Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730383/3/BP/Wu VwSen-730384/3/BP/Wu

Linz, 07.02.2012

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Bernhard Pree über die Berufung 1. der X sowie (als gesetzliche Vertreterin für) 2. der minderjährigen X, beide StA der Türkei, X, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes des Bezirks Vöcklabruck vom 7. Juli 2011, GZ: Sich40-27539-2009 und Sich40-28566-2010, betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie eines Einreiseverbots in der Dauer von 24 Monaten  gegen die Berufungswerberinnen nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

 

 

İtirazın kabul edilmesine ve itiraz edilen kararın tazminsiz ortadan kaldırılmasına.

 

Rechtsgrundlage/Hukuki dayanak:

§ 68 Abs. 4 AVG

 

 

 


Entscheidungsgründe:

 

1.1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes des Bezirks vom 7. Juli 2011,
GZ: Sich40-27539-2009 und Sich40-28566-2010, wurde gegen die Berufungswerberinnen (im Folgenden: Bw) auf Basis des §§ 52 Abs. 1 iVm. 53 Abs. 1 und 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, jeweils eine Rückkehrentscheidung und ein auf 24 Monate befristetes Einreiseverbot für den gesamten Schengenraum ausgesprochen sowie gemäß § 55 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Durchsetzbarkeit dieses Bescheides festgesetzt.

 

Begründend führt die belangte Behörde zunächst zum Sachverhalt aus, dass die Erst-Bw, eine Staatsangehörige der Türkei, am 16. September 2009 bei der österreichischen Botschaft in Istanbul einen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für "beschränkt" gestellt habe. Als Bezugsperson habe die Erst-Bw den Ehegatten X – ebenfalls türkischer Staatsangehöriger und wohnhaft in X – angegeben. Der Gatte habe bereits seit dem 5. Februar 1995 ein unbefristetes Niederlassungsrecht. Nachdem die Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für "beschränkt" erfüllt gewesen seien, habe die belangte Behörde die beantragte Niederlassungsbewilligung "beschränkt" mit einer Gültigkeit von 3. Februar 2010 bis 2.  Februar 2011 erteilt. Am 3. Februar 2010 sei die Erst-Bw die Integrationsvereinbarung eingegangen und habe in weiterer Folge dafür einen Gutschein (nr. X) erhalten.

 

Das gemeinsame Kind sei am X im LKH X geboren worden. Die Erst-Bw habe für das minderjährige Kind am 6. Oktober 2010 einen quotenfreien Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für "beschränkt" gestellt.

 

Da zu diesem Zeitpunkt der Reisepass nur mehr bis zum 24. Dezember 2010 gültig gewesen sei, sei die Erst-Bw mit Verbesserungsauftrag vom 1. Oktober 2010 aufgefordert worden, binnen 2 Wochen einen gültigen Reisepass sowie einen Mietvertrag nachzuweisen.

 

Nachdem die Erst-Bw diesem Verbesserungsauftrag nicht fristgerecht entsprochen habe, sei sie mit Schreiben vom 11. November 2010 persönlich für den 23. November 2010 vorgeladen worden, habe jedoch diese Ladung ignoriert, weshalb ihre Vorführung am 23. November 2010 durch die PI Attnang-Puchheim veranlasst worden sei. Auch zu diesem Zeitpunkt sei die Erst-Bw nicht in der Lage gewesen die geforderten Unterlagen der Niederlassungsbehörde vorzulegen. Am 31. Dezember 2010 habe die Erst-Bw schließlich einen neuen Reisepass sowie den geforderten Mietvertrag vorgelegt.

 

Am 3. Jänner 2011 sei sie mit nachweislichem Schreiben für den 12. Jänner 2011 vorgeladen worden, um den Verlängerungsantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "unbeschränkt" zu stellen; auch dieser Aufforderung sei sie nicht gefolgt.

 

Am 15. Jänner 2011 sei die Erst-Bw schriftlich von der belangten Behörde verständigt worden, dass ihre Niederlassungsbewilligung für "beschränkt" bis zum 2. Februar 2011 gültig sei und sie fristgerecht einen Verlängerungsantrag zu stellen habe, wenn sie beabsichtige, weiterhin in Österreich rechtmäßig niedergelassen zu sein. Auch dieses Schreiben habe die Erst-Bw völlig ignoriert.

