Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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Linz, 27.04.2012

E r k e n n t n i s

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Michaela Bismaier über die Berufungen von Frau X und Herrn X, Frau X und Herrn X sowie Frau X und Herrn X, sämtliche vertreten durch Rechtsanwälte Prof. Dr. X, Dr. X, X, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Freistadt vom 28.12.2011, Ge20-125-2011,  betreffend Zurückweisung des Antrages auf Herstellung des konsensgemäßen Zustandes  zu Recht erkannt:

 

            Den Berufungen wird keine Folge gegeben und der Bescheid

         (Spruchpunkt I.) der Bezirkshauptmannschaft Freistadt vom

         28.12.2011, Ge20-125-2011, wird bestätigt.

           

 

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs.4 und § 8 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991(AVG), § 360 Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994).  

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit Eingabe vom 25.10.2011 wurde an die Bezirkshauptmannschaft Freistadt von den Berufungswerbern (in der Folge: Bw) der Antrag gestellt, der X GmbH die sofortige Herstellung des rechtmäßigen Zustandes – nämlich keine Nutzung als "Umkehrschleife" für Lkw sowie als Mülllagerplatz – mit Bescheid vorzuschreiben und wurde gleichzeitig der Behörde eine widmungswidrige Nutzung des Immissionsschutzstreifens mitgeteilt.

Begründend wurde ausgeführt, die Betriebsanlage der X GmbH, Pregarten, liege unmittelbar angrenzend an die Wohnhäuser der betroffenen Nachbarn, Familien X und X.

Zum Schutz der betroffenen Nachbarn sei auf der Betriebsliegenschaft der X GmbH raumordnungsrechtlich ein Immissionsschutzstreifen als Schutz- und Pufferzone eingeführt worden, damit die betroffenen Nachbarn nicht unmittelbar vor ihren Wohnhäusern den Immissionen der Betriebsanlage ausgesetzt seien.

Die betroffenen Nachbarn teilen der BH Freistadt als zuständige Behörde in gewerberechtlichen Angelegenheiten mit, dass die X GmbH ihre Betriebsliegenschaft entgegen den Bestimmungen des Flächenwidmungsplanes nutze:

Das Betriebsgrundstück Nr. X, EZ X, GB X, der X GmbH sei im Flächenwidmungsplan der Stadtgemeinde X als Betriebsbaugebiet gemäß § 21 Abs. 2 Z.6 ROG 1994 gewidmet.

Jener Teil des Grundstücks der X GmbH, der unmittelbar zu den Grundstücken der Nachbarn der Betriebsanlage angrenze, sei als Schutzzone im Bauland Ff4 gewidmet. Die Widmung sei als Schutz- oder Pufferzone im Bauland bezeichnet. Entsprechend der oö. Planzeichenverordnung für Flächenwidmungspläne seien Schutz- oder Pufferzonen im Bauland gesondert zu kennzeichnen. Die Signatur "Ff" bedeute "Frei- und Grünfläche, Bepflanzungen" im Gegensatz zu "bM", was "bauliche Maßnahmen" bedeute. Die Schutzmaßnahmen seien in der Legende zu umschreiben. Die Legende der Stadtgemeinde X zum Flächenwidmungsplan siehe folgende Beschreibung für diese Widmung aus der Betriebsliegenschaft der X GmbH vor: "Frei- und Grünfläche als Abstand zu konkurrierenden Nutzungen (Betriebe, Verkehrsflächen…), Bepflanzungen zur optischen Gliederung mit standortgerechten Bäumen und Sträuchern; Nebengebäude, die zu keiner Verschlechterung für die angrenzende Nutzung führen, sind möglich."

Der Zweck des Immissionsschutzstreifens sei der Schutz der betroffenen Nachbarn vor den Immissionen der Betriebsliegenschaft der X GmbH. Entsprechend der Legende der Stadtgemeinde X müsse dieser Bereich eine Frei- und Grünfläche sein. Bepflanzungen sollten zur optischen Gliederung erfolgen. Nebengebäude (nicht Betriebsgebäude) seien eingeschränkt zulässig. Dieser Teil der Liegenschaft dürfe nicht der Nützung als Betriebsliegenschaft zugeführt werden.

