Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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Linz, 02.04.2012

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Bernhard Pree über die Berufungen von 1. X, 2. X als gesetzliche Vertreterin von 3. X, 4. X sowie 5. X, allesamt StA von Armenien, sämtlich vertreten durch X, Rechtsanwalt in X, gegen die Bescheide des Polizeidirektors von Linz vom 13. bzw. 15. Oktober 2009, AZ.: 1034909/FRB sowie 1049982/FRB, betreffend Ausweisungen der  Berufungswerber nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

 

I.       Den Berufungen wird stattgegeben und die angefochtenen   Bescheide ersatzlos aufgehoben.

 

II.     Eine Rückkehrentscheidung gegen die Berufungswerber ist jeweils        auf Dauer unzulässig.

 

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 


Entscheidungsgründe:

 

1.1. Der Erstberufungswerber (Berufungswerber im Folgenden Bw) und die Zweit-Bw sind miteinander verheiratet, die 1993, 1994 und 2007 geborenen
Dritt-, Viert- und Fünft-Bw sind deren Kinder. Alle sind armenische Staatsangehörige.

 

Der Erst-Bw reiste bereits am 9. Februar 2002 illegal nach Österreich ein und stellte einen Asylantrag. Die Zweit-Bw kam mit den beiden älteren Kindern am 22. September 2002 ebenfalls unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich. Sie stellten am nächsten Tag auf den Erstbeschwerdeführer bezogene Asylerstreckungsanträge; der Fünft-Bw wurde später in Österreich geboren. Diese Asyl(erstreckungs)anträge wurden mit den im Instanzenzug ergangenen, im Juli 2009 erlassenen Erkenntnissen des Asylgerichtshofes rechtskräftig abgewiesen.

 

Mit Bescheiden der Bundespolizeidirektion Linz vom 15. bzw. 13. Oktober 2009 wurden die Bw sodann gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.

 

1.2. Die dagegen rechtzeitig erhobenen Berufungen wurden mit Bescheiden der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 5. August 2010 abgewiesen.

 

In der Begründung der im Wesentlichen inhaltsgleichen Bescheide gab die SID zunächst den erstinstanzlichen Bescheid und die Berufung wieder und zitierte die maßgeblichen Rechtsvorschriften. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte sie dann anknüpfend an die Beendigung der Asylverfahren weiter aus, die Bw hielten sich seit Juli 2009 "insofern" rechtswidrig im Bundesgebiet auf, "als ihnen seit diesem Zeitpunkt weder ein Einreisetitel noch ein Aufenthaltstitel nach dem NAG erteilt" worden sei. Es komme ihnen nach der Aktenlage auch kein Aufenthaltsrecht nach anderen gesetzlichen Bestimmungen zu; derartiges sei von den Bw auch nicht behauptet worden.

 

"Zweifelsohne" halte sich der Erst-Bw mit seiner Familie "bereits seit Februar 2002" (der Fünft-Bw seit 1. Februar 2007) in Österreich auf und der Erst-Bw gehe in Österreich einer Erwerbstätigkeit nach. Den Bw werde daher "sicherlich eine der Dauer ihres Aufenthaltes entsprechende Integration zuzubilligen" sein.

 

Dem sei jedoch gegenüber zu stellen, dass das Gewicht der aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren Integration maßgebend dadurch gemindert werde, als der Aufenthalt während des Asylverfahrens nur aufgrund eines Antrages, der sich "letztendlich" als unberechtigt erwiesen habe, temporär berechtigt gewesen sei. Den Bw sei bewusst gewesen, dass sie ein Privat- und Familienleben während dieses Zeitraums geschaffen hätten, in dem sie einen unsicheren Aufenthaltsstatus gehabt hätten. Die Bw hätten nicht von vornherein damit rechnen dürfen, nach einem allfällig negativen Ausgang des Asylverfahrens weiterhin in Österreich bleiben zu können. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass das Asylbegehren erstinstanzlich bereits im Jahr 2002 negativ entschieden worden sei; dies habe ein eindeutiges Indiz dafür dargestellt, dass der weitere Aufenthalt der Bw temporär begrenzt sein werde.

