Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-166889/2/Bi/Rei

Linz, 23.04.2012

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Karin Bissenberger über die Berufung des Herrn Dr. C R, S,  V, vom 10. April 2012 gegen das Straferkenntnis des Bezirkshaupt­mannes von Vöcklabruck vom 2. April 2012, VerkR96-17949-2011/Hai, wegen Übertretung der StVO 1960, zu Recht erkannt:

 

Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren ohne Vorschreibung von Verfahrenskostenbeiträgen eingestellt.

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51 Abs.1, 45 Abs.1 Z1 und 66 VStG

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis wurde über den Beschuldigten wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß §§ 20 Abs.2 iVm 99 Abs.2e StVO 1960 eine Geldstrafe von 290 Euro (96 Stunden EFS) verhängt, weil er am 2. Juli 2011, 9.50 Uhr, auf der A1 bei km 188.000, Gemeindegebiet Sipbachzell, in Fahrtrichtung Wien mit dem Pkw x die auf Autobahnen zulässige Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h um 60 km/h überschritten habe.

Gleichzeitig wurde ihm ein Verfahrenskostenbeitrag von 29 Euro auferlegt.

 

2. Dagegen hat der Berufungswerber (Bw) fristgerecht Berufung eingebracht, die seitens der Erstinstanz ohne Berufungsvorentscheidung dem Unabhängigen Ver­wal­tungs­senat des Landes Oberösterreich vorgelegt wurde. Da keine 2.000 Euro über­steigende Geldstrafe verhängt wurde, war durch das nach der Geschäftsver­teilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden (§ 51c VStG). Die Anberaumung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung erübrigte sich, zumal die Videoaufzeichnung wegen eines technischen Defekts nicht mehr zur Verfügung steht und der Messbeamte gegenüber der Erstinstanz und gegenüber dem SV erklärt hat, er könne zur ggst Messung und zum Nachfahrabstand keine Angaben mehr machen (§ 51e Abs.2 Z1 VStG).  

 

3. Der Bw macht im Wesentlichen geltend, die Fa. S sei überhaupt nicht autorisiert, derartige technische Auskünfte zu geben, wobei die Erstinstanz auch den Namen des betreffenden Mechanikers nicht angegeben habe. Der Anzeiger sei ebenfalls nicht einvernommen worden; dieser hätte die Nachfahr­strecke von zumindest 300 m in gleichbleibendem Abstand bestätigen müssen, den auch der kfztechnischen Sachverständige festgehalten habe. Nur dann sei eine Messtoleranz von 5% gerechtfertigt.

Er habe dem Anzeiger gegenüber erklärt, er sei zu schnell gewesen und auch im Einspruch eine Geschwindigkeitsüberschreitung zugestanden. Er habe aber eine Überschreitung um 60 km/h von vornherein bestritten und von vornherein angezweifelt, so schnell gefahren zu sein. Er habe auch die 5% Messtoleranz bezweifelt, da er gewusst habe, dass die Beamten niemals in einem Abstand von 300 m gleich bleibend nachgefahren seien - die Beamten hätten ihn nach seinem Überholmanöver wiederum überholt und ihn dann zum nächsten Parkplatz eingewiesen. Die Erstinstanz sei zu Unrecht von einem "Geständnis" ausge­gangen. Weiters habe die Erstinstanz den festgestellten Sachverhalt in der rechtlichen Beurteilung verkannt. Das Gutachten widerspreche den Fest­stellungen der Erstinstanz. Der Gutachter habe eine 5%ige Messtoleranz nur bei einer Nachfahrt über 300 m bei gleichbleibendem Tiefenabstand gerechtfertigt. Der SV habe ausgeführt, er könne nicht angeben, über welche Länge die Nachfahrstrecke mit gleichbleibendem Abstand gedauert habe. Die rechtliche Folgerung der Erstinstanz daraus sei verfehlt. Beantragt wird die Anberaumung einer Berufungsverhandlung, die Aufhebung des Straferkenntnisses und Verfahrenseinstellung.

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der Erstinstanz.

Daraus ergibt sich, dass seitens des Meldungslegers R W, LVA Oö, Anzeige gegen den Bw erstattet wurde, nachdem bei einer Nachfahrt auf der A1 Westautobahn am 2.7.2011, 9.50 Uhr, festgestellt worden sei, dass dieser mit dem Pkw, Kz. x, das zur genannten Zeit auf einem Porsche 911 Carrera S angebracht gewesen sei, "bei km 188.000" die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h um 60 km/h überschritten habe; als "gemessene Geschwindigkeit" wurden 200 km/h angegeben. Die Geschwindigkeits­messung sei mit ProViDa mit Videoaufzeichnung erfolgt – Type Messgerät Videospeed 250, Nr. 2000-015, zuletzt geeicht am 4.4.2011.

 

Der Bw hat gegen die Strafverfügung der Erstinstanz vom 13.7.2011 wegen Übertretung der StVO 1960 – nach Abzug von 10 km/h wurde im Tatvorwurf eine Überschreitung um 60 km/h zugrundegelegt – fristgerecht Einspruch erhoben und gab vor der Erstinstanz am 25.8.2011 an, die Kupplung sei defekt gewesen und der Pkw habe zunächst verlangsamt und dann "voll beschleunigt". Dadurch sei es zur Geschwindigkeitsüberschreitung gekommen, die er außer Streit stelle. Er habe aber sofort seine Werkstätte aufgesucht und dort sei die defekte Kupplung festgestellt worden – er hat dazu eine Rechnung vorgelegt; darin wurde ein "Kupplungs-Kit" als Ersatzteil verrechnet. Der Bw vertrat die Ansicht, dass 10% Toleranzabzug gerechtfertigt wäre.

