Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-231304/2/Gf/Rt

Linz, 26.06.2012

E R K E N N T N I S

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mit­glied Dr. Gróf über die Berufung des P R gegen das Straferkenntnis des Polizeidirektors der Stadt Linz vom 4. Juni 2012, Zl. S-5822/12-2, wegen einer Übertretung des Versammlungsgesetzes zu Recht:

I. Der Berufung wird insoweit stattgegeben, als das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben wird.      

II. Der Berufungswerber hat weder einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch einen Kostenbeitrag für das Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat zu leisten.

Rechtsgrundlage:

§ 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG; § 45 Abs. 1 Z. 3 VStG; § 66 Abs. 1 VStG.

 

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Straferkenntnis des Polizeidirektors der Stadt Linz vom 4. Juni 2012, Zl. S-5822/12-2,wurde gegen den Beschwerdeführer eine Geldstrafe in Höhe von 100 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe: 48 Stunden; Verfahrenskostenbeitrag: 10 Euro) verhängt, weil er am 24. Jänner 2012 in der Zeit zwischen 10:00 und 16:00 Uhr in einem Büro eines Mitgliedes der Oö. Landesregierung eine Versammlung mit sechs Teilnehmern veranstaltet habe, ohne diese zuvor bei der Behörde angezeigt zu haben. Dadurch habe er eine Übertretung des § 2 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes, BGBl.Nr. 98/1953, in der hier maßgeblichen Fassung BGBl.Nr. I 127/2002 (im Folgenden: VersG), begangen, weshalb er nach § 19 VersG zu bestrafen gewesen sei.

Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass das dem Rechtsmittelwerber angelastete Verhalten auf Grund entsprechender dienstlicher Wahrnehmungen des einschreitenden Sicherheitsorganes als erwiesen anzusehen sei.

Im Zuge der Strafbemessung seien keine Milderungsgründe zu berücksichtigen sowie die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschwerdeführers mangels entsprechender Mitwirkung von Amts wegen zu schätzen gewesen.

1.2. Gegen dieses ihm am 6. Juni 2012 zugestellte Straferkenntnis richtet sich die vorliegende, am 15. Juni 2012 – und damit rechtzeitig – per e-mail eingebrachte Berufung.

Darin bringt der Rechtsmittelwerber vor, dass im gegenständlichen Fall kein in der Öffentlichkeit wahrnehmbares, gemeinsames Wirken durch einen unbestimmten Personenkreis, sondern lediglich eine Besprechung ("Diskussionsmeeting") zwischen den im vorhinein bestimmten Vertretern von zwei Vereinen und dem zuständigen Landesrat beabsichtigt gewesen sei. Außerdem habe sich der Beschwerdeführer entgegen den Angaben des einschreitenden Sicherheitsorganes nie selbst als Organisator dieser Diskussionsveranstaltung bezeichnet.

Daher wird die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses und die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens beantragt.

 

 

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der BPD Linz zu Zl. S-5822/12; da sich bereits aus diesem der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ und die Verfahrensparteien einen entsprechenden Antrag nicht gestellt haben, konnte im Übrigen von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

2.2. Nach § 51c VStG hatte der Oö. Verwaltungssenat im gegenständlichen Fall – weil mit dem angefochtenen Straferkenntnis eine den Betrag von 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe nicht verhängt wurde – nicht durch eine Kammer, sondern durch ein Einzelmitglied zu entscheiden.

 

 

3. Über die vorliegende Beschwerde hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

3.1. Gemäß § 19 VersG begeht u.a. derjenige eine Verwaltungsübertretung und ist hierfür mit einer Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen oder mit einer Geldstrafe bis zu 720 Euro zu bestrafen, der eine allgemein zugängliche Versammlung ohne Beschränkung auf geladene Gäste veranstaltet, ohne diese wenigstens 24 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung unter Angabe des Zweckes, des Ortes und der Zeit der Versammlung schriftlich der Behörde angezeigt zu haben; eine solche Anzeige muss spätestens 24 Stunden vor dem Zeitpunkt der beabsichtigten Versammlung bei der Behörde einlangen.

 

3.2. Im gegenständlichen Fall ist in erster Linie die Rechtsfrage strittig, ob eine Versammlung i.S.d. VersG vorlag.

 

In diesem Zusammenhang hat der Verfassungsgerichtshof in ständiger Judikatur ausgesprochen, dass es insoweit auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles ankommt, wobei man sich am Zweck und an den konkreten Elementen der äußeren Erscheinungsformen (Modalitäten, Dauer, Teilnehmerzahl) zu orientieren hat sowie der Charakter der Allgemeinzugänglichkeit maßgeblich ist. Reine Informations- und Vortragsveranstaltungen, bloß zufällige Zusammentreffen, ein gemeinsames Hochhalten von Plakaten oder das Aufstellen eines Informationstisches, bei dem Flugzettel und Broschüren verteilt werden, fallen danach – auch wenn diese z.B. als "Sitzstreik" ö.Ä. bezeichnet sind – nicht unter den Versammlungsbegriff; Anderes gilt hingegen dann, wenn die Veranstaltung auf einen Meinungsaustausch mit zufällig Vorbeikommenden oder auf eine öffentlich wahrnehmbare politische Manifestation gerichtet ist (vgl. dazu z.B. die Rechtsprechungsnachweise bei R. Walter – W. Mayer – G. Kucsko-Stadlmayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 10. Aufl., Wien 2007, RN 1473).