 

Die X GmbH halte sich aber nicht an die Vorgaben des Flächenwidmungsplans und nutze diesen Teil der Betriebsliegenschaft als Umkehrschleife für die Lkw der Getreideanlieferung und der Loseverladesiloanlage.

Sämtliche Anlieferungen von Getreide durch Lkw würden in diesem Bereich stattfinden. Das vorgelegte Lichtbild zeige, wie sich unzählige Lkw zur Getreideanlieferung im Bereich des Immissionsschutzstreifens anstellen würden. Auch für die Abholung der im Betriebsanlagenteil Mühle verarbeiteten Endprodukte würden die Lkw durch die Schutzzone fahren, um in den Betriebsanlagenteil der Loseverladesiloanlage zu gelangen.

Außerdem finde in dieser Schutzzone die Müllentsorgung für die gesamte Betriebsanlage statt. Täglich um 6.00 Uhr morgens werde hier der gesamte Müll der Betriebsanlage mittels Stapler in Containern entsorgt. Dieser Vorgang dauere täglich länger als eine Stunde und dies meist an 6 Tagen pro Woche. Auch tagsüber fahre der Stapler immer wieder zwischen der Backmittelerzeugung, den Lagerhallen und den Müllcontainern hin und her. Die Container würden nach Befüllung durch die X GmbH mehrmals wöchentlich mit massiver Lärmentwicklung durch ein Entsorgungsunternehmen mittels Lkw entleert – ebenfalls meist in den frühen Morgenstunden mit einer Dauer von etwa einer halben Stunde. In der Widmung "Schutzzone im Bauland" sei es keinesfalls zulässig, dass der Großteil des Schwerverkehrs der gesamten Betriebsanlage genau über diese Schutzzone gelotst werde. Auch die lärmintensive Müllentsorgung entspreche nicht dem Zweck des Immissionsschutzstreifens und sei in dieser Widmungskategorie unzulässig.

In den gewerberechtlichen Verhandlungen zur Loseverladesiloanlage (hinsichtlich des Lkw-Verkehrs), Ge20-62-2001 und zur Backmittelerzeugung (hinsichtlich des Mülllagerplatzes), Ge20-57-1994 seien die örtlichen Gegebenheiten für die Lkw-Fahrten nur am Rande und für den Mülllagerplatz gar nicht behandelt worden und seien daher von diesen Genehmigungsbescheiden gar nicht umfasst. Der massive Lkw-Verkehr im Bereich der Schutzzone sei aber der Betriebsanlage zuzurechnen und müsse daher gewerbebehördlich genehmigt sein. Das Gleiche gelte für die Müllentsorgung.

 

Gleichzeitig mit diesem Antrag wurden von den Bw zahlreiche, näher bezeichnete Urkunden vorgelegt und beantragt,

die BH Freistadt möge

-             die betreffenden Nachbarn vor den Immissionen aus dem Immissionsschutzstreifen schützen die widmungswidrige Nutzung des Immissionsschutzstreifens sofort einstellen sowie

-             der X GmbH die sofortige Herstellung des rechtmäßigen Zustandes – nämlich keine Nutzung als Umkehrschleife für Lkw sowie als Mülllagerplatz – mit Bescheid vorschreiben.

 

1.1. Mit  Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Freistadt vom 28. Dezember 2011, Ge20-125-2011 wurde der Antrag der Bw vom 25. Oktober 2011 auf Herstellung des konsensgemäßen Zustandes betreffend die Betriebsanlage der X GmbH, X, im Grunde des § 8 AVG und § 360 GewO 1994 als unzulässig zurückgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass Maßnahmen nach § 360 GewO 1994 von Amts wegen zu treffen seien. Nachbarn stehe diesbezüglich kein Antragsrecht und auch kein Rechtsanspruch auf Einleitung eines Verfahrens bzw. auf Setzung von Maßnahmen nach § 360 GewO zu.