 

Mit nachweislichem Schreiben vom 7. Februar 2011 sei ein Ladungsbescheid für den 21. Februar 2011 durch die PI Attnang-Puchheim zugestellt worden. Am 21. Februar 2011 habe die Erst-Bw einen quotenfreien Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für "beschränkt" gemäß § 44 Abs. 3 NAG 2005 gestellt. Da sie auch zu diesem Zeitpunkt nicht alle Dokumente bzw. Unterlagen habe vorlegen können, sei sie mit nachweislichem Schreiben vom 21. Februar 2011 aufgefordert worden, binnen zwei Wochen ein neues EU-Passbild sowie die letzten 3 Lohnzettel ihres Ehegatten vorzulegen. Auch dieser Aufforderung sei sie nicht fristgerecht nachgekommen. Die fehlenden Unterlagen habe sie erst am 28. März 2011 persönlich bei der Behörde abgegeben.

 

Aufgrund der Antragstellung sei eine begründete Stellungnahme der SID für OÖ. gemäß § 44b NAG 2005 eingeholt worden. Aus dieser Stellungnahme vom 10. Mai 2011, GZ.: E1/10074/2011, sei ersichtlich, dass sowohl gegen die Erst-Bw als auch gegen das minderjährige Kind fremdenpolizeiliche Maßnahmen zulässig seien.

 

Mit nachweislichem Schreiben vom 20. Mai 2011 seien die Bw schriftlich von der beabsichtigten Ausweisung in Kenntnis gesetzt und gleichgehend aufgefordert worden, binnen 2 Wochen dazu schriftlich Stellung zu nehmen. Bis dato sei jedoch keinerlei Stellungnahme eingelangt.

 

Zu den Privat- und Familienverhältnissen wird angeführt, dass die Erst-Bw im Alter von 31 Jahren nach Österreich eingereist sei und sich 12 Monate rechtmäßig bis 2. Februar 2011 hier aufgehalten habe. Sie spreche ihre Heimatsprache und habe ihre Schulausbildung in der Türkei absolviert. Ihre Eltern seien in der Türkei aufhältig, weshalb eine entsprechende familiäre Bindung zu ihrem Heimatland bestehe. Sie kenne die Sitten und Gebräuche ihres Heimatlandes.

 

Am 22. Dezember 2008 habe sie ihren nunmehrigen Gatten geheiratet. Aus dieser Ehe stamme das am 24. April 2010 geborene, minderjährige Kind. Der Ehegatte besitze bereits eine unbefristete Niederlassungsbewilligung bzw. einen Titel "Daueraufenthalt-EG". Die Erst-Bw selbst sei nicht berufstätig und habe bis dato auch nicht mit dem Deutsch-Integrationskurs begonnen, obwohl ihr ein entsprechender Gutschein ausgestellt worden sei. Bei der Erstantragstellung habe sich zur Erfüllung der Integrationsvereinbarung verpflichtet.

 

1.1.2. In rechtlicher Hinsicht führt die belangte Behörde ua. aus, dass sich die Bw seit dem 7. Februar 2011 illegal im Bundesgebiet der Republik Österreich aufhielten; dies deshalb, weil sie weder im Besitz einer gültigen Niederlassungsbewilligung noch eines anderen Aufenthaltstitels seien. Aufgrund der verspäteten Antragstellung handle es sich auch nicht um einen Verlängerungsantrag, sondern um einen quotenfreien Erst-Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für "beschränkt" gemäß § 44 Abs. 3 NAG 2005, wobei es sich nach der Novelle des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2011 um eine Niederlassungsbewilligung nach § 43 Abs. 3 NAG handle.

 

Nachdem die SID OÖ. fremdenpolizeiliche Maßnahmen für zulässig erklärt habe, sei eine Rückkehrentscheidung erforderlich.

 

Die Bw habe sich lediglich 12 Monate legal im Bundesgebiet aufgehalten, sei weder sprachlich noch beruflich integriert und habe auch die Integrationsvereinbarung nicht eingehalten. Das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens werde anerkannt. Die Erst-Bw sei zudem völlig unbescholten.

