Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-401148/28/Wg/WU

Linz, 27.01.2012

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Wolfgang Weigl über die Beschwerde des X, geb. X wegen Festnahme, Schubhaftnahme und Anhaltung in Schubhaft seit dem 18. Jänner 2012 durch die Bundespolizeidirektion Linz, sogleich nach Schluss der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 27. Jänner 2012 durch mündliche Verkündung zu Recht erkannt:

 

            I.      Es wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für eine weitere Anhaltung in Schubhaft nicht vorliegen.

 

        II.      Der Bund (Verfahrenspartei: Bundespolizeidirektion Linz) hat dem Beschwerdeführer Kosten in der Höhe von insgesamt 751,80 Euro binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

Rechtsgrundlagen:

§ 83 Fremdenpolizeigesetz (FPG); § 67c Abs.3 AVG; § 69a AVG

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die Bundespolizeidirektion Linz hat über den Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf) mit Bescheid vom 18. Jänner 2012, AZ: 1006121/FRB, die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung gemäß § 76 Abs.1 des Fremdenpolizeigesetzes (FPG) iVm. § 57 Abs. 1 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG) angeordnet. Die BPD führte begründend aus, nach negativem Abschluss des Asylverfahrens sei mit Bescheid der BPD Linz vom 19. Oktober 2010 gegen den Bf die Ausweisung verfügt worden. Zur Sicherung der Abschiebung sei er am 25. Oktober 2010 in Schubhaft genommen und in das Polizeianhaltezentrum X überstellt worden. Am 27. Oktober 2010 habe er einen Asylfolgeantrag gestellt, der mit 24. Juni 2011 gemäß § 68 AVG – verbunden mit einer Ausweisung – rechtskräftig zurückgewiesen worden sei. Am 20. Dezember 2010 sei er aus der Schubhaft entlassen worden und mit Bescheid gleichen Tages gemäß § 77 FPG angeordnet worden, dass er sich täglich bei der Polizeiinspektion X zu melden habe. In weiterer Folge habe er sich bis vor 13. Jänner 2011 im X in X in stationärer Behandlung befunden. Er sei seiner täglichen Meldepflicht nie nachgekommen. Da sein Aufenthalt nicht mehr bekannt gewesen sei, sei am 14. März 2011 die tägliche Meldepflicht formlos aufgehoben worden. Nunmehr sei er in X, in einem Zelt hausend, angetroffen worden. Er sei in X nicht gemeldet und unterstandslos; bis zur Aufgreifung am 18. Jänner 2011 habe er beschäftigungslos und als "U-boot" in X gelebt. Aus Vorgesagtem und weil er offensichtlich nicht bereit sei, Anordnungen gemäß § 77 FPG Folge zu leisten, stelle eine abermalige Anordnung einer täglichen Meldepflicht im Rahmen eines gelinderen Mittels nicht sicher, dass er sich zur beabsichtigten Abschiebung auch tatsächlich zur Verfügung halten werde.

 

Dagegen richtet sich die Beschwerde vom 23. Jänner 2012. Der Bf beantragte darin, den Schubhaftbescheid aufzuheben, die Festnahme und die Anhaltung des Bf für rechtswidrig zu erklären, sowie dem Bf die Verfahrenskosten zu ersetzen. An Kosten wurden verzeichnet: Beschwerde verfasst 737,60 Euro, Gebühr 14,20 Euro, sohin 751,80 Euro. Begründend führte der Bf aus, der angefochtene Bescheid lasse auch eine nachvollziehbare Begründung dahingehend vermissen, weshalb anzunehmen sei, dass die Schubhaft notwendig sei. Der Bf verfüge über zahlreiche Bindungen nach Österreich, insbesondere sei er Vater zweier Töchter, X und X. Seine Schwester X sei in X wohnhaft, seine Schwester X wohne in X. Mit dem Umstand, dass er unterstandslos sei, könne die Notwendigkeit der Inschubhaftnahme nicht begründet werden. Der Bf wirke desorientiert und berichte von traumatischen Erlebnisses in der Vergangenheit und einer schweren Kopfverletzung im Alter von 4 Jahren. Seine Haftfähigkeit erscheine demnach nicht unbedingt gegeben zu sein. Mangels ausreichender Auseinandersetzung mit der tatsächlichen Situation des Bf habe die Erstbehörde auch nicht hinreichend begründet, weswegen in seinem Fall der nach Ansicht der Erstbehörde gegebene Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels nicht erreicht werden könne. Die Behörde führe dazu aus, dass gegen den Bf bei früherer Gelegenheit schon das gelindere Mittel angewendet worden sei, welches formlos aufgehoben wurde, nachdem der Bf seiner Meldepflicht nicht nachgekommen sei. Allerdings habe sich der Bf zu dieser Zeit nachweislich in stationärer Behandlung befunden. Möglicherweise sei es dem Bf bei dieser früheren Verhängung des gelinderen Mittels nicht klar gewesen, was er zu tun habe. Er sei verwirrt und sei unklar, ob ihm verständlich gemacht werden konnte, welche Auflagen er einzuhalten habe. Das österreichische Gesetz entspreche nicht der Rückführungsrichtlinie, da eine amtswegige Überprüfung der Schubhaft nur durch die Verwaltungsbehörde selbst und eine Überprüfung durch ein unabhängiges Tribunal überhaupt erst nach 4 Monaten vorgesehen sei. Der angefochtene Bescheid verstöße daher gegen das Unionsrecht.