 

Die Bw würden sich nunmehr ca. ein Jahr illegal in Österreich aufhalten. Bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt gefährde aber die öffentliche Ordnung in hohem Maße, weshalb die Ausweisung der Bw gemäß § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten sei. Vor diesem Hintergrund sei auch das Ermessen nicht zugunsten der Bw zu üben, insbesondere weil das den ihnen vorwerfbare
(Fehl-)Verhalten (ca. einjähriger illegaler Aufenthalt) im Verhältnis zu der geltend gemachten Integration (Aufenthalt der Familie in Österreich; Erwerbstätigkeit; Aufenthalt des Bruders des Erst-Bw und von dessen Ehefrau in Österreich) überwiege. Darüber hinaus könnten weder aus dem Akt noch aus der Berufung besondere Umstände ersehen werden, die eine Ermessensübung zugunsten der Bw begründen würden.

 

Von der Aufnahme "weiterer Beweise" sei "insofern" Abstand genommen worden, als der entscheidungsrelevante Sachverhalt ausreichend ermittelt scheine. Von der Aufnahme der von den Bw angebotenen Zeugenbeweise sei deshalb "kein Gebrauch" gemacht worden, weil die diesbezüglichen Ausführungen der Bw nicht bestritten würden.

 

1.3. Gegen diese Bescheide der Sicherheitsdirektion erhoben die Bw fristgerecht Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

 

In seinem Erkenntnis vom 29. Februar 2012, Zlen. 2010/21/0404, 0405-7, führt der Verwaltungsgerichtshof ua. wie folgt aus:

 

"Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. In den Beschwerden wird zugestanden, dass die Asylverfahren der Beschwerdeführer rechtskräftig beendet sind. Den Beschwerden sind auch keine Behauptungen zu entnehmen, dass eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß §31 Abs. 1 FPG - insbesondere die Erteilung eines Aufenthaltstitels - bei den Beschwerdeführern vorläge. Dafür bestehen nach der Aktenlage auch keine Anhaltspunkte. Die behördliche Annahme, der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei im vorliegenden Fall verwirklicht, ist daher zutreffend.

 

Wenn in den Beschwerden wiederholt auf das Bestehen einer Verfolgungsgefahr im Fall einer Rückkehr nach Armenien verwiesen wird, so ist diesem Einwand vorweg zu erwidern, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Frage der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer Abschiebung im Ausweisungsverfahren keine rechtliche Bedeutung zukommt. Eine allfällige, die Abschiebung unzulässig machende Gefährdungs- oder Bedrohungssituation im Heimatstaat ist vor allem im Verfahren über die Gewährung internationalen Schutzes nach dem Asylgesetz zu prüfen. Die Beschwerdeführer sind daher insoweit auch auf das negative Ergebnis ihrer Asyl(erstreckungs)verfahren zu verweisen (siehe idS aus der letzten Zeit etwa das hg. Erkenntnis vom 24. November 2011, ZI. 2011/23/0465, mwN)."

 

Die Beschwerdeführer kritisierten im Wesentlichen, die belangte Behörde habe sich mit ihrem Vorbringen zur Integration, insbesondere mit der langjährigen Erwerbstätigkeit des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin sowie mit den im Einzelnen ins Treffen geführten besonderen sportlichen und schulischen Erfolgen der beiden älteren Kinder, nicht auseinandergesetzt und diesbezüglich beantragte Zeugenbefragungen zu Unrecht unterlassen.

Diesem Vorbringen kommt Berechtigung zu:

Die Begründung der belangten Behörde beschränkte sich im Wesentlichen auf die textbausteinartige Hervorhebung des großen öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen in Verbindung mit dem Hinweis, dass die Integration der Beschwerdeführer weitgehend während eines unsicheren Aufenthaltsstatus erlangt worden sei. Diese Umstände stellen zwar auch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes maßgebliche Gesichtspunkte dar. Doch hat der Gerichtshof in diesem Zusammenhang schon wiederholt betont, dies habe schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen sei und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte (siehe zum Ganzen ausführlich Punkt 2.4.2. des Erkenntnisses vom 22. Dezember 2009, ZI. 2009/21 /0348, und daran anschließend beispielsweise das schon genannte Erkenntnis ZI. 2011/23/0465).