 

Die belangte Behörde kommt zu dem Ergebnis, dass eine Rückkehrentscheidung gegen Erst- und Zweit-Bw keinen unzulässigen Eingriff in deren Privat- und Familienleben darstelle. Aufgrund der kurzen Aufenthaltsdauer sei auch noch keine intensive Integration in Österreich gegeben. Die Erst-Bw sei in Österreich nie berufstätig gewesen und habe auch nie den Willen zur sprachlichen Integration dokumentiert. Sowohl die Geburt als auch die Erziehung stelle kein geeignetes Hindernis für die Teilnahme am Deutschkurs dar. Es sei auch der mangelnde Wille der Bw erkennbar, Verbesserungsaufträgen nachzukommen, woraus der illegale Aufenthalt resultiere, den die Erst-Bw durchaus in Kauf genommen habe.

 

Dem Gatten der Erst-Bw sei es möglich, die Bw in der Türkei jederzeit zu besuchen oder technische Kommunikationsmittel für den Kontakt zu nutzen.

 

Ein Eingriff in das Privat- und Familienleben sei zwar gegeben, jedoch zulässig, um die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu gewährleisten.   

 

1.2.1. Gegen diesen Bescheid erhoben die Bw durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter rechtzeitig Berufung mit Schriftsatz vom 26. Juli 2011.

 

Darin wird der in Rede stehende Bescheid seinem gesamten Inhalt nach angefochten.

 

Zum Sachverhalt wird angeführt, dass der Ehegatte bzw. Vater der Bw seit 5. Februar 1995 ein unbefristetes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet besitze und seit Jahren bei ein und der selben Firma beschäftigt sei, wo er einen monatlichen Nettolohn von rund 1.600 Euro verdiene. Er habe dadurch eine Lebensgrundlage für sich und seine Gattin geschaffen.

 

Der am 24. Dezember 2010 abgelaufene Reisepass der Erst-Bw sei – laut Passstempel - rechtzeitig mit einer Gültigkeit bis 24. November 2015 verlängert worden. Darin sei auch die Zweit-Bw eingetragen.

 

Dass die Erst-Bw seitens der belangten Behörde mehrmals zur fristgerechten Verbesserung aufgefordert bzw. zur persönlichen Stellungnahme vorgeladen worden sein solle, sei für sie nicht verständlich bewesen. Sie habe umgehend die von der Behörde verlangten und ihr bzw. ihrem Ehegatten verständlichen Schritte eingeleitet (dies ergebe sich ua. nachweislich aus dem Datum der Verlängerung des Reisepasses). Sie sei demnach der Ansicht gewesen, alle erforderlichen Schritte erfüllt zu haben.

 

In weiterer Folge sei unter Bedachtnahme auf die beschränkte Niederlassungsbewilligung bis zum 2. Februar 2011 seitens der Erst-Bw ein entsprechender Antrag auf Verlängerung im Februar 2011 bei der zuständigen Behörde gestellt worden. Dass dieser infolge Verspätung in einen Erst-Antrag umgewandelt worden sei, sei nicht nachvollziehbar. Die Erst-Bw sei davon ausgegangen, dass dieser Antrag auf Erteilung der Niederlassungsbewilligung jedenfalls zulässig sei und von ihr die erforderlichen Voraussetzungen auch erfüllt würden. Dies insbesondere auch deshalb, als sie bereits für die Dauer eines Jahres sämtliche Aufenthaltsvoraussetzungen erfüllt gehabt habe und sich diese nicht verändert hätten. Im Gegenteil, der Ehegatte sei nach wie vor im aufrechten Dienstverhältnis tätig gewesen und in der Lage den Lebensunterhalt für seine Familie zu gewährleisten.