   

2. Gegen diesen Bescheid haben die Nachbarn durch ihre anwaltliche Vertretung  innerhalb offener Frist  Berufung eingebracht und darin ausgeführt, dass der vorliegende Bescheid im Spruchpunkt 1. angefochten werde. Spruchpunkt 2. des bekämpften Bescheides bleibe von der Berufung unberührt und werde nicht angefochten.

Die Bw seien vor den Immissionen der Betriebsanlage der X GmbH nicht ausreichend geschützt, sodass sie in ihrer Gesundheit, in ihrem Leben und in ihrem Eigentum beeinträchtigt, belästigt und gefährdet seien. Dies ergebe sich aus dem Verfahren bei der belangten Behörde ua. zur Gz. Ge20-69-2010. Besonders würden die Bw von den Immissionen gefährdet, die aus dem raumordnungsrechtlich gewidmeten  Bereich der "Schutz- oder Pufferzone im Bauland (Frei- und Grünfläche, incl. Grünfläche im Bauland)" widmungswidrig emittiert würden.

Die widmungswidrigen Immissionen auf die Wohnhäuser der Bw würden im Wesentlichen vom zur Loseverladesiloanlage und zur Getreideanlieferung zufahrende LKW-Verkehr sowie von der Müllentsorgung stammen. Der Großteil des Schwerverkehrs der gesamten Betriebsanlage werde über die Schutzzone gelotst. Die Müllcontainer würden unmittelbar vor den Fenstern der Wohnhäuser der Bw stehen. Die Müllentsorgung werde zumeist in den Morgenstunden durchgeführt, wie das Video der Bw zeige. Die vom widmungswidrigen Betrieb des Immissionsschutzstreifens ausgehenden Immissionen auf die Wohnhäuser der Bw seien daher besonders störend. Die Bw hätten die BH Freistadt mit ihrem Antrag vom 25. Oktober 2011 auf die widmungswidrige Nutzung des sogenannten Immissionsschutzstreifens aufmerksam gemacht und ein Einschreiten der belangten Behörde beantragt, um von dieser vor den Immissionen geschützt zu werden. Die Eingabe vom 25. Oktober 2011 enthalte weiters den Antrag, die widmungswidrige Nutzung des Immissionsschutzstreifens sofort einzustellen und die sofortige Herstellung des rechtmäßigen Zustandes mit Bescheid vorzuschreiben.

Die belangte Behörde habe aber den Antrag der Bw mangels Parteistellung zurückgewiesen und daher weder zugelassen noch inhaltlich bearbeitet, so dass die Bw nach wie vor von den widmungswidrigen Immissionen der Betriebsanlage beeinträchtigt, belästigt und gefährdet würden. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte die belangte Behörde den Antrag der Bw zulassen und inhaltlich eine Entscheidung darüber treffen müssen, wie die Bw vor den widmungswidrigen Immissionen der Betriebsanlage in ihrer Gesundheit, ihrem Leben und ihrem Eigentum geschützt werden können.

Die belangte Behörde habe in Folge der zitierten Antragstellung durch die Bw nach der GewO insofern einzuschreiten, als Verfahren zum Schutz der Nachbarn vor den Auswirkungen der Betriebsanlage einzuleiten und behördliche Zwangs- und Sicherheitsmaßnahmen zu setzen seien.

 

Aufgrund der Mitteilung des Missstandes rund um den Immissionsschutzstreifen durch die Bw habe die belangte Behörde die Möglichkeit, ein gewerberechtliches Verfahren zu wählen, in dem die Bw als Parteien Teil des Verfahrens seien oder ein Verfahren zu wählen, in welchem die Bw ihrer Parteienrechte beschnitten würden.