Demzufolge hätte es im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung einer konkreten Auseinandersetzung mit den von den Beschwerdeführern geltend gemachten, für ihren Verbleib nach einem mittlerweile achteinhalb- bzw. achtjährigen Aufenthalt in Österreich sprechenden Umstände bedurft. Dem wird die Begründung der belangten Behörde nicht gerecht, indem sie zwar im Rahmen der Wiedergabe des erstinstanzlichen Bescheides auch das Vorbringen der Beschwerdeführer in ihren Schreiben vom 21. August 2009 (zusammengefasst) erwähnte und den Inhalt der Berufungen zitierte, in ihren eigenen Überlegungen aber darauf nur rudimentär Bezug nahm. Bei der nach § 66 FPG vorzunehmenden Interessenabwägung wurde auf die Integration der Beschwerdeführer nämlich nicht konkret eingegangen und im Rahmen der Ermessensbegründung darauf lediglich im Wege eines Klammerausdrucks - im Bescheid betreffend den Erstbeschwerdeführer "(Aufenthalt mit Ihrer Familie in Österreich; Erwerbstätigkeit; Aufenthalt Ihres Bruders und Ihrer Schwägerin in Österreich)" und im Bescheid betreffend die anderen Beschwerdeführer: "(Aufenthalt mit Ihrer Familie in Österreich)" – Bedacht genommen. Die Auswirkungen der Ausweisungen auf die Kinder - obwohl die beiden älteren Kinder bezogen auf den Zeitpunkt der Bescheiderlassung etwa die Hälfte ihres Lebens in Österreich verbracht hatten und das jüngste Kind hier geboren wurde - wurden von der belangten Behörde überhaupt ausgeblendet (vgl. des Näheren zu einem ähnlichen Begründungsmangel das auch einen Bescheid der hier belangten Behörde betreffende hg. Erkenntnis vom 18. September 2008, Zlen. 2008/21/0455 bis 0459, und darauf Bezug nehmend das Erkenntnis vom 19. Mai 2011, Zlen. 2008/21/0619 bis 0622, mit dem weiteren Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 7. Oktober 2010, B 950 bis 954/10-8, dem ein zeitlich ähnlich gelagerter, ebenfalls von der hier belangten Behörde entschiedener Fall zugrunde lag; siehe daran anschließend auch jüngst das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 15. Dezember 2011, U 760/11 u.a., mit dem weiteren Hinweis auf sein Erkenntnis vom 10. März 2011, B 1565-1567/10).

Angesichts dessen waren die angefochtenen Bescheide somit gemäß § 42 Abs. 2 7, 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrens Vorschriften aufzuheben."

 

 

2.1. Mit Schreiben vom 13. März 2012 legte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich die in Rede stehenden Verwaltungsakte zuständigkeitshalber dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vor.

 

2.2.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in die vorgelegten Verwaltungsakte der belangten Behörde.

 

Zusätzlich wurden aktuelle Versicherungsdatenauszüge erhoben, aus denen hervorgeht, dass Erst- und Zweit-Bw einerseits seit dem Jahr 2008, andererseits seit dem Jahr 2007 durchgehend jeweils bei einem Unternehmen beschäftigt und sozial versichert sind.

 

2.2.2. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil eine solche nicht erforderlich war, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lässt (§ 67d AVG).

 

2.3. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1.1. bis 1.3. und 2.2.1. dieses Erkenntnisses dargestellten völlig unbestrittenen Sachverhalt aus.

 

2.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

3. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

3.1.1. Gemäß § 125 Abs. 14 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 112/2011, gelten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassene Ausweisungen gemäß § 53 als Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter, mit der Maßgabe, dass ein Einreiseverbot gemäß § 53 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 damit nicht verbunden ist.