 

Darüber hinaus sei die Zweit-Bw nunmehr 1 Jahr und damit in einem Alter, in dem sie zumindest für ein paar Stunden zur Obsorge an dritte Personen übergeben werden und die Erst-Bw – die deutsche Sprache – zusätzlich zum Kontakt und den Übungseinheiten mit ihrem Ehegatten – auch in einem Kurs erlernen könne und wolle. Bis zuletzt bzw. im ersten Lebensjahr sei die Zweit-Bw immer wieder kränklich und die persönliche Anwesenheit der Erst-Bw als Mutter unerlässlich gewesen. Zwischenzeitig habe sich diese Situation verbessert. Die Erst-Bw sei bemüht einen Freiraum zu schaffen, indem sie beabsichtige einen Deutschkurs zu beginnen. Die Anmeldung dazu werde in 14 Tagen erfolgen. Bis dato habe die Erst-Bw sich bemüht, die deutsche Sprache zuhause zu erlernen. Seit der Einreise am 3. Februar 2010 habe sich ein intensives Privat- und Familienleben gemeinsam mit ihrem Ehegatten eingestellt; dies nicht zuletzt dadurch, als die Geburt der Zweit-Bw im X 2011 in Österreich stattgefunden habe. Demnach sei die Erst-Bw in ihrer für sie neuen Rolle als Ehegattin und Mutter in Österreich von ihrem Ehegatten unterstützt worden. In der Türkei würden zwar ihre Eltern leben, jedoch seien diese aufgrund ihres Alters und gesundheitlicher Beeinträchtigung nicht in der Lage die Bw in welcher Form auch immer zu unterstützen. Um so mehr gewinne die Unterstützung und die räumliche Nähe zu ihrem Ehegatten an Bedeutung.

 

Die Erst-Bw sei zudem völlig unbescholten.

 

1.2.2. Weiters wird in der Berufung angeführt, dass die belangte Behörde es verabsäumt habe, entsprechende Beweise betreffend die persönliche Situation der Bw zu erheben. Ua. sei es für den Ehegatten der Bw nicht möglich für die Bw in der Türkei einen zweiten Haushalt zu finanzieren. Ihre Eltern seien gesundheitlich nicht in der Lage für die Bw einen derartigen Haushalt zu gewährleisten.

 

Vor allem aber seien der Erst-Bw – mangels Sprachkenntnissen – die Konsequenzen ihres verschiedentlich verspäteten Nachkommens von behördlichen Verbesserungsaufträgen erst bei Erlassung des in Rede stehenden Bescheides klar geworden. Dies gelte auch für ihren – rechtlich nicht geschulten – Ehegatten. Die Behörde habe es unterlassen, die wesentlichen Schriftstücke übersetzt der Erst-Bw zukommen zu lassen.

 

Es werden als Beweisanträge verschiedene Einvernahmen gefordert, die nachweisen sollen, dass der Ehegatte der Erst-Bw in Österreich völlig integriert und finanziell gut situiert sei; darüber hinaus soll dadurch die familiäre und finanzielle Situation im Heimatland der Bw beleuchtet werden.

 

Abschließend werden die Berufungsanträge gestellt, der UVS Oö. möge eine mündliche Berufungsverhandlung durchführen und die angebotenen Beweise aufnehmen und den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufheben; in eventu die Dauer des Einreiseverbotes auf das Mindestmaß herabsetzen.

 

 

2.1. Die belangte Behörde legte den in Rede stehenden Verwaltungsakt mit Schreiben vom 28. Juli 2011 dem UVS des Landes Oberösterreich vor.

 

2.2.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde.

 

2.2.2. Mit Schreiben vom 21. September 2011 teilte der bisherige Rechtsvertreter der Bw mit, dass das Vertretungsverhältnis aufgelöst worden sei.

 

2.2.3. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil eine solche nicht erforderlich war, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lässt (§ 67d AVG).

 

Im Übrigen ist festzuhalten, dass den sachverhaltsbezogenen Vorbringen der Bw in vollem Umfang Glaubwürdigkeit zugemessen wird, weshalb – entgegen dem Parteienantrag – nach ständiger Rechtsprechung der Höchstgerichte der UVS des Landes Oberösterreich von der Durchführung der öffentlichen mündlichen Verhandlung absehen konnte. 

 

2.3. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1.1.1. und 1.2.1. dieses Erkenntnisses dargestellten völlig unbestrittenen Sachverhalt aus.

 

2.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

 

3. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

3.1.1. Bei der rechtlichen Beurteilung dieses Falles ist zunächst die Frage zu klären unter welchem Regime des Fremdenpolizeigesetzes der vorliegende Sachverhalt zu würdigen ist. Die belangte Behörde hatte in Anbetracht dessen, dass die Bw – unbestritten - nicht mehr über Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügen, § 52 ff. des Fremdenpolizeigesetzes, in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011, herangezogen und kam folglich zu dem Schluss, dass gegen die Bw sowohl Rückkehrentscheidungen als auch Einreiseverbote zu verhängen seien.