Die belangte Behörde habe gegenständlich die Schritte und Maßnahmen entsprechend § 360 GewO 1994 gewählt, wonach sie bei Verdacht einer verwaltungsbehördlichen Übertretung von Amts wegen einstweilige Zwangs- und Sicherheitsmaßnahmen ersetzen könne. In diesen Verfahren seien den Bw keine Parteienrechte zugestanden worden, obwohl allein ihre Beanstandungen und ihr Schutz vor den widmungswidrigen Immissionen für das Tätigwerden der Behörde ausschlaggebend gewesen seien.

Der Verwaltungsgerichtshof habe sich zu Gz. 92/04/0176 und 2001/04/0173 mit dieser Thematik befasst und sei zum Ergebnis gekommen, dass in diesen konkreten Fällen den Beschwerdeführern keine Parteienrechte zugestanden würden, weil § 360 GewO der Behörde ein rasches Einschreiten und ein ohne vorausgegangenes Verfahren und vor Erlassung des Bescheids notwendiges Eingreifen ermöglicht werden solle. Aus den zitierten Entscheidungen des VwGH ergebe sich für den konkreten, vorliegenden Fall, dass die belangte Behörde gegenständlich nicht nur im öffentlichen Interesse handle, sondern auch im Interesse der Bw. Aus diesem Grund müsse den Bw bei zweckentsprechender Anwendung des § 360 GewO 1994 insofern eine Parteistellung zugebilligt werden, als über den Stand des Verfahrens und über den zu erwartenden Schutz vor Immissionen zu informieren seien, seien sie es doch, die mit ihren Beanstandungen die belangte Behörde erst auf den Missstand hingewiesen haben, der von Amts wegen zu ahnden gewesen wäre. Die belangte Behörde gehe daher zu Unrecht davon aus, dass den Bw keine Parteistellung und damit kein Informationsrecht hinsichtlich ihres Schutzes vor den Immissionen zustehe. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte die belangte Behörde zum Ergebnis kommen müssen, dass das Interesse der Bw am Schutz vor den Immissionen aus der widmungswidrigen Nutzung des Immissionsschutzstreifens ebenso hoch einzustufen sei, als ein rein öffentliches Interesse.

Dem würden auch die zitierten VwGH-Entscheidungen nicht entgegen stehen, denn mit der beantragten Herstellung des konsensgemäßen Zustandes und der Information darüber werde ein rasches Einschreiten und Eingreifen der Behörde nicht verhindert. Im Gegenteil: durch die Informationen der Bw könne die belangte Behörde gezielt und rasch Maßnahmen zum Schutz der Bw ergreifen.

Selbst bei Setzung von einstweiligen Zwangs- und Sicherheitsmaßnahmen entsprechend § 360 GewO 1994 hätte die belangte Behörde den Bw Parteienrechte zugestehen müssen. Die belangte Behörde hätte mit den Informationen der Bw aber auch die Möglichkeit gehabt, ein Verfahren, in welchem den Bw volle Parteienrechte gewährt würden, einzuleiten. So z.B. ein Verfahren zur Vorschreibung anderer oder zusätzlicher Auflagen gemäß § 79 GewO 1994.

Es stehe daher in der Disposition der Gewerbebehörde ob sie dieses Verfahren wähle und die Bw Teil des Verfahrens mit allen Rechten und Pflichten sein lasse.

Diese Wahlmöglichkeit der Behörde stelle eine massive Benachteiligung der Bw dar und widerspreche dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Der Verstoß gegen das Rechtsstaatlichkeitsprinzip ergebe sich daraus, dass die belangte Behörde, ihr Ermessen rechtswidrig ausübe. Auch das verfassungsgemäß gewährleistete Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz werde verletzt: Alle geltenden Rechtsvorschriften müssen gegenüber allen Staatsbürgern in gleicher Weise angewendet werden. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte die belangte Behörde die Beanstandungen und Informationen der Bw – neben der Setzung von entsprechenden verwaltungsbehördlichen und verwaltungsstrafrechtlichen Verfahrensakten – zur Einleitung eines Verfahrens zum Schutz der Bw vor den Immissionen aus dem Immissionsschutzstreifen, so z.B. gemäß § 79 GewO 1994 nützen müssen.

