Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-420721/4/AB/Sta

Linz, 21.02.2012

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Astrid Berger über die Beschwerde des E E, geb. vertreten durch Rechtsanwälte Dr. C B und Mag. C Z, B, B A, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt am 28.11.2011 durch dem Bezirkshauptmann des Bezirks Gmunden zurechenbare Organe aus Anlass der Festnahme des Beschwerdeführers wegen Nichtverlassens eines Gastgewerbebetriebes nach Eintritt der Sperrstunde zu Recht erkannt:

 

I.            Der Beschwerde wird stattgegeben und die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt am 28.11.2011 durch Festnahme, Anhaltung, Verbringung zur Polizeiinspektion Bad Ischl und Einvernahme des Beschwerdeführers durch dem Bezirkshauptmann des Bezirks Gmunden zurechenbare Organe für rechtswidrig erklärt.

 

II.        Der Bund (Verfahrenspartei: Bezirkshauptmann des Bezirks Gmunden) hat dem Beschwerdeführer den Verfahrensaufwand in Höhe von 737,60 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

 

 

Rechtsgrundlagen:

Art. 129a Abs 1 Z 2 B-VG iVm § 67a Abs 1 Z. 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl 51, in der Fassung BGBl I 111/2010 (AVG); § 67c und § 79a AVG iVm der UVS-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl II 456.

 

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1.1.         Mit Schriftsatz vom 4.1.2012 erhob der Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf) durch seine ausgewiesenen Vertreter binnen offener Frist Beschwerde beim Oö. Verwaltungssenat wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in Form der Festnahme, Anhaltung und Vernehmung im Zuge der Sperrstundenkontrolle eines Gastgewerbebetriebes in  B I am 28.11.2011 um ca. 22:30 Uhr durch dem Bezirkshauptmann des Bezirks G als belangter Behörde zurechenbare Polizeiorgane.

 

1.2.   Zunächst wird in der Beschwerde zum Sachverhalt im Wesentlichen ausgeführt, dass sich der Bf am Abend des Montag, den 28.11.2011, in dem von seinem Cousin betriebenen Lokal in  B I aufgehalten habe. Er habe an einem Tisch gesessen und ein Getränk konsumiert, als plötzlich ein Polizeiorgan der PI B I das Lokal betreten habe und lautstark zum Verlassen des Gastgewerbebetriebs unter Androhung der sonstigen Festnahme aufgefordert hätte. Als der Bf gefragt habe, "Warum?", habe ihn der Polizist vor näher genannten Zeugen an den Armen gepackt, ihn festgenommen und gewaltsam aus dem Lokal zu dem vor dem Lokal abgestellten Polizeiauto geführt, um ihn in weiterer Folge zum Posten der Polizeiinspektion B I zu bringen, wo er schließlich förmlich verhört worden sei und er sich mit seinem Führerschein ausweisen habe müssen. Bei dem Verhör sei ihm weder eine Vertrauensperson noch ein Rechtsanwalt beigestellt worden; auch habe er – der deutschen Sprache nur bedingt mächtig – verweigert, das mit ihm aufgenommene Vernehmungsprotokoll zu unterfertigen, woraufhin er von dem einschreitenden Beamten aufgefordert worden sei, die Polizeistation sofort zu verlassen.

 

Durch diese unmittelbare verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt sei der Bf sowohl in verfassungsgesetzlich als auch in einfach gesetzlich gewährleisteten Rechten, in eventu in den gem. § 31 SPG festgelegten gewährleisteten Rechten verletzt worden.

 

Zu den Beschwerdegründen wird weiters ausgeführt, dass die Sperrstunde in dem in Rede stehenden Betrieb erst ab 2 Uhr und nicht bereits ab 21 Uhr gegolten hätte. Die einschreitenden Polizeiorgane wären daher nicht berechtigt gewesen, den Bf gewaltsam festzunehmen bzw. anzuhalten, ihn vor den Augen weiterer Gäste in erniedrigender Weise gewaltsam aus dem Lokal in ein Polizeiauto abzuführen und ihn am Posten der PI B I förmlich zu vernehmen, da er weder bei der Begehung eines nach dem Straf- oder Verwaltungsgesetz strafbaren Verhaltens auf frischer Tat betreten worden sei, noch sonst ein Verhalten gesetzt hätte, auf Grund dessen ein solcher Verdacht vertretbar bestehen habe können.

