung des § 4 Abs.1 lit.a StVO 1960 gemäß § 99 Abs.2 lit.a leg.cit. eine Geldstrafe von 200 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 96 Stunden),

2. wegen Übertretung des § 4 Abs.5 StVO 1960 gemäß § 99 Abs.3 lit. b leg.cit. eine Geldstrafe von 160 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 72 Stunden),

3. wegen Übertretung des § 16 Abs.2 lit.b StVO 1960 gemäß § 99 Abs.3 lit.a leg.cit. eine Geldstrafe von 80 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 36 Stunden) und

4. wegen Übertretung des § 11 Abs.1 StVO 1960 gemäß § 99 Abs.3 lit.b leg.cit. eine Geldstrafe von 80 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 36 Stunden) verhängt, weil sie

am 23. September 2009 um 15.50 Uhr

im Gemeindegebiet Krenglbach, Innbachtal Straße L 519, Höhe Strkm. 7,1 von Gallspach kommend in Richtung Wels fahrend

1.     als Lenkerin des Kraftfahrzeuges der Marke Ford, Type Escort, mit dem behördlichen Kennzeichen X mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang stand – sie streifte und beschädigte mit ihrem gelenkten Fahrzeug das Kraftfahrzeug der Marke Microcar, Type 40 Virgo 3, mit dem behördlichen Kennzeichen X – und hat ihr Fahrzeug nicht sofort angehalten,

2.     als Lenkerin des Kraftfahrzeuges der Marke Ford, Type Escort, mit dem behördlichen Kennzeichen X mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang stand – sie streifte und beschädigte mit ihrem gelenkten Kraftfahrzeug das Kraftfahrzeug der Marke Microcar, Type 40 Virgo 3, mit dem behördlichen Kennzeichen X – und hat nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizeidienststelle verständigt, obwohl gegenüber dem Geschädigten ein Identitätsnachweis nicht erbracht worden ist und ihre Identität über die Polizeiinspektion Krenglbach ausgeforscht werden musste,

3.     als Lenkerin des Kraftfahrzeuges der Marke Ford, Type Escort, mit dem behördlichen Kennzeichen X im Bereich der dortigen unübersichtlichen Fahrbahnkuppe das Kraftfahrzeug der Marke Microcar, Type 40 Virgo 3, mit dem behördlichen Kennzeichen X überholt hat, obwohl der Lenker eines Fahrzeuges bei ungenügender Sicht und auf unübersichtlichen Straßenstellen, zB vor und in unübersichtlichen Kurven und vor Fahrbahnkuppen nicht überholen darf und

4.     als Lenkerin des Kraftfahrzeuges der Marke Ford, Type Escort, mit dem behördlichen Kennzeichen X beim Beenden dieses vorschriftswidrigen Überholvorganges die Lenkerin des Kraftfahrzeuges der Marke Microcar, Type 40 Virgo 3, mit dem behördlichen Kennzeichen X "geschnitten" und dabei gestreift und beschädigt hat, obwohl der Lenker eines Fahrzeuges die Fahrtrichtung nur ändern oder den Fahrstreifen wechseln darf, nachdem er sich überzeugt hat, dass dies ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich ist.

 

Ferner wurde gemäß § 64 VStG jeweils ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von 10 % der verhängten Geldstrafen vorgeschrieben.

 

I.2. Dagegen richtet sich die rechtzeitig durch den ausgewiesenen Vertreter eingebrachte Berufung. Die Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen – als nunmehr belangte Behörde – legte das Rechtsmittel samt bezughabenden Verwaltungsstrafakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vor, der, weil jeweils 2.000 Euro nicht übersteigende Geldstrafen verhängt wurden, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden hat (§ 51c 1. Satz VStG).

 

I.3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung am 12. Dezember 2011 erwogen:

 

I.3.1. Die Bw bringt vor, dass die ihr zur Last gelegten Vorwürfe unberechtigt seien. Sie habe das gegenständliche Microcar nicht überholt, geschweige denn geschnitten oder beschädigt. Auch im Verkehrsunfallbericht vom 9.10.2009 ist angeführt, dass an ihrem Pkw keine Beschädigung ersichtlich war. Hätte sie tatsächlich das Microcar beschädigt, müssten auch an ihrem Pkw Beschädigungen sichtbar sein. Sie könne nicht nachvollziehen, weshalb sie im gegenständlichen Fall von der Lenkerin des Microcars beschuldigt werde. Hätte sie tatsächlich den ihr vorgeworfenen Verkehrsunfall verursacht, hätte sie selbstverständlich angehalten und hätte den Schaden der Polizei gemeldet. Sie habe keinen Grund gehabt, nicht anzuhalten, zumal ja eine geringe Sachbeschädigung behauptet wird. Auch ihr Ehemann Herr X, der Zulassungsbesitzer des von ihr gelenkten Kraftfahrzeuges, könne bezeugen, dass ihr Fahrzeug keinen korrespondierenden Schaden aufwies. Sollte die Behörde jedoch davon ausgehen, dass der angegebene Sachschaden von ihr verursacht wurde – dies bestreite sie ausdrücklich – könnte es sein, die Beschädigung nicht wahrgenommen zu haben. In diesem Falle wäre die subjektive Tatseite nicht erfüllt.