 

Die Bw stellen daher die Anträge,

der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich möge

         eine mündliche Berufungsverhandlung anberaumen, den Antrag der Berufungswerber für zulässig erachten, der Berufung Folge geben und den angefochtenen Bescheid vom 28. Dezember 2011 zur Geschäftszahl Ge20-125-2011 im Spruchpunkt 1. dahingehend abändern, dass der Antrag der Berufungswerber auf Schutz vor Immissionen aus dem Immissionsschutzstreifen, auf Einstellung der widmungswidrigen Nutzung des Immissionsschutzstreifens und auf Vorschreibung des rechtmäßigen Zustandes mittels Bescheid stattgegeben werde, in eventu

         den angefochtenen Bescheid aufheben und die Verwaltungsrechtsache zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde 1. Instanz zurückverweisen.  

 

3. Die Bezirkshauptmannschaft Freistadt hat diese Berufungen gemeinsam mit dem zu Grunde liegenden Verwaltungsverfahrensakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zur Berufungsentscheidung vorgelegt.

 

4. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der belangten Behörde zu Ge20-125-2011 und in die von den Bw vorgelegten Unterlagen sowie Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.4.2012, an der die Rechtsvertreter der Bw sowie die Bw X und X sowie X und X teilgenommen haben und gehört wurden.

 

4.1. In der mündlichen Verhandlung wurde vom Rechtsvertreter ergänzend zum Berufungsvorbringen vorgebracht, dass gegenständlich das Schutzobjekt der übertretenen Norm und somit auch des missachteten Missionsschutzstreifens relevant sei. Daran würden sich Antragsrechte, Parteienrechte, Akteneinsichtsrechte und Informationsrechte orientieren. Schutzobjekte seien die Bw als betroffene Nachbarn und würden diese auch die vorhin genannten Rechte zustehen. Begründet werde dies u.a. durch eine Anmerkung von X im Recht der Umwelt 2012/2, Seite 84, zu VwGH 28.9.2011, 2009/04/0205, worin der Schutzzweck des Umweltschutzes herausgearbeitet und zum Schutz dieses Umweltrechtes auch ein Informationsrecht bzw. Antragsrecht abgeleitet werde. Ebenso werde auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 9.11.2011, XII ZR 136/09, Seite 10, RZ 20, 40 verwiesen, worin ebenfalls Auskunftsrechte auf ein Nachbarschaftsverhältnis gestützt würden. Diese beiden zitierten Rechtsquellen würden auch im gegenständlichen Fall den Schluss zulassen, dass den Bw die geltend gemachten Antragsrechte zustehen würden. Ein Versagen dieser Grundsätze würde fundamentalen Grundsätzen der österreichischen und europäischen Rechtsordnung und der EMRK widersprechen. Die Zuständigkeit der Behörde für die gegenständlichen Antragsrechte und Parteienrechte ergebe sich aus dem Umstand, dass auf dem Schutzstreifen Betriebstätigkeiten durchgeführt würden, dabei handle es sich im Besonderen um Lkw An- und Ablieferungen und Staplermanipulationen zu den Müllcontainern, die ebenfalls auf dem Immissionsschutzstreifen aufgestellt seien.

Vorgelegt wurde eine Darstellung der Bw X darüber, in welcher Art und Weise der Immissionsschutzstreifen früher verwendet worden sei sowie ein Urteil des Landesgerichtes Linz vom 23.2.2012, 5 Cg160/11s-8, welches noch nicht rechtskräftig ist, sowie ein Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Freistadt an die Bw. betreffend die Abfallsammelstelle am Areal der Betriebsanlage X.

Weiters wurde in der mündlichen Verhandlung von den Bw eindrücklich die für sie durch die Betriebsanlage X vorherrschende Lärmsituation geschildert.

