Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730078/12/Wg/GRU

Linz, 11.04.2012

 

E r k e n n t n i s

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Wolfgang Weigl über die Berufung des X, geb. X, X, X, X, gegen die mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 22.6.2010, Zl. Sich40-33265, verhängte Ausweisung nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.3.2012 zu Recht erkannt:

 

 

I.                   Der Berufung wird stattgegeben und der bekämpfte Bescheid ersatzlos behoben.

 

II.                Eine Rückkehrentscheidung ist auf Dauer unzulässig.

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.4 AVG und  § 61 Abs 3 FPG

 

 

Entscheidungsgründe:

 

 

Die Bezirkshauptmannschaft Gmunden hat den Berufungswerber (im Folgenden: Bw) mit Bescheid vom 22.6.2010, Zl. Sich40-33265, gem. § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG, aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich ausgewiesen.

 

Dagegen richtet sich die Berufung vom 7.7.2010. Der Bw beantragt darin, die Berufungsbehörde möge den angefochtenen Bescheid der Bezirkshaupt­mannschaft Gmunden vom 22.6.2010 dahingehend abändern, dass das eingeleitete Ausweisungsverfahren eingestellt und die ausgesprochene Ausweisung aufgehoben wird; in eventu den angefochtenen Bescheid der Erstbehörde aufheben und diesen zur neuerlichen Entscheidung an die Behörde erster Instanz zurück zu verweisen.

 

Nachdem mit 1. Juli 2011 wesentliche Bestandteile des Fremden­rechtsänderungsgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 in Kraft getreten sind, hat die Sicherheitsdirektion den Berufungsakt dem Verwaltungssenat zuständig­keitshalber übermittelt.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat führte am 19.3.2012 eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung durch. Der Bw erstattete eingangs folgendes Vorbringen: "Auf den Berufungsschriftsatz vom 7.7.2010 wird verwiesen. Die darin enthaltenen Anträge werden vollinhaltlich aufrecht erhalten. Insbesondere wird auf die lange Aufenthaltsdauer des Bw, seine Bemühungen, die deutsche Sprache zu erlernen, die Möglichkeit, ein Beschäftigungsverhältnis nach Erlangen eines Aufenthaltstitels einzugehen und dies sogar bei unterschiedlichen Dienstgebern, wie aus den vorgelegten Unterlagen hervorgeht, seine Vorstrafenfreiheit, den ortsüblichen Wohnsitz verwiesen."

 

Der Vertreter der Bezirkshauptmannschaft Gmunden erstattet folgendes Schlussvorbringen: "Es wird beantragt, die Berufung abzuweisen und die Ausweisungsentscheidung zu bestätigen. Es hat sich seit Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides an und für sich wenig geändert. Abgesehen davon, dass der unrechtmäßige Aufenthalt nunmehr noch längere Zeit bereits schon andauert. Insbesondere der Umstand, dass erst jetzt eine Anmeldung zum Deutsch-Kurs erfolgte, zeigt, dass der Bw kaum Willen zur Integration bzw. zum Erlernen der deutschen Sprache zeigt. Weiters wird darauf verwiesen, dass Herr X eine 'Niederlassungsbewilligung – beschränkt' beantragt hat, dies entspricht nach der neuen Rechtslage einer 'Niederlassungsbewilligung'. Dies bedeutet, dass der Bw für die Aufnahme der im 'Arbeitsvorvertrag' bezeichneten Tätigkeit eine Beschäftigungsbewilligung benötigen wird. Die Aufnahme eines Arbeitsver­hältnisses ist daher selbst bei Erteilung einer 'Niederlassungsbewilligung' nicht ohne weiteres möglich."

 