 

3.1.2. Im vorliegenden Fall ist völlig klar, dass die in Rede stehenden Ausweisungen auf Basis des § 53 FPG ("alte Fassung") erlassen wurden, weshalb diese Ausweisungen als Rückkehrentscheidung im Sinne des nunmehrigen § 52 FPG anzusehen und zu beurteilen sind.

 

3.2.1. Gemäß § 52 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 112/2011, ist gegen einen Drittstaatsangehörigen, sofern nicht anderes bestimmt ist, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Berufung gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 66 Abs. 4 AVG auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

 

3.2.2. Im vorliegenden Fall ist zunächst auch von den Bw selbst unbestritten, dass sie über keinerlei Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügen und somit grundsätzlich unrechtmäßig aufhältig sind. Allerdings ist bei der Beurteilung der Ausweisung bzw. der Rückkehrentscheidung auch auf Art. 8 EMRK sowie § 61 FPG Bedacht zu nehmen. 

 

3.3.1. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist allerdings ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs. 1 (nur) statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

3.3.2. Gemäß § 61 Abs. 1 FPG ist, sofern durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.      die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige   Aufenthalt des Fremden rechtmäßig war;

2.      das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.      die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.      der Grad der Integration;

5.      die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.      die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.      Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des      Asyl-          Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.      die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem   Zeitpunkt    entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren         Aufenthaltstatus   bewusst waren;

9.      die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden       zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 3 FPG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein  aufgrund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51ff. NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

Gemäß § 125 Abs. 20 FPG  gelten, vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 38/2011 vorgenommene Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 66 als Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 61 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter.

 

3.4.1. Im Sinne der zitierten Normen ist eine Interessensabwägung – basierend auf einer einzelfallbezogenen  Gesamtbetrachtung – vorzunehmen.

 

3.4.2. Es ist festzuhalten, dass es gestützt auf die ständige Rechtsprechung der Höchstgerichte) zulässig und erforderlich ist, Maßnahmen zu ergreifen, um den unrechtmäßigen Aufenthalt einer Person zu beenden, da ein solcher rechtswidriger Status fraglos dazu geeignet ist, die öffentliche Ordnung eines Staates massiv zu beeinträchtigen. Daraus folgt, dass das diesbezügliche öffentliche Interesse hoch anzusetzen ist und eine Ausweisung grundsätzlich ein nicht inadäquates Mittel darstellt, um einen rechtskonformen Zustand wiederherzustellen. Dies gilt jedoch nur insofern, als die privaten bzw. familiären Interessen im jeweils konkreten Einzelfall nicht als höherrangig anzusehen sind.

 

3.4.3. Im vorliegenden Fall hatte die belangte Behörde festgestellt, dass lediglich das Privatleben der Bw von einer Ausweisung betroffen wäre, zumal ja sämtliche Mitglieder der Kernfamilie von der Maßnahme gleichermaßen betroffen seien, wodurch das Familienleben an sich nicht tangiert sein könne. Insofern ist ihr zu folgen; allerdings mit dem Bemerken, dass die jeweiligen Eingriffe in das Privatleben des / der einzelnen Bw auch unmittelbar die anderen Familienmitglieder zu beeinträchtigen geeignet sind.  

 

3.4.4.1. Hinsichtlich der Dauer und der Natur des Aufenthalts können der Erst-Bw (über 10 Jahre) sowie die Zweit-, Dritt- und Viert-Bw (knapp 10 Jahre) auf eine relativ lange Dauer verweisen, wobei der größte Teil davon – wegen des aufrechten Asylverfahrens – grundsätzlich legal waren. Für den Fünft-Bw, der in Österreich im Jahr 2007 zur Welt kam, erstreckt sich der Aufenthalt über die gesamte Lebensdauer.

