Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-720304/3/Wg/MB/WU

Linz, 29.03.2012

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Wolfgang Weigl über die Berufung des X, StA von Niederlande, wohnhaft in: X, gegen den Bescheid des Bundespolizeidirektors von Linz vom 12. Juli 2011, AZ: 1069264/FRB, betreffend die Verhängung eines auf 7 Jahre befristeten Aufenthaltsverbotes gegen den Berufungswerber nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

 

Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

 

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG


 

 

 


Entscheidungsgründe

 

Mit Bescheid des Bundespolizeidirektors von Linz vom 12. Juli 2011, zu AZ: 1069264/FRB, wurde über den Berufungswerber (im Folgenden: Bw) auf Basis des § 67 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, ein auf 7 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot verhängt. Gem. 70 Abs. 3 FPG, in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, wird dem Bw von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt. Zunächst führt die belangte Behörde zum Sachverhalt aus, dass im Hinblick auf den Bw nachfolgend angeführte Verurteilungen aufscheinen:

1)    LG Ried im Innkreis 10 Hv 30/06f vom 15. Mai 2006 (rechtskräftig seit 19. Mai 2006), wegen des Verbrechens des schweren und gewerbsmäßigen Diebstahls gem. §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4, 130 1. Fall StGB, FS: 1 Jahr, PZ: 3 Jahre.

2)    LG Ried im Innkreis 10 Hv 90/06d vom 20. November 2006 (rechtskräftig seit 23. Jänner 2007), wegen des Vergehens des versuchten Diebstahles gem. §§ 15, 127 StGB und des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden gem. § 224 iVm. § 223 Abs. 1 StGB, FS: 3 Monate, PZ: 3 Jahre.

3)    LG Wels 12 Hv 168/07p vom 9. November 2007 (rechtskräftig seit 21. Jänner 2008), wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls gem. §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4, 130 1. Fall StGB, FS: 9 Monate.

4)    LG Wels 12 Hv 72/09y vom 10. Juli 2009 (rechtskräftig seit 11. Dezember 2009), wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls gem. §§ 127, 130 1. Fall, des Verbrechens der gewerbsmäßigen Hehlerei gem. § 164 Abs. 2 und Abs. 4 2. Fall StGB, FS: 1 Jahr.

5)    LG Linz 37 Hv 14/10z vom 18. Februar 2011 (rechtskräftig seit 10. Mai 2011), wegen des teils versuchten, teils vollendeten gewerbsmäßigen Diebstahls gem. §§ 127, 130 1. fall, 15 Abs. 1 StGB, FS: 12 Monate.

Zu den Taten führte die belangte Behörde weiters aus, dass dahinter nachfolgende Sachverhalte stehen:

1)    Der Bw habe fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch die Zueignung dieser Gegenstände unrechtmäßig zu bereichern, wobei der Gesamtwert der Sachen EUR 3.000,-- überstiegen habe und der Bw dabei mit der Absicht gehandelt habe, sich durch die wiederkehrende Begehung von Diebstählen eine fortlaufende Einnahmen zu verschaffen. Im Einzelnen werde an dieser Stelle auf die schriftliche Urteilsausfertigung verwiesen, welche an dieser Stelle zu einem integrierenden Bestandteil des Bescheides erhoben werde.

2)    Der Bw habe fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern und zwar am 29. August 2006 in X 2 Packungen Pflaster im Wert von EUR 10,98 zum Nachteil der Fa. Parfumeriemarkt X; bzw. am 29. September 2006 in X Tomaten und Orangen im Wert von EUR 2,85 zum Nachteil der Fa. X. Am 29. August 2006 habe der Bw überdies in X eine falsche inländische Urkunde, nämlich ein Protokoll, mit dem Vorsatz hergestellt, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis der Tatsache gebraucht werde, dass es sich beim Bw um seinen Bruder handle, indem der Bw das mit ihm aufgenommene Protokoll mit "X" unterzeichnete und das Geburtsdatum seines Bruders angab.

3)    Der Bw habe in der Zeit zwischen 18. September 2007 und 19. September 2007 in Gmunden und Vöcklabruck gewerbsmäßig fremde bewegliche Sachen in einem EUR 3.000,-- übersteigenden Wert in wiederholten Angriffen mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern. Im einzelnen werde überdies weiters auf die schriftliche Urteilsausfertigung verwiesen, welche zu einem integrierenden Bestandteil des Bescheides erklärt wird.