 

Hier ist aber zu beachten, dass der Ehegatte der Bw – ein türkischer Staatsangehöriger – seit dem Jahr 1995 über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht für das Bundesgebiet verfügt und seit nunmehr vielen Jahren legal in Österreich beschäftigt ist. Es stellt sich daher die Frage, ob er unter den Schutzzweck des Beschlusses 1/1980 im Rahmen des Assoziationsabkommens EWG – Türkei fällt, was nach ständiger Rechtsprechung der Höchstgerichte Konsequenzen für die Wahl der heranzuziehenden Normen des FPG haben würde, da dieser Personenkreis EWR-Bürgern weitgehend gleichgestellt werden muss.

 

3.1.2. Gemäß Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG / Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 hat, vorbehaltlich der Bestimmungen im Art. 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung, der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat

-        nach 1 Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung   seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen   Arbeitsplatz verfügt

-        nach 3 Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung – vorbehaltlich des den   Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden   Vorrangs – das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber          seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei    den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenen anderes          Stellenangebot zu bewerben;

-        nach 4 Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von      ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

 

Art. 7 leg. cit. normiert, dass Familienangehörige eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,

-        vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der    Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs – das Recht haben, sich auf jedes           Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens 3 Jahren ihren       ordnungsgemäßen Wohnsitz haben,

-        freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder          Gehaltsverhältnis haben, wenn sie dort seit mindestens 5 Jahren ihren          ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.

 

3.1.3. Nun ergibt sich aber aus dem Sachverhalt, dass zwar der Ehegatte der Erst-Bw die in Art. 6 Abs. 1 leg. cit. genannten Kriterien fraglos erfüllt, jedoch seine Ehegattin (bzw. auch in weiterer Folge seine Tochter) nicht die Bedingungen des Art. 7 erfüllen, zumal die Erst-Bw nicht über einen dreijährigen ordnungsgemäßen Wohnsitz im Bundesgebiet verfügt. Sie selbst kann sich also nicht originär auf Art. 7 des Ratsbeschlusses stützen.

 

Nun ist aber festzuhalten, dass türkische Staatsangehörige, die unter die Begünstigung des Ratsbeschlusses fallen, hinsichtlich der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen wie EWR-Bürger und Schweizer Bürger zu betrachten sind. Dies kann allerdings nicht für die Bw gelten, die klar aus dem Anwendungsbereich des Abkommens ausscheiden. Dennoch ist analog zur Regelung der begünstigten Drittstaatsangehörigen von EWR-Bürgern und Schweizer Bürgern davon auszugehen, dass die Bw - als Familienangehörige eines aufgrund des Assoziationsabkommens den EWR-Bürgern und Schweizer Bürgern gleichgestellten türkischen Staatsangehörigen – hinsichtlich aufenthaltsbeendender Maßnahmen eben wie begünstigte Drittstaatsangehörige im Sinne des § 65a FPG nach § 66 leg. cit. beurteilt werden müssen.

3.2.1. Gemäß § 66 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 112/2011, können EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

 

Gemäß § 66 Abs. 2 FPG hat die Behörde, wenn ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden soll, insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

 

Gemäß § 66 Abs. 3 FPG ist die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

 

Gemäß § 66 Abs. 4 FPG gilt § 59 Abs. 1 sinngemäß.

 

3.2.2. Gemäß § 55 Abs. 3 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes in der Fassung des Bundesgesetzblattes, BGBl. I Nr. 112/2011, hat die Behörde, sofern das Aufenthaltsrecht gemäß § 51, 52 und 54 nicht besteht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht mehr vorliegen, den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass die zuständige Fremdenpolizeibehörde hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Die zuständige Fremdenpolizeibehörde ist unverzüglich spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7.

Gemäß § 52 Abs. 1 NAG sind aufgrund der Freizügigkeitsrichtlinie EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als 3 Monate berechtigt, wenn sie

1. Ehegatte oder eingetragener Partner sind;

2. Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners         in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres und      darüber hinaus sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt   wird;

3. […….]