 

Hinsichtlich des allfälligen unsicheren Aufenthalts der Bw ist insbesondere auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen. Demnach hat der dem § 61 Abs. 2 FPG vergleichbare § 66 Abs. 2 FrPolG 2005 schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während eines unsicheren Aufenthaltsstatus erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen wäre und ein solcherart begründetes privates bzw. familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte (vgl. auch E 22. Dezember 2009, 2009/21/0348).

Der rund 10 Jahre und 9 Monate dauernde Aufenthalt sowie die mehr als 9 Jahre lang kontinuierlich ausgeübte unselbständige Erwerbstätigkeit (in Verbindung mit weiteren Aspekten der erreichten Integration) verleihen den persönlichen Interessen des Fremden am Verbleib im Bundesgebiet ein derart großes Gewicht, dass die Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FrPolG 2005 - auch bei einem Eingriff nur in das Privatleben - unverhältnismäßig erscheint (vgl. VwGH vom 20. Jänner 2011, 2010/22/0158).

 

3.4.4.2. Wie sich aus dem Sachverhalt ergibt, befinden sich Erst- und Zweit-Bw schon seit 10 Jahren im Bundesgebiet, wo sie nicht nur beinahe durchgängig einer Beschäftigung nachgingen, ein Einkommen beziehen und sozialversichert sind, sondern auch ihren Wohnsitz gemeldet haben. Entsprechende Deutschkenntnisse sind ausreichend dokumentiert. Im Übrigen ist bei einem derart langen Aufenthalt von einer guten sozialen Integration auszugehen.

 

Eine Rückkehr in die Heimat wären Erst- und Zweit-Bw nach Maßgabe des Sachverhalts wohl zulässig. Beide sind nicht strafgerichtlich unbescholten, jedoch vermögen die jeweiligen Vergehen das Gewicht nicht zu Ungunsten der Integration maßgeblich zu beeinflussen. 

 

Die oa. Judikatur des VwGH ist hier also einschlägig.

 

3.4.4.3. Bei den Kindern liegt aufgrund deren Alters keine berufliche Integration im engeren Sinn vor. Bei den älteren Kindern wird eine solche jedoch durch die Absolvierung der Schulausbildung kompensiert. Der Dritte Sohn besucht offenbar nunmehr den Kindergarten. Dritt- und Viert-Bw kamen im Alter von rund 10 Jahren nach Österreich und haben somit ihre Jugend hier verbracht, was eine vertiefte soziale Integration annehmen lässt. Zudem ist der Dritt-Bw sportlich äußerst aktiv und auch diesbezüglich in einem Verein integriert. Die soziale Integration liegt also klar auf der Hand. Gleiches gilt für den Fünft-Bw, der Zeit seines Lebens im Bundesgebiet aufhältig ist. Eine Reintegration würde wohl bei den Kindern zu einer unverhältnismäßigen Belastung führen.

 

3.4.4.4. Gemäß der oben angeführten Judikatur des VwGH ist aber in diesem Fall nicht mehr die Frage eines unsicheren Aufenthalts nach § 61 Abs. 2 Z. 8 FPG näher zu erörtern und bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände festzustellen, dass die für die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung sprechenden Elemente die des öffentlichen Interesses gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK überwiegen.

 

Nicht zuletzt wird auch davon auszugehen sein, dass gemäß § 61 Abs. 2 Z. 9 FPG von einer eher in die Sphäre der Behörden fallenden langen Verfahrensdauer gesprochen werden muss. 

 

3.4.5. Im Ergebnis ist also eine Rückkehrentscheidung im Hinblick auf das Privatleben der Bw auf Dauer als nicht zulässig zu betrachten.

 

3.5.1. Es war daher der Berufung stattzugeben, die angefochtenen Bescheide aufzuheben und spruchgemäß zu entscheiden.

 

3.5.2. Auf die Übersetzung des Spruchs sowie der Rechtsmittelbelehrung konnte mit Bedacht auf § 57 Abs. 1 FPG verzichtet werden, zumal die Bw über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 57,20 Euro (Eingabegebühr) angefallen.

 

 

Bernhard Pree

 

 

 

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