 

5. Hierüber hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

5.1. Gemäß § 8 AVG sind Personen, die eine Tätigkeit der Behörde in Anspruch nehmen oder auf die sich die Tätigkeit der Behörde bezieht, Beteiligte und, soweit sie an der Sache vermöge eines Rechtsanspruchs oder eines rechtlichen Interesses beteiligt sind, Parteien.

 

Gemäß § 360 Abs. 1 GewO 1994 hat die Behörde, wenn der Verdacht einer Übertretung gemäß § 366 Abs. 1 Z 1, 2 oder 3 besteht, unabhängig von der Einleitung eines Strafverfahrens den Gewerbeausübenden bzw. den Anlageninhaber mit Verfahrensanordnung zur Herstellung des der Rechtsordnung entsprechenden Zustandes innerhalb einer angemessenen, von der Behörde zu bestimmenden Frist aufzufordern; eine solche Aufforderung hat auch dann zu ergehen, wenn der Verdacht einer Übertretung gemäß § 376 Z 25 besteht und nicht bereits ein einschlägiges Verfahren gemäß § 78 Abs. 2, § 79 c oder § 82 Abs. 3 anhängig ist. Kommt der Gewerbeausübende bzw. der Anlageninhaber dieser Aufforderung innerhalb der gesetzten Frist nicht nach, so hat die Behörde mit Bescheid die zur Herstellung des der Rechtsordnung entsprechenden Zustandes jeweils notwendigen Maßnahmen, wie die Stilllegung von Maschinen oder die Schließung von Teilen des Betriebes oder die Schließung des gesamten Betriebes zu verfügen.

 

5.2. Mit der genannten Eingabe vom 25.10.2011 an die Bezirkshauptmannschaft Freistadt haben die berufungsführenden Nachbarn die sofortige Herstellung des rechtmäßigen Zustandes betreffend die in der Betriebsanlage der X GmbH befindliche Lkw-Umkehrschleife sohin ein Vorgehen der Bezirkshauptmannschaft Freistadt nach § 360 Abs. 1 GewO 1994 beantragt. Dieser Antrag ist von der Bezirkshauptmannschaft Freistadt folgerichtig auch in Behandlung genommen und aus folgenden Gründen zu Recht als unzulässig zurückgewiesen worden:    

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in zahlreichen Erkenntnissen mit der Frage ausführlich auseinandergesetzt, ob Nachbarn im Verfahren nach § 360 GewO 1994 ein Antragsrecht zukommt (vgl. etwa das von den Bw in der Berufung selbst zitierte Erkenntnis des VwGH vom 24.10.2001, 2001/04/0173 und die dort zitierte Vorjudikatur).

Darin wurde eindeutig dargelegt, dass auf die Handhabung der nach § 360 GewO 1994 der Behörde zustehenden Zwangsgewalt zur Durchsetzung öffentlicher Interessen niemand einen Rechtsanspruch hat, der mit Mitteln des öffentlichen Rechtes verfolgbar wäre. Bei diesen Maßnahmen handelt es sich um solche, die zu treffen vom Gesetzgeber der Behörde bei Vorliegen der angeführten Tatbestände aus öffentlichen Interessen aufgetragen wurde, und deren Nichtergreifen eine Verletzung der Amtspflichten der Behörde darstellen würde. Der Behörde soll ein rasches Einschreiten und gegebenenfalls auch ein ohne vorausgegangenes Verfahren und vor Erlassung des Bescheides notwendiges Eingreifen ermöglichen, weshalb diese Maßnahmen auch bloß vorübergehender Natur sind.

 

Somit ergibt sich aus dem Gesetz, dass den Nachbarn weder ein Antragsrecht zukommt ein Verfahren nach § 360 GewO 1994 einzuleiten, noch dass ihnen ein Anspruch auf Setzung eines behördlichen Verwaltungsaktes bestimmten Inhaltes eingeräumt wäre.