 

Gemäß § 54 Abs. 1 NAG sind Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51) sind und die in § 52 Abs. 1 Z. 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, zum Aufenthalt für mehr als 3 Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von 5 Jahren oder die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Dieser Antrag ist innerhalb von 4 Monaten ab Einreise zu stellen. § 1 Abs. 2 Z. 1 gilt nicht.

 

Gemäß § 54 Abs. 2 NAG sind zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthalts ein gültiger Personalausweis oder Reisepass, die Anmeldebescheinigung oder die Bescheinigung des Daueraufenthalts des zusammenführenden EWR-Bürgers sowie folgende Nachweise vorzulegen

1. nach § 52 Abs. 1 Z. 1 ein urkundlicher Nachweis des Bestehens der Ehe oder     eingetragenen Partnerschaft;

2. nach § 52 Abs. 1 Z. 2 und 3 ein urkundlicher Nachweis über das Bestehen     einer familiären Beziehung sowie bei Kindern über 21 Jahren und Verwandten          des EWR-Bürgers seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader        aufsteigender Linie ein Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung.

 

3.3.1. Nach dem vorliegenden Sachverhalt erfüllt der Ehegatte der Erst-Bw fraglos die Kriterien für den unbefristeten Aufenthalt, gemessen an den vom NAG aufgestellten Bedingungen. In Anwendung des § 54 Abs. 1 und 2 NAG ist weiters festzuhalten, dass es sowohl Erst-Bw als auch Zweit-Bw durchaus möglich ist, die erforderlichen Nachweise (wie zB. Trauschein, Geburtsurkunde, Reisepass /Personalausweis und die unbefristete Niederlassungsbewilligung des Ehegatten bzw. Vaters der Bw beizubringen.

 

Zusätzlich lägen im Übrigen – nach dem bestehenden Sachverhalt - auch ein entsprechend hohes Einkommen sowie auch Krankenversicherungsschutz vor.

 

3.3.2. Damit muss aber festgestellt werden, dass es für eine Ausweisung schon am Vorliegen der Tatbestandselemente des § 66 Abs. 1 FPG mangelt, weshalb der angefochtene Bescheid aufzuheben war.  

 

Auf die Frage einer allfälligen Nicht-Einhaltung der Integrationsvereinbarung in Form mangelnder sprachlicher Integration muss in diesem Verfahren nicht mehr eingegangen werden.

Ein gesondertes Eingehen auf § 66 Abs. 2 FPG, Art. 8 EMRK bzw. § 61 FPG erübrigt sich mangels Vorliegens der Voraussetzungen für die Ausweisungsentscheidungen per se. 

 

3.3.3. Sollte man – entgegen den obigen Darstellungen - der Ansicht der belangten Behörde folgen und von einer Anwendbarkeit der §§ 52 ff. auf den vorliegenden Fall ausgehen, so sei angemerkt, dass im Ergebnis keine Änderung der Beurteilung hätte erfolgen können. Zum Einen liegt aufgrund des gesicherten Familieneinkommens wohl nicht ein besonderes Gefährdungspotential der öffentlichen Interessen vor (der Erst-Bw war ja ursprünglich eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt worden, die nur mangels fristgerechtem Verlängerungsantrag nicht mehr Bestand hat), zum Anderen sprächen die familiären Aspekte des Falls für eine Bejahung der Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung im Sinne des § 61 FPG.

 

3.4. Es war daher der Berufung stattzugeben, der angefochtene Bescheid aufzuheben und spruchgemäß zu entscheiden. 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 28,60 Euro (Eingabegebühr) angefallen.

 

 

Hukuki itiraz yolu bilgilendirilmesi

İşbu karar karşı olağan kanun yolu açık değildir.

 

Talimat

(Verilen karara karşı kararın tebliğ gününden itibaren altı hafta içinde Anayasa Mahkemesi’nde ve/veya Danıştay‘da itiraz edilebilinir. Yasal istisnalar hariç, şikayetin vekil tayin edilmiş bir avukat tarafından yapılması gerekmektedir. Her itiraz için 220.- Euro dilekçe harcı ödenilir.)  

Bernhard Pree

Beachte:

 

Beschwerde gegen vorstehende Entscheidung wurde abgelehnt.

 

VwGH vom 24.01.2013, Zl.: 2012/21/0063-7

 

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