 

Auch sei dem Bf ebenfalls rechtswidriger Weise der Grund für diese Vorgehensweise nicht genannt worden.

 

Abschließend wird beantragt, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter entsprechendem Kostenzuspruch (Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand) zu erkennen, dass der Bf durch seine Festnahme bzw. Anhaltung in und durch seine gewaltsame Abführung aus dem näher konkretisierten Gastlokal zu dem Polizeidienstauto und die anschließende Vorführung mit demselben vom Gastlokal zum Posten der Polizeiinspektion Bad Ischl, sowie durch anschließende Verhörung in derselben durch Organe der Polizeiinspektion am Montag, den 28.11.2011, um ca. 22:30 Uhr

- in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit und dadurch verletzt worden sei, dass er vor mehreren Gästen im Gastlokal in erniedrigender, unmenschlicher Weise behandelt worden wäre, sowie in seinem Recht, nicht entgegen den Bestimmungen der §§ 35 f VStG festgenommen und angehalten zu werden bzw. entgegen den Bestimmungen des § 153 Abs. 3 StPO vorgeführt zu werden,

- in eventu in seinen Rechten auf Verhältnismäßigkeit der polizeilichen Eingriffe zum Anlass und zum angestrebten Erfolg, sowie im Hinblick auf die Schonung seiner Rechte und schutzwürdigen Interessen sowie in seinen Rechten auf Einhaltung der Richtlinien für das polizeiliche Einschreiten iSd § 31 SPG verletzt worden sein.

Weiters wird beantragt, die vorliegende Beschwerde für den Fall, dass der Oö. Verwaltungssenat lediglich die Verletzung einer gemäß § 31 SPG festgelegten Richtlinie feststelle, die vorliegende Beschwerde zur Behandlung einer Aufsichtsbeschwerde der nach § 89 Abs. 1 SPG zuständigen Behörde zuzuleiten.

 

1.3. Die Aufsichtsbeschwerde des Bf, in der ein polizeiliches Fehlverhalten entgegen den Richtlinien nach § 31 SPG behauptet wird, wurde vom Oö. Verwaltungssenat gem. § 6 Abs 1 AVG iVm § 89 Abs 1 SPG mit Schreiben vom 24.1.2012, protokolliert zu VwSen-440146, zuständigkeitshalber an das Landespolizeikommando Oberösterreich weitergeleitet.

 

1.4.   Mit Schreiben vom 9.2.2012 übermittelte der Bezirkshauptmann des Bezirks G als belangte Behörde dem Oö. Verwaltungssenat den bezughabenden Verwaltungsakt. In einer kurzen Gegenschrift wird im Wesentlichen ausgeführt, dass der Sachverhalt insoweit außer Streit gestellt sei, dass der Bf festgenommen und zwecks Aufnahme einer Niederschrift zur PI B I verbracht worden sei. Aufgrund des engen zeitlichen Ablaufs (22:25 – 22:45 Uhr) sei nach Auffassung der belangten Behörde von einer Amtshandlung bzw. Maßnahme auszugehen. Der Ablauf aus Sicht der Beamten sei aus der im Akt enthaltenen Anzeige zu entnehmen.

 

Faktum sei, dass die Beamten aufgrund einer irrtümlich falsch erteilten Auskunft der belangten Behörde, wonach die Sperrstunde für das in Rede stehende Lokal mit 21 Uhr festgesetzt sei, die Amtshandlung am 28.11.2011 durchgeführt hätten. Sie hätten davon ausgehen müssen, dass das Verhalten des Bf eine Verwaltungsübertretung darstelle. Dass jedoch diese Annahme auf einem – von den Beamten unverschuldeten – Irrtum beruht sei, werde außer Streit gestellt.

 

Das Verhalten des Bf hätte bei einer Amtshandlung, die nicht auf einem unverschuldeten Irrtum beruht hätte, den Tatbestand des § 82 SPG erfüllt und hätte somit wesentlich den Verlauf der Amtshandlung beeinflusst.

 

Die belangte Behörde beantragt daher abschließend unter entsprechendem Kostenantrag, der Beschwerde nicht stattzugeben.

 

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt, die Beschwerdevorbringen und die Gegenschrift der belangten Behörde.

 

2.2. Da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären ist, konnte eine öffentliche mündliche Verhandlung gem. §67d Abs. 2 Z 3 AVG entfallen. Auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde im Übrigen seitens der belangten Behörde in der Gegenschrift auch ausdrücklich verzichtet.