 

Nach den Ausführungen des VwGH kommt den Nachbarn im Verfahren nach § 360 GewO 1994 weder ein materiellrechtlicher noch ein verfahrensrechtlicher Anspruch zu, sind sie also nicht Partei im Sinne des § 8 AVG und führt damit auch ein inhaltliches Beschwerdevorbringen über eine unzumutbare Belästigung bzw. Gesundheitsgefährdung der Nachbarn ins Leere.

Auch die von den Bw in der mündlichen Verhandlung zitierte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 28.8.2011, 2009/04/0205, vermag an dieser Rechtsauffassung nichts zu ändern, zumal sich diese Entscheidung nicht auf die Gewerbeordnung sondern auf das Umweltinformationsgesetz bezieht.

 

Im Lichte dieser VwGH-Judikatur war somit spruchgemäß zu entscheiden.

 

5.3. Unabhängig von der Frage des Antragsrechtes von Nachbarn im Verfahren nach § 360 GewO 1994 sieht sich das erkennende Mitglied des Oö. Verwaltungssenates auf Grund der Vorbringen der Bw in der mündlichen Verhandlung zu folgenden grundsätzlichen Rechtsausführungen veranlasst:

 

Die Bw bringen in der Berufung vor, es stehe in der Disposition der Gewerbebehörde, ob sie ein Verfahren nach § 360 oder nach § 79 GewO 1994 wähle und stelle diese "Wahlmöglichkeit der Behörde" eine massive Benachteiligung der Bw dar.

Dem ist entgegenzuhalten, dass weder ein Verfahren nach § 79 (Vorschreibung von nachträglichen Auflagen) noch ein Verfahren nach § 360 GewO 1994 (Verfügung einstweiliger Zwangs- und Sicherheitsmaßnahmen) im Ermessen der Behörde steht; vielmehr besteht bei Vorliegen der in den jeweiligen Gesetzesbestimmungen angeführten Tatbestände die Verpflichtung zur Setzung entsprechender Maßnahmen.

Umgekehrt bedeutet dies aber auch, dass es der Behörde nicht zusteht, ein Verfahren nach § 79 oder § 360 GewO 1994 einzuleiten und durchzuführen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

 

Die von den Bw angezogene widmungswidrige betriebliche Nutzung eines Teils des Betriebsgrundstückes der X GmbH stellt für sich weder eine Tatbestandsvoraussetzung nach § 79 noch nach § 360 GewO 1994 dar.

Der Gewerbebehörde kommt eine Zuständigkeit in raumordnungsrechtlichen Belangen nicht zu. Auch ein aus raumordnungsrechtlichen Bestimmungen resultierendes Verbot stellt nach der Gewerbeordnung keinen Grund für eine Versagung einer gewerblichen Betriebsanlagengenehmigung dar (VwGH 16.7.1996, 95/04/0241) und kann auch keinen Grund für ein Vorgehen der Behörde nach § 79 oder § 360 GewO 1994 bieten; die Frage der Widmungskonformität darf von der Gewerbebehörde nicht geprüft werden.

 

Soweit die Bw im Antrag vom 25.10.2011 ausführen, der Lkw-Verkehr im Bereich der Schutzzone und auch die Müllentsorgung in diesem Bereich sei nicht gewebebehördlich genehmigt, ist auf das vorgelegte, noch nicht rechtskräftige Urteil des Landesgerichtes Linz vom 23.2.2012, 5 Cg 160/11s-8 zu verweisen, worin in den Sachverhaltsfeststellungen ausgeführt wird, dass sowohl für die Lkw-Umkehrschleife als auch für die Müllentsorgung eine gewerbebehördliche Genehmigung besteht.

 

Ausdrücklich wird noch darauf hingewiesen, dass nach Auskunft der Gewerbebehörde erster Instanz betreffend die Betriebsanlage X GmbH sehr wohl ein Verfahren nach § 79 GewO 1994 zum Schutz der Nachbarn  anhängig ist, in dem den Nachbarn gesetzeskonform natürlich auch Parteistellung eingeräumt ist und diese von den Nachbarn durch Einbringen von Einwendungen auch wahrgenommen wurde.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

 

Mag. Michaela Bismaier

 

 

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