 

Davon ausgehend ist im gegenständlichen Fall von entscheidungserheblicher Bedeutung, ob die Tatörtlichkeit während des dem Rechtsmittelwerber angelasteten Tatzeitraumes allgemein – und insbesondere für den Parteienverkehr – ohne nennenswerte Hindernisse zugänglich war oder nicht und ob das Verhalten des Beschwerdeführers und der übrigen Vereinsmitglieder nicht bloß potentiell, sondern auch tatsächlich von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde.

 

Unter den konkreten Umständen des vorliegenden Falles ist die Klärung dieser Fragen deshalb unumgänglich, um die aus rechtlicher Sicht erforderliche Abgrenzung zwischen einer "Versammlung" nach dem VersG, einer "Veranstaltung" nach landesrechtlichen Vorschriften und einem Verhalten, das weder unter den einen noch unter den anderen dieser beiden Begriffe zu subsumieren ist, in zuverlässiger Weise vornehmen, d.h. ausschließen zu können, dass gegenständlich keine Übertretung des Veranstaltungs- oder des Sicherheitspolizeigesetzes (oder gar des Strafgesetzbuches; vgl. z.B. § 109 StGB), sondern tatsächlich eine Versammlung vorlag.   

 

Diesbezüglich lassen sich jedoch weder aus dem Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses oder aus dessen Begründung bzw. aus dem von der belangten Behörde vorgelegten Akt irgendwelche Hinweise darauf entnehmen, ob bzw. dass sich die angelastete Tat (nicht) während der Amtsstunden bzw. der allgemein zugänglichen Sprechstunden ereignete und ob bzw. inwieweit dieser Vorgang zugleich auch tatsächlich und unmittelbar (und nicht erst durch eine entsprechende Berichterstattung im Nachhinein) öffentlich wahrgenommen werden konnte.  

 

3.3. Daher war der gegenständlichen Berufung schon aus diesem Grund gemäß § 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG insoweit stattzugeben, als das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben war.

 

Eine Einstellung des Strafverfahrens war hingegen im Hinblick auf die noch offene Verfolgungsverjährungsfrist nicht zu verfügen; ob bzw. inwieweit das Verfahren weitergeführt wird, hat vielmehr die belangte Behörde aus eigenem zu beurteilen.

 

 

4. Bei diesem Verfahrensergebnis war dem Berufungswerber nach § 66 Abs. 1 VStG weder ein Kostenbeitrag zum Strafverfahren vor der belangten Behörde noch ein Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor dem Oö. Verwaltungssenat vorzuschreiben.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

 

Dr.  G r o f

 

VwSen-231304/2/Gf/Rt vom 26. Juni 2012

 

Erkenntnis

 

 

Rechtssatz

 

Versammlungsgesetz §2

 

 

Der Verfassungsgerichtshof geht in ständiger Judikatur davon aus, dass es zur Beurteilung der Frage, ob eine "Versammlung" iSd Versammlungsgesetzes vorliegt, auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles ankommt, wobei man sich am Zweck und an den konkreten Elementen der äußeren Erscheinungsformen (Modalitäten, Dauer, Teilnehmerzahl) zu orientieren hat sowie der Charakter der Allgemeinzugänglichkeit maßgeblich ist. Reine Informations- und Vortragsveranstaltungen, bloß zufällige Zusammentreffen, ein gemeinsames Hochhalten von Plakaten oder das Aufstellen eines Informationstisches, bei dem Flugzettel und Broschüren verteilt werden, fallen danach – auch wenn diese zB als "Sitzstreik" oÄ bezeichnet sind – nicht unter den Versammlungsbegriff. Anderes gilt hingegen dann, wenn die Veranstaltung auf einen Meinungsaustausch mit zufällig Vorbeikommenden oder auf eine öffentlich wahrnehmbare politische Manifestation gerichtet ist (vgl dazu zB die Rechtsprechungsnachweise bei Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts10 (2007) RN 1473).

 

Daher ist es von entscheidungserheblicher Bedeutung, ob vorliegendenfalls die Tatörtlichkeit während des dem Rechtsmittelwerber angelasteten Tatzeitraumes allgemein – und insbesondere für den Parteienverkehr – ohne nennenswerte Hindernisse zugänglich war oder nicht und ob das Verhalten des Beschwerdeführers und der übrigen Vereinsmitglieder nicht bloß potentiell, sondern auch tatsächlich von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Denn die Klärung dieser Fragen ist vornehmlich deshalb unumgänglich, um die aus rechtlicher Sicht erforderliche Abgrenzung zwischen einer "Versammlung" nach dem Versammlungsgesetz, einer "Veranstaltung" nach landesrechtlichen Vorschriften und einem Verhalten, das unter keinen dieser beiden Begriffe zu subsumieren ist, in zuverlässiger Weise vornehmen, dh ausschließen zu können, dass gegenständlich keine Übertretung des Veranstaltungs- oder des Sicherheitspolizeigesetzes (oder gar des Strafgesetzbuches; vgl zB § 109 StGB), sondern tatsächlich eine Versammlung vorlag.

 

Diesbezüglich lassen sich jedoch weder aus dem Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses oder aus dessen Begründung bzw aus dem von der belangten Behörde vorgelegten Akt irgendwelche Hinweise darauf entnehmen, ob bzw dass sich die angelastete Tat (nicht) während der Amtsstunden bzw der allgemein zugänglichen Sprechstunden ereignete und ob bzw inwieweit dieser Vorgang zugleich auch tatsächlich und unmittelbar (und nicht erst im Nachhinein) öffentlich wahrgenommen werden konnte.

 

 

 

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