 

2.3.   Der Oö. Verwaltungssenat geht aufgrund der Aktenlage (insbesondere der Anzeige vom 28.11.2011) sowie den Ausführungen im Rahmen der Beschwerdeschrift und der Gegenschrift der belangten Behörde von folgendem – von den Verfahrensparteien im Wesentlichen unbestrittenen –entscheidungsrelevanten Sachverhalt aus:

 

Am 28.11.2011 um ca. 22:25 Uhr erfolgte von Beamten der Polizeiinspektion B I eine Kontrolle im näher bezeichneten Gastgewerbelokal in B I. Im Lokal befanden sich mehrere Personen, unter ihnen der Bf.

 

Die einschreitenden Beamten gingen aufgrund einer irrtümlich falsch erteilten Auskunft der belangten Behörde davon aus, dass die Sperrstunde für das in Rede stehende Lokal mit 21 Uhr festgesetzt sei, weshalb sie offensichtlich das Vorliegen einer Verwaltungsübertretung (Sperrstunden-Überschreitung) annahmen. Tatsächlich war am 28.11.2011 die Sperrstunde in dem genannten Lokal – wie von der belangten Behörde aktenmäßig dokumentiert –nicht mit 21 Uhr festgesetzt.

 

Die Beamten teilten den Personen am 28.11.2011 um ca. 22:30 Uhr dennoch mit, dass die Sperrstunde bereits wesentlich überschritten sei und forderten die Gäste auf, das Lokal zu verlassen. Der Bf teilte den Beamten daraufhin mit, dass er das Lokal nicht verlassen werde. Einer der Beamten forderte den Bf nochmals auf, das Lokal zu verlassen, da die Sperrzeit des Lokals 21 Uhr sei. Der Bf sagte abermals, dass er das Lokal nicht verlasse. Daraufhin mahnte einer der Beamten den Bf mehrfach ab und drohte ihm die Festnahme an, falls er das Lokal nicht verlasse. Der Bf betonte erneut, dass er das Lokal dennoch nicht verlassen werde. Daraufhin wurde der Bf um ca. 22:30 Uhr festgenommen und zur Polizeiinspektion B I verbracht, wo seine Identität festgestellt und der Sachverhalt aufgenommen wurde. Der Bf wurde schließlich um ca. 22:45 Uhr entlassen.  

 

3.        In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

3.1.         Die maßgebliche Rechtslage lautet wie folgt:

 

Gemäß § 113 Abs 7 Gewerbeordnung (GewO), BGBl 194/1994, in der Fassung BGBl I 99/2011, haben u.a. die Gastgewerbetreibenden die Betriebsräume und die allfälligen sonstigen Betriebsflächen, ausgenommen die der Beherbergung dienenden, während der festgelegten Sperrzeiten geschlossen zu halten. Während dieser Zeit dürfen sie Gästen weder den Zutritt zu diesen Räumen und zu diesen Flächen noch dort ein weiteres Verweilen gestatten und die Gäste auch nicht in anderen Räumen oder auf anderen sonstigen Flächen gegen Entgelt bewirten. Die Gastgewerbetreibenden haben die Gäste rechtzeitig auf den Eintritt der Sperrstunde aufmerksam zu machen; sie haben den Betrieb spätestens zur Sperrstunde zu verlassen.

 

Nach § 35 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG), BGBl 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl I 100/2011, dürfen die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes außer den gesetzlich besonders geregelten Fällen Personen, die auf frischer Tat betreten werden, zum Zweck ihrer Vorführung vor die Behörde festnehmen, wenn

1. der Betretene dem anhaltenden Organ unbekannt ist, sich nicht ausweist und seine Identität auch sonst nicht sofort feststellbar ist oder

2.begründeter Verdacht besteht, dass er sich der Strafverfolgung zu entziehen suchen werde, oder

3. der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht.