 

Die BPD Linz legte den Akt vor und erstattete eine Gegenschrift. Darin beantragt sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

 

Der UVS führte am 27. Jänner 2012 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Eingangs wurde in der Verhandlung festgestellt, dass der Beschwerdeführer der deutschen Sprache mächtig ist.

 

Die Vertreter der Bundespolizeidirektion Linz erstatteten folgendes abschließendes Vorbringen:

"Aufgrund des Ambulanzbefundes vom 25. Jänner 2012 steht auch für die Erstbehörde fest, dass die Anhaltung des Beschwerdeführers ab dem jetzigen Zeitpunkt nicht mehr möglich ist. Im Übrigen verweisen wir auf die im Verfahren erstattete Gegenschrift und halten das dortige Vorbringen sowie die Anträge auf Zusprechung des Kostenersatzes in vollem Umfang (Schriftsatzaufwand, Vorlageaufwand, Verhandlungsaufwand) aufrecht. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass nach dem dargestellten Verfahrensablauf die Vorgangsweise der Behörde korrekt war. Es ist erst zum jetzigen Zeitpunkt hervorgekommen, dass eine Anhaltung in Schubhaft wegen Haftunfähigkeit bzw. fehlender Geschäftsfähigkeit nicht mehr möglich ist. Die Haftfähigkeit wurde permanent überprüft. Auch aus dem letzten Gutachten der Frau X geht hervor, dass der Beschwerdeführer jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt haftfähig war. Es wird ausdrücklich auf die Stellungnahme der Amtsärztin Frau X vom 24. Jänner 2012 verwiesen."

 

Der Beschwerdeführer und seine Vertreterin erstatteten folgendes Schlussvorbringen:

"Auf das schriftliche Vorbringen in der Schubhaftbeschwerde wird verwiesen. Es ist jedenfalls seit Erstellung des Ambulanzbefundes vom 25. Jänner 2012 von einer Haftunfähigkeit auszugehen. Im Übrigen wurde bereits am 19. Jänner 2012 seitens der BPD Linz, Herrn X, gegenüber der Vertreterin X der Verdacht geäußert, dass seiner Ansicht nach Herr X womöglich nicht haftfähig wäre. Dies zeige sich insbesondere an seinem sehr kindlichen Verhalten, wie z. B. dem Umstand, dass er nach wie vor mit Lego spielt. Die Schubhaftbeschwerde wird in allen Anträgen vollinhaltlich aufrecht erhalten."

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat stellt folgenden Sachverhalt fest:

 

Lt. Bericht des Stadtpolizeikommandos X vom 18. Jänner 2012 erhielt am 18. Jänner 2012 um 10.15 Uhr "X" (GI X, VB/s X und X) vom Stützpunkt den Auftrag nach X, zu einem provisorischen Zelt auf der Grünfläche nächst der Westbrücke zu fahren, da dort eine vermutlich illegal aufhältige Person anwesend sein sollte. Der Bf wurde von den Beamten dort um 10.50 Uhr angetroffen. Eine durchgeführte EKIS Abfrage ergab, dass gegen den Bf ein Aufenthaltsverbot der BPD Wels und eine Ausweisung besteht. Weiters wird im erwähnten Bericht ausgeführt: "Auf Grund dieser Auskunft und da X im Bundesgebiet nicht gemeldet ist, wurde er gemäß § 39 FPG am Ort der Anhaltung festgenommen und mit dem Fukw in die PI X verbracht. Zwangsmaßnahmen waren nicht erforderlich.".

 

Um 14.00 Uhr wurde der Bf amtsärztlich untersucht. Der Amtsarzt X stellte dabei fest, dass sich der Bf in zufriedenstellender körperlicher sowie geistiger Verfassung befand, örtlich und zeitlich orientiert war. Gemäß § 7 der Anhalteordnung wurde er vom Amtsarzt am 18. Jänner 2012 um 14.00 Uhr für haftfähig befunden.

 

Der Schubhaftbescheid wurde dem Bf am 18. Jänner 2012 um 16.40 Uhr ausgefolgt.