 

Die Bw beantragt, das angefochtene Straferkenntnis ersatzlos aufzuheben und das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren einzustellen, in eventu die verhängten Geldstrafen herabzusetzen.

 

Bei der Berufungsverhandlung führte die Bw aus, dass sie das Fahrzeug zu dem in Rede stehenden Zeitpunkt an der spruchgemäßen Örtlichkeit gelenkt hat. Sie könne sich jedoch nicht erinnern, ein Fahrzeug überholt zu haben. Sollte diesbezüglich jedoch eine Erinnerungslücke bestehen, könne sie sich an keine Kollision erinnern. Bei einem allfälligen Überholvorgang, bei dem sie ein Fahrzeug beschädigt hätte, hätte sie selbstverständlich ihr Fahrzeug sofort angehalten. Sie gehe davon aus, dass, falls sie tatsächlich ein anderes Fahrzeug bei einer Kollision berührt hätte, der Lenker dieses Fahrzeuges ihr irgend ein Signal gegeben hätte, um sie darauf aufmerksam zu machen. Ihr sei bewusst, falls sie an einem Verkehrsunfall mit Sachschaden beteiligt sei, dass sie anhalten müsse. Sie habe keine Veranlassung gehabt, falls sie tatsächlich mit einem Fahrzeug kollidiert wäre, die Verpflichtungen gemäß § 4 StVO 1960 nicht einzuhalten. Sie sei Mutter von drei Kindern und immer bemüht, ihre Kinder verantwortungsvoll zu erziehen. Das ihr zur Last gelegte Fahrverhalten könne sie daher nicht nachvollziehen, zumal ihre Kinder im Fahrzeug waren. Die Zeugin X, X, führte bei der Berufungsverhandlung aus, sich nur erinnern zu können, dass sie von einem weißen Fahrzeug überholt wurde. Das überholende Fahrzeug habe ihr Fahrzeug gestreift und ihren Spiegel "umgebogen". Das Spiegelglas sei nicht kaputt gewesen, deshalb habe sie sich auch keinen neuen gekauft. Sie habe kein Signal abgegeben, weder mit der Lichthupe noch mit der Hupe. Der Spiegel sei zugeklappt gewesen. Ein Polizist habe den Spiegel wieder in die Ausgangslage zurückgebracht. Der Spiegel wies einen Kratzer auf. Eine Beschädigung des Spiegels würde sie nicht bejahen.

 

I.3.2. Unter Zugrundelegung dieser Aussagen führte der bei der Berufungsverhandlung teilnehmende Sachverständige für Verkehrstechnik Dipl.-HTL-Ing. X aus, dass beim gegenständlichen Vorbeifahren der Außenspiegel des Microcars offenbar aus der Verankerung gehoben wurde. Nach Angaben der Zeugin habe der Polizist den Spiegel soweit einhängen können, dass er wieder voll funktionsfähig ist. Der Spiegel musste nicht getauscht werden. Nach Ausführungen der Zeugin wies der Spiegel an der schmalen Seite, also am Seitenrand, Streifspuren auf. Auf Befragen durch den Sachverständigen, ob diese Streifspuren wegzuwischen oder wegzupolieren waren, wurde die Auskunft erteilt, dass das bis dato nicht gemacht wurde. Im Hinblick auf die Schadensbeurteilung halte er daher fest, dass der Spiegel durch die mögliche Streifung ausgehängt wurde. Ob dadurch außerdem ein nicht wieder gutzumachender Schaden entstanden ist, könne nicht festgehalten werden. Das Aushängen des Spiegels (die Spiegel sind dafür entsprechend gebaut), stellt keinen bleibenden Schaden dar, da die Einhängung des Spiegels durch den Polizisten durchgeführt werden konnte. Zu den "Streifspuren" an der Seite halte er fest, dass, nachdem kein Foto oder eine entsprechende Schadensbeschreibung vorliegt, nicht beurteilt werden kann, ob es sich dabei um Gebrauchsspuren handelt, die einem Vorschaden zuzuordnen wären oder ob dieser Schaden unfallskausal ist und wenn er unfallskausal ist, ob dieser Schaden durch Wegpolieren behebbar ist. Dieser Versuch wurde offenbar bis dato nicht unternommen.

