Linz, 23.05.2012
E r k e n n t n i s
Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Bernhard Pree über die Berufung des X, StA der Türkei, Vertreten durch X, gegen den Bescheid des Polizeidirektors von Steyr vom 8. März 2012, AZ.: 1-1006844/FP/10, betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie eines auf 5 Jahre befristeten Einreiseverbots gegen den Berufungswerber nach dem Fremdenpolizeigesetz, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 22. Mai 2012, zu Recht erkannt:
Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.
İtirazın kabul edilmesine ve itiraz edilen kararın tazminsiz ortadan kaldırılmasına.
Rechtsgrundlage / Hukuki dayanak:
§ 66 Abs. 4 AVG
Entscheidungsgründe:
1.1.1. Mit Bescheid des Polizeidirektors von Steyr vom 8. März 2012, AZ.: 1-1006844/FP/10, wurde gegen den Berufungswerber (im Folgenden: Bw) auf Basis der §§ 52 Abs. 1 iVm. 53 Abs. 1 und 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, eine Rückkehrentscheidung und ein auf 5 Jahre befristetes Einreiseverbot für den gesamten Schengenraum ausgesprochen sowie gemäß § 55 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 4 Wochen ab Durchsetzbarkeit festgesetzt.
1.2. Gegen diesen Bescheid erhob der Bw durch seine rechtsfreundliche Vertretung rechtzeitig Berufung mit Schreiben vom 26. März 2012.
2.1. Die belangte Behörde legte den in Rede stehenden Verwaltungsakt mit Schreiben vom 28. März 2012 dem UVS des Landes Oberösterreich vor.
2.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde.
Zusätzlich wurde am 22. Mai 2012 eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem UVS des Landes Oberösterreich durchgeführt.
2.3.1. Im Rahmen dieser Verhandlung war primär die Natur der in Rede stehenden Ehe zu klären, insbesondere, ob zwischen dem Bw und seiner Gattin, die unbestrittener Maßen seit dem Jahr 2009 in der Türkei aufhältig ist, ein tatsächliches Familienleben stattgefunden hat.
2.3.2. Der Bw selbst legte dar, dass zwischen ihm und seiner Gattin – nachdem es sich um eine Liebesheirat gehandelt habe – rund 1 Monat nach der Heirat im April X zumindest zeitweilig ein Familienleben, Wohn-, Wirtschafts- und Sexualgemeinschaft inkludierend, stattgefunden habe, wobei die Gattin auch damals schon zeitweilig in der Türkei aufhältig gewesen sei. Seine als Zeugin geladene Tante konnte lediglich den Umstand der Eheschließung bestätigen; sein Onkel gab an, davon gehört zu haben, dass der Bw mit seiner Gattin eine gemeinsame Wohnung bezogen hätte.
2.3.3. Die als Zeugin geladene Tochter der Gattin des Bw gab zum Einen an, dass sie erst rund 2 bis 3 Jahre nach der Eheschließung von dieser erfahren hatte (sie selbst war damals wegen der eigenen Ehe in der Türkei aufhältig), zum Anderen aber hätte sie sich aus Ablehnung dieser Ehe jeglichen Kontakt mit dem Bw verbeten und auch den zu ihrer Mutter abgebrochen, weshalb sie über das tatsächliche Familienleben keine Angaben machen könnte. Erst nach der Rückkehr ihrer Mutter in die Türkei habe sie den Kontakt wieder aufgenommen.
2.3.4. Zusammengefasst ergibt sich folgendes Bild:
Zunächst ist – auch nach der Aktenlage unbestritten – der Bw die Ehe mit der um rund 20 Jahre älteren österreichischen Staatsangehörigen wohl aus dem Motiv heraus eingegangen ist, um sich seinen Aufenthalt im Bundesgebiet zu sichern. Aus seinen wie auch aus den Aussagen der Tochter der Gattin lässt sich jedoch schließen, dass – wenn auch unter einem fragwürdigen Motiv von Seiten des Bw – zumindest zeitweilig (bis zum Jahr 2009) ein tatsächliches Familienleben bestand. Diese Annahme stützt sich vor allem darauf, dass die Tochter der Gattin des Bw es nicht für notwendig erachtet haben würde, sich jeglichen Kontakt mit dem Bw zu verbieten oder den zu ihrer Mutter abzubrechen, wenn sie nicht davon ausgehen hätte müssen, dass sie bei Kontaktaufnahme mit der Mutter unweigerlich auch Kontakt mit ihrem "Stiefvater" haben müsste. Dies spricht eindeutig dafür, dass – bei Anwesenheit der Mutter im Bundesgebiet – ein tatsächliches Familienleben vorlag und die "Ehegatten" in einer gemeinsamen Wohnung lebten.