 

Der UVS veranlasste auf Grund des Beschwerdevorbringens eine neuerliche amtsärztliche Untersuchung.

 

Frau X, Amtsärztin der BPD X, berichtete daraufhin mit mail vom 24. Jänner 2012 über den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers. Sie führte dazu aus: "Seit der Inhaftierung des Herrn X am 20. Jänner 2012 ist er ruhig, freundlich und kooperativ. Im Jahr 2010 wurde bei Herrn X eine Psychose sowie eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Auch bei diesem Haftaufenthalt ergibt sich der Hinweis auf eine Belastungsstörung sowie einer Psychose. Diesbezüglich wurde eine psychiatrische Untersuchung für den 26. Jänner 2012 vorgesehen. Eine Medikation lehnt Herr X derzeit ab, da er keine Notwendigkeit diesbezüglich sieht. Herr X ist glaubhaft von Suizidgedanken distanziert. Die einzige Sorge die er aktuell habe, gilt seinem Zelt und seiner Katze, die ihm wohl weggenommen wurden. Aus ärztlicher Sicht besteht derzeit kein Hinweis auf Haftuntauglichkeit."

 

Aus dem Ambulanzbefund des X, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 26. Jänner 2012 (Anmerkung: irrtümlich datiert auf 25. Jänner 2012) wird ausgeführt: "Patient hochgradig psychisch auffällig. Formale und inhaltliche Denkstörungen im Sinne einer psychotischen Einengung gegeben. Patient jedoch orientiert, freundlich; … Patient ist nicht als geschäftsfähig (bzw. prozessfähig) zu beurteilen, massiv eingeschränkte Urteils- und Einsichtsfähigkeit". Als Therapievorschlag wurde unter anderem die Enthaftung angegeben ("auch wenn kein subjektiver Leidensdruck, Patient ist psychisch krank!").

 

Für den Verwaltungssenat steht aufgrund des Ambulanzbefundes vom 26. Jänner 2012 fest, dass der Bf jedenfalls in der mündlichen Verhandlung am 27. Jänner 2012 nicht haftfähig war.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat hat in rechtlicher Hinsicht dazu erwogen:

 

Jedermann, der festgenommen oder angehalten wird, hat gemäß Artikel 6 Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit das Recht auf ein Verfahren, in dem durch ein Gericht oder durch eine andere unabhängige Behörde über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges entschieden und im Falle der Rechtswidrigkeit seine Freilassung angeordnet wird. Die Entscheidung hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung hätte vorher geendet.

 

Aus Artikel 6 Abs 1 cit BVG ergibt sich, dass der Bf im ggst Verfahren jedenfalls bis zum Ende der Anhaltung in Schubhaft als (eingeschränkt) prozessfähig gilt.

 

Die Zuständigkeit des Verwaltungssenates zur Entscheidung über die Schubhaftbeschwerde ergibt sich aus § 83 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG).

 

Sofern die Anhaltung noch andauert, hat der Unabhängige Verwaltungssenat gemäß § 83 Abs. 4 jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Forstsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Im Übrigen hat er im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte zu entscheiden.

 

Aufgrund der fehlenden Haftfähigkeit war in der mündlichen Verhandlung festzustellen, dass die maßgeblichen Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft nicht vorliegen (vgl VwGH vom 8. September 2009, GZ 2008/21/0566).

 

Da sich der Bf zu diesem Zeitpunkt bereits seit 18. Jänner 2012 in Schubhaft befand, ist im fortgesetzten Verfahren zu entscheiden, ob bzw. bis zu welchem Zeitpunkt die Anhaltung rechtmäßig war.

 

Das Ergebnis der amtsärztlichen Untersuchung am 18. Jänner 2012 und vom 24. Jänner 2012 legt nahe, dass der Bf zum Zeitpunkt der Verhängung der Schubhaft sehr wohl geschäfts- und haftfähig war. Aufgrund der doch eindeutigen Ausführungen des Dr. X im Ambulanzbefund vom 26. Jänner 2012 (irrtümlich datiert auf 25. Jänner 2012) sind dazu nach der vorhandenen Beweislage aber keine eindeutigen Feststellungen möglich.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat wird über die noch offenen Beschwerdeanträge nach Abschluss des pflegschaftsgerichtlichen Verfahrens zur Bestellung eines Sachwalters mit gesondertem Bescheid entscheiden.

 

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus dem vorliegendem Antrag des Bf und der UVS-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 456/2008.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Die Zustellung dieser Ausfertigung erfolgt zu Handen des Rechtsanwaltes Mag. Dr. Helmut Blum, da dieser mittlerweile als einstweiliger Sachwalter bestellt wurde.

 

 

 

 

Mag. Wolfgang Weigl

 

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