 

3.2.         Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt am 28.11.2011 durch Festnahme des Bf in dem näher konkretisierten Lokal in B I, seine Anhaltung, Verbringung in die PI B I und schließlich seine dortige niederschriftliche Einvernahme. Demgemäß erstreckt sich die Prüfung durch den Unabhängigen Verwaltungssenat auf die Rechtmäßigkeit dieser unmittelbaren verwaltungsbehördlichen Befehls- und Zwangsgewalt, die – da es nur um die Festnahme und Anhaltung zum Zwecke der Einvernahme des Bf selbst ging und sämtliche Handlungen daher insofern als eine Einheit zu werten sind, als alle Elemente auf diesen Endzweck (Einvernahme) ausgerichtet waren (vgl. Hengstschläger/Leeb, Verwaltungsverfahrensgesetze – Kommentar, Rz 8 zu § 67c AVG mN aus der Rechtsprechung) – als eine Maßnahme zu qualifizieren ist. Dies legt nicht zuletzt auch der enge zeitliche Ablauf (22:30 bis 22:45 Uhr) des in Rede stehenden Verwaltungshandelns nahe.

 

3.3.         Gemäß Art. 129a Abs 1 Z 2 B-VG iVm § 67a Abs 1 Z 2 AVG erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein (sog. Maßnahmenbeschwerde), ausgenommen Finanzstrafsachen des Bundes.

 

Die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt setzt nach der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts die unmittelbare Anwendung physischen Zwanges oder die Erteilung eines Befehles mit unverzüglichem Befolgungsanspruch voraus (vgl. VwGH 14.12.1993, 93/05/0191; VfSlg 11935/1988; VfSlg 10319/1985; VfSlg 9931/1984 und 9813/1983). Die bloße Untätigkeit einer Behörde erfüllt diesen Begriff nicht (vgl. VfSlg 9813/1983; VfSlg 9931/1984; VfSlg 10319/1985, VfSlg 11935/1988). Für die Ausübung von Zwangsgewalt ist im Allgemeinen ein positives Tun begriffsnotwendig (vgl. VwGH 25.4.1991, 91/06/0052; VwSlg 9461 A/1977; VfSlg 6993/1973; VfSlg 4696/1964). Dieses kann auch in einem schlüssigen Tun iSd § 863 ABGB bestehen (vgl. Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit [1983], 74).

 

Voraussetzung für die Zulässigkeit einer sog. Maßnahmenbeschwerde ist daher, dass gegen den Beschwerdeführer physischer Zwang ausgeübt wurde oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwanges bei Nichtbefolgung eines Befehles droht (vgl. mwN Walter/Mayer/Kuscko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10 [2007] Rz. 610).

 

Im vorliegenden Fall wurde durch die einschreitenden Polizeiorgane zweifellos unmittelbare verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt dem Bf gegenüber geübt, weshalb die begrifflichen Voraussetzungen für eine Maßnahmenbeschwerde jedenfalls gegeben sind (vgl. VfSlg. 12.423/1990; 12.122/1989).

 

3.4.          Nach Art. 5 Abs. 1 EMRK hat jedermann ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den Fällen des Abs. 1 lit. a bis f und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden.

 

Art. 1 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit (PersFrSchG), BGBl 684/1988, gewährleistet dieses Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) ebenfalls. Nach Art. 1 Abs. 2 PersFrSchG darf niemand aus anderen als den in diesem BVG genannten Gründen oder auf andere als die gesetzlich vorgeschriebene Weise festgenommen oder angehalten werden. Der Entzug der persönlichen Freiheit darf nach Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG nur vorgesehen werden, wenn dies nach dem Zweck der Maßnahme notwendig ist. Er ist nur zulässig, wenn und soweit dies nicht zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht.

 

Die Gesetzesvorbehalte des Rechts auf persönliche Freiheit (Art. 5 EMRK, Art. 2 PersFrSchG) bieten für sich genommen noch keine ausreichende Grundlage für Eingriffe in die persönliche Freiheit. Diese bedürfen der näheren Konkretisierung durch das Gesetz. Fehlt eine gesetzliche Grundlage, ist der Freiheitsentzug verfassungswidrig. Einschränkungen des Grundrechtes der persönlichen Freiheit anzuordnen ist ausschließlich Sache des Gesetzgebers und nicht der Behörden. Der Freiheitsentzug muss gesetzlich vorgesehen (Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG) bzw. rechtmäßig (Art. 5 Abs. 1 EMRK) sein, und er darf nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise erfolgen (Art. 1 Abs. 2; Art. 2 Abs. 1 PersFrSchG; Art. 5 Abs. 1 EMRK). Darin liegt nicht nur ein Gebot an die Vollziehung, sich gesetzeskonform zu verhalten, sondern auch eine Verpflichtung des Gesetzgebers, entsprechende Gesetze zu erlassen und diese inhaltlich ausreichend bestimmt zu formulieren (siehe Kopetzki in Korinek/Holoubek [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, Rz. 51 zu Art. 1 PersFrSchG).