 

Zusammenfassend hielt der Sachverständige fest, dass das Schadensbild nicht klar ist und dass als "Schadensbild" die Streifspuren an der schmalen Seite übrig bleiben und dabei nicht festgestellt werden kann, ob dieses Bild so gering ist, dass es durch Polieren behebbar gewesen wäre.

 

I.3.3. Unter Zugrundelegung dieser schlüssigen gutachtlichen Ausführungen ist rechtlich beurteilend vorerst festzuhalten, dass der Bw nur dann Verwaltungsübertretungen nach § 4 StVO 1960 zur Last gelegt werden können, wenn ein "Sachschaden" vorliegt. Nach der Judikatur des VwGH ist beispielsweise eine mit einem Reinigungsmittel entfernbare Lackspur nicht als Sachschaden im Sinne der § 4 Abs.5 StVO 1960 zu qualifizieren. Geringfügige Spuren, die ohne Kosten beseitigt werden können oder vom Betroffenen gar nicht als Beschädigung aufgefasst werden, stellen keinen Sachschaden im Sinne des Abs.5 dar. Auf Grund der Ausführungen der Zeugin sowie der gutachtlichen Ausführungen des Sachverständigen kann im vorliegenden Fall nicht mit der für ein Verwaltungsstrafverfahren erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass die Bw mit dem von ihr gelenkten Kraftfahrzeug am Fahrzeug mit dem Kennzeichen X im Zuge des angenommenen Überholvorganges und der dabei erfolgten Streifung einen Sachschaden verursacht hat. Es liegen auch keine Schadensfotos vor. Auch aus dem Verkehrsunfallsbericht der Polizeiinspektion Krenglbach vom 9. Oktober 2009 geht hervor, dass am Pkw der Bw keine Beschädigung ersichtlich war. Die belangte Behörde hat diesbezüglich auch keine Ermittlungen angestellt. Nach Aufforderung zur Rechtfertigung vom 2. Februar 2010 (an die Bw zugestellt am 12.2.2010) bis zur Erlassung des Straferkenntnisses im August 2011 verging ein Zeitraum von 18 Monaten, in dem auf Grund der Aktenlage keine Verfahrens- bzw. Ermittlungsschritte gesetzt wurden.

 

Die der Bw zur Last gelegten Übertretungen nach § 4 Abs.1 lit.a StVO 1960 und nach § 4 Abs.5 StVO 1960 sind sohin nicht erwiesen, weshalb diesbezüglich spruchgemäß zu entscheiden war.

 

I.3.4. Was die Fakten 3 (§ 16 Abs.2 lit.b StVO 1960) und 4 (§ 11 Abs.1 StVO 1960) anlangt, hat die Bw bei der Berufungsverhandlung ihr Rechtsmittel auf das Strafausmaß eingeschränkt. Die diesbezüglichen Schuldsprüche sind sohin in Rechtskraft erwachsen, weshalb diesbezüglich eine Berufungsentscheidung entfällt.

 

Der Oö. Verwaltungssenat hat demnach zu überprüfen, ob, gemessen an den Strafbemessungskriterien des § 19 VStG, eine Herabsetzung der Strafen in Betracht kommt. Dies ist aus folgenden Gründen der Fall:

 

Die Bw ist Mutter von 3 Kindern und bezieht kein Einkommen. Ein wesentlicher Grund für die Herabsetzung der Strafen ist die lange Verfahrensdauer. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass ein Verstoß gegen Artikel 6 Abs.1 EMRK nur dann nicht vorliegt, wenn die Verwaltungsstrafbehörden bzw. die Strafgerichte nicht nur die lange Verfahrensdauer feststellen (anerkennen), sondern diese müsse sich auch in einer entsprechenden und "messbaren" Reduzierung der Strafe niederschlagen (VfSlg. 16.385 im Fall X sowie zuletzt VfGH vom 2. März 2010, B 991/09). Die lange Verfahrensdauer wurde von der Bw nicht verursacht.

 

Eine weitere Herabsetzung kam auf Grund des erheblichen Unrechts- und Schuldgehalts der Übertretungen nicht in Betracht. Auch spezialpräventive Aspekte sprechen gegen eine weitere Strafreduzierung.

 

Aus den genannten Gründen war spruchgemäß zu entscheiden.

 

II. Die Kostenentscheidung ist gesetzlich begründet.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

Dr. Johann Fragner

 

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