Der rechtsanwaltliche Vertreter erstattete folgendes Schlussvorbringen: "Der rechtsanwaltliche Vertreter beantragt ein Vorgehen im Sinn der gestellten Berufungsanträge. Zu den Deutsch-Kenntnissen des Bw ist anzumerken, dass er in Folge der Mittellosigkeit bzw. dem Angewiesensein auf die Unterstützung seiner Familienangehörigen sich erst Anfang 2011 die erforderlichen finanziellen Mittel zum Besuch eines Deutsch-Kurses angespart hatte. Er hat, sofort, als er die erforderlichen Mittel zusammengespart hatte, sich zum Deutsch-Kurs angemeldet. Er benötigt seine finanziellen Mittel primär zum Abdecken des täglichen Lebensbedarfes bzw. der Mietkosten. Er wird den Deutsch-Kurs entsprechend der vorgelegten Bestätigung im April 2012 antreten. Unrichtig ist, dass er nur eine relative Integration am Arbeitsmarkt nachweisen kann. Richtig ist vielmehr, dass er jahrelang in Österreich gearbeitet hat, wie auch aus dem Sozialversicherungsauszug hervorgeht. Die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ist darauf zurückzuführen, dass er mit Ende des Asylverfahrens über keine vorläufige Aufenthaltsberechtigung mehr verfügte und ihm daher keine weitere Beschäftigungsbewilligung mehr erteilt werden konnte. Sofern die Bezirkshauptmannschaft Gmunden behauptet, dass die vorgelegten Beschäftigungszusagen nicht fix bzw. verbindlich wären und Herr X keinen Nachweis des AMS vorgelegt hätte, dass er wieder eine Beschäftigungs­bewilligung erhalten würde, ist dies argumentativ völlig verfehlt. Eine Beschäftigungsbewilligung ist dann zu erteilen, wenn die Voraussetzungen zur Anstellung eines Dienstnehmers vorliegen. Das AMS stellt keine hypothetischen Bestätigungen im Vorfeld aus. Im Übrigen ist für den Fall der Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nach § 43 Abs. 3 NAG das AMS nicht einmal berechtigt, die Beschäftigungsbewilligung zu verwehren. Der Bw hat jahrelang auf Grund einer entsprechenden Zusage und auch Bestätigung des AMS bzw. Beschäftigungsbewilligung gearbeitet. Die vorliegenden Beschäftigungszusagen bzw. der vorgelegte Dienstvorvertrag sind daher jedenfalls geeignet zu belegen, dass der Bw jederzeit wieder ein Beschäftigungsverhältnis aufnehmen kann. Er kann sich sogar aussuchen, bei welchem der angeführten Arbeitgeber er zu arbeiten beginnen wird. Zur Behauptung, der Lebensmittelpunkt des Bw läge in der Türkei ist auszuführen, dass gerade der 10-jährige Aufenthalt des Bw in Österreich nachweist, dass sein Lebensmittelpunkt gerade nicht bei seiner Ehegattin in der Türkei, sondern in Österreich liegt. Ebenso wenig bei seinen Kindern oder seiner Mutter. Wäre der Lebensmittelpunkt des Bw in der Türkei, würde er sich nicht bereits 10 Jahre durchgehend im Bundesgebiet aufhalten."

 

 

Der Verwaltungssenat stellt folgenden Sachverhalt fest:

 

Der Bw wurde am X geboren und ist Staatsangehöriger der Türkei.

 

Er reiste am 4.6.2002 in das Bundesgebiet ein und ist seit 26.8.2002 mit geringfügigen Unterbrechungen durchgehend im Bundesgebiet gemeldet. Derzeit ist er an der Adresse X, X, mit Hauptwohnsitz gemeldet. Der Bw lebt dort alleine. Er hat sich in Österreich jedoch einen sehr großen Freundes- und Bekanntenkreis geschaffen. In seiner Heimat lebt noch seine Mutter und seine drei Schwestern. Zudem hat er einen Sohn und eine Tochter, welche in der Türkei bei der Mutter (Frau des Bw) leben. Die Frau des Bw lebt jetzt bei ihrem Vater. Außerdem leben noch die Kinder des verstorbenen Bruders in der Türkei.

 

Der Bw besuchte in seiner Heimat die Volksschule und war in Hotels und Restaurants tätig. Nunmehr hat er sich beim WIFI für einen Deutsch-Kurs Stufe2 mit Beginn 13.4.2012 angemeldet. Weiters hat der Bw mit der X einen Dienstvorvertrag abgeschlossen.

