Linz, 08.02.2012
E r k e n n t n i s
Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Astrid Berger über die Berufung des S G, geb. vertreten durch Rechtsanwalt Mag. T Ö, S, W, gegen Spruchpunkt 6. des Straferkenntnisses des Polizeidirektors der Bundespolizeidirektion W vom 6.10.2011, Z 2-S-14.668/10 S 150 FS 36 VK 18,60, wegen einer Übertretung nach dem Sicherheitspolizeigesetz nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 18.1.2012 zu Recht erkannt:
I. Der Berufung wird stattgegeben, Spruchpunkt 6. des angefochtenen Straferkenntnisses aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG hinsichtlich Spruchpunkt 6. eingestellt.
II. Der Berufungswerber hat weder einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch einen Kostenbeitrag für das Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat zu leisten.
Rechtsgrundlagen:
Zu I.: §§ 24, 45 Abs. 1 Z 3 und § 51 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG) iVm § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG).
Zu II.: § 66 Abs. 1 VStG.
Entscheidungsgründe:
Als verletzte Rechtsgrundlage wird hinsichtlich des im gegenständlichen Verfahren maßgeblichen Spruchpunktes 6. § 81 Abs 1 SPG genannt.
§ 81 Abs 1 SPG: "Wer durch besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt stört, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 218 Euro zu bestrafen. Anstelle einer Geldstrafe kann bei Vorliegen erschwerender Umstände eine Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, im Wiederholungsfall bis zu zwei Wochen verhängt werden."
§ 82 SPG: "(1) Wer sich trotz vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht oder gegenüber einer Militärwache, während diese ihre gesetzlichen Aufgaben wahrnehmen, aggressiv verhält und dadurch eine Amtshandlung behindert, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 218 Euro zu bestrafen. Anstelle einer Geldstrafe kann bei Vorliegen erschwerender Umstände eine Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, im Wiederholungsfall bis zu zwei Wochen verhängt werden.
(2) Eine Bestrafung nach Abs. 1 schließt eine Bestrafung wegen derselben Tat nach § 81 aus."
3.3.1. Das Verhalten des Bw ist jedenfalls als "aggressives" Verhalten iSd § 82 Abs. 1 SPG zu qualifizieren, da er durch sein emotional-nervöses und aufgebrachtes sowie lautstarkes Auftreten eine gewisse Feindseligkeit gegenüber den Polizisten zeigte. Auch seine lautstarke Äußerung, dass er froh sei, kein Österreich zu sein (die der Bw im Übrigen selbst zugestand), zeigt eine gewisse Angriffslust gegenüber den Polizisten deutlich (vgl. mwN aus der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz – Kommentar4, Anm. 5.1.2. zu § 82 SPG). Das Verhalten des Bw während der gegenständlichen Amtshandlung vor dem Kindergarten war daher in einer Gesamtbetrachtung jedenfalls als ungestüm und damit "aggressiv" iSd § 82 Abs. 1 SPG zu werten (vgl. dazu eingehend auch Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz – Kommentar4, zu § 82 Abs. 1 SPG).
Dabei ist freilich festzuhalten, dass aggressives Verhalten iSd § 82 Abs 1 SPG selbst dann anzunehmen wäre, wenn dieses durch die Polizeibeamten provoziert worden sein sollte (vgl. VwGH 12.10.1987, 87/10/0146; 27.10.1989, 88/10/0184).
Da durch dieses Verhalten des Bw – trotz mindestens einmaliger Abmahnung durch die Polizisten in der Form, dass der Bw sich beruhigen und sein Verhalten einstellen solle – die konkrete Amtshandlung (Verkehrskontrolle) unstreitig behindert wurde, ist die Anwendbarkeit des § 82 Abs. 1 SPG grundsätzlich gegeben.
3.3.2. Gemäß § 82 Abs. 2 SPG schließt aber eine Bestrafung nach Abs. 1 leg.cit. eine Bestrafung wegen derselben Tat nach § 81 leg.cit. aus. Die im vorliegenden Straferkenntnis dem Bw vorgeworfene Ordnungsstörung nach § 81 Abs. 1 SPG steht demzufolge zum Tatbestand des aggressiven Verhaltens nach § 82 Abs. 1 SPG im Verhältnis der Subsidiarität. Im Lichte des Verfassungsrechts (insbes. des Doppelbestrafungs- und Doppelverfolgungsverbotes nach Art. 4 7. ZProtMRK sowie des Legalitätsprinzips) ist § 82 Abs. 2 SPG verfassungskonform jedenfalls so zu interpretieren, dass § 81 SPG "vollständig zu § 82 SPG subsidiär" ist. Die Strafbehörde kann daher nicht zwischen einer Bestrafung nach § 81 und nach § 82 SPG auswählen. (Vgl. so auch Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz – Kommentar4, Anm. 3 zu § 81 SPG sowie Anm. 7 zu § 82 Abs. 2 SPG.)
Da der Tatbestand des § 82 Abs. 1 SPG – wie unter 3.3.1. ausführlich erörtertert – im gegenständlichen Fall unzweifelhaft vorlag, war gem. § 82 Abs. 2 SPG die erfolgte Bestrafung nach § 81 SPG jedenfalls unzulässig.
3.4. Der Berufung war daher stattzugeben und das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben. Aufgrund der bereits verstrichenen Verfolgungsverjährungsfrist war auch die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens betreffend Spruchpunkt 6. gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG zu verfügen.
4. Bei diesem Verfahrensergebnis war dem Bw gemäß § 66 Abs. 1 VStG weder ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch ein Kostenbeitrag für das Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat vorzuschreiben.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
Hinweis:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220,- Euro zu entrichten.
Astrid Berger
VwSen-231279/11/AB/Sta vom 8. Februar 2012
Erkenntnis
Rechtssatz
SPG §81 Abs1;
SPG §82 Abs1;
SPG §82 Abs2;
EMRK (Protokoll Nr. 7) Art4
Gemäß § 82 Abs 2 SPG schließt eine Bestrafung nach Abs 1 leg cit eine Bestrafung wegen derselben Tat nach § 81 leg cit aus. Die im vorliegenden Straferkenntnis dem Bw vorgeworfene Ordnungsstörung nach § 81 Abs 1 SPG steht demzufolge zum Tatbestand des aggressiven Verhaltens nach § 82 Abs 1 SPG im Verhältnis der Subsidiarität. Im Lichte des Verfassungsrechts (insb des Doppelbestrafungs- und Doppelverfolgungsverbotes nach Art 4 7. ZPzEMRK sowie des Legalitätsprinzips) ist § 82 Abs 2 SPG verfassungskonform jedenfalls so zu interpretieren, dass § 81 SPG "vollständig zu § 82 SPG subsidiär" ist. Die Strafbehörde kann daher nicht zwischen einer Bestrafung nach § 81 und nach § 82 SPG auswählen (vgl so auch Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz – Kommentar4, Anm 3 zu § 81 SPG sowie Anm 7 zu § 82 Abs 2 SPG).