 

3.5.   Zusammengefasst ist der Schutzbereich des Grundrechts auf persönliche Freiheit die körperliche Bewegungsfreiheit des Menschen (Öhlinger, Verfassungsrecht8, Rz 835 ff, mwN).

 

Es steht daher jedenfalls außer Zweifel, dass durch die gegenständliche Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch die einschreitenden Beamten in dieses Grundrecht eingegriffen wurde. Dieser Eingriff ist allerdings nur rechtswidrig, wenn er ohne gesetzliche Grundlage oder unverhältnismäßig erfolgte:

 

Die gegenständliche Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt findet nach Auffassung des erkennenden Mitglieds des Oö. Verwaltungssenates keine hinreichende gesetzliche Deckung. Die Festnahme einer Person durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gemäß § 35 VStG setzt nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung voraus, dass die festzunehmende Person "auf frischer Tat betreten" wird. Das heißt, diese Person muss eine als Verwaltungsübertretung strafbare Handlung verüben und bei Begehung dieser Tat betreten werden, wobei das Erste dieser beiden Erfordernisse bereits erfüllt ist, wenn die Verübung einer Verwaltungsübertretung mit gutem Grund – und damit vertretbar – angenommen werden konnte (vgl. mN aus der Rechtsprechung Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6, Anm. 11 ff zu § 35 VStG).

Wie aber die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift selbst ausführt, gingen die einschreitenden Polizeibeamten fälschlicher Weise davon aus, dass die Sperrstunde in dem in Rede stehenden Lokal mit 21 Uhr festgesetzt sei. Sie gründeten ihre Annahme, dass der Bf daher gegen die Sperrstundenregelung nach § 113 Abs 7 GewO verstoße, damit auf falsche tatsächliche Grundlagen. Mag diese falsche Sperrzeitenannahme auch auf einem von den Beamten unverschuldeten Irrtum beruht sein, so kann dies – nicht zuletzt aufgrund der erheblichen Eingriffsintensität einer Festnahme in das Grundrecht auf persönliche Freiheit – dennoch nicht zu Lasten des Grundrechtsschutzes des Rechtsunterworfenen gehen. Die Verwaltungsübertretung des Bf nach § 113 Abs 7 GewO konnte daher nicht als "vertretbar" bzw. "mit gutem Grund" angenommen werden, beruhte der Irrtum doch ausschließlich auf einem behördeninternen Versehen.

 

Eine Festnahme auf der Grundlage des § 35 VStG scheidet daher schon deswegen aus, weil der Bf mangels tatsächlicher Sperrzeitenüberschreitung naturgemäß nicht "auf frischer Tat betreten" werden konnte.

 

3.6. Wenn aber die belangte Behörde weiters vorbringt, dass das Verhalten des Bf bei einer Amtshandlung, die nicht auf einem unverschuldeten Irrtum beruht wäre, den Tatbestand des § 82 SPG erfüllt hätte, so bietet auch diese ins Treffen geführte Bestimmung keine hinreichende gesetzliche Deckung für das bekämpfte Verwaltungshandeln. Denn die Festnahme erfolgte – wie nicht zuletzt aus der Anzeige vom 28.11.2011 eindeutig hervorgeht – ausschließlich wegen Übertretung der Sperrstunde (nach § 113 Abs 7 GewO) iVm § 35 VStG. Damit kann die Festnahme nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aber auch nicht ex post mit § 82 SPG (iVm § 35 VStG) unter hypothetischen Annahmen gerechtfertigt werden. So geht es nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes doch nicht darum, die abstrakte Zulässigkeit einer Maßnahme zu überprüfen, sondern darum, ob die ganz konkret vorgenommene Festnahme rechtmäßig war oder nicht; es ist mithin nicht zulässig, dann, wenn sich der tatsächlich für die Festnahme maßgebend gewesene Grund – aus welchen Gründen auch immer – als unzureichend erwiesen hat, nachträglich den Festnahmegrund auszuwechseln und eine andere, besser geeignete gesetzliche Grundlage heranzuziehen (mwN VwSlg. 15.936 A/2002, 16.993 A/2006).

