Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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Linz, 11.04.2012

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Bernhard Pree über die Berufung von 1.) X, geb. X, 2.) X, geb. X, 3.) X, geb. X, 4.) X, geb. X, 5.) X, geb. X sowie 6.) X, geb. X, alle StA. von Kasachstan und sämtlich vertreten durch X, Rechtsanwalt in X, gegen die Bescheide des Polizeidirektors von Linz vom 12. Dezember 2011, AZ.: 1032308/FRB, 1032307/FRB, 1032305/FRB, 1032306/FRB, 1056591/FRB sowie 1056592/FRB, betreffend die Erlassung von Rückkehrentscheidungen und von Einreiseverboten in der Dauer von jeweils 18 Monaten  gegen die Berufungswerber nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

 

         I.       Der Berufung wird stattgegeben und die angefochtenen

                   Bescheide werden ersatzlos aufgehoben.

 

         II.     Eine Rückkehrentscheidung ist jeweils auf Dauer unzulässig.

 

 

 

Rechtsgrundlage:

§ 68 Abs. 4 AVG

 

 

 

 

 


Entscheidungsgründe:

 

1.1.1. Mit Bescheiden des Polizeidirektors der Landeshauptstadt Linz vom 12. Dezember 2011, AZ.: 1032308/FRB, 1032307/FRB, 1032305/FRB, 1032306/FRB, 1056591/FRB, 1056592/FRB wurde gegen die Berufungswerber (im Folgenden: Bw) auf Basis der §§ 52 Abs. 1 iVm. 53 Abs. 1 und 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, jeweils eine Rückkehrentscheidung und ein auf 18 Monate befristetes Einreiseverbot für den gesamten Schengenraum ausgesprochen sowie gemäß § 55 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festgelegt.

 

Begründend führt die belangte Behörde zunächst zum Sachverhalt aus, dass  Erst-und Zweit-Bw gemeinsam mit zwei ihrer Kinder laut Aktenlage am 16.01.2002 über Tschechien illegal nach Österreich eingereist seien. Am 18.01.2002 hätten sie unter falschem Nationale beim Bundesasylamt, Außenstelle Traiskirchen den ersten Asylantrag gestellt. Die Asylverfahren der Familie seien am 19.09.2002 gem. §§ 7 und 8 bzw. 11 AsylG negativ entschieden worden. Am 22.08.2002 hätten die Bw wiederum unter falschem Nationale beim Bundesasylamt, Außenstelle Linz den zweiten Asylantrag gestellt. Dieses Asylverfahren sei am 07.11.2002 eingestellt worden.

Am 05.05.2003 hätten sie wieder unter dem zunächst verwendeten Nationale den dritten Asylantrag gestellt, welcher seit 15.10.2011 - rückwirkend betrachtet - seit 23.03.2007 gem. 68 AVG rechtskräftig zurückgewiesen worden sei. Im dritten Asylverfahren seien die jetzigen Identitäten bekannt geworden, indem entsprechende Dokumente aufgetaucht seien.

 

Am 24.05.2005 sei für die Fünft-Bw beim BAA Außenstelle Linz ein Asylantrag gestellt worden: Das diesbezügliche Verfahren sei am 13.04.2011 gem. §§ 7 und 8 AsylG negativ beschieden worden.

 

Am 16.07.2005 sei für die Sechst-Bw beim BAA Außenstelle Linz ein Asylantrag gestellt worden. Das diesbezügliche Verfahren sei am 13.04.2011 gem. §§ 7 und 8 AsylG negativ entschieden worden.

 

Mit Schreiben vom 24.10.2011 sei den Bw bzw. ihrem Rechtsvertreter mitgeteilt worden, dass beabsichtigt sei, gegen sie eine Rückkehrentscheidung zu erlassen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

 

In der Stellungnahme vom 09.11.2011 habe der Rechtsvertreter der Bw im Wesentlichen angegeben, dass der Erst-Bw 10 Jahre die Grundschule in X und 5 Jahre ein Sportinstitut besucht habe. Erst- und Zweit-Bw hätten die A2 Prüfung bereits erfolgreich abgelegt. Aufgrund des ungeklärten Aufenthaltsstatus würde der Erst-Bw derzeit über kein Erwerbseinkommen verfügen. Er sei aber jahrelang einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen und beziehe derzeit Notstandshilfe.

 

In Kasachstan würden noch Familienmitglieder der Zweit-Bw leben, auf welche aber im Falle einer Rückkehr nicht zurückgegriffen werden könne, zumal einerseits sehr wenig Kontakt bestehe, andererseits die Geschwister eigene Familien zu erhalten hätten und der Vater wieder verheiratet sei und eine neue Familie gegründet habe. Die Bw seien sozial bestens integriert.

 

Diesbezüglich würden die Bw auf beigelegte Unterstützungsschreiben verweisen. Die vier Kinder würden in Österreich die Schule besuchen. Aufgrund der langen Aufenthaltsdauer, der gelungenen beruflichen und sozialen Integration in Österreich, sowie der Unbescholtenheit und aufgrund dessen, dass in der Heimat auf kein soziales Netzwerk zurückgegriffen werden könnte, werde ersucht die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären.

 

1.1.2. Nachdem sich die Bw nun seit fast 10 Jahren bzw. Zeit ihres Lebens  in Österreich aufhielten, bedeute die Rückkehrentscheidung einen nicht unerheblichen Eingriff in deren Privatleben, der allerdings dadurch zu relativieren sei, dass dieser Aufenthalt auf Rechtsgrundlage von offensichtlich unbegründeten Asylanträgen beruhe.

 

Dazu werde angeführt, dass Erst- und Zweit-Bw - wie eingangs erwähnt – am 18.01.2002 - unter Verwendung von falschen Nationalen - den ersten Antrag auf internationalen Schutz gestellt hätten. Am 12.07.2002 seien die ersten abweisenden Bescheide zugestellt worden, wogegen am 18.07.2002 Berufung eingebracht worden sei. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte den Bw bewusst sein müssen, dass es sich bei der Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG um eine mit der Dauer des Verfahrens befristete Berechtigung handle. Sie hätten keine rechtliche Möglichkeit gehabt, sich in Österreich aufzuhalten, wenn sie nicht einen Asylantrag gestellt hätten.

 

Bereits am 19.09.2002 - also nach nur 8 Monaten nach Antragstellung – seien  die ersten Asylverfahren in zweiter Instanz rechtskräftig negativ abgeschlossen worden. Bereits seit diesem Zeitpunkt hätten die Bw gewusst, dass ihnen Österreich kein Asyl gewähren könne. Dennoch hätten sie am 05.05.2003 den dritten Asylantrag gestellt. Der zweite Asylantrag - unter falschen Namen - sei während des laufenden ersten Asylantrages gestellt worden, weshalb dieses Verfahren am 07.11.2002 eingestellt worden sei. Nachdem die Bw im dritten Asylverfahren alle Instanzen bis zum Verwaltungsgerichtshof angerufen hätten, sei dieses nun seit 13.04.2011 abgeschlossen, indem der VwGH die Behandlung der Beschwerde abgelehnt habe.

 

Gegen das Überwiegen der Interessen an einem Verbleib in Österreich wegen des Familien- und Privatlebens bzw. für das Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der Fremdenpolizei und eines geordneten Zuwanderungswesens spreche, dass die Bw als Asylwerber nach Österreich gekommen seien, obwohl keine Verfolgung gedroht habe und sie daher hätten wissen müssen, dass ihr Verbleib zeitlich befristet sei. Weiters spreche für die öffentlichen Interessen der Umstand, dass sie illegal eingereist seien und niemals ein anderes als das vorübergehende Aufenthaltsrecht in Österreich gehabt hätten. Ferner spreche gegen das Überwiegen der privaten Interessen der Umstand, dass die Bw die Asylverfahren missbräuchlich - durch immer wieder neue Asylantragstellung mit verschiedenen Nationale – verschleppt hätten und die lange Dauer der Verfahren daher den Bw selbst anzulasten sei.

 

Erst- und Zweit-Bw seien zwar in Österreich beruflich tätig gewesen - laut Versicherungsdatenauszug gehe hervor, dass der Erst-Bw zuletzt vom 22.06.2009 bis 05.12.2009 als Arbeiter bei der Fa. X, die Zweit-Bw zuletzt als geringfügig beschäftigte Arbeiterin von 13. Mai 2011 bis 19. August 2011, beschäftigt gewesen sei, seit Dezember 2009 beziehe der Erst-Bw Arbeitslosengeld, Krankengeld und jetzt Notstandshilfe. Es könne daher von keiner beruflichen oder sozialen Verfestigung, die eine „gelungene Integration" erkennen lassen würde, gesprochen werden.

 

Die berufliche Integration und somit die (regelmäßige) Erwerbstätigkeit und die damit verbundene Selbsterhaltungsfähigkeit sei jedoch ein wichtiger Aspekt für die Integration. Auch ein Vorvertrag eines Arbeiterdienstvertrages könne daran nichts ändern, stelle dies doch ein zukünftiges und ungewisses Ereignis dar.

 

Es sei außerdem kein Sachverhalt zum Vorschein gekommen, wonach sich Erst- und Zweit-Bw in besonderem Maße am sozialen Leben in Österreich beteiligt bzw. engagiert hätten, sodass sie im Falle der Rückkehrentscheidung eine nicht mehr zu schließende Lücke hinterlassen würden und es seien auch keine entsprechenden Bescheinigungsmittel beigebracht worden, durch welche ein besonderer Grad der Integration in Österreich belegt werden könnte. Allfällige behauptete freundschaftliche Beziehungen seien jedenfalls zu einem Zeitpunkt entstanden, in dem sich die Bw Ihrer prekären aufenthaltsrechtlichen Stellung hätten bewusst sein müssen.

 

Weiters hätten Erst- und Zweit-Bw ihr Leben bis zum Alter von ca. 37 bzw. 30 Jahren (Dritt- und Viert-Bw bis 9 bzw. 7 Jahren) in Kasachstan verbracht, seien dort sozialisiert und sprächen die Landessprache. Es sei davon auszugehen, dass in Kasachstan Bezugspersonen in Form eines Freundschafts- und Bekanntenkreises existieren würden, da nichts darauf hindeute, dass die Familie vor ihrer Ausreise in totaler Isolation gelebt habe. Außerdem lebten noch Familienangehörige der Zweit-Bw in Kasachstan. Es deute jedenfalls nichts darauf hin, dass es im Falle einer Rückkehr nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft neu zu integrieren.

Es werde nicht verkannt, dass sich die Familie mittlerweile seit fast 10 Jahren in Österreich aufhalte, jedoch sei - wie zuvor dargestellt - ein besonderes Maß an Integration nicht dargetan worden.

 

Auch der Umstand, dass die Bw die deutsche Sprache beherrschen würden, vermöge ihre persönlichen Interessen am Verbleib in Österreich nicht maßgeblich zu verstärken.

 

Im Strafregister der Republik Österreich scheine über den Erst-Bw folgende Verurteilung auf:

 

BG Linz 19 U 96/2007H vom 01.06.2007 wegen § 88/1 U 3 (81/2) StGB, rechtskräftig seit 05.06.2007 zu einer Geldstrafe von 60 Tags zu je € 2,00
(€ 120,-) im NEF 30 Tage Ersatzfreiheitsstrafe

 

Bei der BPD Linz schienen über den Erst-Bw folgende verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen auf:

 

1.       S 0039849/LZ/07 wegen § 38a Abs. 2 SPG, Geldstrafe von € 60,- und § 38a Abs. 2 SPG, Geldstrafe € 60,- rechtskräftig seit 17.01.2008.

 

2.       S 0032071/LZ/08 wegen § 42 Abs. 1 KFG, Geldstrafe von € 36,- , rechtskräftig seit 29.09.2008.

 

3.       S 0008535/LZ/11 wegen § 38a Abs. 2 SPG, Geldstrafe von € 40,-, rechtskräftig seit 08.04.2011.

 

Am 16.10.2007 sei gegen den Erst-Bw eine Wegweisung und ein Betretungsverbot von der mit seiner Familie damals bewohnten Wohnung ausgesprochen worden, gegen welches er am 17.10.2007 um 00:10 Uhr und am 17.10.2007 um 06:15 Uhr verstoßen habe, (siehe Punkt 1 der verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen)

 

Am 08.02.2011 sei gegen den Erst-Bw neuerlich eine Wegweisung und ein Betretungsverbot von der mit der Familie gemeinsam bewohnten Wohnung ausgesprochen worden, gegen welches er am 12.02.2011 verstoßen habe, (siehe Punkt 3 der verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen)

 

Außerdem scheine bei der BPD Linz über ihn ein seit 10.11.2007 rechtskräftiges Waffenverbot auf.

 

Diese Verurteilung und die Verwaltungsübertretungen ließen eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber den österreichischen (Verwaltungs-) Gesetzen erkennen, was folglich (wenn auch im geringen Maße) gegen eine gelungene Integration spreche, zumal er diese Übertretungen in Kenntnis des unsicheren Aufenthaltsstatus begangen habe.

 

Die Bw lebten zur Zeit wieder gemeinsam in X.

Gegen sämtliche Bw würden Rückkehrentscheidungen erlassen werden, weshalb nicht von einem Eingriff in ihr Familienleben gesprochen werden könne, da sich alle Familienmitglieder illegal in Österreich befänden.

 

Weitere familiäre Beziehungen zur Republik Österreich seien von den Bw keine behauptet worden bzw. aus der Aktenlage auch nicht ersichtlich gewesen.

 

Dem Fünft- und der Sechst-Bw sei – aufgrund ihres noch jungen Alters und der damit verbundenen Flexibilität – eine Neuorientierung in einer für sie fremden Kultur zumutbar.

 

Die Bw hielten sich seit 13.04.2011 insofern rechtswidrig im Bundesgebiet der Republik Österreich auf, als ihnen seit diesem Zeitpunkt weder ein Einreisetitel nach dem FPG noch ein Aufenthaltstitel nach dem NAG erteilt worden sei. Auch komme ihnen nach der Aktenlage kein Aufenthaltsrecht aufgrund einer anderen gesetzlichen Bestimmung zu bzw. sei von ihnen kein derartiges behauptet worden.

 

Zusammenfassend könne daher nur festgestellt werden, dass die in Rede stehenden Rückkehrentscheidungen nicht nur zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und somit im Lichte des § 61 Abs. 1 FPG 2005 zulässig schienen, sondern auch unter Beachtung der Bestimmungen des § 61 Abs. 2 und 3 FPG 2005 zulässig seien.

 

1.2. Gegen diesen Bescheid erhoben die Bw durch ihren rechtsfreundlichen  Vertreter Berufung mit Schreiben vom 28. Dezember 2011.

 

Zunächst werden darin die Anträge gestellt, die Berufungsbehörde möge:

a.) eine mündliche Berufungsverhandlung anberaumen und durchführen

b.) die angefochtenen Bescheide der Bundespolizeidirektion Linz vom 12.12.2011, AZ: 1032308/FRB, 1032307/FRB, 1032305/FRB, AZ: 1032306/FRB, 1056591/FRB, AZ: 1056592/FRB dahingehend abändern, dass festgestellt wird, dass eine Rückkehrentscheidung dauerhaft unzulässig ist, sowie

c.) Punkt 2 des Bescheides mit dem ein Einreiseverbot für den gesamten Schengenraum erlassen wird ersatzlos beheben, in eventu

d.) die angefochtenen Bescheide der Erstbehörde aufheben und dieser die neuerliche Entscheidung auftragen.

 

In der Folge verweisen die Bw auf sämtliche bisherige Vorbringen und die vorgelegten Integrationsdokumente insbesondere die Stellungnahme vom 09.11.2011 und erheben diese zum integrierenden Bestandteil dieses Berufungsschriftsatzes. Bei richtiger rechtlicher Würdigung hätte eine Rückkehrentscheidung und das damit verbundene Einreiseverbot nicht erlassen werden dürfen. Die Bw verweisen neuerlich darauf, dass sie seit nunmehr nahezu 10 Jahren in Österreich aufhältig und hier entsprechend integriert seien. Zwei der Kinder seien in Österreich geboren und hätten keinerlei Bezug zu Kasachstan. Auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 07.10.2010, ZL B950 – 954, werde in diesem Zusammenhang verwiesen, wenn der Verfassungs-gerichtshof ausführe, dass bei Interessenabwägung stärker gewichtet werden müsse, dass die mj. Beschwerdeführer den Großteil ihres Lebens in Österreich verbracht hätten und sich mitten in ihrer Schulausbildung befänden und hier sowohl schulisch als auch gesellschaftlich sehr gut integriert seien.

 

Auch sei darauf hinzuweisen, dass die Dauer des Asylverfahrens von den Bw nicht habe beeinflusst werden können und sich während der Dauer des Asylverfahrens die Integration entwickelt habe. Auch wenn richtig sei, dass die ersten Asylverfahren negativ abgeschlossen worden seien, sei in diesem Zusammenhang aber zu berücksichtigen, dass das letzte Asylverfahren inhaltlich entschieden und nicht wegen entschiedener Sache zurückgewiesen worden sei. Es könne den Bw daher nicht vorgehalten werden, dass sie sich im Zuge dieser langen Dauer in Österreich integriert hätten.

 

Die Bw sprächen auch bereits sehr gut Deutsch bzw. besuchten hier in Österreich die Schule. Erst- und Zweit-Bw hätten bereits die A2 Prüfung abgeschlossen und es sei auch insofern von einer beruflichen Integration auszugehen, als der Erst-Bw einen Arbeitsvorvertrag habe vorlegen können bzw. jahrelang in Österreich einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen sei. Im Falle der Erteilung der entsprechenden Bewilligung hätte er auch umgehend die Möglichkeit, den Lebensunterhalt seiner Familie aus eigenem sicher zu stellen. Es könne daher auch von einer gelungenen beruflichen Integration gesprochen werden. Auch sozial seien die Bw bestens integriert, wozu auch auf die bereits vorgelegten Unterstützungsschreiben verwiesen werde. Im Gegensatz zur gelungenen Integration in Österreich verfüge die Familie in Kasachstan über keinerlei soziales Netzwerk auf das sie zugreifen könnte.

 

Vor dem Hintergrund dieser gelungenen beruflichen und sozialen Integration könne eine Gesamtabwägung der im Gesetz angeführten Kriterien durchaus zu Gunsten der Bw vorgenommen werden. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass sämtliche Kinder in Österreich die Schule besuchen würden bzw. auch hier geboren seien und den Großteil ihres Lebens in Österreich verbracht hätte. Alleine die drei verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen betreffend den Erst-Bw, die zu Geldstrafen in der Höhe von € 60, 36 und 40 geführt hätten, vermögen dabei die Gesamtabwägung der Kriterien zur Beurteilung des Privat- und Familienlebens der gesamten Familie nicht derart negativ zu beeinflussen, dass eine Rückkehrentscheidung unumgänglich wäre.

 

 

2.1. Die belangte Behörde legte den in Rede stehenden Verwaltungsakt mit Schreiben vom 28. Dezember 2011 dem UVS des Landes Oberösterreich vor.

 

2.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde.

 

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte – entgegen dem Parteienantrag - abgesehen werden, weil eine solche nicht erforderlich war, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lässt (§ 67d AVG).

 

Im Übrigen ist festzuhalten, dass den sachverhaltsbezogenen Vorbringen der Bw in vollem Umfang Glaubwürdigkeit zugemessen wird, weshalb nach ständiger Rechtsprechung der Höchstgerichte der UVS des Landes Oberösterreich auch entgegen dem Parteienvorbringen von der Durchführung der öffentlichen mündlichen Verhandlung absehen konnte. 

 

2.3. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1.1.1. und 1.2. dieses Erkenntnisses dargestellten völlig unbestrittenen Sachverhalt aus.

 

Der Erst-Bw ging laut aktuellem Versicherungsdatenauszug während des Aufenthalts im Bundesgebiet rund 4,5 Jahre einer Beschäftigung nach, die Zweit-Bw war lediglich im Jahr 2011 für 3 Monate geringfügig beschäftigt, wobei ihr aber knapp 6 Jahre wegen der Kindererziehung angerechnet werden.

 

2.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

 

3. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

3.1.1. Gemäß § 52 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 112/2011, ist gegen einen Drittstaatsangehörigen, sofern nicht anderes bestimmt ist, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Berufung gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 66 Abs. 4 AVG auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

 

3.1.2. Im vorliegenden Fall ist zunächst auch von den Bw selbst unbestritten, dass sie aktuell über keinerlei Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügen und somit grundsätzlich unrechtmäßig aufhältig sind.

 

Es ist jedoch bei der Beurteilung der Rückkehrentscheidung bzw. des Einreiseverbotes auch auf Art. 8 EMRK sowie § 61 FPG Bedacht zu nehmen. 

 

3.2.1. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist allerdings ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs. 1 (nur) statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

3.2.2. Gemäß § 61 Abs. 1 FPG ist, sofern durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.      die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der        bisherige          Aufenthalt des Fremden rechtmäßig war;

2.      das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.      die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.      der Grad der Integration;

5.      die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.      die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.      Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des      Asyl-          Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.      die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem   Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren   Aufenthaltstatus bewusst waren;

9.      die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden       zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 3 FPG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein aufgrund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51ff. NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

3.3.1. Im Sinne der zitierten Normen ist eine Interessensabwägung – basierend auf einer einzelfallbezogenen  Gesamtbetrachtung – vorzunehmen.

 

Es ist festzuhalten, dass es gestützt auf die ständige Rechtsprechung der Höchstgerichte grundsätzlich zulässig und erforderlich ist, Maßnahmen zu ergreifen, um den unrechtmäßigen Aufenthalt einer Person zu beenden, da ein solcher rechtswidriger Status fraglos dazu geeignet ist, die öffentliche Ordnung eines Staates massiv zu beeinträchtigen. Daraus folgt, dass das diesbezügliche öffentliche Interesse hoch anzusetzen ist und eine Rückkehrentscheidung grundsätzlich ein nicht inadäquates Mittel darstellt, um einen rechtskonformen Zustand wiederherzustellen. Dies gilt jedoch nur insofern, als die privaten bzw. familiären Interessen im jeweils konkreten Einzelfall nicht als höherrangig anzusehen sind.

 

3.3.2. Im vorliegenden Fall hatte die belangte Behörde festgestellt, dass lediglich das Privatleben der Bw von einer Ausweisung betroffen wäre, zumal ja sämtliche Mitglieder der Kernfamilie von der Maßnahme gleichermaßen betroffen seien, wodurch das Familienleben an sich nicht tangiert sein könne. Insofern ist ihr zu folgen; allerdings mit dem Bemerken, dass die jeweiligen Eingriffe in das Privatleben des / der einzelnen Bw auch unmittelbar die anderen Familienmitglieder zu beeinträchtigen geeignet sind. Sollte sich also ergeben, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nur gegen einige Familienmitglieder zulässig wäre, würde dies unweigerlich einen Eingriff in das Familienleben derjenigen bedeuten, gegen die eine derartige Maßnahme nicht zulässig ist.

 

3.3.3.1. Hinsichtlich der Dauer und der Natur des Aufenthalts können Erst-, Zweit-, Dritt- und Viert-Bw auf eine relativ lange Dauer von 10 Jahren verweisen, wobei der größte Teil davon – wegen des aufrechten Asylverfahrens – grundsätzlich legal war. Hier muss allerdings – der belangten Behörde folgend – angemerkt werden, dass sich die Bw, die mit falschen Nationalen mutwillig Verfahren provozierten, des unsicheren Aufenthalts durchaus hätten bewusst sein müssen.

 

Für Fünft- und Sechst-Bw, die in Österreich im Jahr 2003 bzw. 2005 zur Welt kamen, erstreckt sich der Aufenthalt über die gesamte Lebensdauer.

 

Hinsichtlich des allfälligen unsicheren Aufenthalts der Bw ist insbesondere auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen. Demnach hat der dem § 61 Abs. 2 FPG vergleichbare § 66 Abs. 2 FrPolG 2005 schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während eines unsicheren Aufenthaltsstatus erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen wäre und ein solcherart begründetes privates bzw. familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte (vgl. auch E 22. Dezember 2009, 2009/21/0348).

Der rund 10 Jahre und 9 Monate dauernde Aufenthalt sowie die mehr als 9 Jahre lang kontinuierlich ausgeübte unselbstständige Erwerbstätigkeit (in Verbindung mit weiteren Aspekten der erreichten Integration) verleihen den persönlichen Interessen des Fremden am Verbleib im Bundesgebiet ein derart großes Gewicht, dass die Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FrPolG 2005 - auch bei einem Eingriff nur in das Privatleben - unverhältnismäßig erscheint (vgl. VwGH vom 20. Jänner 2011, 2010/22/0158).

 

3.3.3.2. Grundsätzlich ist bei der Beurteilung zwischen den einzelnen Personen zu differenzieren. Der Erst-Bw kann auf eine bestenfalls durchschnittliche berufliche Integration verweisen, da er während seines Aufenthalts nur rund 4,5 Jahre einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachging und seit rund 3 Jahren kein Einkommen mehr erzielt. Von einer Selbsterhaltungsfähigkeit kann in seinem Fall wohl nicht gesprochen werden.

 

Die soziale Integration scheint wegen seiner nachgewisenen Sprachkenntnisse und aufgrund des langen Aufenthalts und den damit zwangsläufig verbundenen Kontakten im Bundesgebiet als gegeben. Nachdem er erst im Alter von 37 Jahren nach Österreich kam und davor im Heimatland lebte, wo er kulturell sozialisiert ist, scheint eine Reintegration in Kasachstan jedenfalls zumutbar.

 

Er ist strafrechtlich nicht unbescholten, und es wurden gegen ihn zweifach Wegweisungen bzw. Betretungsverbote ausgesprochen, gegen die er verstieß. Auch wurde gegen ihn ein Waffenverbot ausgesprochen.

 

Das Privat- und Familienleben entstand nicht erst während des unsicheren aufenthaltsrechtlichen Status, intensivierte sich jedoch während diesem. Die Dauer der Asylverfahren kann nicht so sehr Versäumnissen der Behörden, sondern taktischen Manövern des Erst-Bw zugerechnet werden.

 

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Erst-Bw wäre bei isolierter Betrachtung also im Rahmen einer Interessensabwägung als zulässig zu werten.

 

3.3.3.3. Bei der Zweit-Bw fällt eine Betrachtung schon dem Grunde nach anders aus. Wenn auch sie lediglich drei Monate einer Beschäftigung nachging, muss die Dauer der Kindererziehung in Anrechnung gebracht werden, was ein anderes Licht auf ihre berufliche Integration wirft. Auch sie spricht nachgewiesener Maßen gut Deutsch. Im Gegensatz zum Erst-Bw liegen bei ihr keine strafgerichtlichen oder verwaltungsstrafrechtlichen Verurteilungen vor.

 

Eine Reintegration scheint jedoch auch in ihrem Fall als zumutbar, zumal sie bis zum 30. Lebensjahr in Kasachstan lebte, dort noch Verwandte hat und jedenfalls in ihrem Heimatland kulturell sozialisiert ist. Auch muss sie sich entgegenhalten lassen, dass auch sie im Asylverfahren unter falschen Identitäten auftrat. Deshalb kann auch hier kein Versäumnis der Behörden entdeckt werden.

 

Im Fall der Zweit-Bw kann – bei eingehender Prüfung – doch ein – wenn auch knappes – Überwiegen der persönlichen Interessen über die öffentlichen konstatiert werden.

 

3.3.3.4. Dritt- und Viert-Bw kamen im Alter von 9 bzw. 7 Jahren nach Österreich, absolvierten hier also den Großteil ihrer Schulausbildung und verbrachten die prägenden Jugendjahre im Bundesgebiet. Für sie wäre - nach dem 10-jährigen Aufenthalt in Österreich - eine Reintegration beträchtlich erschwert. Bei Jugendlichen, die regelmäßig nicht am Erwerbsleben teilhaben, kommt der sozialen Integration eine besondere Bedeutung zu.

 

3.3.3.5. Gleiches gilt im Ergebnis für die Fünft- und Sechst-Bw, die die gesamte Lebensdauer im Bundesgebiet verbrachten, hier den Kindergarten und die Volksschule besuchten und fraglos in Kasachstan nicht sozialisiert sein könnten.

 

Die Rückkehrentscheidungen gegen die Kinder wären somit nicht als zumutbar einzustufen.

 

3.3.3.6. Im Ergebnis bedeutet dies aber, dass der Erst-Bw von der Integrationsverfestigung seiner Gattin und vor allem der Kinder, mit denen er in einem gemeinsamen Haushalt lebt, profitiert.

 

3.3.4. Im Ergebnis ist also eine Rückkehrentscheidung im Hinblick auf das Privatleben der Bw auf Dauer als nicht zulässig zu betrachten.

 

3.4.1. Es war daher der Berufung stattzugeben, die angefochtenen Bescheide aufzuheben und spruchgemäß zu entscheiden.

 

3.4.2. Auf die Übersetzung des Spruchs sowie der Rechtsmittelbelehrung konnte mit Bedacht auf § 57 Abs. 1 FPG verzichtet werden, zumal die Bw über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt unterschrieben werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 85,80 Euro (6 x Eingabegebühr) angefallen.

Bernhard Pree

 

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