4)    Der Bw habe in Braunau und anderen Orten mehreren Geschädigten in mehreren Angriffen fremde bewegliche Sachen im Gesamtwert von zumindest EUR 2.817, 53 mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, und zwar zu einem nicht mehr näher festzustellenden Zeitpunkt im Jahr 2008 bis 20. Oktober 2008 dem X zumindest 5 Trikots zu einem Gesamtwert von EUR 313,70, zwei Löffler Jacken im Wert von je EUR 199,--, sowie eine DFB Short im Wert von EUR 29.95; zu einem nicht näher festzustellenden Zeitpunkt nach dem 20. Februar 2008 bis zum 17. Februar 2009 gegenüber bislang unbekannt gebliebenen Geschädigten Bekleidungsstücke im Gesamtwert von zumindest EUR 2.074,88; im September 2008 habe der Bw überdies in Braunau von einem bislang unbekannt gebliebenen Täter 50 gestohlene Bosch UNEO Akku Bohrhämmer im Wert von EUR 3.500,-- an sich gebracht, wobei der Bw die Hehlerei gewerbsmäßig betrieben habe.

5)    Der Bw habe in Linz und an anderen Orten fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei der Bw die Taten in der Absicht begangen habe, sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen. Wiederum wird die schriftliche Urteilsausfertigung zum integrierenden Bestandteil des Bescheides erklärt.

Darüber hinaus führt die belangte Behörde in weitgehender Wiederholung der schriftlichen Stellungnahme des Bw vom 9. Juni 2011 aus, dass der Bw etwa 1997 mit seiner Familie – Mutter X, Bruder X – den Lebensmittelpunkt und einen festen Wohnsitz in X habe. Spätestens seit diesem Zeitpunkt habe der Bw keinerlei Bezug mehr zu seinem Heimatstaat. Der Bw sei überdies der dortigen Landessprache nicht mehr hinreichend mächtig, sodass er im Heimatstaat nicht mehr hürdenfrei leben und arbeiten könne. Der Bw habe die HTL für Maschinenbau absolviert und sei zuletzt als Student inskribiert gewesen. Sohin sei er auch sozialversichert. Hieraus lasse sich, so die Ausführungen des Bw, eine bisher ordentliche Lebensführung und ein entsprechendes Karrierestreben ergründen. Aufgrund einer "Gesetzeslücke" könne der Bw im Rahmen seines Studiums auch keine Studienbeihilfe beziehen. In rechtlicher Hinsicht führt die belangte Behörde aus, das der Bw seine kriminelle Karriere 2005 begonnen habe. Seine Verurteilung vom 15. Mai 2006 durch das LG Ried im Innkreis konnte den Bw nicht davon abhalten, weitere Straftaten zu setzen. Vielmehr sei sogar im weiteren Urteil vom 13. Juni 2006 davon die Rede, dass der Bw "[...] seinem Hang, Ladendiebstähle zu begehen, erlegen [...]" sei. Darüber hinaus habe der Bw im Rahmen des Urkundendeliktes keine Skrupel gezeigt, seinen Bruder in die kriminellen Machenschaften mit einzubeziehen. Auch wurde die wiederum nachfolgende Verurteilung des LG Ried im Innkreis vom 20. November 2006 von der belangten Behörde als Anlass genommen, um den Bw am 23. Juli 2006 darauf aufmerksam zu machen, dass weitere strafbare Handlungen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nach sich ziehen können. Auch diese Ermahnung sei jedoch erfolglos geblieben, da der Bw am 9. November 2007 wiederum wegen zahlreicher Diebstähle verurteilt worden sei. Die dahingehend niedrige Freiheitsstrafe sei vom Strafgericht damit begründet worden, dass es zu einer objektiven Schadensgutmachung gekommen sei. Der Bw habe sich, so die Ausführungen des Strafgerichtes, trotz massiver Vorstrafen nicht davon abhalten lassen, weiter straffällig zu werden. Insofern sei beim Bw fehlende Schuldeinsicht gegeben und ein künftiges Wohlverhalten nicht zu erwarten. In weiterer Folge habe die belangte Behörde dem Bw mit Schreiben vom 2. Juni 2008 wiederum mitgeteilt, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes beabsichtigt sei. Auch von dieser Mitteilung habe sich der Bw nicht abhalten lassen, weiterhin straffällig zu werden, denn der Bw wurde mit 10. Juli 2009 wiederum vom LG Wels wegen Diebstahls und Hehlerei verurteilt. Nachfolgend wurde der Bw sogar ein weiteres Mal vom LG Linz am 18. Februar 2011 zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt. Aufgrund des langen Aufenthaltes seit 1997 und der kernfamiliären Bezugspunkte (Mutter, Bruder) in Österreich, sowie der Absolvierung der HTL und seines Studiums sei dem Bw ein entsprechendes Maß an Integration zuzubilligen. Allerdings sei die soziale Komponente der Integration durch das entsprechende Fehlverhalten des Bw deutlich beeinträchtigt. Durch das Gesamtfehlverhalten des Bw habe dieser gravierend gegen das große öffentliche Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität verstoßen. Die zahlreichen, über einen längeren Zeitraum sich erstreckenden, Eigentumsdelikte würden deutlich machen, dass das Verhalten des Bw eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, die das Grundinteresse der Gesellschaft an der Verhinderung der Eigentumskriminalität berührt, darstelle. Dies rechtfertige auch die Annahme, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit durch den Verbleib des Bw nachhaltig und maßgeblich gefährdet werde. Abschließend sei auch aus Art. 8 Abs. 2 EMRK – Überlegungen die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes dringend geboten.

 

In der rechtzeitig eingebrachten Berufungsschrift vom 29. Juli 2011 führte der Bw sinngemäß aus, dass hinter den von der belangten Behörde vorgebrachten Verurteilungen einerseits das Motiv einer finanziellen Notlage und andererseits die Verkettung unglücklicher Umstände steht, welche eben zu den Verurteilungen geführt haben. Weiters führt der Bw aus, dass seine Kernfamilie in Österreich lebe. Zu den übrigen Verwandten seiner Mutter (Vater bereits verstorben) habe der Bw aufgrund eines Erbschaftsstreites keinerlei Kontakt mehr. Der Bw fühle Österreich als seine Heimat und könne sich nicht vorstellen, in den Niederlanden wieder Fuß zu fassen, da er weder ein aktives soziales Netzwerk vorfinde und auch die Sprache nicht spreche. Darüber hinaus bemerkt der Bw, dass er keinerlei Erinnerungen an seine Zeit in den Niederlanden habe; zudem sei er nach dem kurzen Aufenthalt in den Niederlanden in Deutschland aufhältig gewesen. Danach seien seine Mutter, sein Bruder und er nach Österreich verzogen. Der Bw kümmere sich nach dem frühen Tod seines Vaters um seine Familie und seine kranke Mutter. Der Bw betreibe nach seinem Studium an der FH-Hagenberg und FH-Wels ein Bachelorstudium an der JKU-Linz, das er nach seiner Enthaftung fortsetzen möchte. Aus all diesen Gründen beantragt der Bw zu seinen Gunsten zu entscheiden und kein Aufenthaltsverbot gegen ihn auszusprechen.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde, sowie Abfrage des Zentralen Melderegisters und des Elektronischen Kriminalpolizeilichen Informationssystems.

 

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil eine solche nicht erforderlich war, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lässt (§ 67d AVG).

 

Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem von der belangten Behörde und dem Bw in seinem Rechtsmittel dargestellten Sachverhalt aus und stellt darüber hinaus fest, dass der Bw nunmehr mit seiner Mutter gemeinsam wieder unter der Adresse X, mit Hauptwohnsitz gemeldet ist und am 18. Jänner 2012 aus der Strafhaft entlassen wurde.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

 

 

 

 

In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

§ 66 Abs 1 FPG idF BGBl I Nr. 38/2011 lautet:

 

EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

 

§ 67 Abs 1 FPG idF BGBl I Nr. 38/2011 lautet:

 

 Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

 

Artikel 27 Abs 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Freizügigkeitsrichtlinie) lautet wie folgt:

 

Bei Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren und darf ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend sein. Strafrechtliche Verurteilungen allein können ohne Weiteres diese Maßnahmen nicht begründen.

 

Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

 

Artikel 28 Abs 2 der Freizügigkeitsrichtlinie lautet:

 

Der Aufnahmemitgliedstaat darf gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, die das Recht auf Daueraufenthalt in seinem Hoheitsgebiet genießen, eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügen.