 

3.7.   Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die bekämpfte Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt am 28.11.2011 durch die einschreitenden Polizeiorgane ohne hinreichende gesetzliche Grundlage erfolgte. Sie war daher schon aus diesem Grund in ihrer Gesamtheit für rechtswidrig zu erklären.

 

4.   Bei diesem Verfahrensergebnis war dem Bf nach § 79a Abs 1, Abs 2 und Abs 4 Z  3 AVG iVm § 1 Z 1 der UVS-Aufwandersatzverordnung 2008 (BGBl II 456) antragsgemäß ein Aufwandersatz in Höhe von 737,60 Euro (beantragter Schriftsatzaufwand) zuzusprechen.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

Hinweis: Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in Höhe von 14,30 Euro angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

Astrid Berger

 

 

VwSen-420721/4/AB/Sta vom 21. Februar 2012

 

Erkenntnis

 

 

Rechtssatz 1:

 

VStG §35

 

Die Festnahme einer Person durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gemäß § 35 VStG setzt nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung voraus, dass die festzunehmende Person "auf frischer Tat betreten" wird. Das heißt, diese Person muss eine als Verwaltungsübertretung strafbare Handlung verüben und bei Begehung dieser Tat betreten werden, wobei das Erste dieser beiden Erfordernisse bereits erfüllt ist, wenn die Verübung einer Verwaltungsübertretung mit gutem Grund – und damit vertretbar – angenommen werden konnte (vgl mN aus der Rechtsprechung Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6, Anm 11 ff zu § 35 VStG).

Wie aber die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift selbst ausführt, gingen die einschreitenden Polizeibeamten fälschlicher Weise davon aus, dass die Sperrstunde in dem in Rede stehenden Lokal mit 21 Uhr festgesetzt sei. Sie gründeten ihre Annahme, dass der Bf daher gegen die Sperrstundenregelung nach § 113 Abs 7 GewO verstoße, damit auf falsche tatsächliche Grundlagen. Mag diese falsche Sperrzeitenannahme auch auf einem von den Beamten unverschuldeten Irrtum beruht sein, so kann dies – nicht zuletzt aufgrund der erheblichen Eingriffsintensität einer Festnahme in das Grundrecht auf persönliche Freiheit – dennoch nicht zu Lasten des Grundrechtsschutzes des Rechtsunterworfenen gehen. Die Verwaltungsübertretung des Bf nach § 113 Abs 7 GewO konnte daher nicht als "vertretbar" bzw "mit gutem Grund" angenommen werden, beruhte der Irrtum doch ausschließlich auf einem behördeninternen Versehen.

Eine Festnahme auf der Grundlage des § 35 VStG scheidet daher schon deswegen aus, weil der Bf mangels tatsächlicher Sperrzeitenüberschreitung naturgemäß nicht "auf frischer Tat betreten" werden konnte.

 

 

Rechtssatz 2:

 

VStG §35;

SPG §82

 

Wenn aber die belangte Behörde weiters vorbringt, dass das Verhalten des Bf bei einer Amtshandlung, die nicht auf einem unverschuldeten Irrtum beruht wäre, den Tatbestand des § 82 SPG erfüllt hätte, so bietet auch diese ins Treffen geführte Bestimmung keine hinreichende gesetzliche Deckung für das bekämpfte Verwaltungshandeln. Denn die Festnahme erfolgte – wie nicht zuletzt aus der Anzeige vom 28.11.2011 eindeutig hervorgeht – ausschließlich wegen Übertretung der Sperrstunde (nach § 113 Abs 7 GewO iVm § 35 VStG). Damit kann die Festnahme nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aber auch nicht ex post mit § 82 SPG (iVm § 35 VStG) unter hypothetischen Annahmen gerechtfertigt werden. So geht es nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes doch nicht darum, die abstrakte Zulässigkeit einer Maßnahme zu überprüfen, sondern darum, ob die ganz konkret vorgenommene Festnahme rechtmäßig war oder nicht. Es ist mithin nicht zulässig, dann, wenn sich der tatsächlich für die Festnahme maßgebend gewesene Grund – aus welchen Gründen auch immer – als unzureichend erwiesen hat, nachträglich den Festnahmegrund auszuwechseln und eine andere, besser geeignete gesetzliche Grundlage heranzuziehen (mwN VwSlg 15.936 A/2002, 16.993 A/2006).

 

 

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