 

Aus dem Versicherungsdatenauszug vom 4.1.2012 geht Folgendes hervor:

 

   von

                bis

    Art der Monate / meldende Stelle

01.08.2002

31.01.2004

gewerbl.selbständig Erwerbstätiger

01.02.2004

31.01.2005

gewerbl.selbständig Erwerbstätiger

17.01.2005

02.08.2005

01.12.2005

15.05.2005 31.10.2005 04.07.2006

Arbeiter

Arbeiter

Arbeiter X

16.08.2006

18.09.2006

Arbeiter X

25.09.2006

02.02.2007

Arbeiter X

01.01.2007

31.01.2007

Vorläufige Schwerarbeit gem. §1 Abs.1 Z4

03.02.2007

14.02.2007

13.02.2007

29.04.2007

Urlaubsabfindung, Urlaubsentschädigung

Krankengeldbezug (DGKTONR-bezogen) X

30.04.2007

15.05.2007

Arbeitslosengeldbezug

16.05.2007

29.05.2007

04.06.2007

27.05.2007

03.06.2007

24.10.2007

Arbeiter

Arbeiter

Krankengeldbezug (DGKTONR-bezogen) X

01.10.2007

01.11.2007

30.11.2007

30.11.2007

gewerbl.selbständig Erwerbstätiger

nicht bezahlte Beiträge BSVG, GSVG, FSVG

01.12.2007 01.12.2007

30.06.2008

31.05.2008

gewerbl.selbständig Erwerbstätiger

nicht bezahlte Beiträge BSVG, GSVG, FSVG

23.06.2008

15.01.2010

Arbeiter X

23.01.2010

23.01.2010

geringfügig beschäftigter Arbeiter X

13.04.2010

31.10.2010

Selbstvers. Krankenvers. § 16 ASVG X

01.05.2010

01.05.2010

geringfügig beschäftigter Arbeiter X

 

 

Der Bw stellte am 18.9.2002 einen Asylantrag. Das Asylverfahren ist seit 17.2.2010 rechtskräftig negativ abgeschlossen. Es wurde ihm kein Asyl gewährt. Der Bw verfügte während des Asylverfahrens über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG.

 

Festzustellen war weiters, dass der Bw unbescholten ist.

 

Zur Beweiswürdigung:

 

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich unstrittig aus dem Vorbringen des Bw und den in der Verhandlung vorgelegten Dokumenten.

 

 

 

Der Verwaltungssenat hat dazu in rechtlicher Hinsicht erwogen:

 

Die Ausweisungsentscheidung gilt gem. § 125 Abs. 14 Fremden­polizeigesetz 2005 (FPG) idF BGBl. I Nr. 38/2011 als Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 1 FPG. Der Bw hält sich seit rechtskräftigem negativen Abschluss seines Asylverfahrens nicht rechtmäßig im Bundesgebiet der Republik Österreich auf. Der Tatbestand für eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 1 FPG ist dem Grund nach erfüllt.

 

Wird durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist gemäß § 61 Abs 1 FPG die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind gemäß § 61 Abs 2 FPG insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4. der Grad der Integration;

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung ist gemäß § 61 Abs 3 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

Jedermann hat gemäß Artikel 8 Abs 1 EMRK Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist gemäß Artikel 8 Abs 2 EMRK nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Der illegale Aufenthalt des Bw seit negativem Abschluss des Asylverfahrens beeinträchtigt das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens in einem erheblichen Ausmaß.

 

Dem gegenüber steht das persönliche Interesse des Bw an der Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens im Bundesgebiet. Er lebt seit dem Jahr 2004 im Bundesgebiet. Der Bw ist bemüht, die deutsche Sprache zu erlernen und hat sich diesbezüglich beim WIFI für einen derartigen Kurs angemeldet.

 

Auch ein unrechtmäßiger Aufenthalt kann zur Begründung einer Integration im Inland herangezogen werden, wenn dem auch nicht derselbe Stellenwert wie bei einer rechtmäßigen Niederlassung zugemessen werden kann (vgl. VwGH vom 4.9.2003, GZ. 2000/21/0102).

 

Zusammengefasst hat sich der Bw in der Zeit seines nunmehr seit 1.8.2002 dauernden Aufenthaltes im Bundesgebiet der Republik Österreich so weit integriert, dass seine privaten Interessen an der Fortsetzung des Aufenthaltes die öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthaltes überwiegen.

 

Die mit Straferkenntnissen vom 21.4. und 23.9.2010 abgestraften illegalen Beschäftigungen ändern daran nichts.

 

Eine Rückkehrentscheidung ist mittlerweile dauerhaft unzulässig.

 

Aus diesem Grund war spruchgemäß zu entscheiden.

 

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

 

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

 

 

Hinweis:

 

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Stempelgebühren für die Berufung von 59,80 Euro (Eingabe- und Beilagengebühr) angefallen.

 

 

 

 

Mag. Wolfgang Weigl

 

 

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