 

Artikel 28 Abs 3 der Freizügigkeitsrichtlinie lautet:

 

Gegen Unionsbürger darf eine Ausweisung nicht verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie

a) ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben oder

b) minderjährig sind, es sei denn, die Ausweisung ist zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

 

Die Europäische Kommission äußerte sich in ihrer Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat vom 2.7.2009, KOM(2009) 313 endgültig, wie folgt:

 

"Die Mitgliedstaaten können die Freizügigkeit von EU-Bürgern aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit einschränken. Kapitel VI der Richtlinie gilt für jede aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit getroffene Maßnahme, die das Recht der unter die Richtlinie fallenden Personen berührt, unter den gleichen Bedingungen wie die Angehörigen des Aufnahmemitgliedstaats in diesen Mitgliedstaat frei einzureisen und sich dort frei

aufzuhalten.

..........

Restriktive Maßnahmen können nur nach einer Einzelfallprüfung getroffen werden, in der festgestellt wird, dass das persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend schwere Gefährdung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats berührt.

..........

EU-Bürger und deren Familienangehörige, die im Aufnahmemitgliedstaat das Recht auf Daueraufenthalt genießen (nach fünf Jahren), dürfen nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausgewiesen werden. Gegen Unionsbürger, die ihren Aufenthalt seit mehr als zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat haben, und Kinder darf eine Ausweisung nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit (d. h. nicht aus Gründen der öffentlichen Ordnung) verfügt werden. Es muss klar zwischen ‚normalen’, ‚schwerwiegenden’ und ‚zwingenden’ Ausweisungsgründen unterschieden werden. Die Mitgliedstaaten sind grundsätzlich nicht verpflichtet, bei der Berechnung der Aufenthaltsdauer nach Artikel 28 die tatsächlich im Gefängnis verbrachte Zeit anzurechnen, wenn keine Bindung zum Aufnahmemitgliedstaat besteht."

 

Der österreichische Gesetzgeber unterscheidet in den Bestimmungen des § 66 Abs 1 letzter Satz und § 67 Abs 1 FPG zwischen "normalen", "schwerwiegenden" und "zwingenden" Ausweisungsgründen. Auch wenn § 66 Abs 1 letzter Satz FPG dem Wortlaut zufolge nur die Ausweisung betrifft, muss diese Bestimmung auch im Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes beachtet werden.  Aus Sicht des Gemeinschaftsrechts handelt es sich sowohl bei einem Aufenthaltsverbot als auch bei einer Ausweisung um "restriktive Maßnahmen", die nur nach Maßgabe der Bestimmungen des Artikel 27 und 28 der Freizügigkeitsrichtlinie zulässig sind.

 

Anzumerken ist, dass die in § 66 Abs 1 letzter Satz FPG erwähnte "schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit" nicht mit den "schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit" iSd Artikel 28 Abs 2 der Freizügigkeitsrichtlinie gleichzusetzen ist.

 

Der Begriff "schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit" wird in Artikel 11 Abs 2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Rückführungsrichlinie) verwendet und in den Tatbeständen des § 53 Abs 3 FPG näher definiert. Eine solche "schwerwiegende Gefahr" ist im Sinne der abgestuften Gefährdungsprognose (vgl VwGH vom 22. Februar 2011, 2008/18/0025) unterhalb der "schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit" iSd Artikel 28 Abs 2 der Freizügigkeitsrichtlinie einzuordnen. Unter welchen Voraussetzungen "schwerwiegende Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit" eine aufenthaltsbeendende Maßnahme unbedingt erforderlich machen, ist im FPG nicht geregelt.  Die Bestimmung des § 56 des Aufenthaltsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland kann aber als Orientierungsmaßstab herangezogen werden.

 

Sollte der Bw das Daueraufenthaltsrecht nach § 54a Abs 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) iVm Artikel 16 Abs 2 der Freizügigkeitsrichtlinie erworben haben, dürfte ein Aufenthaltsverbot nur "aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit" erlassen werden.