 

Dipl.HTL-Ing R H kam in seinem Gutachten vom 3.1.2012, Verk-210000/2444-2011-2012-Hag, zur Ansicht, dass die Geschwindigkeit des Porsche mittels Nachfahrt festgestellt wurde, wobei im Polizei-Dienstwagen eine ProViDa-Anlage eingebaut war. Diese Messanlage führt eine Videoaufzeichnung durch, in der die geeichte Fahrgeschwindigkeit des Polizeifahrzeuges angezeigt wird. Bei einer geeichten Anlage sind von der angezeigten Geschwindigkeit 5% Mess­toleranz abzuziehen, um zu einer vorwerfbaren Geschwindigkeit zu gelangen. Diese Messtoleranz berücksichtigt laut Gutachten nicht die mögliche Veränderung des Nachfahrabstandes, 5% seien nur ausreichend, wenn man davon ausgeht, dass sich der Nachfahrabstand des Polizeifahrzeuges nicht reduziert hat. Hat sich der Nachfahrabstand verringert, ist die sich daraus ergebende Geschwindigkeits­differenz gesondert zu berücksichtigen. Am 3.1.2012 sei ihm mitgeteilt worden, dass das Video, auf dem die Nachfahrt aufgezeichnet wurde, wegen eines technischen Defekts nicht mehr zur Verfügung gestellt werden kann. Auf seine telefonische Nachfrage hat auch der Messbeamte erklärt, er könne zur Messung nun keine Angaben mehr machen, die für eine Gutachtenserstellung verwendet werden könnten. Der SV bestätigte die 5% Messtoleranz unter der Annahme, dass die Polizei während der Nachfahrt den Tiefenabstand zum Bw-Fahrzeug nicht verkürzt hat und die Nachfahrstrecke ausreichend lang war, nämlich zumindest 300 m; diese seien bei Berechnungen ohne Videoaufzeichnung erforderlich. Ist der Nachfahr­abstand verkürzt worden, wäre ein höherer Toleranz­abzug erforderlich. Zum Einwand der defekten Kupplung hat der SV ausgeführt, dass damit eine zu hohe Fahrgeschwindigkeit nicht erklärbar ist, weil die Geschwindigkeit am Tachometer abgelesen werden kann.

Seitens der Erstinstanz wurde telefonisch nachvollzogen, dass der Anzeiger nicht mehr in der Lage ist, Angaben zur Messung zu machen.

 

Damit ist aus der Sicht des Unabhängigen Verwaltungssenates davon auszugehen, dass die Geschwindigkeitsmessung im ggst Fall nicht mehr nachvollzogen werden kann. Die Videomessung hätte eine fotogrammetrische Auswertung möglich gemacht und daher wäre keine bestimmte Nachfahrstrecke erforderlich gewesen. Der Anzeiger konnte sich an die genaue Nachfahrstrecke nicht mehr erinnern und daher auch nicht mit ausreichender Sicherheit eine Länge von zumindest 300 m in annähernd gleichbleibendem Abstand bestätigen.

Damit ist in rechtlicher Hinsicht von der Nichterweisbarkeit des Tatvorwurfs auszugehen. Laut "ausnahmsweiser Zulassung Zl.41731(97 für elektronische Geschwindigkeitsmessgeräte (Tachometer) der Bauart ProViDa in geänderter Ausführung" sind Tachometer der Bauart ProViDa Messgeräte, die, gekoppelt mit einer Videokamera, die Momentangeschwindigkeit des Fahrzeuges ermitteln, in dem sie eingebaut sind, also die Eigengeschwindigkeit.

Nach den Verwendungsbestimmungen kann durch Nachfahren im annähernd gleichbleibenden Abstand auf die gefahrene Geschwindigkeit des davor fahrenden Fahrzeuges geschlossen werden. Eine Zuordnung dieser Geschwindig­keit zur Geschwindigkeit des davor fahrenden Fahrzeuges ist nur durch Einhaltung eines annähernd konstanten Abstandes auf eine Länge von zumindest 300 m möglich und gestattet, wobei der Toleranzabzug dazu dient, die Unsicherheit dieser Abstandseinhaltung zugunsten des Beanstandeten zu berücksichtigen. Wenn weder die Videoaufzeichnung zur Verfügung steht noch der Messbeamte Aussagen dazu machen kann, mit welchen Geschwindigkeiten er aufgeholt hat, wo er aufgeholt hat, ab welchem Punkt bis wohin er einen annähernd gleichbleibenden Abstand zum angezeigten Fahrzeug eingehalten hat und wie groß dieser Abstand war, ist ein Schluss von der vom Polizeifahrzeug eingehaltenen Geschwindigkeit auf das angezeigte Fahrzeug nicht zulässig. Das Zugeständnis des Bw, er habe die Geschwindigkeitsüberschreitung außer Streit gestellt und er wisse, dass er zu schnell gewesen sei, bezieht sich pauschal auf die Beanstandung.

 

Den objektiven Tatbestand im Sinne einer vom Bw konkret einge­haltenen Geschwindigkeit, die über der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h liegt, hat die Behörde zu beweisen. Da sie das im ggst Fall mangels technischer Aufzeichnungen und mangels konkreter Angaben des Messbeamten nicht kann, war zugunsten des Bw spruchgemäß zu entscheiden; naturgemäß fallen dabei Verfahrenskosten nicht an.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungs­ge­richtshof erhoben werden; diese ist - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils durch eine bevollmächtigte Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt einzubringen. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

Mag. Bissenberger

 

 

Beschlagwortung:

Geschwindigkeitsüberschreitung nach techn. Defekt d. Videoaufzeichnung + Mitteilung d. Messbeamten, er könne zur Länge der Nachfahrstrecke keine Angaben machen, nicht erweisbar (ProViDa) => Einst.

 

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum