Linz, 03.07.2012
E R K E N N T N I S
Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des X, geboren am X, Staatsangehöriger der Türkei, vertreten durch X, gegen den Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 24. Februar 2012, AZ: 1-1071179/FRB, betreffend die Erlassung eines auf die Dauer von sieben Jahren befristeten Aufenthaltsverbotes nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:
Die Berufung wird abgewiesen und der angefochtene Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, als der Spruch wie folgt lautet:
"Gemäß § 65b in Verbindung mit § 67 Abs. 1 und 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005, BGBl I 100 in der Fassung BGBl I 2012/49, wird gegen Sie ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Gemäß § 70 Abs. 3 leg cit wird Ihnen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt."
Itiraziniz reddedilmistir ve itiraz edilen karar oldugu gibi tasdik edilerek, karar asagidaki gibi cikarilmistir:
„Yabancilar Kanunu´nun § 65b ek olarak § 67 Abs.1 ve 2 2005, BGBI 100´e , ayrica 2012/49´a göre, aleyhinize yedi yil süreli ikamet yasagi verilecektir.
Ilgili § 70 Abs.3 yasaya göre size karsi ugulamanin bir ay ertelenmesine karar verilmistir.“
Rechtsgrundlagen/Hukuki dayanak:
§ 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG iVm §§ 65b, 67 Abs. 1 und 2, 70 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG (BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 49/2012).
Entscheidungsgründe:
1. Mit Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 23. Februar 2012, AZ: 1-1071179/FRB, dem Berufungswerber (im Folgenden: Bw) persönlich in der JA Linz zugestellt am 28. Februar 2012, wurde gegen den Bw auf Grundlage der §§ 63 Abs. 1, 2 und 3 in Verbindung mit § 53 Abs. 3 Z 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (im Folgenden: FPG) ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Im angefochtenen Bescheid führt die belangte Behörde wie folgt aus:
2.1. Gegen den am 28. Februar 2012 anstelle der rechtsfreundlichen Vertretung des Bw fälschlicherweise dem Bw persönlich zugestellten Bescheid erhob dieser durch seine rechtsfreundliche Vertretung, der der Bescheid tatsächlich zugekommen ist (E-Mail von Dr. X vom 22. Juni 2012), mit am 12. März 2012 zur Post gegebenem Schreiben rechtzeitig das Rechtsmittel der Berufung.
2.2. Die Berufung begründet der Bw inhaltlich wie folgt:
3.1. Die belangte Behörde hat die Berufung samt Verfahrensakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vorgelegt.
3.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt und Kontaktaufnahme mit der rechtsfreundlichen Vertretung des Bw.
Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lässt (§ 67d AVG). Eine solche wurde im Übrigen vom rechtsfreundlich vertretenen Bw auch nicht beantragt.
Ausdrücklich festgehalten wird in diesem Zusammenhang, dass sämtliche Vorbringen des Bw hinsichtlich seiner Integration und familiären Situation vom Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich nicht in Zweifel gezogen werden. Durch die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zum Nachweis seiner Vorbringen könnte der Bw daher nicht besser gestellt sein als ohne die Durchführung einer solchen.
3.3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich geht bei seiner Entscheidung von dem in den Punkten 1. und 2.2. dargestellten, im Wesentlichen unstrittigen Sachverhalt aus.
Ergänzend wird festgehalten, dass der Bw am 17. Juni 2011 festgenommen wurde und dass dem Urteil des LG Linz vom 14. November 2011, 22 Hv 120/11d, zu entnehmen ist, dass der Bw zur Abschwächung seiner Tathandlungen vorbrachte, "pro Woche im Schnitt 2 bis 3 Mal einen Joint [zu] rauch[en]."
3.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).
4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:
4.1. Gemäß § 63 Abs. 1 FPG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 kann gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt
1. die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder
2. anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.
Gemäß § 63 Abs. 2 FPG sind bestimmte Tatsachen im Sinne des Abs. 1 insbesondere jene des § 53 Abs. 2 Z 1, 2, 4, 5, 7 bis 9 und Abs. 3. § 53 Abs. 5 und 6 gelten.
Gemäß § 63 Abs. 3 FPG ist ein Aufenthaltsverbot gemäß Abs. 1 in den Fällen des
§ 53 Abs. 2 Z 1, 2, 4, 5, 7 bis 9 für die Dauer von mindestens 18 Monaten, höchstens jedoch für fünf Jahre, in den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 1 bis 4 für höchstens zehn Jahre und in den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 5 bis 8 auch unbefristet zu erlassen. Die Frist beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.
4.2. Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass der Bw mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet ist. Er ist daher Familienangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 12 FPG. Entgegen der Annahme der belangten Behörde unterfällt der Bw daher nicht dem unter der Überschrift "Aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen Drittstaatsangehörige mit Aufenthaltstitel" stehenden 3. Abschnitt des FPG, sondern ist aufgrund des § 65b FPG (siehe Punkt 4.3.) dem 4. Abschnitt dieses Gesetzes ("Aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige sowie Familienangehörige von nicht unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und Österreichern") zu unterstellen.
Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Wurde der Fremde von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt, ist nach § 67 Abs. 3 leg cit die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes möglich.
4.4.1. Nachdem sich der Bw nach eigenen Angaben erst seit 23. Februar 2010 und damit nicht schon seit zehn Jahren im Bundesgebiet aufhält, kommt § 67 Abs. 1 vorletzter Satz FPG nicht zur Anwendung. Es ist – im Hinblick auf § 67 Abs. 1 FPG – daher zu prüfen, ob das Verhalten des Bw aus derzeitiger Sicht geeignet erscheint, die öffentliche Ordnung oder Sicherheit tatsächlich, gegenwärtig und erheblich zu gefährden.
Maßgeblich ist dabei aber nicht primär, dass eine strafgerichtliche Verurteilung ausgesprochen wurde, sondern dass im Sinne einer Prognoseentscheidung das gegenwärtige und zukünftige Verhalten einer Person im Lichte einer strafgerichtlichen Verurteilung rechtlich zu würdigen ist. Es ist also im konkreten Einzelfall zu analysieren, ob davon ausgegangen werden kann, dass sich der Bw hinkünftig rechtskonform verhalten wird.
4.4.2. Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass der belangten Behörde vom Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich nicht entgegen getreten zu werden vermag, wenn sie im angefochtenen Bescheid nach ausführlicher, vollinhaltlich nachvollziehbarer und ho. aufrecht erhaltener Begründung zu einer negativen Zukunftsprognose gelangt.
Bezüglich der erfolgten Verurteilungen wegen der in Punkt 1. dargestellten Sittlichkeitsdelikte bedarf es nach Auffassung des Unabhängigen Verwaltungssenats des Landes Oberösterreich keiner näheren Erläuterung, dass die mehrfach vom Bw verübten Eingriffe in die sexuelle Integrität der Opfer eine tatsächliche und erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit bzw. der Grundinteressen der Gesellschaft darstellten.
Wenn der Bw in seiner Berufungsschrift vorbringt, dass die Handlungen "im auffallenden Widerspruch zu seinem Vorleben" stünden, so ist für den Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich nicht ersichtlich, inwiefern dies ein Indiz für das zukünftige rechtskonforme Verhalten des Bw darstellen könnte. Vielmehr deutet die Anzahl der Übergriffe des Bw, welche trotz eines offenbar intakten Familienlebens und beruflicher Verankerung verübt wurde, in eine gegenteilige Richtung. Es ist nämlich nicht davon auszugehen, dass der Bw etwa durch die Knüpfung familiärer Bande oder die Aufnahme einer Beziehung Gelegenheit bekäme, sein zukünftiges sexuelles Verhalten von seinem bisherigen abzukoppeln. Auch kann nicht außer Acht bleiben, dass der Bw während seines bis zu seiner Festnahme nur etwa 17-monatigen Aufenthalts die hohe Zahl an Straftaten verübt hat. Sein Vorleben im Heimatstaat ist im gegenständlichen Aufenthaltsverfahren jedoch schon deshalb unbeachtlich, als in diesem die Gefährdung der öffentlichen Ordnung Österreichs bzw. die Gefährdung der Sicherheit im Bundesgebiet zu beurteilen ist.
Wenn der Bw weiters vorbringt, seine Taten zu bereuen bzw. sich in der Haft mit diesen auseinandergesetzt zu haben, ist dem entgegen zu halten, dass keine Anhaltspunkte existieren, dass das Gefahrenpotential des Bw durch die Strafhaft maßgeblich verringert wird. Die Inanspruchnahme einer – aus Sicht der erkennenden Behörde in vorliegendem Fall naheliegenden – psychotherapeutischen Behandlung wurde vom Bw nicht einmal geltend gemacht.
Eine Zusammenschau der bereits erstbehördlich angestellten mit den hier dargelegten Überlegungen führt somit zum Ergebnis, dass das persönliche Verhalten des Bw eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt.
Grundsätzlich werden also vom Bw die in § 67 Abs. 1 FPG normierten Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes erfüllt. Es gilt in diesem Zusammenhang jedoch immer auch, im Sinne einer Interessensabwägung auf das durch eine aufenthaltsbeendende Maßnahme betroffene Privat- und Familienleben des Fremden in Österreich Bedacht zu nehmen.
4.5.1. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs. 1 (nur) statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
4.5.2. Gemäß § 61 Abs. 1 FPG ist, sofern durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
Gemäß § 61 Abs. 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtmäßig war;
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
4. der Grad der Integration;
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl- Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltstatus bewusst waren;
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
Gemäß § 61 Abs. 3 FPG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein aufgrund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51ff. NAG) verfügen, unzulässig wäre.
4.5.3. Im Sinne der zitierten Normen ist eine Interessensabwägung – basierend auf einer einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung – vorzunehmen.
Es ist festzuhalten, dass es gestützt auf die ständige Rechtsprechung der Höchstgerichte grundsätzlich zulässig und erforderlich ist, Maßnahmen zu ergreifen, um der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit der Republik Österreich effektiv zu begegnen. Daraus folgt, dass das diesbezügliche öffentliche Interesse äußerst hoch anzusetzen ist und ein Aufenthaltsverbot grundsätzlich ein nicht inadäquates Mittel darstellt, um einen rechtskonformen Zustand wiederherzustellen. Dies gilt jedoch nur insofern, als die privaten bzw. familiären Interessen im jeweils konkreten Einzelfall nicht als höherrangig anzusehen sind.
4.5.3.1. Zur Aufenthaltsdauer des Bw im Bundesgebiet ist zunächst festzuhalten, dass diese knapp zweieinhalb Jahre beträgt (Einreise am 23. Februar 2010). Der Aufenthalt ist rechtmäßig.
4.5.3.2. Weiters hat das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens in die Beurteilung einzufließen.
Der Bw ist mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet und hat mit dieser einen gemeinsamen, in Österreich geborenen Sohn. Von einem tatsächlich bestehenden Familienleben in Österreich kann daher grundsätzlich ausgegangen werden. Dieses wird jedoch durch die Verbüßung der dreijährigen Freiheitsstrafe und der damit einhergehenden Trennung etwas relativiert.
Anzumerken ist in diesem Zusammenhang auch, dass der eheliche Sohn des Bw, X, am X geboren wurde. Der Bw hat somit in der unzweifelhaft schwierigen Zeit der Schwangerschaft seiner Ehefrau bzw. auch unmittelbar nach der Geburt seines Sohnes, also in Zeiten, in denen Gattin bzw. Familie einer besonderen Unterstützung bedürfen, die Sittlichkeitsdelikte verübt, und damit nach Auffassung des Unabhängigen Verwaltungssenats des Landes Oberösterreich dokumentiert, nicht allzu tief mit seiner Familie verwurzelt zu sein.
4.5.3.3. Einen wesentlichen Punkt bei der vorzunehmenden Rechtsgüterabwägung stellt die Schutzwürdigkeit des Privatlebens dar. Wie sich unter anderem aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Dezember 2009, 2009/21/0348, ergibt, kann unter gewissen Umständen das Privatleben eines Bw alleine eine positive Gesamtbeurteilung nach sich ziehen. Dem Höchstgericht zufolge hat der dem § 61 Abs. 2 FPG (neu) vergleichbare § 66 Abs. 2 FPG (alt) schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während eines unsicheren Aufenthaltsstatus erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen wäre und ein solcherart begründetes privates bzw familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte.
Im Sinne dieser Ausführungen geht der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass ab einer Aufenthaltsdauer von etwa zehn Jahren das persönliche Interesse eines Fremden am Verbleib im Bundesgebiet ein derart großes Gewicht erlangt, dass eine Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FPG – auch bei einem Eingriff nur in das Privatleben – unverhältnismäßig erscheint (vgl etwa VwGH 20.1.2011, 2010/22/0158).
Im konkreten Fall ist der Bw seit knapp zweieinhalb Jahren in der Republik Österreich aufhältig, wobei er sich seit mehr als einem Jahr in Haft befindet. Die Haftzeiten können für die Erlangung eines entsprechenden Privatlebens nicht positiv zu Buche schlagen. Es verbleit daher eine anrechenbare Aufenthaltsdauer von etwa eineinhalb Jahren. Die in die Rechtsgüterabwägung zugunsten des Bw einfließende Aufenthaltsdauer liegt damit weit unter der höchstgerichtlich judizierten Schwelle von etwa zehn Jahren.
Zudem ist – mangels gegenteiliger Hinweise im zitierten höchstgerichtlichen Erkenntnis – davon auszugehen, dass im verwaltungsgerichtlich entschiedenen, und damit entgegen dem hier zu beurteilenden Fall, eine strafrechtliche Bescholtenheit des Beschwerdeführers nicht vorlag.
4.5.3.4. Merkmale für eine soziale Integration des Bw in Österreich sind im Verfahren hervorgekommen. Der Bw spricht deutsch und hat zumindest zeitweise einen Beruf ausgeübt.
Gegen die soziale Integration des Bw sprechen insbesondere die von ihm begangenen strafbaren Handlungen, aber auch der strafgerichtlich festgestellte und vom Bw im strafgerichtlichen Verfahren rechtfertigend ins Treffen geführte Suchtmittelmissbrauch, wenn diesbezüglich auch keine Verurteilung erfolgte.
Bei einer Gesamtbetrachtung gelangt man daher zum Ergebnis, dass eine tiefgehende Integration des Bw ins Gesellschaftsgefüge der Republik Österreich nicht gegeben ist.
4.5.3.5. Festzustellen ist weiters, dass der heute knapp 26-jährige Bw den überwiegenden Teil seines Lebens, nämlich etwa 24 Jahre, in seinem Herkunftsstaat verbracht hat. Er beherrscht die dortige Sprache, hat dort eine schulische und berufliche Ausbildung genossen und ist mit der Kultur des Landes vertraut. Es sollte dem Bw daher ohne große Probleme möglich sein, in seinem Heimatstaat wieder Fuß zu fassen. Insbesondere ist auch davon auszugehen, dass die nach wie vor im Heimatstaat lebenden Eltern des Bw ein entsprechendes soziales Netz gewähren.
4.5.3.6. Unstrittig ist eine strafgerichtliche Unbescholtenheit aufgrund der in oben dargestellten rechtskräftigen Verurteilungen nicht gegeben.
4.5.3.7. Ein Verstoß des Bw gegen die öffentliche Ordnung kam im Verfahren nicht hervor.
4.5.3.8. Das Privat- und Familienleben des Fremden ist nicht in einem Zeitpunkt entstanden, in dem sich dieser seines unsicheren Aufenthaltstatus bewusst sein hätte müssen.
4.5.3.9. Vor dem Hintergrund der in den Punkten 4.3.1. bis 4.3.9. getroffenen Feststellungen ist zusammenfassend hinsichtlich des Eingriffs in den geschützten Bereich des Privat- und Familienlebens des Bw festzuhalten, dass sich eine Eingriffsunzulässigkeit dem Grunde nach nicht ergibt.
Zwar ist dem Bw durch seine Aufenthaltsdauer im Inland von etwa zweieinhalb Jahren, seine Sprachkenntnisse sowie der Tatsache, dass seine Gattin Österreicherin ist und der gemeinsame Sohn in Linz geboren wurde, ein bestimmtes Maß an Integration bzw. ein nicht geringes Interesse am Weiterverbleib im Bundesgebiet zuzubilligen.
Die sich aus der ohnehin kurzen Aufenthaltsdauer ergebende Integration wird jedoch durch die vom Bw während dieser verbüßten Haft in der Dauer von mehr als einem Jahr stark relativiert. Wesentlich für eine Gesamtabwägung zulasten des Bw ist aber vor allem, dass er innerhalb einer sehr kurzen Zeit des Aufenthalts in Österreich trotz intakter familiärer Verhältnisse und beruflicher Verankerung in der Gesellschaft eine Vielzahl von gewalttätigen Sittlichkeitsdelikten begangen hat und wie oben ausführlich dargestellt nicht davon ausgegangen werden kann, dass sich der Bw in Hinkunft rechtskonform verhalten wird.
Wenn der Bw vorbringt, ein Aufenthaltsverbot egal welcher Dauer würde zu einer Entfremdung des Bw von seinem Sohn führen, ist diesem Vorbringen entgegen zu halten, dass bereits die Zeiten seiner Inhaftierung und die damit einhergehende Trennung der Familie die vorhandene familiäre Bindung in nicht näher bestimmbaren Maße beeinträchtigen, wenn natürlich auch regelmäßige Besuche im Gefängnis möglich sind. Ebenso ist es der Familie jedoch auch in Hinkunft unbenommen, den Bw im Heimatstaat regelmäßig zu besuchen. Die Aufrechterhaltung des Kontaktes ist den Ehepartnern mit modernen Kommunikationsmitteln zuzumuten. Darüber hinaus besteht etwa im Wege der äußerst günstigen Bildtelefonie (Skype oä) die Möglichkeit, auch mit dem derzeit noch sehr jungen Sohn des Bw den persönlichen Kontakt zu suchen. Die unzweifelhafte Einschränkung dieses Kontakts im Bereich der unmittelbaren körperlichen Nähe (Umarmungen etc.) ist erforderlich, um das hohe Schutzinteresse des Staates an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu gewährleisten.
Insgesamt ist also der belangten Behörde zu folgen, dass den öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK im konkreten Einzelfall eindeutig der Vorrang vor den privaten Interessen des Bw gegeben werden muss. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist daher dem Grunde nach zulässig und der Bw kann sich nicht durchschlagend auf den Schutz seines Privat- und Familienlebens berufen.
4.6. Da somit auch aus Sicht des Art. 8 EMRK bzw. des § 61 FPG nichts gegen die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Bw spricht, ist abschließend die siebenjährige Befristung des von der belangten Behörde erlassenen Aufenthaltsverbotes zu prüfen.
Hinsichtlich der Dauer des Aufenthaltsverbotes sind nach § 67 Abs. 2 FPG zehn Jahre als maximaler Rahmen vorgesehen.
Aus immanent zu berücksichtigenden gemeinschaftsrechtlichen Überlegungen und der Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist eine Beschränkung der Grundfreiheiten von Unionsbürgern oder begünstigten Drittstaatsangehörigen jedenfalls möglichst maß- und zurückhaltend vorzunehmen.
Der im gegenständlichen Fall vom Fremdenpolizeigesetzgeber in § 67 Abs. 2 FPG vorgesehene Rahmen für eine Befristung eines zu erlassenden Aufenthaltsverbotes auf maximal zehn Jahre schließt unter anderem Straftaten mit ein, für deren Begehung ein Fremder mit einer unbedingten Freiheitsstrafe bis einschließlich fünf Jahren verurteilt wurde (§ 67 Abs. 3 Z 1 FPG e contrario).
Der Bw wurde "lediglich" zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Deshalb, insbesondere aber auch aufgrund der familiären Situation des Bw, erachtet der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich trotz der Vielzahl von Sittlichkeitsdelikten bzw. der Art deren Begehung, welche an sich die Ausschöpfung der Maximalfrist durchaus rechtfertigen würden, einen Zeitraum von sieben Jahren als angemessen, um dem Bw die Möglichkeit zu geben, den von ihm beteuerten Gesinnungswandel unter Beweis zu stellen.
Auch in diesem Punkt war also nicht zugunsten des Bw vom angefochtenen Bescheid abzuweichen.
4.7. Hinsichtlich des erteilten Durchsetzungsaufschubes bedarf es keiner weiteren Erörterungen, da sich dieser unmittelbar aus § 70 Abs. 3 FPG ergibt.
4.8. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
Hinweise:
1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils durch einen Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.
2. Im gegenständlichen Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 14,30 Euro angefallen.
Hukuki itiraz yolu bilgilendirilmesi
İşbu karar karşı olağan kanun yolu açık değildir.
Talimat
Verilen karara karşı kararın tebliğ gününden itibaren altı hafta içinde Anayasa Mahkemesi’nde ve/veya Danıştay‘da itiraz edilebilinir. Yasal istisnalar hariç, şikayetin vekil tayin edilmiş bir avukat tarafından yapılması gerekmektedir. Her itiraz için 220.- Euro dilekçe harcı ödenilir.
Mag. Christian Stierschneider
Beschlagwortung:
Aufenthaltsverbot, Familienangehöriger, §§ 65 b, 67 Abs. 1 und 2 FPG
Beachte:
Beschwerde gegen vorstehende Entscheidung wurde abgelehnt.
VwGH vom 2. Oktober 2012, Zl.: 2012/21/0196-4