 

Zur Beantwortung der Frage, welche Auswirkungen eine Haftstrafe auf das Daueraufenthaltsrecht hat, kann nur eingeschränkt auf die Richtlinie 2003/109/EG bzw die Umsetzungsbestimmungen des § 45 NAG (Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt – EG") oder § 48 NAG (Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt – Familienangehöriger") zurückgegriffen werden.  § 28 Abs 1 NAG sieht bei diesen beiden Aufenthaltstiteln in den Fällen der §§ 64 ("Aufenthaltsverfestigung") oder 63 FPG ("Aufenthaltsverbot für Drittstaatsangehörige mit Aufenthaltstitel") ein eigenes Rückstufungsverfahren vor. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass ein Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt – EG" oder "Daueraufenthalt – Familienangehöriger" gemäß § 11 Abs 2 Z 1 NAG iVm § 45 Abs 1 Z 1 bzw § 48 Abs 1 Z 1 NAG jedenfalls dann nicht erteilt werden darf, wenn der Tatbestand für ein Aufenthaltsverbot nach § 64 und 63 FPG erfüllt ist. Wird eine Haftstrafe verhängt, ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels iSd § 45 oder 48 NAG daher schon gemäß dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes ausgeschlossen.

 

Die Freizügigkeitsrichtlinie enthält für das in Artikel 16 cit RL geregelte Daueraufenthaltsrecht keine vergleichbaren Anordnungen. Die Mitgliedstaaten sind aber gemäß der oben wiedergegebenen Mitteilung der Kommission bei der Berechnung der Aufenthaltsdauer nach Artikel 28 der Freizügigkeitsrichtlinie nicht verpflichtet die tatsächlich im Gefängnis verbrachte Zeit anzurechnen, wenn keine Bindung zum Aufnahmestaat besteht.

 

Der maßgebliche Hintergrund ist darin zu sehen, dass während eines Gefängnisaufenthalts keine schützenswerte Aufenthaltsverfestigung bzw Integration eintreten kann, da ein Häftling – wenn überhaupt – nur sehr eingeschränkt am gesellschaftlichen Leben des Aufnahmestaates teilnimmt. Gemäß der st. Rsp des VwGH begründet die Unterbringung in einer Justizanstalt auch keinen Wohnsitz iSd Meldegesetzes (vgl VwGH vom 24. November 2009, GZ 2009/21/0267). Ein Gefängnisaufenthalt darf in rechtlicher Hinsicht keinesfalls gegenüber den Zeiten eines Auslandsaufenthalts privilegiert werden. Es ist vielmehr zu berücksichtigen, dass eine unbedingte Freiheitsstrafe - anders als ein Auslandsaufenthalt - immer eine eingeschränkte Bindung zum Aufnahmestaat und dessen Rechtsordnung indiziert. Ein Gefängnisaufenthalt unterbricht daher die fünfjährige Frist iSd Artikel 16 Abs 1 und Abs 2 der Freizügigkeitsrichtlinie iVm § 53a Abs 1 und 54a Abs 1 NAG. Dies gilt umso mehr im Fall einer sechs Monate übersteigender Haftstrafe (vgl Artikel 16 Abs 3 der Freizügigkeitsrichtlinie, § 54a Abs 1 letzter Satz iVm § 53a Abs 2 Z 1 NAG). Aus Artikel 16 Abs 4 der Freizügigkeitsrichtlinie, wonach die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, die zwei aufeinanderfolgende Jahre überschreitet, zum Verlust des Daueraufenthaltsrecht führt, ist darüber hinaus zu schließen, dass eine zwei Jahre übersteigende unbedingte Freiheitsstrafe einen "schwerwiegenden Grund der öffentlichen Sicherheit" darstellt, der die Erlassung eine Aufenthaltsverbots rechtfertigt, sofern die Voraussetzungen nach Artikel 27 Abs 2 der Freizügigkeitsrichtlinie erfüllt sind.

 

Zusammengefasst hat eine unbedingte Haftstrafe folgende Auswirkungen: Einerseits unterbricht sie die fünfjährige Frist iSd Artikel 16 Abs 1 und 2 der Freizügigkeitsrichtlinie, die nach Entlassung aus der Haft neu zu laufen beginnt. Andererseits sind Zeiten der Haft nicht auf die Zehnjahresfrist des Artikel 28 Abs 3 Freizügigkeitsrichtlinie iVm § 67 Abs 1 vorletzter Satz FPG idF BGBl I Nr. 38/2011 anzurechnen. § 67 Abs 1 vorletzter Satz FPG unterscheidet sich damit wesentlich von der Vorgängerbestimmung des § 86 Abs 1 FPG idF BGBl I Nr. 135/2009, die bei der Berechnung der Frist noch auf einen zehnjährigen Aufenthalt "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts" abstellte.