Jedenfalls ist festzuhalten, dass keine Beweise im Verfahren aufgetaucht sind, die die Annahme stützen könnten, dass kein derartiges Familienleben und somit eine klare Scheinehe vorgelegen hätten.
2.3.5. Ausdrücklich muss hier festgehalten werden, dass die vom Bw in Richtung der Behörden abzielenden Anschuldigungen, durch deren Druck sei sein "Eheglück" geschädigt worden, als völlig aus der Luft gegriffen erscheinen. Weiters ist festzuhalten, dass die Aussagen des Bw betreffend das Verhältnis zu seiner Frau in den letzten 3 Jahren ebenfalls widersprüchlich und unglaubwürdig scheinen, jedoch bei der Beurteilung der Frage des Bestehens eines tatsächlichen Familienlebens im Zeitraum davor nicht zu berücksichtigen waren.
2.4. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung grundsätzlich von dem unter den Punkten 1.1.1. und 1.2. dieses Erkenntnisses dargestellten Sachverhalt aus.
Zusätzlich ist jedoch relevant, dass der Bw mit seiner Gattin im Zeitraum zwischen Mai 2004 bis längstens Herbst 2009 zumindest zeitweilig ein gemeinsames Familienleben geführt hat.
2.5. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).
3. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:
3.1. Gemäß § 52 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 112/2011, ist gegen einen Drittstaatsangehörigen, sofern nicht anderes bestimmt ist, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Berufung gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 66 Abs. 4 AVG auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.
Gemäß § 53 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung unter Einem ein Einreiseverbot erlassen. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.
Gemäß § 53 Abs. 2 FPG ist ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von mindestens 18 Monaten, höchstens jedoch für Fünf Jahre zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes hat die Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen miteinzubeziehen und zu berücksichtigen, ob der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige
1. wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl. Nr. 159, iVm. § 26 Abs. 3 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl. I Nr. 120/1997, gemäß § 99 Abs. 1, 1a, 1b oder 2 StVO, gemäß § 37 Abs. 3 oder 4 FSG, gemäß § 366 Abs. 1 Z. 1 der Gewerbeordnung 1994 (GewO), BGBl. Nr. 194, in Bezug auf ein bewilligungspflichtiges, gebundenes Gewerbe, gemäß den §§ 81 oder 82 des SPG, gemäß den §§ 9 oder 14 iVm. 19 des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl. Nr. 98, oder wegen einer Übertretung des Grenzkontrollgesetzes, des Meldegesetzes, des Gefahrengutbeförderungsgesetzes oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist;
2. wegen einer Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von mindestens 1.000 Euro oder primären Freiheitsstrafe rechtskräftig bestraft wurde;
3. wegen einer Übertretung dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist, sofern es sich dabei nicht um eine in Abs. 3 genannte Übertretung handelt;
4. wegen vorsätzlich begangener Finanzvergehen oder wegen vorsätzlich begangener Zuwiderhandlungen gegen devisenrechtliche Vorschriften rechtskräftig bestraft worden ist;
5. wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, rechtskräftig bestraft worden ist;
6. den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag, es sei denn er ist rechtmäßig zur Arbeitsaufnahme eingereist und innerhalb des letzten Jahres im Bundesgebiet mehr als sechs Monate einer erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen;
7. bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem AuslBG nicht ausüben hätte dürfen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige hätte nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes für den selben Dienstgeber eine andere Beschäftigung ausüben dürfen und für die Beschäftigung bei der der Drittstaatsangehörige betreten wurde, wäre keine Zweckänderung erforderlich oder eine Zweckänderung zulässig gewesen;
8. eine Ehe geschlossen oder eine eingetragene Partnerschaft begründet hat und sich für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, zwecks Zugangs zum heimischen Arbeitsmarkt oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen, aber mit dem Ehegatten oder eingetragenen Partner ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht geführt hat oder
9. an Kindes statt angenommen wurde und die Erteilung oder Aufrechterhaltung eines Aufenthaltstitels für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, zwecks Zugangs zum heimischen Arbeitsmarkt oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausschließlicher oder vorwiegender Grund für die Annahme an Kindes statt war, er jedoch das Gericht über die wahren Verhältnisse zu den Wahleltern getäuscht hat.