 

Auf Grund der Niederschrift des Gendarmeriepostens 4910 Ried/Innkreis vom 15. Februar 1997 steht fest, dass sich der Bw im September 1996 gemeinsam mit seiner Mutter in Österreich niederließ. Seither hält er sich im Bundesgebiet auf. Der Bw verbüßte den im Akt befindlichen Vollzugsinformationen zufolge von 25. November 2005 bis 7. Dezember 2005, von 19. September 2007 bis 19. Februar 2008, von 17. Februar 2009 bis 17. März 2010 und von 18. Oktober 2010 bis 18. Jänner 2012 jeweils Freiheitsstrafen. Der Bw hält sich daher schon länger als  zehn Jahre außerhalb der Haft in Österreich auf.

 

Es ist – im Hinblick auf die oa Bestimmung - zu prüfen, ob das Verhalten des Bw aus derzeitiger Sicht dazu führt, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

 

Die im fünften Satz des Abs. 1 des § 86 FPG vor FrÄG 2011 vorgenommene Reduktion der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbots auf eine "nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich" folgt der Textierung des Art 28 Abs 3 der Unionsbürger-RL. Entgegen den EBRV handelt es sich dabei nicht bloß um eine Anpassung an die Terminologie der Unionsbürger-RL sondern um eine erhebliche Einschränkung im Sinne einer Konzentration auf Fälle schwerer Kriminalität. Dies wird noch deutlicher, wenn zur Interpretation dieses Begriffes der entsprechende Begriff der RL herangezogen wird, wonach es "zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit" bedarf. Der EuGH hat dazu jüngst (23. 11. 2010, C 145/09, Baden-Württemberg gegen Panagiotis Tsakouridis ) den Rahmen abgesteckt. Demnach:

-      sind von diesem Begriff sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats umfasst;

-      handelt es sich um Sachverhalte, die die Beeinträchtigung des Funktionierens der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie das Überleben der Bevölkerung ebenso wie die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder eine Beeinträchtigung der militärischen Interessen die öffentliche Sicherheit berühren können;

-      kann die Bekämpfung der mit dem bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmitteln verbundenen Kriminalität ein solcher zwingender Grund sei;

-      setzt eine solche Maßnahme, wenn sie angesichts der außergewöhnlichen Schwere der Bedrohung für den Schutz der Interessen, die mit ihr gewahrt werden sollen, erforderlich ist, voraus, dass dieses Ziel unter Berücksichtigung der Aufenthaltsdauer im Aufnahmemitgliedstaat des Unionsbürgers und insbesondere der schweren negativen Folgen, die eine solche Maßnahme für Unionsbürger haben kann, die vollständig in den Aufnahmemitgliedstaat integriert sind, nicht durch weniger strikte Maßnahmen erreicht werden kann;

-      eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren kann nicht zu einer Ausweisungsverfügung führen, ohne dass die folgenden Umstände berücksichtigt werden: das persönliche Verhaltens der betroffenen Person, die gegebenenfalls zu der Zeit zu beurteilen ist, zu der die Ausweisungsverfügung ergeht, und zwar nach Maßgabe der verwirkten und verhängten Strafen, des Grades der Beteiligung an der kriminellen Aktivität, des Umfangs des Schadens und gegebenenfalls der Rückfallneigung, ist gegen die Gefahr abzuwägen, die Resozialisierung des Unionsbürgers in dem Staat, in den er vollständig integriert ist, zu gefährden.

 

Im Ergebnis läuft dies auf eine Handhabung des Aufenthaltsverbots als Folge der Gefahr erheblicher Kriminalität in der bereits von der jüngeren Judikatur des VwGH eingeschlagenen Richtung (vgl. u.a. VwGH vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0197, 26. Jänner 2010, Zl. 2009/22/0271) hinaus, freilich mit der nunmehr eindeutigen Beschränkung auf Fälle schwerer Kriminalität einerseits und auf das gänzliche Fehlen jeglichen gelinderen Mittels andererseits (s dazu auch Riel-Schrefler-König-Szymanski-Schmalzl, FPG § 86 Anm. 2b).

 

Im Fall des Bw liegt eine beharrliche Begehung (siehe auch die diversionellen Erledigungen vor der ersten Verurteilung!) von Vermögensdelikten vor. Der Bw ließ sich durch die mehrmalige Androhung der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes nicht von der Begehung weiterer Straftaten abhalten. Dass wiederholte Angriffe auf fremdes Vermögen ein Grundinteresse der Gesellschaft iSd 2. Satzes des § 67 FPG verletzen, steht außer Zweifel (s dazu VwGH vom 22. Mai 2007, Zl. 2006/21/0004).

 

Dennoch ist aufgrund der bisherigen Taten noch keine "maßgebliche" Gefährdungsprognose iSd der Judikatur des EuGH ableitbar.

 

Dies umso mehr, als der EuGH bereits bei der Bewertung des Verhaltens des Fremden Kriterien der Integration und somit Kriterien im Sinne einer Abwägung iSd. Art. 8 EMRK miteinbezieht. Blickt man nun auf den über 10jährigen Aufenthalt, die schulische- und universitäre Einbindung und auch die sonstigen integrativen Anknüpfungspunkte und die offensichtlichen Sprachkenntnisse (z.B. Ferialpraktika, ehemaliger Fußballverein, ehemalige Freundin, Kernfamilie, etc.), so ist ersichtlich, dass das Interesse des Bw am Verbleib im Bundesgebiet das derzeit bestehende öffentliche Interesse noch (!) überwiegt.

 

Es war daher im Ergebnis der Berufung stattzugeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufzuheben.

 

Nachdem der Bw offenkundig der deutschen Sprache ausreichend mächtig ist, konnte gemäß § 67 Abs. 5 iVm. § 59 Abs. 1 FPG auf die Übersetzung des Spruchs und der Rechtsmittelbelehrung verzichtet werden.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

1.   Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2.   Im Verfahren sind Stempelgebühren in der Höhe von 14,30 (Eingabegebühr) angefallen.

 

 

 

Mag. Wolfgang Weigl

 

VwSen-720304/3/Wg/MB/WU vom 29. März 2012

Erkenntnis


Rechtssatz 1

FPG §66 Abs1;
FPG §67 Abs1;
Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten Art27;
Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten Art28

Der österreichische Gesetzgeber unterscheidet in den Bestimmungen des § 66 Abs 1 letzter Satz und § 67 Abs 1 FPG zwischen "normalen", "schwerwiegenden" und "zwingenden" Ausweisungsgründen. Auch wenn § 66 Abs 1 letzter Satz FPG dem Wortlaut zufolge nur die Ausweisung betrifft, muss diese Bestimmung auch im Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes beachtet werden. Aus Sicht des Gemeinschaftsrechts handelt es sich sowohl bei einem Aufenthaltsverbot als auch bei einer Ausweisung um "restriktive Maßnahmen", die nur nach Maßgabe der Bestimmungen der Art 27 und 28 der Freizügigkeitsrichtlinie zulässig sind.


Rechtssatz 2

FPG §53 Abs3;
FPG §66 Abs1;
Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten Art28 Abs2;
Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger Art11 Abs2

Die in § 66 Abs 1 letzter Satz FPG erwähnte "schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit" ist nicht mit den "schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit" iSd Art 28 Abs 2 der Freizügigkeitsrichtlinie gleichzusetzen. Der Begriff "schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit" wird in Artikel 11 Abs 2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Rückführungsrichtlinie) verwendet und in den Tatbeständen des § 53 Abs 3 FPG näher definiert. Eine solche "schwerwiegende Gefahr" ist im Sinne der abgestuften Gefährdungsprognose (vgl VwGH 22.2.2011, 2008/18/0025) unterhalb der "schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit" iSd Art 28 Abs 2 der Freizügigkeitsrichtlinie einzuordnen. Unter welchen Voraussetzungen "schwerwiegende Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit" eine aufenthaltsbeendende Maßnahme unbedingt erforderlich machen, ist im FPG nicht geregelt. Die Bestimmung des § 56 des Aufenthaltsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland kann aber als Orientierungsmaßstab herangezogen werden.


Rechtssatz 3

FPG §67 Abs1;
Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten Art28 Abs3

Zeiten der Haft sind nicht auf die Zehnjahresfrist des Art 28 Abs 3 Freizügigkeitsrichtlinie iVm § 67 Abs 1 vorletzter Satz FPG idF BGBl I Nr. 38/2011 anzurechnen. § 67 Abs 1 vorletzter Satz FPG unterscheidet sich damit wesentlich von der Vorgängerbestimmung des § 86 Abs 1 FPG idF BGBl I Nr. 135/2009, die bei der Berechnung der Frist noch auf einen zehnjährigen Aufenthalt "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts" abstellte.

 

 

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