Gemäß § 53 Abs. 4 FPG beginnt die Frist des Einreiseverbotes mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.
3.2.1. Voraussetzung für die Anwendung der eben dargestellten Normen und somit für die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung bzw. eines Einreiseverbotes ist zunächst, dass der Bw nicht unter den Begünstigtenkreis des § 65b FPG als Ehegatte einer österreichischen Staatsbürgerin zu subsumieren ist, da ansonst diese Maßnahmen nicht zur Anwendung kommen könnten. Es ist also primär zu klären, ob im vorliegenden Fall eine bloße Scheinehe geschlossen wurde oder nicht.
3.2.2. Bezüglich der rechtlichen Beurteilung einer "Scheinehe" oder "Aufenthaltsehe" ist ua. auf das Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2009, Zl. 2007/21/0049, zu verweisen: "Die Ehefrau des Fremden hat die Ehe geschlossen um ihm behilflich zu sein und ihm eine legale Aufenthaltsmöglichkeit in Österreich zu verschaffen. Derartige Motive für eine Eheschließung begründen weder eine Aufenthaltsehe noch den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 9 FrPolG 2005, wenn ein gemeinsames Familienleben tatsächlich geführt wird."
3.2.3. Gerade eine derartige Konstellation ist im vorliegenden Fall anzunehmen, wie unter den Punkten 2.3. und 2.4. dieses Erkenntnisses dargestellt. Es steht demnach außer Zweifel, das Hauptmotiv des Bw für die Eheschließung sein angestrebter Verbleib im Bundesgebiet war, dass aber zumindest zeitweilig ein gemeinsames Familienleben, inkludierend Wohn-, Wirtschafts- und Sexualgemeinschaft stattfand.
3.2.4. Zusammengefasst ist also festzuhalten, dass der Bw weiterhin dem Begünstigtenkreis des § 65b FPG angehört, weshalb eine allfällige aufenthaltsbeendende Maßnahme auf § 67 FPG gestützt werden müsste, denn nach § 65b FPG finden auf die dortige Zielgruppe die für EWR-Bürger vorgesehenen Bestimmungen (ua. § 67 FPG) Anwendung.
Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens 10 Jahren erlassen werden.
3.3.2. Beim Bw handelt es sich um den Ehegatten einer österreichischen Staatsangehörigen also grundsätzlich um eine Person des in § 65b FPG iVm. § 67 Abs. 1 FPG erster Satz angesprochenen Adressatenkreises. Nachdem sich der Bw – nach Aktenlage - schon seit 10 Jahren im Bundesgebiet aufhält, kommt § 67 Abs. 1 vorletzter Satz FPG zur Anwendung.
3.3.3. Aus dem Sachverhalt ergeben sich nun aber keinerlei Umstände, die die Annahme rechtfertigen würden, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch den Verbleib des Bw im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Ein diesbezügliches Verhalten des Bw kann nicht konstatiert werden.
3.4. Es war also im Ergebnis der Berufung stattzugeben, der angefochtene Bescheid aufzuheben und spruchgemäß zu entscheiden.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
Hinweis:
1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt unterschrieben werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.
2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 14,30 Euro (Eingabegebühr) angefallen.
Hukuki itiraz yolu bilgilendirilmesi
İşbu karar karşı olağan kanun yolu açık değildir.
Talimat
(Verilen karara karşı kararın tebliğ gününden itibaren altı hafta içinde Anayasa Mahkemesi’nde ve/veya Danıştay‘da itiraz edilebilinir. Yasal istisnalar hariç, şikayetin vekil tayin edilmiş bir avukat tarafından yapılması gerekmektedir. Her itiraz için 220.- Euro dilekçe harcı ödenilir.)
Bernhard Pree